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Arbeitsgemeinschaft für Medizinisches Bibliothekswesen (AGMB)

ISSN 1865-066X

"Kommunikationskompetenz - Schlüssel in der Informationsvermittlung": Tagungsbericht vom 23. Oberhofer Kolloquium in Gotha, 7. - 9. Apil 2005

Tagungsbericht

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  • corresponding author Eva Teubert - Institut für Deutsche Sprache, Mannheim, Deutschland

GMS Med Bibl Inf 2005;5(3):Doc17

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/journals/mbi/2005-5/mbi000017.shtml

Veröffentlicht: 21. Dezember 2005

© 2005 Teubert.
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Tagungsbericht

Unter dem Titel „Kommunikationskompetenz – Schlüssel in der Informationsvermittlung“ veranstaltete die DGI/KPI (Deutsche Gesellschaft für Informationswissenschaft und Informationspraxis e.V./Komitee Praxis der Inhouse-Informationsvermittlung) zusammen mit dem Leibniz-Institut für Neurobiologie in Magdeburg, der Technischen Universität Ilmenau und dem VDI (Arbeitskreis Information Magdeburg) vom 7. – 9. April 2005 in Gotha das 23. Oberhofer Kolloquium. Der Titel der Veranstaltung und die Namen der Veranstalter deuten die Thematik an: Es ging in den Vorträgen und Diskussionsrunden um die Schnittstelle zwischen natürlichem Sprachgebrauch und Informationsaufbereitung, -dokumentation sowie –verarbeitung in Forschung, Wissenschaft und Wirtschaft. Diese Schnittstelle wird auf linguistischen Tagungen und Veranstaltungen meist nur am Rande fokussiert, so dass den Veranstaltern der Oberhofer Kolloquien Dank dafür gebührt, dass sie seit langem im Abstand von zwei Jahren Sprachwissenschaft, Dokumentation, Informationsverarbeitung und deren Praxis in Gesellschaft und Wirtschaft zusammenführen.

Den Eröffnungvortrag hielt Joseph Weizenbaum Berlin, (ehem. MIT Massachusetts Institute of Technology, USA): „Das Symbol gibt zu denken. Über die Bedeutung als Basis der Kommunikation“. Der Altmeister der Computerwissenschaft erinnerte anhand von anschaulichen Beispielen aus seinem umfangreichen Erfahrungsschatz an einige zentrale begriffliche Differenzierungen: Der Computer verarbeitet nur Signale (Impulse), die „an und für sich“ keinerlei Bedeutung haben und/oder vermitteln. Bedeutungen, die Verstehen und Verständigung ermöglichen, entstehen durch Interpretationen in den Köpfen von Menschen, und die Interpretationen beruhen auf (gemeinsamen) sozialen Erfahrungen, sie beruhen auf Lebensgeschichten. „Kommunikation“ hat etwas mit „community“ zu tun, und Computer bilden nun einmal keine „communities“. Mit einem Seitenhieb auf die sog. „KI“ (Künstliche Intelligenz)-Forschung warnte Weizenbaum vor einer Übertragung von informationstechnischen Modellen auf die menschliche Kommunikation. Die Warnung erwies sich im Hinblick auf die Gegenstände der Tagung als durchaus relevant.

Ein Workshop (FIZ Fachinformationszentrum Chemie, Berlin) hatte zum Thema: „Informationseinrichtungen als Kommunikationszentren“, wozu René Deplanque (FIZ-Fachinformationszentrum Chemie, Berlin) einführend am Beispiel seines Fachs über die immensen Fortschritte bei der quantitativen Erweiterung und Vernetzung von Fach- und Wissenschaftsdatenbanken berichtete. Die Erfindung bzw. Entwicklung von geeigneten Werkzeugen der gezielten und effizienten Informations- oder besser Bedeutungssuche (vgl. Weizenbaum) wird deshalb immer dringlicher. Es ist nicht mehr nur von Wort- und Textsuche die Rede, sondern auch von ontologischen Datenbanken, was Linguisten an die schwierige Geschichte von Begriffswörterbüchern erinnert.

Gabriele Kirch-Verfuß (Unternehmensberatung „WissensWert“, Recklinghausen) konnte aus ihrer Beratungserfahrung dann auch einen informativen Überblick über Probleme der Inhaltssuche in der Praxis geben.

Sie „Session 1“ war Fragen der Kommunikationsberatung für die Wirtschaft und in der Wirtschaft gewidmet. Anita M. Duerr (Beratung für Informations-Bewirtschaftung/Ghostreading, CH- Glattenfelden) berichtete unter dem Titel „Kompetenz in Sprache“ aus ihrer Praxis über die Anforderungen aus dem Kundenkreis (Wirtschaft) an die Aufbereitung von Informationen und Daten. Fazit: Man muss eine Datenpflege betreiben, die den (zu eruierenden) Kundeninteressen in Bezug auf die Ordnung und Normierung von Inhalten entgegenkommt.

Gertrud Ihls (Kommunikationsberatung, Leipzig) brachte die „nonverbale Kommunikation als Erfolgsfaktor“ ins Spiel (z.B. Gestik, Mimik, Haltung, Sprachkultur).

Wolfgang Zollner (Zollner Management, Buch aE) sprach praxisnah über Optimierungsmöglichkeiten bei der Gestaltung von Pressemitteilungen und Newslettern.

Programmierte Verarbeitung von natürlicher Sprache war das zentrale Thema der „Session 2“. Robert Fugmann (Idstein) setzte sich in einem Grundsatzbeitrag mit den Problemen auseinander, in die man geraten kann, wenn „die reine Technologie der Informationsbereitstellung ganz im Vordergrund steht und wenn es an einer brauchbaren Informations-Philosophie mangelt“. In Fugmanns Informations-Philosophie werden u.a. thematisiert: Erinnerungs- und Entdeckungsrecherchen, Prototypen von Informationssystemen, der Unterschied zwischen „Wort“ und „Begriff“, Lexikalisierungs- und Interpretationsfragen, Indexierung.

Christian Heinisch (NEWBASE GmbH) gab schließlich einen Überblick über die Geschichte der Informationsverdichtung am Beispiel des Pressespiegels, und Manfred Bonitz (Dresden) setzte sich mit der Rolle von Zitierungen und Zitierungshäufigkeiten und deren Bewertung in der Wissenschaft auseinander.

In der „Session 3“ stand das Internet im Mittelpunkt. „Algorithmen zur Qualitätsbestimmung in Suchmaschinen“ war das Thema Michael Mandls (Universität Hildesheim, IFAS). Welchen Qualitätsbegriff für Internetseiten kann/soll man entwickeln bzw. favorisieren?

Daniel Fischer und Bernd Markscheffel (TU Ilmenau) beschreiben und klassifizieren Informationsdienstleistungen im Internet: Welche Geschäftsmodelle kann man für diese Dienstleistungen entwickeln?

Mathias Rickes (TU Ilmenau) geht von der Feststellung aus, dass ca. 98 % der Informationen im Web (www) von den Anwendern nicht genutzt werden. Er zieht daraus die Konsequenz, dass die „Konsumenten“-Verhaltensweisen näher untersucht werden müssen. Sollten die Web-Informationen nicht im Hinblick auf ihre Individualisierungsmöglichkeiten differenziert werden? Rickes beschreibt und bewertet verschiedene Entscheidungstheorien, die den empirisch beobachtbaren Auswahlverfahren mehr oder weniger gerecht werden.

In „Session 4“ analysiert Hans-Jürgen Püttmann (Essen) eine Werbeanzeige (Printmedium, Anzeige aus einem Branchen-Telefonbuch) unter der Fragestellung, wie man Fragmente einer solchen Anzeige unter Informations- und Dokumentationsgesichtspunkten effektiv klassifizieren kann. Es geht um sehr praktische Fragen der Inhaltserschließung zwischen Linguistik und Informationswissenschaft. – Im zweiten Beitrag der „Session“. der nur im Tagungsband dokumentiert ist, behandelt Johanna Dahm (Europahochschule für Wirtschaft und Medien, Köln) Wandlungen des Symbolbegriffs unter dem Einfluss der neuen Medien.

Im Rahmen der „Session 5“ trug Jana False (infonic, Ilmenau) über „Kommunikation in Open Source Projekten“ vor. „Open Source Projekte“ werden von einem Projekt-Inhaber bzw. einem „Maintainer“ gesteuert, der die Weiterentwicklung einer Projektstudie kontrolliert. Ihre Vorstellung jedoch ist es, dass viele „freie“ Mitarbeiter oder Gruppen je nach Fähigkeiten und Ressourcen zum Gelingen eines Informationsprojekts beitragen. Als Ertrag verspricht man sich vor allem Ideenerweiterung, Innovativität und den Aufbau neuer „communities“, die gleiche oder ähnliche Ziele verfolgen. – Gerd-Uwe Funk (agiplan GmbH, Mühlheim an der Ruhr) hat unter dem Titel „Erfolgsfaktor Kommunikation“ die Qualität der innerbetrieblichen Kommunikation als einen wirtschaftlichen Erfolgsfaktor ausgemacht. Er ging dabei auf kommunikationsethische Fragen ein, allerdings in einem Sinne, in dem der Ethikbegriff heute durchgängig von der Wirtschaft gebraucht wird, nämlich mit Bezug auf Werte, die den Firmenzielen nutzen (z.B. Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Bescheidenheit, Flexibilität usw.).

Der Abschlussvortrag des Kolloquiums wurde von Gernot Wersig (FU Berlin) unter dem Titel „Wiederverzauberung und Medienkompetenz in der Informationsgesellschaft“ bestritten. Wersig hat eine Tour d’Horizon durch drei Stadien der sog. Informations- und Mediengesellschaft unternommen (aus seiner Sicht): 1. In den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts glaubte man noch an eine umfassende Informationsgesellschaft. IuD (Information und Dokumentations)-Projekte wurden öffentlich gefördert, mit dem Ziel, tatsächlich umfassend Zugänge zu Wissen/Inhalten zu eröffnen. 2. Wegen der Unübersichtlichkeit/Unüberschaubarkeit der „Wissensmengen“ wurden die IuD-Projekte zugunsten von Förderungsprogrammen für Infrastrukturen aufgegeben: Strukturen also anstelle von Inhalten bzw. Bedeutungen. Dies war auch die Zeit der KI-Forschung. 3. Heute ist das Internet das dominierende Medium für Datenströme. Das Netz ermöglicht den Nutzern auch wieder eine individuelle Gestaltung des Daten- und Informationszugriffs – und damit einen „Informationszauber“, der dem Einzelnen zugleich nutzt und ihn unterhält. Damit kommt Wersig am Ende seines Durchmarschs durch die Stationen der „Informationsgesellschaft“ wieder beim (sprach)handelnden Individuum mit seiner Kommunikationskompetenz an. Der Ausdruck „Kommunikationskompetenz“, der im Titel des Kolloquiums steht und der während der Veranstaltung häufig auch in einer allzu technischen Verfremdung strapaziert wurde, bezeichnet eben – im Sinne von Weizenbaum – doch eine soziale Kompetenz von Menschen, ein Verstehens- und Verständigungsvermögen, das seine Basis in der natürlichen Sprache hat.


Literatur

1.
Markscheffel, Bernd/Daniel Fischer (Hrsgg.): Kommunikationskompetenz. Proceedings des 23. Kolloquiums über Information und Dokumentation, 07. - 09.April 2005, Gotha/Thüringen.