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Die Rolle der Universitätsbibliothek in der Mediziner-Ausbildung: ein pragmatischer Überblick mit kritischen Anmerkungen
The role of university libraries in medical training and education
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Veröffentlicht: | 23. September 2005 |
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Gliederung
Zusammenfassung
Dieser Artikel zeigt einen kurzer Überblick über die Leistungen einer Universitätsbibliothek im Rahmen der Mediziner-Ausbildung. Die speziellen Erwartungen und Bedürfnisse von Studenten, Wissenschaftlern und anderen außeruniversitären Gruppen werden dargestellt. Es werden Möglichkeiten demonstriert, die ärztliche Fort- und Weiterbildung in Klinik und Praxis, bibliothekarisch zu unterstützen. Universitätsbibliotheken wird empfohlen, verstärkt auf fachspezifische Besonderheiten der ärztlichen Ausbildung einzugehen. Statt eines einheitlichen Nutzungsverhaltens, wurden verschiedene Gruppen beobachtet, die je nach Ausbildungsstand unterschiedliche Anforderungen an die Universitätsbibliothek und ihre Ressourcen stellen. Insbesondere Schulungen und Führungen sind gezielter an den Erfordernissen der Mediziner auszurichten.
Abstract
This article provides a short overview of the achievements of a university library in terms of medical training and education. The special expectations and needs of students, scientists and other non-university groups are represented. Ways to provide further training in hospital and medical practice by the librarian are demonstrated. University libraries are recommended to be more responsive to the specific characteristics of physician education. Instead of observing a uniform user behavior, different groups were noticed. Depending on their educational state they made varying demands on the university library and its resources. Training courses and guided tours particularly are to be aligned more purposefully to the requirements of the medical profession.
Einleitung
In diesem Artikel soll ein kurzer Überblick über die Leistungen einer Universitätsbibliothek im Rahmen der Mediziner-Ausbildung - quasi vom Studienanfänger bis zum Facharzt - gegeben werden. Insbesondere die speziellen Erwartungen und Bedürfnisse der klassischen Benutzer, also Studenten und Wissenschaftler, aber auch anderer außeruniversitärer Gruppen werden dargestellt. Zusätzlich sollen verschiedene Möglichkeiten aufgezeigt werden, die ärztliche Fort- und Weiterbildung in Klinik und Praxis, bibliothekarisch zu unterstützen.
Die Rolle der Universitätsbibliothek in der Mediziner-Ausbildung
Studienanfänger
„Aller UB-Anfang ist schwer!“ - dieses Motto könnte sicher auch für viele Studieneinsteiger in der Medizin gelten. Nicht selten werden die Erstsemestler im Rahmen der Benutzungseinführung mit Unmengen an bibliothekarischen Details und Hinweisen überhäuft. Sämtliche Vorurteile über die komplizierten Bibliotheken und ihr Personal werden leider nur allzu oft bestätigt. Die Hauptursache für dieses Problem liegt allerdings in der Natur der Sache: Eine allgemeine Einführung berücksichtigt eben niemals nur die wichtigen Aspekte eines einzelnen Faches, sondern bietet eher breitgefächerte Informationen über das gesamte Fächerspektrum. Unglücklicherweise sind aber Themen, wie z.B. Zettelkataloge oder komplexe OPAC-Recherchen, für den Medizinstudenten am Anfang wenig hilfreich bis überflüssig. Abhilfe können hier spezielle Führungen schaffen, die das jeweilige Fach bzw. den Ausbildungsstand gezielt berücksichtigen. Ein praktischer Rahmen für solche Veranstaltungen ist die von der Fachschaft organisierte Einführungswoche vor Studienbeginn. So können alle Erstsemestler, aufgeteilt in Kleingruppen, innerhalb von zwei bis drei Tagen in die Benutzung der Universitätsbibliothek eingeführt werden. Inhaltlich sollte man sich auf die Themen beschränken, die am Anfang des Studiums von primärer Bedeutung sind. Dabei konzentriert sich meist alles auf drei Hauptfragen: Welche Lehrbücher hat die Universitätsbibliothek? Wo stehen die? Wie kann man die ausleihen?
Hintergrund dieser Fixierung ist der hohe Grad an Verschulung im Medizinstudium. Jeder Student weiß genau welche Kurse, Praktika und Seminare er in welchem Semester zu absolvieren hat. Da für den Scheinerwerb in fast allen Fällen eine Prüfung vorgesehen ist, muss der Stoff anhand eines Lehrbuches gelernt werden. Im Gegensatz zu den Geistes- oder Sozialwissenschaften spielen Referate und Hausarbeiten im Medizinstudium eine sehr geringe bis gar keine Rolle, folglich braucht ein Studienanfänger in den ersten Semestern auch keine komplexen Recherchen im OPAC zu können - geschweige denn, sich mit Dingen wie der Schlagwortsuche nach RSWK auskennen. Ihm würde im Notfall ein nach Kurs- oder Scheinfächern gegliedertes Verzeichnis der Lehrbuchsammlungs-Titel völlig genügen. Übrigens, auch die neue Approbationsordnung, welche im Herbst 2003 in Kraft getreten ist, ändert bis auf ein paar kosmetisch-ideologische Korrekturen kaum etwas an diesen Grundprinzipien. Aber dazu später mehr.
Der Student als Doktorand
Die aus bibliothekarischer Sicht anfangs begrenzte Interessenlage des Medizinstudenten ändert sich meist deutlich mit dem Beginn einer Doktorarbeit. Angemerkt sei hierzu, dass die Medizin so ziemlich das einzige Fach ist, bei dem die Doktorarbeit bereits im Studium begonnen werden kann und nicht erst nach dem Abschlussexamen. In der Regel wird unmittelbar nach dem vorklinischen Abschnitt oder spätestens ein bis zwei Semester danach losgelegt. Neben dem bereits beschriebenen Interesse an Lehrbüchern rückt jetzt auch die Datenbank Medline und ihre Bedienung in den studentischen Interessenfokus. Noch bis vor wenigen Jahren war die Unterstützung im Studium beim Thema Doktorarbeit sehr gering ausgeprägt. Keiner fühlte sich bei seinem Fach angesprochen und regelmäßig hielten die Lehrenden sich an das Motto: "Doktorarbeit ist Ihr Privatvergnügen". Auch heutzutage ist die curriculare Verankerung rund um das Gebiet wissenschaftliches Arbeiten dürftig. Allenfalls in den Kursen zur Biomathematik oder zum Ökologischen Stoffgebiet wird dieser Komplex kurz angerissen. Ob der neu eingeführte Querschnittbereich "Epidemiologie - medizinische Biometrie und Informatik" in Zukunft diese Lage verbessert, bleibt abzuwarten. Daneben existieren noch sogenannte nicht-curriculare Lehrveranstaltung (Doktorandenseminare etc.) der einzelnen Kliniken und Institute. Der Durchdringungsgrad bei den Studierenden ist dabei aber eher gering. Hier kommt also wieder die Universitätsbibliothek ins Spiel. Besonders Schulungen zum Thema Literaturrecherche in MEDLINE sind von Studenten, aber auch Wissenschaftlern sehr geschätzte und derzeit noch relativ gut besuchte Veranstaltungen. Bei der Frage nach der geeigneten Darbietungsform, also Vorlesung versus Kurs, sollte letzterer der Vorzug gegeben werden. Nur dort ist der Rahmen für praktische Übungen in kleinen Gruppen vorhanden, was gerade im Vergleich mit der Vorlesung einen deutlich höheren Lernerfolg verspricht. Zusätzlich zu diesen klassischen Vermittlungsformen gewinnen aber vor allem Online-Guides und Internet-Tutorials immer mehr an Bedeutung. Sollten sich darüber hinaus noch speziellere Fragen ergeben, steht natürlich auch der jeweilige Fachreferent oder ein entsprechender Datenbankspezialist zur Verfügung. Auf die öfter heiß-diskutierte Frage nach der "besten" Oberfläche, (frei vs. lizenziert, Pubmed vs. Ovid etc.) soll hier nicht näher eingegangen werden. Allerdings sei aus der eigenen Beobachtung angemerkt, dass meist für den Benutzer praktische Gesichtspunkte bei der Wahl der Plattform dominieren, also Dinge wie: Vertrautheit mit der Oberfläche oder Verfügbarkeit von Zuhause und dergleichen. Komplexe Funktionen spielen eher eine Nebenrolle und werden schwerpunktmäßig von erfahrenen Wissenschaftlern und weniger von Einsteigern und Gelegenheitsnutzern verwendet.
Der Abschluss der Literaturrecherche in Medline oder einer anderen Datenbank ist für den Benutzer allerdings erst die halbe Miete. Der zweite Schritt, nämlich die Literaturbeschaffung, kann sich für den Anfänger oft problematischer und weitaus verwirrender gestalten als die Suche selber. Fehlende Kenntnisse über die genauen Unterschiede zwischen Aufsatznachweis in Medline und Zeitschriftennachweis im OPAC, sind keine Seltenheit. Aber auch die eigentlich sinnvolle Möglichkeit, von der Datenbank auf den Volltext eines elektronischen Journals zu gelangen, führt in der Praxis leider nicht immer zum gewünschten Erfolg. Die Liste der Probleme und Schwierigkeiten, die sich rund um das Thema Datenbanken, Zeitschriften und OPAC ergeben können, ließe sich noch beliebig fortsetzen. Umso wichtiger erscheint es, auch für diesen Bereich entsprechende Unterstützung anzubieten. Denkbar wäre - quasi als Ergänzung zum Medline-Kurs - eine Schulung für den Bereich Bestandsermittlung mittels OPAC kombiniert mit dem Thema Beschaffung (Ausleihe, Fernleihe, Subito etc.). Allerdings sollte man vor lauter Vermittlungsdrang nicht vergessen, dass die Bereitschaft größere Mengen an Zeit in entsprechende Schulungen der Universitätsbibliothek zu stecken, bei den meisten Studenten und Wissenschaftlern eher gering entwickelt ist. Hier könnten die bereits erwähnten Online-Hilfestellungen (Guide, Tutorial) eventuell geeigneter sein - bequemer für den Nutzer sind sie alle mal.
Neue Approbationsordnung
Seit 1. Oktober 2003 ist die neue Approbationsordnung für Ärzte in Kraft. Damit wurde ein Prozess zu einem vorläufigen Ende gebracht, der bereits 1989 mit der 7. Novelle der bis dahin gültigen Approbationsordnung begonnen hatte und in unterschiedlichen Abständen während der 90-iger Jahre immer wieder aufs Neue aktualisiert wurde. Hauptziel dieser jahrzehntelangen Bemühungen war stets die Verstärkung des Praxisbezugs im Studium. Zu diesem Zweck wurde unter anderem der vorklinische Abschnitt vermehrt mit klinischen Themen angereichert oder zusätzliche Seminare eingeführt. Was sich bis hierhin noch gut anhört, hat allerdings einen gewaltigen Haken: Bei all diesen gutgemeinten Erweiterungen, wurde leider immer versäumt, auch in gleichem Maße die theoretisch-naturwissenschaftliche Stoffmenge zu reduzieren. Erwartungsgemäß blieb man bei der neuen Approbationsordnung diesem Prinzip treu. So steigt die Zahl der Leistungsnachweise von 39 auf 55 an. Die Zahl der Prüfungen wurde zwar von vier auf zwei reduziert, was allerdings dazu führt, dass der Stoff von ehemals drei Staatsexamen am Ende geballt im sogenannten "Hammerexamen" auf die Studierenden einschlägt. Doch diese eher studentischen Probleme werden in der Fachwelt und unter den Lehrenden weniger thematisiert. Viel lieber berichtet man darüber, dass die neue Approbationsordnung jetzt verstärkt praxisgerichtetes und fächerübergreifendes Denken fördere. Problemorientiertes Lernen, gegenstandsbezogene Studiengruppen, Kleingruppenunterricht bzw. aktives Eigenstudium sind hier die Lieblingsschlagwörter. Von Bibliotheksseite erwarte man jetzt verstärkt die Vermittlung von Recherche- und Informationskompetenz, hierzu gehören Schulungen über die Handhabung von Datenbanken, die Einführung in das problemorientierte Lernen (POL) und das Arbeiten mit dem Internet. Soweit die Theorie. Ob sich das Lern- und Arbeitsverhalten der Studierenden tatsächlich so gravierend ändert, wie oben beschrieben, bleibt abzuwarten. Der Autor ist aufgrund eigener Erfahrungen äußerst skeptisch. Leider ist eher zu erwarten, dass auch die neue Approbationsordnung wenig an den eigentlichen Knackpunkten des Medizinstudiums ändert. Die große Kluft zwischen akademischem Anspruch und studentischer bzw. klinischer Wirklichkeit wird bleiben.
Elektronische Medien
In diesem Zusammenhang soll auch ein weiteres großes Trend-Thema, nämlich E-Learning und elektronische Medien nicht unerwähnt bleiben. Doch was verbirgt sich hinter diesen Modewörtern eigentlich? Und vor allem, welchen Stellenwert hat die Thematik für Universitätsbibliotheken und Studierende in der Praxis? Da wären zum einen die Multimedialen Lernprogramme zu beleuchten. Diese waren bis vor wenigen Jahren fast ausschließlich in CD-ROM-Form (selten Disketten) verfügbar und mussten zur Nutzung dann entliehen und privat installiert werden. Aufgrund rechtlicher Bedenken wurde darauf aber eher verzichtet und stattdessen die Software auf speziellen Rechnern der Universitätsbibliothek zur Verfügung gestellt. Mit Aufkommen des Internets veränderte sich aber die Form der Bereitstellung, so dass wir heute hauptsächlich zwei weitere Varianten von Lernprogrammen vorfinden. Zum einen, Typ 1, die serverbasierte Anwendung - in der Regel kostenlos über Internet oder Uninetz nutzbar und von einem Institut bzw. Klinik betreut. Oder, Typ 2, die kommerzielle Software, welche von der Universitätsbibliothek gekauft bzw. lizensiert wurde und mittels spezieller Servertechnologie (Microsoft-Terminalserver, Citrix-Metaframe etc.) über das Uninetz zur Verfügung gestellt wird. Beim ersten Typ hat die Universitätsbibliothek so gut wie keinen Aufwand und erst recht keine Kosten, lediglich eine entsprechende Verlinkung auf den Fachseiten oder Verzeichnung im OPAC sind nötig. Ganz anders sieht die Sache bei Lernprogrammen vom Typ 2 aus. Hier entsteht eine dreifache (finanzielle) Belastung, nämlich durch Lizenzgebühren, technische Infrastruktur und schließlich auch durch Personal für Wartung und Betreuung. Die Gesamtkosten hierfür sind zum Teil nicht unbeträchtlich. Jeder Bibliothek sei empfohlen - gerade in Zeiten knapper Etats - kritisch zu hinterfragen, ob die Kosten-Nutzen-Relation für das jeweilige Angebot auch wirklich akzeptabel ist. Man sollte sich beim ganzen Hype um das Thema E-Learning stets vor Augen führen, dass nach wie vor das Primärmedium für einen Medizinstudenten das gedruckte Lehrbuch ist. Alle weiteren Medienformate sind vielleicht interessant und zum Teil recht hilfreich, haben aber derzeit nur ergänzende Bedeutung. Im übrigen ist mittlerweile auch auf Seiten der medizinischen Fachwelt die euphorische Begeisterung gegenüber den neuen Medien einer realistischen Betrachtung von Aufwand und vermutlichen Nutzen gewichen.
Es soll kein falscher Eindruck entstehen, die steigende Bedeutung elektronischer Lernprogramme in der Medizinerausbildung ist unbestritten. Leider ebenso unbestritten ist aber auch die ständig schlechter werdende finanzielle Ausstattung der Bibliotheken. Deshalb muss in diesen Zeiten auch die kritische Frage erlaubt sein, ob es für die Universitätsbibliothek nicht sinnvoller ist, sich zukünftig mehr aufs Kerngeschäft zu konzentriert und das Thema E-Learning den finanziell stärker ausgestatteten medizinischen Fakultäten oder speziellen Medienzentren zu überlassen.
Abgerundet wird das UB-Angebot an elektronischen Medien durch die bereits erwähnten Datenbanken und elektronischen Zeitschriften. Insbesondere für die Wissenschaftler sind die elektronischen Zeitschriften mittlerweile - allein auf Grund des komfortablen Zugriffs - fast unverzichtbar geworden. Eine ebenfalls stark wachsende Bedeutung haben elektronische Dissertationen in der Medizin. Nachdem viele Promotionsordnungen von den Fakultäten inzwischen angepasst wurden, entscheiden sich immer mehr Promovenden, ihre Arbeit komplett online zu veröffentlichen. Dieser positive Trend zieht aber auf Seiten der Universitätsbibliothek auch zusätzlichen Beratungs- und Betreuungsaufwand sowie technische Investitionen nach sich.
Wissenschaftler
Die nächst höhere Entwicklungsstufe aus bibliothekarischer Sicht erreicht der Student oder Doktorand nach Abschluss seines Examens bzw. der Promotionsarbeit. Sollte dieser nämlich als Arzt an einer Universitätsklinik arbeiten, wird er damit zum Wissenschaftler. Was aber unterscheidet den Studenten oder Doktoranden vom Wissenschaftler? Primär sind zwei Dinge zu nennen. 1. Die intensivere Nutzung von Datenbanken, insbesondere Medline. 2. Eine Interessenverlagerung weg von Lehrbüchern hin zu Zeitschriften, insbesondere elektronischen. Daneben können auch elektronische Publikationsmöglichkeiten auf Servern, die von der Universitätsbibliothek betrieben werden, von Bedeutung sein. Selbst wenn die überwiegende Mehrzahl der forschenden Mediziner versuchen wird Aufsätze in einer Fachzeitschrift zu publizieren und weniger auf einem Publikationsserver der Universität oder der Universitätsbibliothek, so ist gerade für die Bereitstellung von Lehr- und Lerninhalten (Kursscripte, Anleitungen, Protokolle etc.) oder niederrangigen Veröffentlichungen (Tagungs- und Kongressbeiträge etc.) diese Publikationsmöglichkeit eine sinnvolle und praktische Alternative zum gedruckten Werk. In der Praxis sieht es allerdings häufiger so aus, dass die jeweiligen Kliniken und Institute selber entsprechende Server betreiben und somit auf die Angebote der Universitätsbibliothek weniger angewiesen sind, als beispielsweise die Mitglieder der geistes- oder sozialwissenschaftlichen Fakultäten.
Praktiker
Neben den bereits thematisierten klassischen Benutzergruppen ist eine weitere bibliothekarisch betreuungswürdige Klientel erwähnenswert: Die Praktiker. Gemeint sind niedergelassene Haus- oder Fachärzte, aber auch die in Weiterbildung befindlichen Assistenzärzte an den Kliniken. Der Interessenschwerpunkt dieser beiden Personenkreise liegt eher im praktisch-anwendungsbezogenen und weniger im wissenschaftlichen Bereich. Anzumerken ist jedoch, dass sich Mediziner an Universitätskliniken und Akademischen Lehrkrankenhäusern in der Regel wissenschaftlich und klinisch betätigen und somit nicht auf eine einzige Benutzerrolle festzulegen sind.
Oftmals spielt die stark praxisorientierte Medizinliteratur in den Erwerbungsbemühungen der Universitätsbibliotheken eher eine Nebenrolle. Gründe hierfür gibt es mehrere: Zum einen nimmt diese Literaturgattung eine Art Zwitterstellung zwischen dem klassischen Lehrbuch und der wissenschaftlichen Aufsatzsammlung ein. Zum anderen geht man von Bibliotheksseite aus, dass diese thematisch spezielleren Monographien in den Kliniken und Praxen direkt erworben werden und somit für die Universitätsbibliothek geringer Handlungsbedarf besteht. Leider sieht die Realität anders aus. Insbesondere an den Kliniken werden in erster Linie Zeitschriften und kaum Bücher erworben und auch der niedergelassene Arzt hat kaum Zeit und Möglichkeiten systematisch diese Literatur anzuschaffen.
In Tübingen wurde der Bedarf und die Notwendigkeit für einen solchen Bestand relativ früh erkannt, so unterhält die Universitätsbibliothek seit 1966 eine besondere Büchersammlung unter dem Namen "Ärztebibliothek". Im Rahmen einer Kooperation mit der Bezirksärztekammer Südwürttemberg erhält die Universitätsbibliothek finanzielle Mittel für die Anschaffung und Bereitstellung dieser speziellen Literatur, die in erster Linie den niedergelassenen Ärzten in der Region zur Fortbildung und Weiterqualifizierung dienen soll. Neben dieser Hauptzielgruppe können laut Absprache mit der Bezirksärztekammer in einem Umfang von ca. 25-30% der zur Verfügung stehenden Mittel auch Lehrbücher für Studenten der Medizin und noch in Ausbildung befindliche Ärzte erworben werden. Die Auswahl der geeigneten Titel wird innerhalb des Fachreferates für Medizin getätigt; es werden aber auch Anschaffungsvorschläge von niedergelassenen Ärzten und Klinikern berücksichtigt. Erworben werden üblicherweise deutschsprachige Bücher für Ärzte aller Fachrichtungen außer Zahnmedizin. Organisatorisch erhielt die Ärztebibliothek neben einer eigenständigen Signaturengruppe auch eine räumlich gesonderte Aufstellung innerhalb des Bestandes der Universitätsbibliothek. Die Bereitstellung der finanziellen Mittel erfolgt über die Geschäftsstelle der Bezirksärztekammer Südwürttemberg im Rahmen eines jährlich zur Verfügung gestellten Kontingents. Als Besonderheit werden bei der Akzessionierung die angeschafften Titel nicht mit dem Stempel der Universitätsbibliothek versehen, sondern mit einem speziellen Besitzstempel gekennzeichnet. Dieser weist die Bücher als "Eigentum der Bezirksärztekammer in Verwaltung der Universitätsbibliothek Tübingen" aus.
Die Bestände der Ärztebibliothek sind seit Anbeginn 1966 im OPAC der Universitätsbibliothek via Tübinger Universitätsnetz respektive Internet nachgewiesen und vollständig recherchierbar. Mittels der besonderen Signaturkennung "AR". können sie leicht erkannt und bei Bedarf gesondert herausgefiltert werden. Seit Öffnung des neuen großen Freihandmagazins der Universitätsbibliothek Tübingen im September 2003 stehen die Bücher der Ärztebibliothek dort besonders gekennzeichnet und gut zugänglich zur Selbstbedienung ab Jahrgang 1985 bis heute. Ältere Jahrgänge befinden sich gesondert im Magazin. Die Aufstellung erfolgt nach Numerus currens in Jahresringen. Die von der Ärztekammer zur Verfügung gestellten Mittel schwanken im Laufe der Jahre, wobei insbesondere in den Achtziger- und Neunziger-Jahren Beträge von umgerechnet 8.000 bis 12.000 Euro bereitgestellt wurden. Seit 1997 erhält die Universitätsbibliothek jährlich einen relativ gleichbleibenden Zuschuss von ca. 7.500 Euro. Je nach Preisentwicklung werden davon pro Jahr etwa 100 - 150 Bücher (2004: 113) für die Ärztebibliothek und zwischen 5 und 20 Titel (2004: 7 Titel mit 33 Exemplaren) für die Lehrbuchsammlung erworben. Auch für das Jahr 2005 wurden erneut 7.500 Euro zur Verfügung gestellt.
Als Ausgleich für diese finanzielle Unterstützung, hat sich die Universitätsbibliothek gegenüber der Ärztekammer verpflichtet, den niedergelassenen Ärzten der Region einen besonderen Lieferservice zu bieten. Die Ärzte können Bücher aus Beständen der Ärztebibliothek "unbürokratisch" per Brief/Fax oder E-Mail über die Fernleihstelle bestellen. Sie erhalten die gewünschten Titel kostenlos per Post zugeschickt und können sie vier Wochen zzgl. 14 Tage Zustellzeit ausleihen. Die Rücksendung erfolgt zu Lasten des jeweiligen Arztes. Die Inanspruchnahme der kostenlosen Direktlieferung für die Ärzte der Region ist relativ gering und liegt meist unter 50 Lieferungen im Jahr. In erster Linie werden die Bücher lokal von Ärzten, Studenten und Interessierten aus der Universität oder Stadt ausgeliehen. Nach der Lehrbuchsammlung ist die Ärztebibliothek der seit Jahren am zweithäufigsten genutzte Bestand. Im Jahr 2004 kamen auf 7074 nutzbare Bände 3076 Ausleihen (ca. 43%).
Eine noch größere Bedeutung erhält die Ärztebibliothek derzeit durch die jüngsten Entwicklungen zum Thema zertifizierte Fortbildung in der Medizin. So sind seit Inkrafttreten des GKV-Modernisierungsgesetzes die Vertragsärzte gesetzlich dazu verpflichtet, sich regelmäßig fachlich fortzubilden und der Kassenärztlichen Vereinigung alle fünf Jahre einen entsprechenden Nachweis vorzulegen. Diese "Pflicht zur fachlichen Fortbildung" sieht vor, dass der Nachweis durch entsprechende Zertifikate der Kammern erbracht wird. In Baden-Württemberg wurde bereits vor zwei Jahren die Durchführung eines Modellprojektes zur freiwilligen Fortbildungszertifizierung für den Zeitraum 2002 bis 2004 beschlossen. Vor dem Hintergrund dieser und vor allem auch zukünftiger Bemühungen bietet die Ärztebibliothek, mit ihrem breiten Fächerspektrum und stark anwendungsbezogenen Titelbestand, wertvolle Unterstützung bei den Fortbildungsaktivitäten der Bezirksärztekammer und ihrer Mitglieder. Insbesondere zu Themen der alltäglichen Praxis findet sich aktuelles und schnell einsetzbares Schrifttum für den niedergelassenen Behandler wie auch Assistenten in der Klinik. Ein besonderes Augenmerk bei der Literaturauswahl wird in Zukunft auf die Bereiche Qualitätssicherung und Evidenzbasierte Medizin zu richten sein. Da diese Themenkomplexe eine immer größere Rolle in Praxis und Fortbildung einnehmen, plant die Universitätsbibliothek auch für die Ärztebibliothek entsprechenden Bestand verstärkt zu erwerben.
Außeruniversitäre Gruppen
Am Ende dieses kurzen Rundgangs durch die verschiedenen medizinischen Benutzergruppen und ihre Rolle für die Universitätsbibliothek, soll noch ein kleines aber gelungenes Beispiel dafür gezeigt werden, wie bibliothekarisches Engagement auch fern der reinen Uniwelt sinnvoll einsetzbar ist. Gerade Kooperationen und Kontakte in die Wirtschaft oder andere außeruniversitäre Bereiche können in Zukunft für das Außenbild einer Bibliothek und ihre Positionierung als Serviceeinrichtung immer wichtiger werden.
Als Veranschaulichung dient hier die langjährige Zusammenarbeit zwischen dem mibeg-Institut Medizin in Tübingen und der Universitätsbibliothek. Im Rahmen dieser Verbindung werden seit über 10 Jahren Fortbildungsmaßnahmen und Schulungen für unterschiedlichste Gruppen durchgeführt.
Das mibeg-Institut Medizin ist seit Anfang der 90er Jahre auf die nachuniversitäre Qualifizierung von Fach- und Führungskräften im Gesundheitswesen, insbesondere Ärztinnen und Ärzten, aber auch Ökonomen und Juristen spezialisiert. Entsprechend dieser Ausrichtung wird am Standort Tübingen unter anderem ein Seminar "Qualifizierung für Klinik und Praxis" angeboten. Vorrangig wendet sich diese Fortbildung an Ärztinnen und Ärzte, die nicht in der Bundesrepublik studiert haben, vor allem aus Osteuropa, und nach den aktuellen Rechtsvorschriften eine Anpassungszeit in unterschiedlicher Länge und Struktur zu absolvieren sowie eine Fachprüfung vor dem Landesprüfungsamt des jeweiligen Bundeslandes zu bestehen haben, um damit die Gleichwertigkeit ihres medizinischen Ausbildungsstandes nachzuweisen. Diese gilt dann als Voraussetzung für die Erlangung der deutschen Approbation bzw. für die Verlängerung einer zeitlich begrenzten Berufserlaubnis, solange die deutsche Staatsangehörigkeit noch nicht vorliegt. Die Weiterbildungsseminare werden durch die zuständigen Landesärztekammern fachlich beraten, begleitet und zertifiziert.
Regelmäßig bietet die Universitätsbibliothek für diese Fortbildungsgruppen Einführungen in die Benutzung an. Hierbei natürlich mit Hauptschwerpunkt auf der Medizin. Besonders die schon erwähnte Ärztebibliothek, mit ihrem großen Bestand an praktisch-anwendungsorientierten Titeln, stellt für diesen Personenkreis eine besonders nützliche Informationsquelle dar. Mit Hilfe der Fachliteratur sollen die folgenden klinischen Praktika der Kursteilnehmer unterstützt und erleichtert werden, um letztendlich eine möglichst effiziente und weitreichende Integration in den deutschen Medizinarbeitsmarkt zu ermöglichen.
Doch die gegenwärtige Haushaltssituation der öffentlichen Hand zeigt auch hier Auswirkungen in Form verminderter Unterstützung für solche Fortbildungsmaßnahmen. So hatte das mibeg-Institut in den letzten Kursen z.T. sinkende Teilnehmerzahlen zu beklagen. Es bleibt also zu hoffen, dass diese schöne und gut funktionierende Tradition auch noch in den nächsten Jahren weiter fortgeführt werden kann.
Fazit
Mediziner zählen - ähnlich wie z.B. Juristen oder Wirtschaftswissenschaftler - zu den besonders bibliotheksintensiven Benutzergruppen. Verglichen mit den Geistes- und Sozialwissenschaften sind allerdings Wünsche und Bedürfnisse dieser Klientel zum Teil recht unterschiedlich. Bibliothekarisch betrachtet, erscheinen die meisten Erwartungen nicht sonderlich komplex, problematischer ist schon eher ihre Finanzierbarkeit. Aus Dienstleisterperspektive kann es dennoch lohnend sein, auf fachspezifische Besonderheiten gezielter einzugehen und Schulungen und Führungen dementsprechend auszurichten. Festzuhalten bleibt auch, dass es den einen Typ von Benutzer in der Medizin nicht gibt. Vielmehr handelt es sich um verschiedene Gruppen, die je nach Ausbildungsstand unterschiedliche Anforderungen an die Universitätsbibliothek und ihre Bestände stellen. Abschießend sei noch empfohlen, bei aktuellen Trendthemen nicht in unkritischen Aktionismus zu verfallen, sondern erst einmal den elementaren Bedürfnissen der jeweiligen Nutzerschaft nachzukommen. Denn auch für Bibliotheken sollte gelten: Erst die Pflicht, dann die Kür - und nicht umgekehrt.
Kennzahlen
Die Eberhard Karls Universität Tübingen in Zahlen und Fakten
- 14 Fakultäten
- 22.000 Studierende,
10.000 Beschäftigte,
450 Professoren,
2.000 Wissenschaftler - Haushalt: 330 Mio. Euro (ohne Krankenversorgung)
- 175 Gebäude
- 17 Kliniken, 66.000 stationäre, 200.000 ambulante Patienten
- 7 Sonderforschungsbereiche, 12 Graduiertenkollegs
- Forschungsschwerpunkte: Neurowissenschaften, Altertumswissenschaften, Molekularbiologie der Pflanzen, Computerlinguistik, Geowissenschaften
- Studienmöglichkeiten: Über 70 Studiengänge von Ägyptologie bis Zahnmedizin
Literatur
- 1.
- Approbationsordnung für Ärzte vom 27. Juni 2002. In: Bundesgesetzblatt Jahrgang 2002 Teil I Nr. 44, ausgegeben zu Bonn am 3. Juli 2002., S. 2405-2435
- 2.
- Brugbauer Ralf: Veränderungen in der Medizinerausbildung und ihre Auswirkungen auf die medizinischen Bibliotheken. In: Mitteilungen der Arbeitsgemeinschaft für medizinisches Bibliothekswesen, Bd. 25 (1995/96), S. 92-97
- 3.
- Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz - GMG) vom 14. November 2003. In: Bundesgesetzblatt Jahrgang 2003 Teil I Nr. 55, ausgegeben zu Bonn am 19. November 2003., S. 2190-2258
- 4.
- Floto C, Huk T: Neue Medien in der Medizin. Stellenwert, Chancen und Grenzen. In: Deutsches Ärzteblatt 99 (2002) 27, A 1875-1878
- 5.
- Heimpel H: Medizinische Ausbildung und die neuen Informationsmedien. In: Informations- und Wissenstransfer in der Medizin und im Gesundheitswesen. Hrsg. Karl-Franz Kaltenborn. Frankfurt: Klostermann, 1999 (Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie: Sonderhefte; 73); S. 486-505
- 6.
- Hirsch MC: Wissensbasierte Systeme für die medizinische Lehre. In: Informations- und Wissenstransfer in der Medizin und im Gesundheitswesen. Hrsg. Karl-Franz Kaltenborn. Frankfurt: Klostermann, 1999 (Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie: Sonderhefte; 73); S. 401-420
- 7.
- Nippert, Peter: Curriculare Konsequenzen und Möglichkeiten durch die neue Approbationsordnung für Ärzte: In: Medizin - Bibliothek - Information, 4 (2004) Januar, S. 22-24
- 8.
- Nitzsche J: Thesen zu Bedarf und Nutzung medizinischer Information und Literatur. In: Medizin - Bibliothek - Information, 1 (2001) Januar, S. 10-14
- 9.
- Nitzsche Jörg: Multimedia in der Medizin - Sinnesbezogen und interaktiv. In: Deutsches Ärzteblatt, 99 (2002) 39, B 2164-2165
- 10.
- Obst, Oliver: Welche Dienstleistungen bietet eine Medizinbibliothek an? - Bandbreite und Bedarf sind überraschend. In: Medizin - Bibliothek - Information, 3 (2003), Februar, S. 19-22