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GMS Zeitschrift zur Förderung der Qualitätssicherung in medizinischen Laboratorien

Gesellschaft zur Förderung der Qualitätssicherung in medizinischen Laboratorien e. V. (INSTAND e. V.)

ISSN 1869-4241

Stellungnahme der Ad-hoc-Kommission In-vitro-Diagnostika der AWMF zur Umsetzung der Verordnung (EU) 2017/746 (IVDR) im Hinblick auf In-vitro-Diagnostika aus Eigenherstellung

Advisory opinion of the AWMF Ad hoc Commission In-vitro Diagnostic Medical Devices regarding in-vitro diagnostic medical devices manufactured and used only within health institutions established in the Union according to Regulation (EU) 2017/746 (IVDR)

Stellungnahme

  • Petra Hoffmüller - Deutsche Gesellschaft für Humangenetik (GfH)
  • Monika Brüggemann - Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO)
  • Thomas Eggermann - Deutsche Gesellschaft für Humangenetik (GfH)
  • Kamran Ghoreschi - Deutsche Gesellschaft für Dermatologie (DDG)
  • Detlef Haase - Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO)
  • Jörg Hofmann - Gesellschaft für Virologie (GfV)
  • Klaus-Peter Hunfeld - Deutsche Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie (DGHM); Gesellschaft zur Förderung der Qualitätssicherung in medizinischen Laboratorien (INSTAND e.V.)
  • Katharina Koch - Gesellschaft für Toxikologische und Forensische Chemie (GTFCh)
  • Christian Meisel - Deutsche Gesellschaft für Immunologie (DGfI)
  • Patrick Michl - Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauung und Stoffwechsel (DGVS)
  • Jens Müller - Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung (GTH)
  • Carsten Müller - Deutsche Gesellschaft für Klinische Pharmakologie und Therapie (DGKliPa); Deutsche Gesellschaft für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin (DGKL)
  • Holger F. Rabenau - Gesellschaft für Virologie (GfV)
  • Dirk Reinhardt - Gesellschaft für pädiatrische Onkologie und Hämatologie (GPOH)
  • Markus J. Riemenschneider - Deutsche Gesellschaft für Neuropathologie und Neuroanatomie (DGNN)
  • Ulrich J. Sachs - Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung (GTH)
  • Ulrich Sack - Deutsche Gesellschaft für Immunologie (DGfI)
  • Albrecht Stenzinger - Deutsche Gesellschaft für Pathologie (DGP)
  • Thomas Streichert - Deutsche Gesellschaft für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin (DGKL)
  • Nils von Neuhoff - Gesellschaft für pädiatrische Onkologie und Hämatologie (GPOH)
  • Wilko Weichert - Deutsche Gesellschaft für Pathologie (DGP)
  • Christof Weinstock - Deutsche Gesellschaft für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie (DGTI)
  • Stefan Zimmermann - Deutsche Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie (DGHM); Paul-Ehrlich-Gesellschaft (PEG)
  • corresponding author Folker Spitzenberger - Deutsche Gesellschaft für Pharmazeutische Medizin (DGPharMed)
  • Ad-hoc-Kommission In-vitro-Diagnostika der AWMF

GMS Z Forder Qualitatssich Med Lab 2021;12:Doc03

doi: 10.3205/lab000043, urn:nbn:de:0183-lab0000432

Veröffentlicht: 25. Mai 2021
Veröffentlicht mit Erratum: 28. Mai 2021

© 2021 Hoffmüller et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Vor dem Hintergrund des nahenden Geltungsbeginns der Verordnung (EU) 2017/746 („IVDR“) und der damit EU-weit harmonisierten Anforderungen an In-vitro-Diagnostika (IVD) aus Eigenherstellung positioniert sich die Ad-hoc-Kommission In-vitro-Diagnostika der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) im Einzelnen zu den in der IVDR gestellten Anforderungen und Bedingungen zur Verwendung dieser Produkte.

Die Ad-hoc-Kommission IVD hebt die Bedeutung von in medizinischen Laboratorien eigenentwickelten Untersuchungsverfahren für die Patientenversorgung vor allem im Bereich seltener Erkrankungen und neuer diagnostischer Marker hervor. Die IVDR bildet für die Entwicklung und Verwendung von IVD aus Eigenherstellung einen passenden regulatorischen Rahmen, sofern die Anforderungen zuverlässig entsprechend dem Stand der medizinischen Wissenschaft und Technik, aber zugleich pragmatisch und in Übereinstimmung mit den in den Mitgliedstaaten bewährten Qualitätsmanagementsystemen umgesetzt werden. In Deutschland sind hier einerseits die verpflichtenden Anforderungen der RiLiBÄK zu nennen. Andererseits können Elemente von freiwillig anzuwendenden internationalen Normen dazu dienen, die nach Anhang I der IVDR umzusetzenden Anforderungen an Sicherheit und Leistung für IVD aus Eigenherstellung zu erfüllen. Sowohl die Komplexität als auch Lösungskonzepte zur Umsetzung der Anforderungen werden u.a. am Beispiel der erforderlichen Dokumentation, der Leistungsbewertung und der ggf. durchzuführenden Softwarevalidierung aufgezeigt.

Die Ad-hoc-Kommission empfiehlt, bei einer möglichst weitreichend harmonisierten Interpretation der Anforderungen gleichzeitig die für die Patientenversorgung notwendige Flexibilität in der labordiagnostischen Versorgung einschließlich der Verwendung von IVD aus Eigenherstellung zu gewährleisten.

Schlüsselwörter: IVDR, IVD aus Eigenherstellung, In-Haus-Verfahren, Validierung, Leistungsbewertung, Qualitätsmanagement

Abstract

In view of the approaching application date of Regulation (EU) 2017/746 („IVDR“) and the resulting EU-wide, harmonized requirements for in vitro diagnostic medical devices (IVD) manufactured and used within European health institutions, the Ad hoc Commission IVD“ of the German Association of the Scientific Medical Societies (AWMF) takes a national position on the details of the requirements and conditions related to the use of these IVD products.

The Ad hoc Commission IVD emphasizes the relevance of examination procedures developed in medical laboratories, especially in the field of orphan diseases and new diagnostic markers. The IVDR sets an adequate regulatory framework for IVD manufactured and used within health institutions as long as these requirements are fulfilled with reliability and in accordance with the current state of the art in medical laboratory sciences. At the same time, the IVDR requirements have to be regarded under a pragmatic view and in accordance with the quality management systems approved within the diffferent EU Member States. On the one hand, the mandatory requirements of the RiLiBÄK play an essential role in Germany. On the other hand, elements of voluntarily applicable international standards may support the fulfilment of product requirements for safety and performance according to Annex I of the IVDR. Both the complexity and possible solutions for the implementation of the IVDR requirements are discussed on the basis of examples such as the required documentation, performance evaluation and software validation.

The Ad hoc Commission IVD recommends that, while aiming at a preferably EU-wide harmonized interpretation of the IVDR requirements, the flexibility in medical laboratory diagnostics necessary for patient care, including the use of IVDs from in-house production, should be emphasized.

Keywords: IVDR, laboratory-developed tests, in-house IVD, validation, performance evaluation, quality management


Einleitung

Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF), der deutsche Dachverband von 179 medizinischen Fachgesellschaften, die wiederum rund 280.000 Mitglieder vertreten, bewertet die Harmonisierung des Rechtsrahmens für die Konformitätsbewertung und das Inverkehrbringen von In-vitro-Diagnostika (IVD) in Europa grundsätzlich positiv. Mit der Verordnung (EU) 2017/746 (IVDR) [1], deren Geltung am 26. Mai 2022 beginnt, werden die Ziele verfolgt, einen reibungslos funktionierenden Binnenmarkt für IVD zu gewährleisten und gleichzeitig ein hohes Maß an Qualität von IVD im Sinne der Patientensicherheit durch sinnvolle standardisierte Maßnahmen zu sichern.

IVD sind unerlässlich für die Früherkennung, Diagnose, Prognose und Überwachung von Krankheiten, insbesondere von übertragbaren, seltenen und/oder genetisch bedingten Krankheiten, für die Information über physiologische/pathologische Zustände sowie zunehmend auch für die Allokation von Therapien im Sinne einer Präzisionsmedizin. Insbesondere für die Diagnostik seltener Erkrankungen („Orphan Diseases“) greifen medizinische Laboratorien verschiedenster Fachrichtungen aus Mangel an kommerziell verfügbaren Diagnostika fast ausschließlich auf eigenentwickelte Untersuchungsverfahren zurück. Diese werden auch als „In-Haus-Verfahren“ bzw. im englischen Sprachgebrauch als „Laboratory Developed Tests“ (LDT) bezeichnet.

Aus medizinischer und ärztlicher Sicht ist die Sicherstellung der Patientenversorgung von ebenso zentraler Bedeutung wie Regelungen zur Qualitätssicherung und Produktsicherheit. Es ist davon auszugehen, dass die kommerzielle Vermarktung von Nischenprodukten wie IVD für Orphan-Diseases-Diagnostik aufgrund der durch die IVDR-Anforderungen an die Hersteller deutlich höheren Kosten für den Zulassungsaufwand und der zu erwartenden niedrigen Einnahmen im Markt sich nicht rechnen wird. Gerade deshalb sind Gesundheitseinrichtungen wie medizinische Laboratorien gefordert und gezwungen, weiterhin auf ihre IVD aus Eigenherstellung zurückzugreifen, um einer Patientenunterversorgung vorzubeugen und flexibel auf besondere Bedürfnisse oder unerwartete Situationen von Bedeutung für die individuelle oder öffentliche Gesundheit zu reagieren.


Die neue IVDR

In der bisher geltenden EG-Richtlinie 98/79/EG (IVD-Direktive, IVDD) werden für Produkte, die in Gesundheitseinrichtungen zur Verwendung im selben Umfeld hergestellt werden, keine Anforderungen formuliert [2]. Aufgrund des EU-Subsidiaritätsprinzips sind auf nationaler Ebene in der Medizinprodukteverordnung (§ 5 Abs. 6 MPV) in Verbindung mit § 12 Medizinproduktegesetz (MPG) seit 2007 Anforderungen an IVD aus Eigenherstellung verankert [3], [4]. Der Betrieb und die Anwendung aller Untersuchungsverfahren sind in nationalem Recht geregelt, in Deutschland durch die Medizinproduktebetreiberverordnung (MPBetreibV) [5] und die MPV. Im Hinblick auf die grundlegenden Anforderungen an die Struktur- und Prozessqualität laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen ist in Deutschland die Richtlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen (RiliBÄK) anzuwenden [6].

Die IVDR harmonisiert nun erstmals europaweit die Anforderungen an die Herstellung und die Verwendung von IVD aus Eigenherstellung (Abbildung 1 [Abb. 1]). Die IVDR nimmt dagegen nicht in Anspruch, ärztlich-diagnostische Prozesse zu regulieren. Dies steht im Einklang mit Artikel 168 des EU-Vertrages, gemäß dem bei der Tätigkeit der Europäischen Union die Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Organisation des Gesundheitswesens und die medizinische Versorgung gewahrt wird.

Entsprechend der neuen EU-Verordnung dürfen in der Union ansässige Gesundheitseinrichtungen weiterhin eigenentwickelte Produkte zur Diagnostik herstellen und verwenden, sofern sie die Bedingungen des Art. 5 Abs. 5 der EU-Verordnung erfüllen. Der Umfang der zu erfüllenden Anforderungen ist gegenüber der MPV jedoch in einigen Punkten gestiegen, so dass auf medizinische Laboratorien ein erheblicher Mehraufwand an Validierung und Dokumentation sowie ggf. die Umsetzung von normativen Regelungen aus bislang fachfremden Bereichen zukommt. Des Weiteren hat die EU-Kommission bisher die Chance versäumt, die Anforderungen an Gesundheitseinrichtungen, die IVD aus Eigenherstellung einsetzen, konkret zu präzisieren und unmissverständlich von den Anforderungen an Wirtschaftsakteure, Händler, Hersteller und Importeure abzugrenzen.


Empfehlungen der Ad-hoc-Kommission In-vitro-Diagnostika (IVD)

Die Ad-hoc-Kommission In-vitro-Diagnostika (IVD) der AWMF spricht sich dafür aus, sorgsam und zuverlässig, aber zugleich pragmatisch und mit Augenmaß, an die Umsetzung der zentralen Aspekte der IVDR-Forderungen in medizinischen Laboratorien heranzugehen. Im Folgenden werden die zu erfüllenden Anforderungen und Bedingungen des Art. 5 Abs. 5 der IVDR erläutert, die Gesundheitseinrichtungen erfüllen müssen, wenn diese IVD-Produkte selbst herstellen und verwenden. Gleichzeitig werden die Komplexität und regulatorische Spielräume dargestellt sowie pragmatische Lösungsansätze zur Umsetzung der Forderungen aufgezeigt.

Forderung Art. 5 Abs. 5, letzter Satz: Dieser Absatz gilt nicht für Produkte, die im industriellen Maßstab hergestellt werden

IVD aus Eigenherstellung sollen nur dann von der CE-Kennzeichnungspflicht ausgenommen werden, wenn diese nicht im sog. „industriellen Maßstab“ hergestellt werden.

Diese Anforderung bzw. Einschränkung findet sich inhaltsgleich in der aktuell noch gültigen Definition für IVD aus Eigenherstellung im deutschen Medizinproduktegesetz MPG § 3, 22. Aufzählungspunkt.

Sowohl die IVDR als auch das aktuell in Deutschland noch gültige MPG ermangeln einer Definition oder Interpretation des Begriffs „industrieller Maßstab“. Als Intention einer solchen Regelung kann vermutet werden, dass für IVD aus Eigenherstellung keine für kommerzielle Zwecke aufgebaute Produktionsausmaße mit entsprechend dafür nötigen technischen Produktionseinrichtungen und -anlagen vorliegen dürfen. Denn dies würde eine unmittelbare Vergleichbarkeit mit der Produktion von IVD bedeuten, die kommerziell durch entsprechende Konformitätsbewertungsverfahren mit anschließender CE-Kennzeichnung in Verkehr gebracht werden.

Im Arzneimittelrecht (§ 4 (1) AMG) findet sich bisher eine ähnliche Abgrenzung – nämlich über die Anwendung eines „industriellen Verfahrens“ – zwischen den sog. Fertigarzneimitteln, die zulassungspflichtig sind, und den in Apotheken hergestellten Rezepturarzneimitteln, die meist keiner Zulassung bedürfen [7]. Arzneimittel, die nicht im Voraus hergestellt werden, sind nämlich nur dann zulassungspflichtige Fertigarzneimittel, wenn bei ihrer Zubereitung ein „industrielles Verfahren“ zur Anwendung kommt. Dies erfordert allerdings nach entsprechender Rechtsauffassung

1.
eine breit angelegte Herstellung in großem Maßstab und
2.
nach einheitlichen Vorgaben, die
3.
entsprechend industrielle Produktionsanlagen und -einrichtungen voraussetzt,

was in Apotheken zumeist nicht gegeben ist [8], [9].

Fazit: Die Ad-hoc-Kommission IVD der AWMF empfiehlt, dass auf europäischer (MDCG) oder nationaler Ebene (AGMP bzw. die entsprechend zuständige FEG der ZLG) der Begriff des „industriellen Maßstabs“ im Sinne der Sicherstellung der individuellen und flexiblen Patientenversorgung durch medizinische Laboratorien, die IVD aus Eigenherstellung verwenden, einheitlich interpretiert wird.

Dabei kann die Analogie zu den Regelungen im Arzneimittelrecht als passende Grundlage dienen, um unter der Herstellung im „industriellen Maßstab“

1.
eine breit angelegte Herstellung in großem Maßstab,
2.
nach einheitlichen Vorgaben zum Herstellungsprozess und -verfahren inkl. Abpackung, Kennzeichnung und Chargendokumentation,
3.
unter Verwendung industrieller Produktionsanlagen und -einrichtungen

zu verstehen, was in medizinischen Laboratorien nur selten der Fall sein dürfte.

Aus Sicht der Ad-hoc-Kommission IVD trifft für medizinische Laboratorien eine Verwendung von IVD aus Eigenherstellung im industriellen Maßstab daher in aller Regel nicht zu.

Forderung Art. 5 Abs. 5 (a): Die Produkte werden nicht an eine andere rechtlich eigenständige Einrichtung abgegeben

Nach aktuellem Verständnis und Auslegung dieser IVDR-Anforderung dürfen Testverfahren, die im eigenen Labor entwickelt, validiert und hergestellt werden, nicht an eine andere rechtlich eigenständige Einrichtung, scil. an eine andere juristische Person, abgegeben werden.

Medizinische Laboratorien in Deutschland existieren in verschiedenen Organisations- und Rechtsformen. Sie sind als Einzel-Laboratorien, in einer BAG, Laborgemeinschaft oder in einem MVZ in der Rechtsform als GbR, PartG, GmbH oder als Laborverbund organisiert oder in größere Klinikverbünde mit den entsprechend diversen Rechtsträgerschaften integriert. In Gemeinschaften, Partnerschaften und Verbünden agieren medizinische Laboratorien als selbstständige Einzelgesellschaften.

Die Sicherstellung einer guten medizinischen Versorgung setzt Versorgungsstrukturen voraus, die den Vorstellungen der Ärztinnen und Ärzte von ihrer Berufsausübung her Rechnung tragen. Aus diesem Grunde wurden neue Rechts- und Praxisformen in Deutschland eingeführt, auch mit dem Ziel, Synergien zu bündeln und dabei eine qualitativ hochwertige und qualitätsgesicherte sowie kosteneffiziente Patientenversorgung zu realisieren. Dieser Intention entgegen wirkt eine mögliche Auslegung der IVDR-Anforderung, dass medizinische Laboratorien, die vertraglich innerhalb einer Organisationsstruktur und Rechtsform gebunden sind, jedoch eigenständig agieren, weder ein in diesem Umfeld entwickeltes und hergestelltes IVD-Produkt verwenden dürfen, noch von einer Minimierung des administrativen und dokumentarischen Aufwands, den die Umsetzung der IVDR-Anforderungen mit sich bringt, profitieren können.

Fazit: Die Ad-hoc-Kommission IVD der AWMF empfiehlt, dass medizinische Laboratorien innerhalb einer Organisations- und Rechtsform als Einheit gesehen werden und deshalb ihre Produkte untereinander dort austauschen dürfen, wo die Anforderung hinsichtlich des Verbleibs der Produkte innerhalb einer Rechtsperson gewahrt bleibt und das IVD nicht kommerziell vermarktet oder anderweitig in Verkehr gebracht wird.

Die Verpflichtung der Laboratorien zum Nachweis des erfolgreichen Transfers eines Untersuchungsverfahrens im Rahmen eines Technologie-Transfers bleibt davon unberührt.

Forderung Art. 5 Abs. 5 (b): Ein für Herstellung und Verwendung der Produkte geeignetes Qualitätsmanagementsystem

Die IVDR lässt im Rahmen dieser Bedingung offen, in welcher Form die betreffende Gesundheitseinrichtung oder ggf. eine untergeordnete Organisationseinheit der Gesundheitseinrichtung wie z.B. ein dort befindliches medizinisches Laboratorium ein geeignetes Qualitätsmanagementsystem etablieren muss.

In jedem Fall existieren mittlerweile europaweit gesetzliche Anforderungen bezüglich der Implementierung von QM-Systemen in praktisch allen Formen von Gesundheitseinrichtungen, die in Deutschland u.a. durch die Regelungen nach § 135a Sozialgesetzbuch V schon jahrelang umgesetzt werden. Fraglich ist allerdings, ob diese QM-Systeme stets für die Herstellung und Verwendung von IVD aus Eigenherstellung geeignet sind.

Da die Herstellung und Verwendung von IVD aus Eigenherstellung aber praktisch vollständig medizinischen Laboratorien vorbehalten bleibt, für die in der Folge Anforderungen gemäß Artikel 5 Absatz 5c IVDR formuliert werden, wird eine weitere Ausführung zu den Charakteristika des QM-Systems von Gesundheitseinrichtungen als nicht erforderlich erachtet.

Fazit: Die Ad-hoc-Kommission IVD der AWMF empfiehlt, dass die bereits bestehenden europäischen und nationalen Regelungen der einzelnen Mitgliedstaaten bezüglich der Anforderungen an geeignete QM-Systeme für Gesundheitseinrichtungen anerkannt und ggf. weiterentwickelt werden. Eine Koexistenz bzw. eine Integration des QM-Systems des medizinischen Laboratoriums in das QM-System der Gesundheitseinrichtung wird auf der Grundlage der bisherigen Erfahrungen als grundsätzlich umsetzbar angesehen.

Forderung Art. 5 Abs. 5 (c): Das Labor der Gesundheitseinrichtung entspricht der Norm EN ISO 15189 oder ggf. nationalen Vorschriften einschließlich nationaler Akkreditierungsvorschriften

Die Anforderungen an die Qualität und die Kompetenz der medizinischen Laboratorien, die Produkte innerhalb einer Gesundheitseinrichtung herstellen und verwenden, werden aus Sicht der Ad-hoc-Kommission IVD der AWMF nach Artikel 5 Absatz 5c IVDR nicht eindeutig bzw. mit großem Ermessensspielraum dargestellt. Zwar wird einerseits eine Konformität der Laboratorien mit der Norm EN ISO 15189 [10] gefordert, aber durch den Begriff „oder“ wird diese Norm nationalen Vorschriften einschließlich nationaler Akkreditierungsvorschriften gleichgestellt.

Die Situation in den Mitgliedstaaten der EU ist bezüglich der Anforderungen an QM-Systeme bzw. an die Akkreditierung für medizinische Laboratorien heterogen. Sie erstreckt sich von einer gesetzlich vorgeschriebenen „Vollakkreditierung“ nach EN ISO 15189 bis hin zu freiwilligen Akkreditierungsprogrammen. In Deutschland ist seit dem Jahr 2008 mit der RiliBÄK und deren Verankerung in der Medizinproduktebetreiberverordnung (MPBetreibV) die Implementierung eines QM-Systems für alle medizinische Laboratorien Pflicht. Gleichzeitig sind über 400 medizinische Laboratorien nach EN ISO 15189 (und vergleichbaren Normen wie der EN ISO 17020) meist freiwillig akkreditiert; nur für wenige dieser Laboratorien besteht eine Akkreditierungspflicht (letzteres z.B. im Bereich Neugeborenen-Screening).

Die Anforderungen der EN ISO 15189 hinsichtlich der Validierung, Verifizierung und der Qualitätssicherung von Untersuchungsverfahren, zu denen auch „nicht genormte Verfahren“ und „für das Laboratorium gestaltete oder entwickelte Verfahren“ gehören, entsprechen dem Stand der medizinischen Wissenschaft und Technik und sorgen für ein international vergleichbares Qualitätsniveau in diesem Bereich. Zusätzlich flankieren nach EN ISO 15189 anerkannte Elemente eines QM-Systems wie z.B. die Anforderungen an die Dokumentation sowie die Durchführung von Korrektur- und Vorbeugemaßnahmen u.a. die Anforderungen an die Untersuchungsverfahren.

Ein großer Teil der Anforderungen der EN ISO 15189 wird in der RiliBÄK reflektiert, jedoch bestehen auch Unterschiede. Teilweise, z.B. mit Bezug auf die Ergebnisqualität, werden in der RiliBÄK zudem Kriterien formuliert, die sich in der EN ISO 15189 nicht finden. Ein Bezug zur EN ISO 15189 wird in der RiliBÄK nicht gezogen.

Fazit: Die Ad-hoc-Kommission IVD der AWMF empfiehlt, dass Laboratorien für alle Tätigkeitsbereiche, die IVD aus Eigenherstellung betreffen, die in den jeweiligen Mitgliedstaaten vorgesehenen und bewährten Konzepte für QM-Systeme umsetzen. Die Umsetzung kann z.B. durch eine freiwillige Akkreditierung des Laboratoriums nach internationalen Normen oder durch eine Erfüllung der nationalen Vorschriften wie der RiliBÄK nachgewiesen werden. Unabhängig davon wird das QM-System im Rahmen der Überwachung durch die zuständige Behörde (in Deutschland: zuständige Behörden der Länder wie Gewerbeaufsichtsämter, Landesamt für Soziale Dienste, Eichämter usw.) inspiziert, sodass die Konformität mit den entsprechenden Anforderungen auch im Rahmen dieser Überwachung dargelegt werden kann.

Forderung Art. 5 Abs. 5 (d): Eine Begründung, dass die spezifischen Erfordernisse der Patientenzielgruppe nicht bzw. nicht auf dem angezeigten Leistungsniveau durch ein gleichartiges auf dem Markt befindliches Produkt befriedigt werden können

Weder in der IVDR noch in den bisher veröffentlichten europäischen bzw. nationalen behördlichen Leitfäden zur IVDR finden sich Erklärungen zum Begriff der „Gleichartigkeit“ (engl.: „equivalence“). Die IVDR verwendet an mehreren Stellen die Begriffe „gleichartig“ (engl.: „equivalent“) und „ähnlich“ (engl.: „similar“), ohne hier erkennbar einen Unterschied zu machen. Zur Interpretation der Anforderung an die „Begründung“ liegt bisher nur eine Stellungnahme der britischen Behörde MHRA vor [11]; ein Leitfaden der europäischen Vereinigung der Medizinproduktehersteller MedTech Europe interpretiert das Gleichartigkeitsprinzip im Hinblick auf die Prinzipien der Leistungsbewertung für kommerziell verfügbare In-vitro-Diagnostika [12].

Die Bedingung nach Artikel 5 Absatz 5 d IVDR bezieht sich aber auf das „angezeigte Leistungsniveau“ oder die „spezifischen Erfordernisse der Patientenzielgruppe“. Demnach kommt im Rahmen des Vergleichs eine Vielzahl von analytischen und klinisch-diagnostischen Leistungscharakteristika der betreffenden IVD in Betracht, die zudem durch das Methodenprinzip, das Design, verfügbare Kontrollen, Turnaround-Zeiten, Erfahrungen aus der Langzeitanwendung usw. bestimmt werden. Viele dieser Charakteristika werden für kommerziell verfügbare, CE-gekennzeichnete IVD allerdings nicht veröffentlicht und sind daher durch die verfügbare Literatur für medizinische Laboratorien, die IVD aus Eigenherstellung verwenden, größtenteils weder zugänglich noch auswertbar.

Zudem müssen medizinische Laboratorien auf die Anforderungen der behandelnden Ärztinnen und Ärzte gezielt und in ihren Leistungsangeboten auf diese Anforderungen spezifisch (und nicht „ähnlich“) eingehen, um die Anforderungen einer komplexen Patientensituation und -versorgung zu erfüllen.

Fazit: Die Ad-hoc-Kommission IVD der AWMF empfiehlt, dass auf europäischer (MDCG) oder nationaler Ebene (AGMP bzw. die entsprechend zuständige FEG der ZLG) ein harmonisiertes Verständnis über die „Gleichartigkeit“ von IVD und die dafür zu betrachtenden, möglichen Charakteristika erzielt und kommuniziert wird.

Zudem wird empfohlen, dass es zur Sicherstellung der individuellen Patientenversorgung dann allein den medizinischen Laboratorien, die IVD aus Eigenherstellung verwenden, vorbehalten sein sollte, die in den betreffenden Fällen jeweils zutreffenden Charakteristika für die Beurteilung von Gleichartigkeit auszuwählen, diese plausibel und nachvollziehbar zu dokumentieren und auf Anfrage der zuständigen Überwachungsbehörde vorzulegen.

Forderung Art. 5 Abs. 5 (e): Informationen für die zuständigen Überwachungsbehörden über das Produkt inkl. Begründung für die Herstellung, Änderung und Verwendung

Die IVDR verpflichtet die medizinischen Laboratorien zur Erstellung einer geeigneten Dokumentation, um ein Verständnis der Herstellungsstätte und des -verfahrens, der Auslegung und der Leistungsdaten des Produkts einschließlich der Zweckbestimmung der Laboratorien zu ermöglichen, welche der für sie zuständigen Überwachungsbehörde auf Ersuchen bereitgestellt werden muss. Diese Informationen entsprechen größtenteils Inhalten einer Technischen Dokumentation zum Nachweis der Erfüllung der grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen der IVDR.

Die IVDR hält einen eigenen Anhang zur Technischen Dokumentation (Anhang II) vor, der ihre umfangreichen Bestandteile in klarer, organisierter, leicht durchsuchbarer und eindeutiger Form vorgibt, um zu beschreiben, was das Produkt leisten soll und wie sichergestellt ist, dass diese Leistungen tatsächlich erbracht werden. Die Erstellung einer Technischen Dokumentation im vollen Umfang des Anhangs II wird nicht von Gesundheitseinrichtungen, die IVD-Produkte selbst herstellen und anwenden, eingefordert. Die IVDR formuliert hier explizit keine Vorgaben.

Fazit: Um – trotz föderaler Struktur – in Deutschland möglichst klare und einheitliche Vorgaben bezüglich des Formats und der Dimension der Dokumentation zu schaffen, strebt die Ad-hoc-Kommission IVD der AWMF an, eigens für Gesundheitseinrichtungen, die Produkte aus Eigenherstellung verwenden, ein allgemeingültiges, schlankes und zweckmäßiges „Dokumentenformat“ zur Bereitstellung der geforderten Informationen zu erstellen. Dieses soll einerseits die Anforderungen der IVDR bedienen, andererseits die Gesundheitseinrichtungen nicht vor die Herausforderung stellen, durch massiv erhöhten Dokumentationsaufwand ihre eigentlichen Aufgaben, die Patienten- und Gesundheitsversorgung, nicht oder nur eingeschränkt wahrnehmen zu können.

Forderung Art. 5 Abs. 5 (i): Begutachtung der Erfahrungen, die aus der klinischen Verwendung der Produkte gewonnen wurden und Ergreifung aller erforderlichen Korrekturmaßnahmen

Kommerzielle IVD-Hersteller wurden bereits durch die EG-Richtlinie 98/79/EG und Gesundheitseinrichtungen mit Eigenherstellung bereits durch die nationale MPV verpflichtet, ein systematisches Verfahren zu etablieren, das die Auswertung der Erfahrungen mit ihren IVD-Produkten in der Anwendung und die Veranlassung ggf. erforderlicher Korrekturmaßnahmen ermöglicht. Über die Ausgestaltung eines solchen Post-Market Surveillance Systems (PMS) gab weder die EU-Richtlinie noch die deutsche Verordnung spezifizierte Vorgaben. Es lag in der Verantwortung des Herstellers/„Eigenherstellers“, ein dem IVD angepasstes Konzept zu implementieren.

In den Erwägungsgründen zur IVDR stellt die EU-Kommission nun dar, dass mit und über das QM-System ein Instrumentarium zur Überwachung der klinischen Wirksamkeit und Sicherheit des am Markt und in der Anwendung befindlichen IVD einzurichten ist, was für kommerzielle Hersteller detailliert in Kapitel VII Abschnitt I und Anhang III der IVDR reglementiert wird. Die PMS-Strategie soll Teil des QM-Systems sein, was die für Medizinprodukte-Hersteller maßgeblichen Normen EN ISO 13485 und die EN ISO 14971 bereits verlangen [13], [14].

Fazit: Für Gesundheitseinrichtungen, die eigenentwickelte und -hergestellte Produkte zur Diagnostik einsetzen, ist ein derartiger PMS-Prozess vonseiten der IVDR ausdrücklich nicht gefordert. Verlangt wird eine dokumentierte Begutachtung der Erfahrungen mit den Produkten in der Routine-Anwendung im Hause und ggf. daraus abzuleitende Korrekturmaßnahmen.

Diese Prozesse sind bereits integraler Bestandteil der für medizinische Laboratorien adäquaten EN ISO 15189 und sind an vielen Stellen mit der Norm verknüpft, insbesondere bei der regelmäßigen Managementbewertung zur Eignung und klinischen Wirksamkeit von Untersuchungen sowie der Sicherheit der Patienten, beim Ergreifen von Korrektur- und Vorbeugemaßnahmen und bei externen Beurteilungen sowohl bei einer Akkreditierung als auch im Rahmen der Beteiligung an einer Leistungsbewertungsprüfung.

Die Ad-hoc-Kommission IVD der AWMF strebt an, für medizinische Laboratorien einen Leitfaden zu den bereits bestehenden Regularien der RiliBÄK und der EN ISO 15189 zur Verfügung zu stellen, der aufzeigt, welche Methoden zur Auswertung der in der Routinediagnostik erhaltenen Daten angewendet, welche Vorgaben als Entscheidungsgrundlage für ggf. einzuleitende CAPA-Maßnahmen definiert und wie diese Prozesse und Ergebnisse für Überwachungsbehörden dokumentiert werden können.

Forderung Art. 5 Abs. 5: Erfüllung der einschlägigen grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen gemäß Anhang I

Anhang I Kap. 1: Risikomanagement

Die IVDR fordert gemäß Anhang I, Abschnitt 3 die Implementierung, Dokumentation und kontinuierliche Fortschreibung eines Risikomanagementsystems. Dabei wird das Risikomanagement als „kontinuierlicher, iterativer Prozess während des gesamten Lebenszyklus eines Produkts“ verstanden, der eine „regelmäßige systematische Aktualisierung“ erfordert.

Kommerzielle Hersteller wenden im Kontext des Risikomanagements in der Regel die harmonisierte Norm EN ISO 14971:2013 an; diese Norm wurde kürzlich überarbeitet und – ohne Harmonisierung mit der IVDR – als EN ISO 14971:2020 publiziert. Entsprechend ihrem Anwendungsbereich verwendet die Norm EN ISO 14971 Begrifflichkeiten, die im Kontext eines medizinischen Laboratoriums kaum Anwendung finden.

Speziell für die Anwendung des Risikomanagements auf medizinische Laboratorien wurde jedoch im September 2020 die Norm EN ISO 22367 publiziert, die einen Risikomanagementprozess festlegt, anhand dessen medizinische Laboratorien mit medizinischen Untersuchungen verbundene Risiken für Patienten, Labormitarbeiter und Dienstleister erkennen und handhaben können [15]. Der Prozess umfasst die gemäß IVDR geforderte Erkennung, Einschätzung, Bewertung, Kontrolle und Überwachung der Risiken und berücksichtigt darüber hinaus auch Aspekte der prä- und postanalytischen Phase.

Fazit: Die Ad-hoc-Kommission IVD der AWMF empfiehlt, dass die Norm EN ISO 14971 keine Anwendung für medizinische Laboratorien finden sollte.

Dagegen können passende Kriterien der Norm EN ISO 22367:2020, die auf Untersuchungsverfahren, die medizinische Laboratorien für ihren eigenen Gebrauch entwickeln, anwendbar sind, eine geeignete Grundlage für das nach der IVDR geforderte Risikomanagement darstellen.

Anhang I Kap. II (9): Leistungsmerkmale

Nach Definition der IVDR (Artikel 2 (39)) bezeichnet die Leistung eines Produkts seine Fähigkeit, die vom Hersteller angegebene Zweckbestimmung zu erfüllen. Diese besteht in der Analyseleistung und ggf. der klinischen Leistung zur Erfüllung dieser Zweckbestimmung. Beide Leistungsmerkmale zur Auslegung und Herstellung eines Produkts sind in Anhang I aufgezeigt. Weitergehende Anforderungen an Umfang und Nachweis von Leistungsmerkmalen finden sich dort erstmal nicht.

Die IVDR weitet jedoch die Anforderungen zum Leistungsnachweis aus, denn es heißt in Artikel 5 IVDR: Zum Nachweis der Erfüllung der Anforderungen der grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen gemäß Anhang I muss u.a. eine Leistungsbewertung durchgeführt werden. Die Leistungsbewertung (clinical evidence) wiederum ist definiert als die Beurteilung und Analyse von Daten zur Feststellung oder Überprüfung der wissenschaftlichen Validität (scientific validity), der Analyseleistung (analytical performance) und gegebenenfalls der klinischen Leistung (clinical performance) eines Produkts (Artikel 2 (44), IVDR). Es wird hier eine weitere Begrifflichkeit eingeführt, die wissenschaftliche Validität, welche die Assoziation von Analyt und Krankheitsbild bzw. physiologischem Zustand veranschaulicht. Mit der Leistungsbewertung wird dann der klinische Nachweis (clinical benefit) erbracht, dass ein Produkt sicher ist und den beabsichtigten klinischen Nutzen erzielt.

Neben der Validierung des analytischen Verfahrens, das experimentelles Design, Plan und Bericht mit Bewertung umfasst, werden klinische Leistung und wissenschaftliche Validität in den Fokus gestellt. Die klinische Leistung demonstriert die diagnostische Genauigkeit des IVD und hängt von der Zweckbestimmung und somit von einer definierten Patientenpopulation ab. Zur Beurteilung der klinischen Leistungsmerkmale als Teil des klinischen Nachweises fordert die IVDR umfangreiche Leistungsstudien. Und im Rahmen der wissenschaftlichen Validität, in welcher die Assoziation des Analyten zu einem bestimmten physiologischen Zustand bzw. Krankheitsbild belegt wird, ist eine systematische Literaturrecherche unerlässlich, die Literaturdaten, Expertengutachten, Stellungnahmen und Leitlinien von Fachgesellschaften umfassen kann. Die Dokumentation soll nachvollziehbar Suchstrategie und Algorithmen, verwendete Quellen und Kriterien der Datenauswahl enthalten.

Fazit: Für medizinische Laboratorien gelten zum Leistungsnachweis die Anforderungen der RiliBÄK und der Norm EN ISO 15189, die für eine vollumfängliche Validierung diagnostischer Testbestecke alle die im Anhang I Kapitel 2 der IVDR vorgegebenen Kriterien abdecken. Ausnahme sind die zur Beurteilung der klinischen Leistungsmerkmale geforderten klinischen Leistungsstudien. Hier lässt die EU-Verordnung den Freiraum, auf eine Durchführung klinischer Leistungsstudien zu verzichten, wenn es ausreichende Gründe dafür gibt, auf andere Quellen klinischer Leistungsdaten zurückgreifen zu können. Diese können wissenschaftliche Literatur und auch Daten sein, die aus publizierten und im eigenen Labor bereits erhobenen diagnostischen Routinetests gesammelt wurden.

Die Ad-hoc-Kommission IVD der AWMF empfiehlt, dass Gesundheitseinrichtungen zunächst den Umfang des klinischen Nachweises ihrer Produkte zur Begründung der Erfüllung der grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen in einer in ihrem QM-System integrierten Dokumentation spezifizieren und begründen sollten. Für die Leistungsbewertung des IVD-Produkts werden dann die Ergebnisse zur wissenschaftlichen, analytischen und klinischen Leistung in einem Bericht zusammengefasst und das positive Nutzen-Risiko-Verhältnis belegt.

Anhang I Kap. II (16): Software

Unter IVD-Software ist Software als eigenständiges IVD (stand-alone software), als Teil eines IVD (embedded software) oder als Zubehör eines IVD zu verstehen. Darunter fallen Software-Lösungen zur Auswertung der Messergebnisse von Testverfahren, Anwendungen zur Berechnung und Befundinterpretation und ggf. Laborinformationssysteme, die meist an die Laborprozesse und weitere IT-Infrastruktur (Schnittstellen) angepasst werden müssen, um im medizinischen Labor genutzt werden zu können. Hier sind durchaus Kombinationen von Software üblich, um den Gesamtprozess abzubilden. So kann ein Analyse-Gerät als IVD mit einer Middleware oder einem Laborinformationssystem kommunizieren, welches die Daten (ggfs. modifiziert) wieder an ein Klinik-Informationssystem (ggfs. ein Medizinprodukt) senden kann.

Gerade im Bereich hochmoderner High-Throughput-Methoden, in welchen die Geschwindigkeit der technischen Entwicklung und der wissenschaftlichen wie klinischen Erkenntnisse immens hoch ist (z.B. NGS-Technologie), sind medizinische Laboratorien auf Parametrierung, Konfiguration, Customizing und auf vollständig selbstentwickelte Software-Tools angewiesen; dabei sind die Grenzen zu kommerzieller Software (IVD oder Medizinprodukt) fließend. Zudem gibt es gerade bei bioinformatischen Pipelines (Calling, Annotation, Variantenbewertung) Hybridformen, in denen Software-Komponenten kommerzieller Hersteller übernommen, Nutzung externer Datenquellen sowie Daten von Dienstleistern mit eigenentwickelten Systemen und frei verfügbar (Open-Source) Software verwendet werden.

Die IVDR und der MDCG-Leitfaden 2019-11 [16] adressieren die Thematik von in einer Gesundheitseinrichtung hergestellten und in Betrieb genommenen Software nicht und lassen viele Fragestellungen hinsichtlich der Abgrenzungen zwischen Eigenherstellung und Inverkehrbringen offen. Ferner wird Aspekten wie der immer mehr an Bedeutung zunehmenden Bioinformatik keine Rechnung getragen.

Gleichermaßen gelten für Software die bereits genannten Voraussetzungen, u.a. dass kein vergleichbares Softwareprodukt auf dem Markt existiert, die grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen des Anhang I zu erfüllen und eine technische Dokumentation anzufertigen sind. Nach Anhang I Kapitel 2 (16) muss die Software unter Berücksichtigung des Software-Lebenszyklus-Prozesses, des Risikomanagements einschließlich der Informationssicherheit, der Verifizierung und der Validierung entwickelt werden. Weiterhin wird die Festlegung von Mindestanforderungen an Hardware, Eigenschaften von IT-Netzen und IT-Sicherheitsmaßnahmen inklusive des Schutzes vor unbefugtem Zugriff verlangt. In der geforderten Dokumentation sollen neben der Risikoklassifizierung die Entwicklungsstufen der Software dargelegt, die Datenverarbeitung und Datenauswertung insbesondere der verwendeten Algorithmen beschrieben und unter Berücksichtigung der Verwendungsumgebung, Hardware-Konfigurationen und möglichen Betriebssysteme die Verifizierung und Validierung zusammengefasst werden.

Fazit: Die Ad-hoc-Kommission IVD der AWMF empfiehlt eine Überarbeitung des bestehenden MDCG-Leitfadens zur Qualifizierung und Klassifizierung von Software unter Integration der bislang nicht berücksichtigten zur Diagnostik genutzten Software, wie Bioinformatik-Pipelines oder Kombinationen von Software. Weiterhin wird speziell für Software-Eigenherstellungen von Gesundheitseinrichtungen eine Klärung gefordert, die

  • zwischen den hohen Anforderungen zur Leistungsbewertung von Software oder Pipelines an kommerzielle Hersteller und an Software ohne Inverkehrbringung von Gesundheitseinrichtungen differenziert,
  • die Grenzen von eigenentwickelter, parametrierter und konfigurierter Software unmissverständlich definiert,
  • den besonderen Bedürfnissen medizinischer Labore bei der Integration von eigenentwickelter Software oder Softwaremodulen in kommerziell bezogenen Systemen Beachtung schenkt.

Abkürzungen

  • AGMP: Arbeitsgruppe Medizinprodukte der ZLG
  • AMG: Arzneimittel-Gesetz
  • AWMF: Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften
  • BAG: Berufsausübungsgemeinschaft
  • FEG: Fachexpertengruppen der ZLG
  • GbR: Gesellschaft bürgerlichen Rechts
  • GmbH: Gesellschaft mit beschränkter Haftung
  • IVD: In-vitro-Diagnostika
  • IVDD: EU-Richtlinie über In-vitro-Diagnostika (98/79/EG)
  • IVDR: Europäische Verordnung über In-vitro-Diagnostika ((EU) 2017/746)
  • LDT: Laboratory Developed Test
  • MDCG: Medical Device Coordination Group
  • MHRA: Medicines and Healthcare products Regulatory Agency
  • MPBetreibV: Medizinproduktebetreiber-Verordnung
  • MPG: Medizinprodukte-Gesetz
  • MPV: Medizinprodukte-Verordnung
  • MVZ: Medizinisches Versorgungszentrum
  • NGS: Next Generation Sequencing
  • PartG: Partnerschaftsgesellschaft
  • PMS: Post-Market Surveillance
  • RiliBÄK: Richtlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen
  • ZLG: Zentralstelle der Länder für Gesundheitsschutz bei Arzneimitteln und Medizinprodukten

Anmerkungen

Interessenkonflikte

Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

1.
Verordnung (EU) 2017/746 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2017 über In-vitro-Diagnostika und zur Aufhebung der Richtlinie 98/79/EG und des Beschlusses 2010/227/EU der Kommission.
2.
Richtlinie 98/79/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Oktober 1998 über In-vitro-Diagnostika.
3.
Medizinprodukte-Verordnung vom 20. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3854), die zuletzt durch Artikel 3 der Verordnung vom 27. September 2016 (BGBl. I S. 2203) geändert worden ist.
4.
Medizinproduktegesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. August 2002 (BGBl. I S. 3146), das zuletzt durch Artikel 223 der Verordnung vom 19. Juni 2020 (BGBl. I S. 1328) geändert worden ist.
5.
Medizinprodukte-Betreiberverordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. August 2002 (BGBl. I S. 3396), die zuletzt durch Artikel 9 der Verordnung vom 29. November 2018 (BGBl. I S. 2034) geändert worden ist.
6.
Bundesärztekammer. Richtlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen; Gemäß des Beschlusses des Vorstands der Bundesärztekammer in seiner Sitzung am 18.10.2019. Deutsches Ärzteblatt; 2019. DOI: 10.3238/arztebl.2019.rili_baek_QS_Labor20192312 Externer Link
7.
Arzneimittelgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. Dezember 2005 (BGBl. I S. 3394), das zuletzt durch Artikel 5 des Gesetzes vom 9. Dezember 2020 (BGBl. I S. 2870) geändert worden ist. Verfügbar unter: https://www.gesetze-im-internet.de/amg_1976/AMG.pdf
8.
Prinz W. Die Herstellung von Rezepturarzneimitteln für Apotheken. PharmR. 2008 Aug;8:364 ff.
9.
Prütting D, Saalfrank V, Stollmann F, Wesser S, editors. Kloesel/Cyran Arzneimittelrecht Kommentar. Deutscher Apotheker Verlag. § 4 Erl. 8 unter Hinweis auf den Ausschussbericht zur 14. AMG-Novelle.
10.
DIN EN ISO 15189 Medizinische Laboratorien – Anforderungen an die Qualität und Kompetenz (ISO 15189:2012, korrigierte Fassung 2014-08-15); Deutsche Fassung EN ISO 15189:2012.
11.
Medicines & Healthcare products Regulatory Agency. MHRA guidance on the health institution exemption (HIE) – IVDR and MDR (Northern Ireland). 2021. Verfügbar unter: https://www.gov.uk/government/publications/mhra-guidance-on-the-health-institution-exemption-hie-ivdr-and-mdr-northern-ireland Externer Link
12.
Medtech Europe. Clinical Evidence Requirements for CE certification under the in-vitro Diagnostic Regulation in the European Union. 1st ed. 2020 May.
13.
DIN EN ISO 13485 Medizinprodukte – Qualitätsmanagementsysteme – Anforderungen für regulatorische Zwecke (ISO 13485:2016); Deutsche Fassung EN ISO 13485:2016.
14.
DIN EN ISO 14971 Medizinprodukte – Anwendung des Risikomanagements auf Medizinprodukte (ISO 14971:2019); Deutsche Fassung EN ISO 14971:2019.
15.
DIN EN ISO 22367 Medizinische Laboratorien – Anwendung des Risikomanagements auf medizinische Laboratorien (ISO 22367:2020); Deutsche Fassung EN ISO 22367:2020.
16.
Medical Device Coordination Group. MDCG-2019-11. Guidance on Qualification and Classification of Software in Regulation (EU) 2017/745 – MDR and Regulation (EU) 2017/746 – IVDR. 2019.

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