gms | German Medical Science

GMS Journal of Arts Therapies – Journal of Art-, Music-, Dance-, Drama- and Poetry-Therapy

Wissenschaftliche Fachgesellschaft für Künstlerische Therapien (WFKT)

ISSN 2629-3366

Die Wissenschaft der Kunsttherapie: Zum Selbstverständnis präverbaler Arbeit der Kunsttherapie – Reflexionen auf Themenspektren und Fundierungen am Beispiel der „Arbeit am Tonfeld“

The Science of Art Therapy: The understanding of self in pre-verbal work in art therapy – reflections on the thematic spectrums and foundations at the example of “Work at the Clay Field”

Originalarbeit Kunsttherapie

Suche in Medline nach

  • corresponding author Heinz Deuser - Institut für haptische Gestaltbildung, Hinterzarten, Deutschland

GMS J Art Ther 2020;2:Doc05

doi: 10.3205/jat000009, urn:nbn:de:0183-jat0000096

Veröffentlicht: 10. November 2020

© 2020 Deuser.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Gefragt wird nach Leitorientierungen im Kunsttherapeutischen Prozess, die das strukturelle Geschehen bestimmen und zugleich aus ihm hervorgehen. Verwiesen wird dabei auf die haptische Wahrnehmung im Setting der Arbeit am Tonfeld.

Schlüsselwörter: Handlungserfahrung, Handlungsaufnahme, Zu-uns-Erfahrung, Zu-uns-selbst-Erfahrung, Regelwerk in der Gestaltung von Motorik und Sensorik

Abstract

Asked for are guiding orientations in the art therapeutic process, which define the structural events and those simultaneously emerging from it. This in reference to haptic perception within the setting of Work at the Clay Field.

Keywords: actional experience, actional perception, to-us-experience, to-us-self-experience, patterns of regulation in motor and sensory creation


Vorbemerkung

Die Arbeit versteht sich als Beitrag zur Arbeit von Dr. U. Elbing „Ein Diskussionspapier zur Standortbestimmung der deutschsprachigen Wissenschaftsgemeinschaft hinsichtlich kunsttherapeutischer Diagnostik und Intervention“ [1].


Einführung

Wenn wir die Kunsttherapie aus der Kunst herausnehmen, was ihr nur nutzen kann, steht in Frage: Wie bildet sich Erfahrung? Und nun zeigt sich, dass die Bildung von Erfahrung selbst phänomenologisch – nicht psychologisch – ein schöpferischer Beziehungsprozess ist, in dem wir uns bipolar zu uns selbst aufnehmen, leiblich-seelisch und sinnenhaft weltlich. Solche Struktur der Erfahrung tritt z.B. zu Tage in den Begriffen: „Etwas zur Sprache bringen“. Oder: „Etwas in seiner Bewegung erscheinen lassen, indem wir selbst erscheinen“. Letzteres wäre dann die „Sprache“ der Kunsttherapie. Wir betreten dann in dem, was wir tun, den Boden der praktischen Vernunft unserer Bewegung. Das Wie bringt das Was hervor. Und in beidem kommen wir mit uns strukturell zusammen. Wir erfahren uns am Anderen, wobei der Zirkel „zu uns“ aufbricht und uns und das Andere freisetzt. Jetzt wird es schöpferisch!


1. Geisteswissenschaften als Beziehungswissenschaften

Urvater solcher Gründung ist Wilhelm Dilthey, der derart die „Geisteswissenschaften“ begründete [2]. Sie könnten heute als „Beziehungswissenschaften“ bezeichnet werden, und da hätte dann die Kunsttherapie als präverbale Arbeit ihre wissenschaftliche und menschlich-individuelle Begründung als Ist und als Soll in unserer Bewegung. Es ist der „innere Zusammenhang“, in dem wir uns erfahren und den wir als unsere Welt gestalten. Dilthey begründete in ihm die „Geisteswissenschaften“. Er nannte sie auch „Lebenswissenschaften“. Auf eine Formel gebracht: Wir sollen nicht nur die Dinge verstehen, sondern uns in unseren Dingen. Das Geschehnis wird zu unserem Geschehnis. Die haptische Erfahrung bietet sich hier prototypisch an als Laborsituation. Es ist unsere leiblich-vital-schöpferische Selbstbewegung, in der wir uns äußern, zukommen und gestalten. Wir erfahren uns zu uns selbst und können uns darin aufnehmen. Therapie wird zur Praxis und umgekehrt. Dies drückte V.v. Weizsäcker aus in seiner Psychosomatik, basierend auf dem „Gestaltkreis“ [3].


2. Die Kunsttherapie als Dialog zu uns

Die Kunsttherapie „funktioniert“ nach meiner Meinung derart, doch zumeist ohne bewusste Fundierung und damit Reflexion und Kontrolle ihrer Funktion. Die Kontrolle ist das strukturelle Verlangen Zu-Uns und Zu-Uns-Selbst, in dem wir Ausgleich suchen und Entwicklung. Das stellte wohl Aristoteles als erster heraus. Grundlage ist die Orientierung an einem dezidierten therapeutischen Erfahrungsschema, z.B. „Ich im Gegenüber zu mir“, und der Diskurs über seine Einbindung in ein geisteswissenschaftliches Verständnis. „Präverbal“ heißt dann: Die Rückführung der Worte auf ihre Phänomene, in denen wir uns leiblich mitteilen und zu uns verstehen. Umgekehrt bedeutet das dann das Überdauern der Phänomene. Rilke drückt dies in seinen Elegien aus. Wir geben dem Augenblick Dauer und dem bloßen Ablauf Geschichte.


3. Das Handeln zu uns

Im Handeln zu uns und in der Genese zu uns sind im Folgenden Spektren aufgeführt, die den strukturellen Aufbau der Arbeiten betreffen, in denen wir uns menschlich wie individuell artikulieren. Sie werden reflektiert in der Arbeit am Tonfeld unter der Frage: Auf was hin ist präverbale Arbeit wirksam? Wie können wir uns im Sollen zu uns artikulieren und verstehen? Die haptische Wahrnehmung dient als Methode. Wir erfahren uns zu uns in dem, was wir erfahren. Exemplarisch aufgezeigt ist dazu – wie ein fortlaufendes Erfahrungsband – das haptische sensomotorische Geschehen in seiner Genese in der Arbeit am Tonfeld [4]. Wir erfahren uns zu uns wie in jeder präverbalen Arbeit im Kreisprozess zu uns selbst. Zur weiteren Ausführung bedarf es Hintergrundarbeit und praktische Präsentationen. Das haptische Tun und Erleben soll prototypisch stehen für jegliche menschliche Beziehungs- und Bildungsarbeit. Im haptischen Leib- und Weltbezug finden wir uns vor. Wir erfahren und zeigen uns in unserer Erfahrung zu uns. Wir sind ihr Ausgang und ihr Resultat unserer Erfahrung. Wir sind das Was in unserer Erfahrung im einen wie im anderen und wir sind Urheber. Dieser bewegliche Stand im Schöpferischen wird aufgehoben, wenn nur sein Resultat betrachtet wird. Wir kommen dann letztlich in einen unendlichen Regress, „der eigentliche Prozess der Erfahrung wird übersprungen“, wie H.-G. Gadamer ausführt [5]. Das Zu-Uns bindet uns an uns selbst zurück, – aber zum Voraus in unserer auch leiblichen Verwirklichung, was Gadamer, geschichtlich bedingt, nicht aufnimmt.


4. Die Mitmenschliche Vermittlung

Damit wir uns darin zu uns in unserer Bewegung freistellen und verstehen können, müssen wir mitmenschlich zu uns angesprochen werden. Das geschieht über unsere Begleitung in 3 modalen wesentlichen Bezügen,

1.
dem Verweis auf den Rückbezug zu uns (Halt),
2.
dem Verweis auf den Aufbruch zu uns (Voraus) und
3.
der schöpferischen Rekonstruktion des ganzen Prozesses, auf das wir uns darin wiederfinden und erinnern können (mitmenschliche Partnerschaft).

Dazu gehört immer die Erwartung des Prozessgeschehens in seinen Bedingungen und Möglichkeiten. Diese Erwartungen sind im Folgenden aufgeführt im haptischen Prozessverlauf und in der haptischen Anordnung dazu. Der haptische Dialog hat im mitmenschlichen Dialog seine Wahrheit – und umgekehrt hat der mitmenschliche Dialog seine Wahrheit in der haptischen Verwirklichung. „Wahrheit“ heißt: Die Erfüllung unserer Bewegung in uns selbst und durch uns selbst. Sie hat immer auch ihren objektiven Rang im sozialen Umfeld. In beiden Bezügen, – zu uns und zu unserer Umwelt – ist sie herzustellen. Wir sind gehalten, uns in ihr herzustellen. Diesen Vorgang kennzeichnet und zeigt präverbale Arbeit, leiblich, emotional und mental sozial. Jedwedes wird darin zum einzigartigen, allgemeinen Gegenüber: Eine Farbe wird zu der Farbe, ein Taps ins Tonfeld wird zu unserem Taps. Und dieses Gegenüber bekommt dann die Sprache, in der wir uns zu uns verstehen. Sie kommuniziert menschlich allgemeine und individuell besondere Weise der Erfahrung zu-uns.


5. Wir verstehen uns zu uns

Im Folgenden sind die Erkenntnismodi aufgeführt, in denen wir zu uns kommen. Sie bilden die allgemeingültige Grundlage unserer Genese und gehen daraus hervor. Sie gehen aus vom Bewusstsein zu uns, in dem wir uns zukommen, sowohl strukturell in unserer Entwicklung, wie in unseren Erfahrungen. Wir holen uns in ihnen zu uns selbst ein. Sie zeigen sich als Aufforderung zu uns selbst. Handlungssituationen erscheinen in dieser Aufforderung als Lebenssituationen [4]. Wir treffen über sie hinaus auf die Leidenschaft zu uns selbst. In ihnen kommen dann im Sinne Diltheys „Zwecksysteme“ zusammen [2]. Wir sollen Halt finden, sollen uns überschreiten, sollen präsent werden usw. Es geht also nicht um Begründungen, sondern um Vermittlung und Vorstellung des Geschehens, was eben in dieser Situation so und nicht anders war, aber hindeutet auf unsere Erfüllung zu uns selbst. W. Dilthey spricht von beschreibender und zergliedernder Psychologie:

„Ich verstehe unter beschreibender Psychologie die Darstellung der in jedem entwickelten menschlichen Seelenleben gleichförmig auftretende Bestandteile und Zusammenhänge, wie sie in einem einzigen Zusammenhang verbunden sind, der nicht hinzugedacht oder erschlossen, sondern erlebt ist. Diese Psychologie ist also Beschreibung und Analysis eines Zusammenhangs, welcher ursprünglich und immer als Leben gegeben ist [2].“

Diese Aussage ist zu erweitern auf die individuelle Leistung, in der die „gleichförmigen Bestandteile“ wahr-genommen und als Entwicklung gleichsam „aufgestockt“ werden im Müssen, Sollen und Können. Eine solche Wahrnehmung war nun aber nicht Thema Diltheys. Sie leistete für ihn als gestaltetes Erleben die Dichtkunst. Es ging ihm um das „entwickelte Seelenleben“ – Solche „Kunst“ findet statt im präverbalen leiblichen Geschehen der Darstellung von uns selbst. Für die Begleitung verweist sie auf den Prozess des eigenen Verstehens und der eigenen Beziehung. Vorausgesetzt wird also ein grundsätzlicher Verlauf, der Gestaltung verlangt in der wir uns zu uns verstehen.


6. Vorfinden zum Prozessgeschehen

Wir finden uns am Tonfeld, – das kann jedwedes Andere auch sein, in dessen Gebrauch wir uns aufnehmen können – vor zu-uns. Da keine weitere Aufgabe gestellt ist, finden wir uns in unserer Bewegung in einer Doppelrichtung: Zu-uns im Rückbezug – und zu-uns im Vorbezug auf das Tonfeld. Das Vorfinden selbst richtet uns aus im Lebensdrang unserer vitalen Bewegung: Wir wollen uns äußern und uns selbst am Gegenüber zuzukommen – wie können wir das? Die derart aufgeladene Situation verlangt nach Verlässlichkeit.

1.
Von uns selbst: Um uns zu äußern, müssen wir zu uns da sein können.
2.
Von unserem Gegenüber: Um uns zu äußern, müssen wir uns von unserem Gegenüber zukommen können.
3.
Wenn wir das alles so verlässlich vorfinden, steht nun unsere Tat an: Wir müssen uns äußern auf unser Gegenüber, müssen aufbrechen, müssen uns zukommen auf dem Tonfeld, müssen uns wieder zurücknehmen und finden uns nun in einer Position, die entweder ganz unseren Rückzug verlangt oder unser weiteres Einlassen auf des Gegenüber Tonfeld. Der aufrechte Gang wird zum Zugehen auf die Welt. Wir haben uns freigestellt im Zwischen von unserem Zu-Uns.

Frage ist also: Wie können wir uns zu uns freistellen? Und wenn wir uns freigestellt haben: Wie können wir uns gleichsam janusköpfig zu uns in unserer Geschichte erfüllen? In jedem einzelnen Bewegungsakt stoßen wir wohl auf unsere individuellen biografischen Bedingungen und Möglichkeiten. Angeführt aber werden wir intentional von unserem menschlichen Bestreben, Stand und Ausgleich mit uns zu gewinnen, in unserem Gang in unsere Welt.

Wir zeigen uns in dieser Spannung, die Entscheidung verlangt, und teilen uns mit in unserem leiblichen Gestus, im Rückbezug wie im vitalen Bedürfnis-Drang, uns zu äußern. Wir teilen uns mit in präverbaler Sprache. In sie eingeschlossen sind unsere menschliche Bedingungen, unsere individuellen Möglichkeiten und unsere vitalen Bedürfnisse. Wir selbst sind zu entscheiden und wir entscheiden zu uns selbst. Selbstbewegung wird kreisförmig zur Bewegung zu uns selbst. Zu entscheiden ist das gegenläufige Zu-Uns und aus dieser Entscheidung gehen wir selbst hervor. Die Gegenseitigkeit zu uns findet ihr Gegenüber in der Gegenseitigkeit zum Tonfeld. Und in ihm können wir uns in unserer Bewegung haptisch aufnehmen. Das Zu-Uns gewinnt seinen haptischen inneren und äußeren Raum. Wir können uns nun bipolar, zu uns und dem Tonfeld verhalten und bestimmen.

Als erstes steht nun Beziehungshalt an. Aus dem anfänglichen Bestreben nach Rückhalt bei uns, wird das leibliche Bestreben nach Rückhalt zu uns, z.B. im Gleichgewicht. Aus dem anfänglichen Bedürfnis-Drang wird die gegenseitige Beziehungspolung im Widerstand, in dem wir uns sinnenhaft zukommen und den wir uns als Druck und Gegendruck zum Zweck der eigenen Verlässlichkeit zu unserem Gegenüber schaffen. Wir bauen unsere Beziehung auf zu uns und zum Tonfeld. Das Tonfeld wird zur Welt, in der wir uns begegnen und uns in unseren Bedürfnissen nach Eigenberührung und nach Halt aufnehmen. Wir müssen Halt erwarten und finden Halt, indem wir uns darin aufnehmen. Dazu bedarf es mitmenschlicher Vermittlung. Um uns zu uns freizustellen und weiter aufzugreifen, sind wir darauf angewiesen, uns zu uns zu verstehen. Die präverbale Sprache, in der wir uns zeigen und mitteilen im haptisch-gestischen Dialog wird zum mitmenschlichen Beziehungsdialog mit unserer Begleitung. Wir nehmen uns in ihr „wahr“ im wörtlichen Sinn. Das ist gemeint mit der Aussage: Präverbale Arbeit ist der Erfahrungsweg und die Kunst zu uns selbst. Sie hat ihre eigene phänomenologische Sprache und sie hat als Struktur ihre Grammatik. Wir verhalten uns zu uns selbst, wie gesagt, in der praktischen und vitalen Vernunft unserer Bewegung. In der Arbeit am Tonfeld ist sie geknüpft an die haptische Wahrnehmung. Sie leitet das Bedürfnis zu uns. Dass wir uns darin aufnehmen können, erscheint als ästhetischer Akt: Wir kommen mit uns zusammen, gleichsam in einer Laborsituation. Ziel ist, dass wir uns in unserer Bewegung zu uns (wieder) orientieren, aufnehmen und zentrieren können.


7. Wir finden uns vor zu uns: Beziehungs- und Instanzenverteilung

Jede Arbeit beginnt damit, dass wir uns zu uns vorfinden: räumlich im leiblichen Bezug, emotional im noch unbestimmten Bezug zu uns und mental im Selbstverständnis unserer Erwartungen. Wir übernehmen und zeigen uns aktual in unseren Erfahrungsbezügen. Das bipolare Zu-Uns erhält im wechselseitigen Wandel sein Zentrum: Es schält sich als „Ich“ heraus, in dem wir uns zu uns und unserer Situation vorfinden. Es stabilisiert sich in unserem Verhältnis von Gegenseitigkeit und Erhalt und wir lernen uns darin zu uns zu verstehen. Diese „Entlastung“ [6] versetzt uns zugleich in die Verantwortung zu uns: Wir verstehen uns in ihm bewegt zu einem Anderen, zu dem wir uns leiblich in unseren Sinnen wechselseitig zu uns erleben, erfahren und sozial mitteilen. Das „Ich“ wird zum Antwort gebenden Organ, das sich in seiner Antwort zugleich als Erfahrungs- und Gleichgewichtszentrum bildet im bipolaren zu-uns. Der bloße Drang, uns zu äußern schafft gegenseitige Verpflichtung. Mit der Stellung Zu-Uns am Anderen ist die Basis geschaffen für ethisches Verhalten. Gerechtigkeits- und Mitgefühl z.B. können sich einstellen. Verlangt sind vitale Ansprachen, in denen wir uns in unserer Bewegung tätig zukommen und uns in dem, was wir tun, lebendig bewegt zu uns erfahren. Verlagert auf das Tonfeld finden erste Welterkundungen statt. Eine neue Stellung wird eingenommen, wenn wir aus dem geschlossenen Horizont „zu-uns“ mit einmal heraustreten und uns tätig einholen sollen. Wir haben uns in unserem „Ich“ zu uns gesättigt und aus dem bloßen Zu-Uns verstehen wir uns aus einem Voraus-zu-uns, das wohl noch nicht da ist, aber sicher virtuell erwartet werden kann. Die Frage stellt sich: „Was soll ich tun?“ Bis wir das wissen, wird das Tonfeld zum Experimentierfeld zu uns. Ein nächster Erfahrungsschritt erfolgt, wenn wir uns vorfinden zum Anderen (Tonfeld) und uns zu uns selbst fühlen. Wir fragen nun nach unserem Subjektsein. Aus dem Zu-Uns am Anderen, das sich in seiner Stellung als „Ich“ klärt, wird das Zu-Uns am Anderen, das sich zu sich als Subjekt seines Tuns klärt. D.h. dem Sinn nach: „Auf was soll ich mich zu mir einlassen?“

Im ersten Fall stellt sich die Frage – „Was soll ich tun?“ – an uns im vitalen Bezug auf unser Gegenüber. Verlangt sind Aufbruch und Auseinandersetzung, in denen wir uns gewinnen. Im zweiten Fall stellt sich die Frage allgemein für unsere Situation zum Gegenüber. Dieser zweite Fall setzt ein, wenn wir uns in unserem Ich gesättigt haben und zu uns selbst finden sollen; oder wenn wir für uns nach Grund suchen. Das Erste richtet uns auf dem Tonfeld horizontal aus, das Zweite vertikal, ob stärkend oder gründend. Verlangt ist Zeit in den Berührungen zu uns. Das Ankommen im Tonfeld wird zu einem Ankommen bei uns.

Zwischen „Wir-zu-uns und Wir-als-Subjekt-zu-uns-selbst“ liegen Entwicklungs- und Reifeschritte. Beide beruhen auf der Erfahrung, dass wir uns in unserer Bewegung zukommen, einmal zu uns von unserem Gegenüber und zum anderen von unserem unauslotbaren Grund, in dem wir in unserer Vertikalen gründen. Es beginnt die präverbale Arbeit, in der wir uns zu uns selbst als Subjekt unseres Tuns verstehen. Hier ist die Erfahrung im wörtlichen Sinn grundlegend, denn sie hat zur Grundlage den Rückbezug zu uns und zu uns selbst.


8. Lebendige Bewegung

Für die Präverbale Arbeit gilt: Wir kommen uns zu an einem Anderen (hier dem Tonfeld), das durch uns bestimmt ist (hier das Material). In dieser Bestimmung greifen wir uns auf. Wir wandeln uns in unserer Beziehung, der zu uns und der zu unserer Welt (hier dem Tonfeld) und organisieren und gestalten uns neu in unserem „Inneren Zusammenhang“ [2] (der Genese unseres Werdens). Die präverbale Arbeit bietet eine Lebensorientierung.


Anmerkung

Interessenkonflikte

Der Autor erklärt, dass er keine Interessenkonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel hat.


Literatur

1.
Elbing U. Kunsttherapie als Wissenschaft vom kunsttherapeutischen Handeln. Ein Diskussionspapier zur Standortbestimmung der deutschsprachigen Wissenschaftsgemeinschaft hinsichtlich kunsttherapeutischer Diagnostik und Intervention. GMS J Art Ther. 2020;2:Doc04. DOI: 10.3205/jat000008 Externer Link
2.
Dilthey W. Die geistige Welt: Einführung in die Philosophie des Lebens. 7. Aufl. Stuttgart, Göttingen: Vandenhoek u. Ruprecht; 1982. (Gesammelte Schriften; Bd. V).
3.
von Weizsäcker V. Der Gestaltkreis: Theorie der Einheit von Wahrnehmen und Bewegen. 5. Aufl. Stuttgart, New York: Thieme; 1982.
4.
Deuser H. Arbeit am Tonfeld: Der haptische Weg zu uns selbst. Gießen: Psychosozial-Verlag; 2018. DOI: 10.30820/9783837973808 Externer Link
5.
Gadamer HG. Wahrheit und Methode: Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik. 5. Aufl. J.C.B. Mohr (Paul Siebeck): Tübingen; 1986. (Gesammelte Werke; Bd.1).
6.
Gehlen A. Der Mensch: Seine Natur und seine Stellung in der Welt. 13. Aufl. Aula-Verlag: Wiesbaden; 1986.