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GMS Interdisciplinary Plastic and Reconstructive Surgery DGPW

Deutsche Gesellschaft für Plastische und Wiederherstellungschirurgie (DGPW)

ISSN 2193-8091

Rekonstruktive Chirurgie bei muskuloskelettalen Infektionen – Beispiel Knocheninfektion

Reconstructive surgery in case of musculoskeletal infections – what about osteomyelitis

Übersichtsarbeit

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  • corresponding author Andreas Heinrich Tiemann - Abteilung für Septische und Rekonstruktive Chirurgie, Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, BG Kliniken Bergmannstrost Halle, Deutschland

GMS Interdiscip Plast Reconstr Surg DGPW 2012;1:Doc19

doi: 10.3205/iprs000019, urn:nbn:de:0183-iprs0000197

Veröffentlicht: 11. Dezember 2012

© 2012 Tiemann.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Abstract

Osteomyelitis therapy is based on defined principles and may be subdivided into three phases:

  • Sanitation and sedation of the infect (bone plus soft tissue)
  • Soft tissue reconstruction
  • Skeletal reconstruction

Depending on the local situation phase two and three may be performed together. The following article gives a brief review how to act in the specific above named phases.


Einleitung

Die Therapie der Osteitis folgt einem klaren Algorithmus und gliedert sich in drei Phasen [6]:

  • Sanierungsphase (an Knochen und Weichteilen)
  • Deckung des Weichgewebsdefektes
  • Knochen (Gelenk) Rekonstruktion

In der Sanierungsphase wird der Infekt beruhigt, in der Rekonstruktionsphase erfolgt die Rekonstruktion von Knochen und Weichteilen mit dem Ziel einer im Rahmen der Möglichkeiten optimalen Funktion (Abbildung 1 [Abb. 1]).


Sanierungsphase

Die Basis der Infektsanierung stellt unverändert die operative Ausräumung des Infektherdes dar. Hierbei sind Knochen und umgebende Weichteile zeitgleich zu sanieren und bilden eine therapeutische Einheit [12].

Ergänzt werden die chirurgischen Maßnahmen regelhaft durch die lokale und/oder systemische Applikation von Antibiotika sowie einer Reihe weitere adjuvanter Verfahren, wie z.B. der hyperbaren Sauerstofftherapie [13]. Die Kombination dieser Vorgehensweise entspricht der 3-Säulen-Theorie (Säule I: Chirurgie; Säule II: Antibiotika; Säule III: Adjuvantien).

Insbesondere die präzise Detektion des notwendigen Resektionsausmaßes am Knochen fällt dabei schwer. Gemeint ist hier die Unterscheidung zwischen vitalem, vital bedrohtem und nekrotischen Knochen (sowohl Kortikalis als auch Spongiosa). Sensitive und valide technische Verfahren fehlen, gefragt ist die Erfahrung des Operateurs. Das Ausmaß der Knochenresektion beeinflusst zwei für den weiteren Behandlungsverlauf entscheidende Faktoren:

  • Verlauf der Erkrankung an sich
  • Art und Technik der Knochen- und Weichteilrekonstruktion

Bühler, Schmidt et al. verwiesen bereits 2003 auf den Umstand, dass nur die 100% Entfernung des infizierten bzw. nekrotischen Gewebes zu einer Infektberuhigung führen kann. Das Belassen auch nur kleinster Infekt- oder Nekrosezonen führt zu einer Infektpersistenz oder birgt die Gefahr des rekurrenten Infektes [1]. Andererseits betonten die Autoren, dass sich vital bedrohter Knochen immer dann erholen kann, wenn er von einem suffizienten Weichteilmantel umgeben ist.

Grundsätzlich erfolgt die Detektion der Infekt- und Nekroseherde am Knochen und den umgebenden Weichteilen durch die praeoperative apparative Diagnostik.


Die praeoperative apparative Diagnostik

Im eigenen Hause wird ein modifizierter Algorithmus für die bildgebende Diagnostik bei der Osteitis angewandt. Dieser basiert auf der befundorientierten Kombination klassischer Methoden (Projektionsradiographie, MRT, CT) in Kombination mit der PET-CT (Tabelle 1 [Tab. 1]) [11]. Anhand des dargestellten Workflows wird praeoperativ bestmöglich das Ausmaß der notwendigen Resektion bestimmt.


Die intraoperative klinische Untersuchung des Operationsgebietes

Sie dient der Überprüfung der praeoperativen Befunde. Regelhaft werden folgende Qualitäten am Knochen überprüft [13]:

  • Knochenfärbung
    Vitaler Knochen: Niemals elfenbeinartig
    Changiert in Farbe und Struktur
    Mikroblutungen an Osteotomiezonen
  • Knochenklang
    Vitaler Knochen: Dumpfer Klang, wenn mit einem soliden Gegenstand darauf geklopft wird.
    Avitaler Knochen: Heller Klang, wie Porzellan
  • Knochentextur
    Vitaler Knochen: Tangentiales Anmeißeln produziert einen "Chip" ähnlich eines Hobelspans
    Avitaler Knochen: Abplatzen kleiner "Flakes"
  • Zustand der Spongiosa
    Vitale Spongiosa: Fest in der Struktur und von gleichmäßiger Konsistenz
    Infizierte Spongiosa: Bröckelige Struktur durch das Vorhandensein von Granulationsgewebe und kleinen Knochenlamellen.
  • Qualität des umgebendes Weichteilmantels
    Hier gilt die von Heier et al. 2003 aufgestellte These: Das Ausmaß des Weichteilschadens determiniert das therapeutische Ergebnis [4]. Insofern spielt eine frühzeitige plastische Weichteildefektdeckung eine ganz wesentliche Rolle.

Die Art des chirurgischen Vorgehens am Knochen richtet sich nach dem vorliegenden Befund.


Rekonstruktionsphase

Bei der Planung der rekonstruktiven Eingriffe sollten folgendes berücksichtigt werden:

„Die Rekonstruktion am Knochen und den umgebenden Weichteilen stellt eine therapeutische Einheit dar“.

Im Rahmen der Op.-Planung sind nach Auffassung der Autoren die nachfolgenden Faktoren von Bedeutung:

  • Defektgröße
  • Defektlokalisation
  • Defektgröße an den Weichteilen
  • Defektlokalisation an den Weichteilen
  • Defekte an benachbarten Gelenken
  • Anschlussarthrosen

In diesem Zusammenhang ist die Untersuchung von Schieker et al. aus dem Jahr 2006 interessant. Die Autoren entwickelten ein System zur Klassifikation von Knochendefekten, das sich problemlos auch auf die bei der Sanierung von Knocheninfekten entstehenden Defekte übertragen lässt [9]:

  • Defekt im Wirbel (besondere Entität)
  • Metaphysärer Knochendefekt
  • Semidiaphysärer Knochendefekt
  • Diaphysärer Knochendefekt

Der Zustand der Weichteile zum Zeitpunkt der Rekonstruktionsmaßnahmen spielt ebenfalls eine wesentliche Rolle. Es versteht sich von selbst, dass diese zum Beginn der Rekonstruktion des Knochens möglichst optimal sein sollten. D.h. es sollte eine vollständige Deckung mit vitalem Weichgewebe gegeben sein („ersatzstarkes“ Weichteillager).

Die o.g. Autoren definierten in diesem Zusammenhang im Rahmen ihrer Arbeit aus dem Jahr 2006 folgende Weichteillagertypen:

  • Exzellentes Weichteillager = „ersatzstarkes“ Weichteillager: Ideale Voraussetzungen für knochenrekonstruktive Eingriffe
  • Mäßiges Weichteillager = „mäßig starkes“ Weichteillager: Mäßige Voraussetzungen für knochenrekonstruktive Eingriffe
  • Schlechtes Weichteillager = „ersatzschwaches“ Weichteillager: Schlechte Voraussetzungen für knochenrekonstruktive Eingriffe

Arten der Knochenrekonstruktion

Abhängig von Größe und Lokalisation des Knochendefektes reicht die Palette der Maßnahmen zur Rekonstruktion von der Spongiosaplastik (die nach eigener Auffassung allogenen Knochenersatzstoffen vorzuziehen ist) bis hin zum mikrovaskularisierten Knochenspan. Ebenso wie in der Sanierungsphase spielt auch in der Rekonstruktionsphase die Stabilität des Knochens eine zentrale Rolle.

In der Praxis reduziert sich die Anzahl jedoch auf zwei wesentliche Vorgehensweisen:

  • Spongiosaplastik
  • Segmenttransport

Die anzuwendende Technik wird direkt durch den Knochendefekt determiniert.

Semidiaphysärer Knochendefekt, kleine diaphysäre Defekte

Semidiaphysäre Defekte und diaphysäre Defekte unter 3–4 cm sind die Domäne der Spongiosaplastik. Als günstig hat sich die Kombination mit Knochenwachstumsfaktoren und oder Antibiotikachips erwiesen [2], [7], [10]. Letzten Endes differieren die Literaturangaben zu den Grenzen der Anwendbarkeit der Spongiosaplastik [8]. Allogenes Material sollte, im Gegensatz zum Vorgehen beim nicht infizierten Knochen, nicht zur Anwendung kommen.

Größerer diaphysärer Knochendefekt

Einigkeit herrscht in der Literatur, dass größere diaphysäre Knochendefekte mittels Segmenttransport rekonstruiert werden können. Diese auf den Untersuchungen von Ilizarov basierende Vorgehensweise lässt technisch eine Reihe verschiedener Vorgehensweisen zu:

  • Klassischer Transport über einen Fixateur externe (unilaterale Montage, Ringfixateure, Hybridfixateure usw.)
  • Anwendung von Hybridverfahren (Kombination von z.B. Fixateur externe und intramedullärem Kraftträger)

Auch die Transportmontagen bieten unterschiedliche Möglichkeiten:

  • Segmenttransport über Schanzschrauben. Sie bieten neben dem Vorteil einer leichten Handhabung die Möglichkeit technisch einfacher Revisionsmöglichkeiten bei Transportproblemen. Nachteilig ist die Tatsache, dass sie sich beim Transport quasi durch die Weichteile schneiden müssen.
  • Segmenttransport über Seilzüge. Im Hybridverfahren angewandt bieten sie den Vorteil kleiner Transportmontagen. Weiterhin schneiden sie sich beim Transport nicht durch die Weichteile. Im Falle des Seilzugausrisses am Knochen sind die zu ergreifenden notwendigen Maßnahmen jedoch aufwendiger als beim Transport über Schanzschrauben.

Die profunde Kenntnis der biologische Abläufe bei der Knochenneubildung im Rahmen des Segmenttransportes sind Basiswissen für den Anwender dieser Techniken. Kurz zusammengefasst lauten die Regeln wie folgt:

  • Etablierung des Transportsegmentes mittels Knochendurchtrennung möglichst weit entfernt vom ehemaligen Infektherd an einem Ort mit ersatzstarkem Weichteillager.
  • Die Art der Knochendurchtrennung (Kortikotomie oder Osteotomie) scheint in Bezug auf die Methode (Meißel oder oszillierende Säge) von untergeordneter Bedeutung.
  • Hitzeentwicklung an der Stelle der Knochendurchtrennung ist aufgrund der dadurch entstehenden Mikronekrosen absolut zu vermeiden. Insofern wird der Knochen mit dem Meißel durchtrennt.
  • Größe des Transportsegmentes möglichst nicht <5 cm
  • Beginn des Segmenttransportes ca. 7 Tage nach der ....tomie
  • Transportgeschwindigkeit 1 mm/Tag in 4 Portionen
  • Docking entweder in Form des Kompressionsdockings oder mit additiver Osteosynthese.

Weichteilrekonstruktion

Entscheidend für die Wiederherstellung des Weichteilmantels sind Defektgröße, Tiefenausdehnung und Lokalisation. Die Auswahl der zahlreichen zur Verfügung stehenden Methoden wird auch durch einen vorgesehenen knöchernen Wiederaufbau bestimmt. Da es sich wie weiter oben erwähnt um eine eher seltene Verletzungsentität handelt gibt es bislang noch keinen „Goldstandard“ der in Frage kommenden Deckungsmöglichkeiten. Letztendlich spielen Erfahrung der Operateure und die individuelle Gesamtsituation des Patienten [3] eine nicht zu unterschätzende Rolle in der Wahl der Therapieverfahren (Abbildung 2 [Abb. 2]).

Die chirurgischen Maßnahmen reichen dabei von der Meshgraft-Plastik bis hin zu ausgedehnten mikrovaskularisierten Muskellappen. Nach Heppert ist die Methode der Weichteilrekonstruktion von folgenden Kriterien abhängig [5]:

  • Geplante oder vorhandene Osteosynthese
  • Lokalisation und Ausmaß des Weichteildefektes
  • Durchblutungssituation
  • Compliance des Patienten

Die Planung der Weichteilrekonstruktion zum frühest möglichen Zeitpunkt (ggfls. gemeinsames Vorgehen von PC und UC bereits beim ersten Revisonseingriff) ist zwingend notwendig. Nur so ist gewährleistet, dass ein gemeinsames Revisions- und Rekonstruktionskonzept für Knochen und Weichteile generiert wird. So wird beispielsweise dem Problem der Behinderung der plastischen Weichteildeckung durch störende Fixateurmontagen begegnet.


Fazit

  • Die Kenntnis der 3 Säulen der Therapie ist die Basis für die erfolgreiche Behandlung von Knocheninfekten [14]:
    • Chirurgie
    • Antibiotika
    • Adjuvantien
  • Die chirurgische Infektsanierung ist die Grundlage der Behandlung.
  • Insuffiziente Chirurgie wird nicht durch den Einsatz von Antibiotika und adjuvanten Maßnahmen ausgeglichen
  • Kenntnis und Beachtung des Therapie Workflows ist unabdingbar
    • Schritt 1: Infektberuhigung an Knochen und Weichteilen
    • Schritt 2: Weichteilrekonstruktion
    • Schritt 3 (individuell überlappend mit Schritt 2): Knochenrekonstruktion

Abkürzungsverzeichnis

CT – Computertomographie

ggfls. – gegebenenfalls

max. – maximal

mgl. – möglich

MRT – Magnetresonaztomographie

n-mgl. – nicht möglich

PC – plastische Chirurgie

PET-CT – Positronenemissionstomographie-CT

UC – Unfallchirurgie

WT-Defekt – Weichteildefekt


Anmerkung

Interessenkonflikte

Der Autor erklärt, dass er keine Interessenkonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel hat.


Literatur

1.
Bühler M, Engelhardt M, Schmidt HGK. Septische postoperative Komplikationen. Wien/New York: Springer; 2003. p. 174-86.
2.
Dereka XE, Markopoulou CE, Mamalis A, Pepelassi E, Vrotsos IA. Time- and dose-dependent mitogenic effect of basic fibroblast growth factor combined with different bone graft materials: an in vitro study. Clin Oral Implants Res. 2006 Oct;17(5):554-9. DOI: 10.1111/j.1600-0501.2006.01262.x Externer Link
3.
El-Shazly M, Yassin O, Kamal A, Makboul M, Gherardini G. Soft tissue defects of the heel: a surgical reconstruction algorithm based on a retrospective cohort study. J Foot Ankle Surg. 2008 Mar-Apr;47(2):145-52. DOI: 10.1053/j.jfas.2007.12.010 Externer Link
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