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43. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen e. V. (DGPRÄC), 17. Jahrestagung der Vereinigung der Deutschen Ästhetisch-Plastischen Chirurgen e. V. (VDÄPC)

13.09. - 15.09.2012, Bremen

Verantwortlichkeit des Chirurgen zur Menschlichkeit und Interdiziplinarität

Meeting Abstract

  • presenting/speaker M.R.G. Naik - Elbe Kliniken Stade Buxtehude, Hand-, Ästhetische und Plastische Chirurgie (HÄP), Stade, Germany
  • F. Biber - Elbe Kliniken Stade Buxtehude, Hand-, Ästhetische und Plastische Chirurgie (HÄP), Stade, Germany
  • J. Franke - Elbe Kliniken Stade Buxtehude, Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie, Stade, Germany
  • B. Helmke - Elbe Kliniken Stade Buxtehude, Institut für Pathologie, Stade, Germany
  • R. Riemann - Elbe Kliniken Stade Buxtehude, Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Stade, Germany

Deutsche Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen. Vereinigung der Deutschen Ästhetisch-Plastischen Chirurgen. 43. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen (DGPRÄC), 17. Jahrestagung der Vereinigung der Deutschen Ästhetisch-Plastischen Chirurgen (VDÄPC). Bremen, 13.-15.09.2012. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2012. DocFTIP11

doi: 10.3205/12dgpraec140, urn:nbn:de:0183-12dgpraec1402

Published: September 10, 2012

© 2012 Naik et al.
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Text

Einleitung: „Nichts Menschliches ist uns fremd" als Mediziner. Immer wieder stossen wir allerdings auf Kuriositäten, die hinterfragen lassen, wie es zu manchen Krankheitsverläufen kommt und wer dafür verantwortlich ist. Exulzerierte Tumore der Brustwand, die konservativ gepflegt werden und von Patientinnen mit dem Mechanismus der Verdrängung unter der Kleidung verheimlicht werden, sind selten geworden in unserer aufgeklärten Gesellschaft. Dennoch begegnen uns in der Plastischen Chirurgie gehäuft z. B. fortgeschrittene Mammkarzinome zur Brustwandteilresektion und -rekonstruktion. Was ist aber mit den Menschen, die ihr Stigma nicht verheimlichen und nicht unter der Kleidung verbergen können und die pathologische Veränderung offensichtlich im Gesicht für jeden sichtbar mit sich tragen? Wie erklären sich Verläufe dieser Art bis zur funktionell behindernden Wucherung über lange Zeiträume?

Am Beispiel von zwei Patientinnen möchten wir eine Brücke schlagen zur Interdisziplinarität im Sinne der Menschlichkeit.

Kasuistik: Fall 1) bei einer 80-jähringen Patientin, die biologisch und geistig in einem etwa 10–15 Jahre jüngeren Zustand lebt, besteht seit etwa 8 - 10 Jahren das progrediente Wachstum eines ausgedehnten, exophytischen, teils ulzerierten Tumors im Bereich der linken Oberlippe. Aus Angst hatte die Patientin bislang jegliche operative Maßnahme abgelehnt. Ein noduläres Basaliom drückt mit seinem Ausmaß von 4 cm x 4 cm auf die Oberlippe an die vordere Zahnreihe. Die Patientin geniert sich, das Haus zu verlassen. Sie lebt gemeinsam mit ihrem Ehemann und wird von den Kindern versorgt. Durch einen Sturz auf die Hüfte erleidet sie eine Schenkelhalsfraktur und wird ins Krankenhaus gebracht. Der Unfallchirurg erkennt den Befund an der Oberlippe und veranlasst die Konsultation des Plastischen Chirurgen. Unter den genannten Umständen kann schließlich das Vertrauen der Patientin gewonnen werden und die R0-Tumorresektion mit primärer Oberlippenrekonstruktion sowie der Hüftgelenkersatz im selben Aufenthalt realisiert werden.

Fall 2) 44jährige Patientin, allein erziehend, seit 17Jahren vormundschaftlich von der Freundin betreut, aufgrund sozialer Überforderung, weist einen Unterlippentumor von 8 cm x 4 cm x 3 cm auf. Der Speisebrei und Speichel laufen aus den Mundwinkeln. Der Foetor des zerfallenden Tumors veranlasst den Hausarzt schließlich zur Einweisung beim HNO-Arzt. Dieser führt die Probeexzision durch, die ein verrucöses Plattenepithelkarzinom nachweisen lässt. Unter Konsultation des Plastischen Chirurgen findet die R0-Resektion bei Opferung der Unterlippe zu 95% statt. Die Unterlippenrekonstruktion erfolgt mit modifiziertem beidseitigem Fujimori Gate-flap und die Vermillion-Rekonstruktion durch einen ventralen Tongue-flap. Auch an der rechten Oberlippe, wo ein weiterer gleichartiger differenzierter Tumor vorlag, kann die R0-Resektion der zur Hälfte resezierten Oberlippe mit bilateralem Oberlippen-Vorschublappen realisiert werden.

Die Klinik für Psychiatrie wurde nun hinzugezogen und arbeitet mit dem Betreuungsgericht die Situation auf.

Ergebnisse: Beide Patientinnen sind sozial reintegriert und die soziale Umgebung nimmt die positive Wesensveränderung wahr. In unserer Verantwortung als Chirurgen und Ärzte erkennen wir den Kontext der Krankheitsgeschichte und bemühen uns auch die Situation des Patienten wahrzunehmen und verbinden unser gemeinsames Können im Dienste für unsere Patienten. Das Wahrnehmen der benachbarten Fachdisziplinen und der Verzicht auf Berührungsangst vor dem Kollegen lassen das gemeinsame Potential zur Patientenversorgung wachsen. Der effektive interdisziplinäre Schulterschluß unter Ausblendung der eigenen Eitelkeiten lassen den Verdienst für die gesamte Klinik durch das menschliche Handeln zum Erfolg für das Unternehmen werden.