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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Multiprofessionelle Ausbildung im Medizinstudium: Konzepte, Begründungen und Ergebnisse am Beispiel des Unterrichtsprojekts MESOP*

Multiprofessional training in medical education: concepts, rationals and results of the teaching projekt MESOP*

Projekt Humanmedizin

  • corresponding author Ulrich Stößel - Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Medizinische Fakultät, Abteilung für Medizinische Soziologie, Freiburg, Deutschland
  • author Karl Kälble - Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Medizinische Fakultät, Abteilung für Medizinische Soziologie, Freiburg, Deutschland
  • author Lotte Kaba-Schönstein - Fachhochschule Esslingen, Hochschule für Sozialwesen, Esslingen, Deutschland

GMS Z Med Ausbild 2006;23(2):Doc34

The electronic version of this article is the complete one and can be found online at: http://www.egms.de/en/journals/zma/2006-23/zma000253.shtml

Received: December 13, 2005
Published: May 15, 2006

© 2006 Stößel et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution License (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.en). You are free: to Share – to copy, distribute and transmit the work, provided the original author and source are credited.


Zusammenfassung

Das Projekt MESOP - Interdisziplinäre Kooperation im Gesundheitswesen (Medizin, Soziale Arbeit, Pflege), das vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg von 1997-2000 gefördert wurde, diente u.a. der Entwicklung und Erprobung neuer Lehr- und Lernformen für Gesundheits- und Sozialberufe.

Anknüpfend an eine Analyse bisheriger vergleichbarer Unterrichtsvorhaben und begriffliche Klärungen, die angesichts der Vielzahl der Begriffsverwendungen notwendig erscheinen, beschreibt der Beitrag ein hochschulübergreifend angelegtes Unterrichtskonzept, in dem Studierende der Humanmedizin aus der Universität Freiburg (n=59)gemeinsam mit Studierenden der Sozialen Arbeit aus der Hochschule Esslingen, Fachhochhochschule für Sozialwesen (n=61) in mehreren Unterrichtsveranstaltungen zusammengeführt wurden, in denen das Thema der interdisziplinären Kooperation in den Gesundheitsberufen behandelt wurde.

Der Beitrag beschreibt die über mehrere Jahre entwickelte Unterrichtskonzeption und das Design der Evaluation dieser Veranstaltungen, das sich wesentlich auf eine standardisierte Erhebung mittels Fragebogen stützte. Ergänzend wurde am Ende der Blockveranstaltungen zunächst eine getrennt nach Studiengruppen, dann gemeinsame diskursive Abschlußevaluation durchgeführt. Die ausführliche Beschreibung und Interpretation der Ergebnisse lassen wegen der besonderen Rahmenbedingungen der Veranstaltung noch keine vorschnellen Verallgemeinerungen zur Übertragbarkeit des Konzepts in die Routine zu. Sie liefern gleichwohl die Erkenntnis, dass auch aus Sicht der Studierenden ein erkennbarer Bedarf an unterrichtlicher Beschäftigung mit dem Thema der interdisziplinären Kooperation der Gesundheitsberufe gewünscht wird.

Dazu erscheint es unerlässlich, dass die jeweiligen Berufs- bzw. Studierendengruppen mehr Wissen über das professionelle Feld des anderen erfahren und in gemeinsamen Übungen Formen der Kooperation praktisch erproben.

Schlüsselwörter: Interdisziplinarität, multiprofessionelle Ausbildung, Kooperation der Gesundheitsberufe, Unterrichtsforschung

Abstract

The MESOP-project - Intredisciplinary cooperation in the health care system (Medicne, Social work, Nursery), which was funded by the ministery for science, research and arts of the Land Baden-Wuerttemberg for the years 1997-2000 aimed amongst others at the development and proving of new teaching and learning modules for health care and social professions.

Based on an analysis of comparable former teaching efforts and giving some disambiguation for the terms interdisciplinarity and multiproessionality, this article describes a teaching project which was designed across the borders of the participating universities. Together students from medical faculty of the university of Freiburg (n=59) and students from the university of applied sciences for social work of Esslingen (n=61) took part in several weekend seminaries, which focussed the topic of interdisciplinary cooperation in the health care and social welfare system.

The contribution describes the development of this teaching concept during several years of proving and the design of the evaluation process and instruments, which mainly was based on standardised questionnaires and an additional open discussion. The detailed report about the results of the evaluation and their interpretation do not allow to jump to conclusions concerning the transfer into regular teaching practice. But it gets obvious that students from both faculty claim for the integration of this topic into their education.

Therefore it seems to be necessary to strengthen the knowledge about other health professionals and to give the possibility of practical exercises for cooperation

Keywords: interdisciplinarity, multiprofesional education, cooperation in the health care professions, research in medical education


Einleitung

"Patient needs are interdisciplinary, and improving health care is an interdisciplinary effort. Working as part of an interdisciplinary team to provide and improve health care is a skill; like other skills it is best learned during training, not after" [9].

Nichts desto trotz wird eine patientenorientierte berufsgruppenübergreifende Zusammenarbeit in der Ausbildung der Gesundheitsberufe, der Sozialberufe im Gesundheitswesen sowie der Medizin in Deutschland, wenn überhaupt, nur marginal thematisiert [11]. Auch die hoch arbeitsteilig organisierte Praxis der Gesundheitsversorgung ist nach wie vor mehr durch die Abgrenzung der Berufsgruppen als durch die Zusammenarbeit geprägt [7]. Aktuell gewinnt das Thema "interdisziplinäre Kooperation" im Gesundheitswesen jedoch zunehmende Bedeutung, insbesondere im Kontext der Diskussionen um eine integrierte und bedarfsgerechte Gesundheitsversorgung.

Was in den angelsächsischen und skandinavischen Ländern [20] [8] [1], bei der WHO und anderen ausbildungsverantwortlichen Institutionen im Ausland schon seit längerer Zeit - und seit neustem z.B. auch an der Universität Zürich [17] - fokussiert wird, hat erst mit der Verabschiedung der neuen Approbationsordnung für Ärzte im Jahre 2002 auch in Deutschland die Aufmerksamkeit gefunden, die diesem Thema angesichts der Bedeutung von Interdisziplinarität und Multiprofessionalität für die ärztliche Ausbildung gebührt. Eine im Jahre 2002 von Jungbauer [10] durchgeführte Absolventenbefragung bei n=671 Medizinstudierenden mit abgeschlossenem 3. Staatsexamen [10] weist einerseits nach, dass die Studierenden soziale Kompetenzen und die Fähigkeit zur Arbeitsorganisation für notwendig halten. Zudem halten immerhin zwei Drittel der Befragten Teamwork und interdisziplinäre Denkweisen mit für die wichtigsten Fähigkeiten im Arztberuf. Andererseits beklagen sie aber nach Absolvierung des Studiums den Mangel an sozialen Kompetenzen und Fähigkeiten zum Teamwork und zu einer interdisziplinären Sichtweise. Auch die GMA (Gesellschaft für Medizinische Ausbildung http://www.gesellschaft-medizinische-ausbildung.org) bietet zusehends ein Forum für die Aufnahme und Weiterführung der Diskussion in Deutschland.

Die neue, 2002 verabschiedete ärztliche Approbationsordnung (ÄAppO) weist vor dem Hintergrund solcher Kritik zu Recht auf der Zielebene eine Reihe von Orientierungsvorgaben auf, die hier kurz aufgeführt werden (siehe Tabelle 1 [Tab. 1]).

Die medizinischen Fakultäten werden damit stärker als in der Vergangenheit zu Anstrengungen aufgefordert, nicht lediglich rhetorisch das Konzept der interdisziplinären Kooperation und der es begründenden multiprofessionellen Ausbildung in den Gesundheitsberufen zu vertreten, sondern es praktisch im Ausbildungssetting zu erproben und nachhaltig in den Curricula zu verankern. Boelen [2] hat mit Rückblick auf Abraham Flexner's berühmten ‚Report for the advancement of teaching on medical education in the United States of America and Canada', den dieser bereits 1910 vorlegte, u.a. gefordert:

"A new paradigm of social accountability of medical schools: The concept of social accountability can be defined as the obligation of medical schools to direct their education, research and service activities towards adressing the priority health concerns of the community, region and/or nation they have the mandate to serve. The priority health concerns are to be identified jointly by governments, health care organizations, health professionals and the public" [2].

Neben der Vermittlung von klinisch relevantem Wissen und Fertigkeiten kommt es heute also mehr denn je darauf an, die Schlüsselkompetenzen in der ärztlichen Ausbildung zu vermitteln, die man nicht in Lehrplänen dekretieren kann, sondern die nur durch entdeckendes und übendes Lernen in der Praxis und an der Praxis möglich sind.

Die auch international noch wenig abgestimmte Terminologie kann im Moment noch nicht als theoretisch ausgereiftes und begründetes Modell angesehen werden, das einen einheitlichen Sprachgebrauch erlauben würde. Ob von multiprofessioneller, interprofessioneller, interdisziplinärer oder integrierter Ausbildung gesprochen wird, wird heute zumeist eher ausbildungspragmatisch denn theoretisch begründet verwendet. Gleichwohl erscheint es notwendig, neben den ausbildungspraktischen Bemühungen auch die theoretische Elaboration dieser verschiedenen Ansätze voranzutreiben.

Stand der Forschung

Es wäre verfrüht, von einem bereits weit entwickelten Forschungsfeld zu sprechen. Auch wenn einzelne Hochschulen im internationalen Raum so genannte Institute für interdisziplinäre Ausbildung unterhalten, ist die Forschungslandschaft in diesem Bereich eher noch bescheiden entwickelt. Einzelne Literaturstudien [20] [21] und Berichte [14] [6] [9] [4] [5] [3] [13] sowie Stellungnahmen [15] [16] weisen einerseits auf die noch weithin existierenden Barrieren einer multiprofessionellen Ausbildung hin oder benennen Voraussetzungen und Chancen einer solchen Kooperation als Ergebnis multiprofessionellen Lernens (siehe Tabelle 2 [Tab. 2]).

Dabei sind es im Kern vier zentrale Aspekte interprofessioneller Zusammenarbeit, die nach Finch [5]das Lernkonzept begründen sollten:

- über andere Berufsrollen Bescheid wissen

- mit klar definierten Rollen in Teams mit anderen Professionen zusammenarbeiten

- Rollen übernehmen, die traditionellerweise von anderen ausgeübt werden

- sich flexibel in Berufslaufbahnen bewegen

So ermutigend und plausibel all diese Überlegungen auch wirken, sie sollten bei curricularen Überlegungen aber auch davor schützen, die Barrieren, die einem solchen Lernansatz aus der Kooperationserfahrung heraus entgegen stehen könnten, nicht außer acht zu lassen, wie Gardner [6] in ihrer Zusammenstellung (siehe Tabelle 3 [Tab. 3]) deutlich werden lassen.

Die bisherigen Forschungsergebnisse erlauben noch nicht, von einer konsistenten Theorie interdisziplinärer Kooperation in den Gesundheitsberufen zu sprechen, für die man bereits empirisch überprüfbare Hypothesen bilden könnte. Wenn ein wesentliches Ziel solcher Unterrichtsbemühungen seine Wirkung eigentlich erst in der späteren Berufstätigkeit entfalten soll, so entzieht sich die Wirkungsmessung auch einer Evaluation, die am Ende einer Unterrichtsveranstaltung ‚Effekte' messen will. Entsprechend war es nicht die primäre Absicht des hier vorgestellten Projektes, Kompetenzen für die erfolgreiche interdisziplinäre Kooperation zu vermitteln, sondern vor allem das Bewusstsein von dessen Notwendigkeit zu schärfen. Vor diesem Hintergrund eines theoretisch noch nicht hinreichend elaborierten Handlungszusammenhanges verstehen sich die nachfolgenden Ausführungen zu unserem Unterrichtskonzept und dessen Evaluation.

Das Konzept des hochschulübergreifenden Unterrichts- und Forschungsprojekts MESOP - Interdisziplinäre Kooperation im Gesundheitswesen - Medizin, Soziale Arbeit, Pflege

Vor dem Hintergrund der einleitend geschilderten Rahmenbedingungen multiprofessionellen Lernens und der angezielten Kooperationswünsche wurde mit Unterstützung des Ministeriums für Wissenschaft und Kunst Baden-Württemberg in den Jahren 1997-2000 im Rahmen des Forschungsprogrammes "Zukunftsoffensive Junge Generation" ein Kooperationsprojekt durchgeführt, an dem sich die FH Esslingen - Hochschule für Sozialwesen, die Katholische Fachhochschule Freiburg und die Abteilung für Medizinische Soziologie der Universität Freiburg beteiligten [12]. Aus diesem Projekt werden hier die Ergebnisse der gemeinsamen Unterrichtsveranstaltungen mit Studierenden der Sozialen Arbeit der FH Esslingen und Studierenden der Medizin der Universität Freiburg vorgestellt, die regelmäßig bis 2004 durchgeführt wurden.

Seminarkonzeption und Durchführungsrahmen

In den bisherigen Ausführungen wurden die Voraussetzungen entwickelt, von denen ein Projekt ausgehen sollte, wenn es den Transfer der Analyse in die Ausbildungs- und Studienpraxis leisten will. Es war von Beginn an angezielt, dass die Analyse sich nicht auf die Feststellung kooperationsfördernder oder -hemmender Bedingungen interdisziplinärer Zusammenarbeit beschränkte, sondern dass versucht werden sollte, einen curricularen Rahmen für die Vermittlung dieser Kompetenzen zu schaffen.

Auf diese Weise wurde insbesondere zwischen der FH Esslingen und der Abteilung für Medizinische Soziologie der Universität Freiburg der Versuch unternommen, gemeinsame Unterrichts- und Lehrveranstaltungen für Studierende der Medizin und der Sozialen Arbeit zu konzipieren, zu erproben und zu evaluieren.

Die spätere Darstellung der Evaluationsergebnisse stützt sich auf ein Veranstaltungs-Setting, das wie folgt charakterisiert werden kann: Beide beteiligten Hochschulen (Esslingen, Freiburg) luden getrennt voneinander Studierende ihrer Studiengänge durch schriftliche Bekanntmachung und anschließende Vorbesprechung zu diesem Seminar ein. Sowohl für die Esslinger wie für die Freiburger Studierenden hatte dieses Angebot Wahlpflichtcharakter: Es musste nicht speziell dieses Angebot gewählt werden, aber die Teilnehmer bekamen für den Besuch und die aktive Teilnahme einen Leistungsschein. Inwieweit dieses Verfahren einen Auswahlfilter bedeutet (nur 'Hoch'-Motivierte melden sich an), muss für Medizinstudierende (im Folgenden MES abgekürzt) anders als für Sozialarbeitsstudierende (im Folgenden SOS abgekürzt) beantwortet werden: MES sind pragmatischer in der Auswahl ihrer Angebote (auch wegen der 'Passfähigkeit' mit dem Reststundenplan), SOS wählen eine solche Veranstaltung wohl stärker auch aus Interesse am Thema.

Für beide Gruppen wurde für vorteilhaft gehalten, das Seminar an einem Ort außerhalb beider Hochschulen abzuhalten (nach Möglichkeit geographisch in der Mitte) und bewusst ein Wochenende als Seminarzeitraum anzusetzen. Dies brachte es mit sich, dass eine Tagungsstätte angemietet werden musste, die von der gemeinsamen Seminargruppe selbst bewirtschaftet wurde. Verständlicherweise erfüllte dieses Setting auch hinsichtlich sozialer Lernprozesse in der Gruppe eine gewisse Funktion im Sinne eines 'hidden curriculum'.

Folgender Seminarrahmen schälte sich nach mehrjähriger Erprobung und Weiterentwicklung heraus. Nach der Ankunft am Freitagnachmittag wurde in einem ersten Block seitens der Veranstalter zunächst eine Einführung in Ziele, Zwecke und Formen des Seminars gegeben. Dieser Einführung schloss sich eine Vorstellungsrunde an, bei der die Studierenden jeweils einen Studierenden des anderen Faches im Paarinterview befragten und anschließend in der gemeinsamen Vorstellungsrunde vorstellten. Diese Runde schloss mit der Vorstellung der Dozenten, von denen in der Regel zwei aus der Abteilung für Medizinische Soziologie kamen und eine aus der FH Esslingen. Bei dieser Gelegenheit wurden dann auch die Vorerfahrungen und Erwartungen der Teilnehmer diskutiert und einige Regeln für die Seminararbeit festgelegt. Nach dem Abendessen folgte in der Regel noch ein Informationsinput seitens der Dozenten über Kontexte und Formen der Kooperation von Medizin und Sozialer Arbeit im Gesundheitswesen, in dem u.a. über Fallkonferenzen, Settingkonferenzen, Teams, Sozialvisiten, geriatrisches Konzil, Gesundheits- und Qualitätszirkel, Arbeitskreise etc. informiert wurde.

Den Beginn des Seminartages am Samstag markierte in der Regel ein Praxisbeispiel, für das wir eine Kliniksozialarbeiterin aus der Kinder- und Jugendpsychiatrie des Universitätsklinikums Freiburg gewinnen konnten. Sie referierte nicht nur, sondern veranschaulichte an ihrer Tätigkeit, was z.B. Case-Management als typisches sozialarbeiterisches Handlungsfeld mit zahlreichen Kooperationsbeziehungen in praxi bedeutet.

Den zweiten Teil des Vormittags füllte dann eine Aufgabe aus, die von den Studierenden der Sozialen Arbeit und der Medizin getrennt zu bewältigen war: In einem Dreier-Schritt sollten jeweils

1) die Struktur und Kennzeichen der jeweiligen Studiengänge,

2) die Berufsbilder in Medizin und Sozialer Arbeit und

3) das Selbst- und Fremdbild der eigenen Profession

herausgearbeitet und vorgestellt werden. Die Ergebnisse dieser Gruppenarbeit wurden dann im Plenum vorgestellt, Informationen nachgefragt und dahinter stehende Einstellungen und Werthaltungen diskutiert.

Es folgte dann im ersten Nachmittagsblock eine Einführung, in der die Begriffe Interdisziplinarität und Kooperation differenziert ausgeleuchtet und auf ihre Bedeutung für wissenschaftliche und berufspraktische Zwecke hinterfragt wurden.

Je nach Verfügbarkeit des zweiten externen 'Experten' für Kooperation, der aus dem ärztlichen Bereich stammte, wurde dessen Beitrag (vergleichbar dem Praxisbeitrag zur Sozialarbeit) entweder am Samstagnachmittag oder aber am Sonntagvormittag integriert. Entsprechend fiel dann das Kernelement des Seminars, die gemeinsame Vorbereitung und Einübung einer Fallkonferenz (meist zum Thema Kindesmisshandlung) entweder in den Samstag oder aber Sonntagvormittag.

Den Schluss des Seminars bildete eine Abschlussrunde, die auch die mündliche und schriftliche Evaluation des Seminars einbezog.

Neben den gemeinsamen Mahlzeiten und deren Vorbereitung bildeten auch ein bis zwei längere Spaziergänge den Rahmen für informelle Begegnungen und Gespräche der Studierenden über ihre Fachgrenzen hinweg.

Dieses Seminarkonzept wurde flexibel gehandhabt und je nach Informations- und Diskussionsbedarf auch abgewandelt. Gleichwohl bildeten die genannten Themenbereiche und Aufgaben das curriculare Gerüst der Seminare.


Methode und Evaluationskonzept

Auch wenn mit diesem Veranstaltungstyp 'Interdisziplinäre Seminare' bestimmte Ziele verfolgt wurden, sollte das Evaluationsinstrument auch Bewertungen erfassen, die partiell einen Vergleich mit anderen Unterrichtsveranstaltungen bei den MES ermöglichen sollten. Diese Absicht resultierte aus der Tatsache, dass an der Abteilung für Medizinische Soziologie seit mehr als 20 Jahren Unterrichtsevaluation geschieht und seit etwa sieben Jahren ein weitgehend standardisiertes Erhebungsinstrument (Fragebogen) benutzt wird. Dieser Bogen wurde für die Evaluation der interdisziplinäre Seminare adaptiert und ergänzt [19].

Auf diese Weise entstanden Themenbereiche für die Evaluation, wie sie hier zusammengefasst vorgestellt werden:

- Motivation zur Teilnahme (4 items) („Wie bewerten Sie die folgenden Aspekte für Ihre Motivation, an dieser Lehrveranstaltung teilzunehmen?" 7-polige Skala)

- Lerneffekt für Beruf, persönliche Entwicklung und spätere Kooperation (3 items) („Wieviel haben Sie in dieser Lehrveranstaltung gelernt?" 7-polige Skala)

- Vergleichsbewertung hinsichtlich anderer Veranstaltungen im Studium (3 items) („Wie bewerten Sie diese Lehrveranstaltung im Vergleich zu den anderen Unterrichtsangeboten in Ihrem Studium?" Verhältnisskala von -3=geringer bis +3=höher)

- Qualitätsbewertung einzelner Veranstaltungsaspekte (8 items) („Wie bewerten Sie die Qualität dieser Lehrveranstaltung?" 7-polige Skala)

- Zusammenfassende Bewertung (1 item) („Wenn jüngere Studierende Sie nach ihrer meinung fragen würden, wie würden Sie diese Lehrveranstaltung zusammenfassend bewerten?" 7-polige Skala).

Daneben wurden einige Fragen mit der Möglichkeit zur freien Antwort gestellt (7 Fragen), um auch Hintergründe und besondere Aspekte des erlebten Geschehens zu erfassen. Einige soziodemografische Angaben (Semesterzahl, Studienfach, Alter, Geschlecht) dienten Vergleichszwecken innerhalb und zwischen den Studierendenkollektiven. Da die Items der geschlossenen Fragen zunächst in eher explorativer Absicht zur Untersuchung dieses spezifischen Unterrichtsansatzes eingesetzt wurden, wurde auf eine Skalenbildung verzichtet.

An der Evaluation nahmen alle Studierenden der Seminare teil, so dass ein 100%-Rücklauf gegeben war.

Der eher explorativen Auswertungsabsicht entspricht auch die zunächst noch ohne eindeutige Hypothesenleitung vorgenommene geschlechtsspezifische Darstellung der Ergebnisse. Die grundlegende Annahme, daß weibliche Studierende beider Professionen unterschiedliche Geschlechtsrollenstereotype in ihren Grundhaltungen in diesem Bereich erkennen lassen, wird zwar durch Ergebnisse der Sozialisationsforschung im Studium in gewisser Weise nahegelegt, erschein uns aber für Forschungszwecke noch nicht hinreichend elaboriert und operationalisiert.


Ergebnisse

Zusammensetzung der Seminare

Insgesamt nahmen an den Seminaren, die auch zur Entwicklung des Seminarkonzepts teilweise in "monodisziplinärer" Form (also ausschließlich mit einer Gruppe Medizinstudierender) durchgeführt wurden, knapp 200 Studierende teil. Die "monodisziplinären" Seminare werden in die Darstellung der Evaluationsergebnisse jedoch nicht einbezogen, weil sie in einem anderen Setting stattfanden und nur bedingt vergleichbar sind (z.B. wegen des Einbezugs von Reha-Einrichtungen). Die Zahl der berücksichtigten Befragten beläuft sich demnach auf n=120 Studierende.

In der Tabelle 4 [Tab. 4] sind einige Kennwerte zur Charakterisierung der beiden Populationen aufgeführt.

Die erkennbaren Eckdaten zu den Stichproben lassen einige Auffälligkeiten erkennen. Bei etwa gleich großen Teilnehmergruppen aus den beiden Studienbereichen ist das Kollektiv der SOS sehr viel stärker von Frauen beherrscht als bei den MES. Hierin spiegelt sich offenkundig der an Fachhochschulen generell höhere Anteil von Frauen gegenüber Männern, der bundesweit bei etwa 3:1 liegt, wider.

Auch die Altersunterschiede sind auffällig. Das für diesen Studienabschnitt typische Durchschnittsalter der MES liegt bei 24,8 Jahren und damit ziemlich genau 5 Jahre unter dem der SOS. Allerdings ist auch für die SOS, die häufiger als die MES vor Aufnahme des Studiums schon eine andere Berufsausbildung durchlaufen haben, ein solches Durchschnittsalter durchaus typisch. Auch ist die Altersbandbreite SOS mit 21-48 Jahren fast dreifach so groß wie die der MES.

Motivation zur Seminarteilnahme

Die Motivation zur Seminarteilnahme wurde mit 4 Items erfasst, die den Inhaltsbezug (Thema), die interdisziplinäre Zusammensetzung der Studierenden und der Dozenten sowie das Seminar-Setting betrafen. Alle Items wurden 7-polig ordinal skaliert (1='Motivation gering' bis 7='Motivation hoch').

Die Abbildung 1 [Abb. 1] stellt die Ergebnisse hierzu nach Geschlecht und Studierendengruppen getrennt vor. Zunächst fällt auf, dass die durch dass Seminarthema beeinflusste Motivation von den MES als deutlich weniger bedeutsam bewertet wird wie von den SOS und dies weitgehend unabhängig von der Geschlechtszugehörigkeit.

Ein relativ homogenes Bild bietet der Motivationsaspekt 'Setting' (mit leichter Präferenz bei den männlichen Studierenden), während die interdisziplinäre Zusammensetzung der Studierenden durch die SOS etwas stärker gewichtet wird als die interdisziplinäre Zusammensetzung der Dozenten, was lediglich von den weiblichen SOS stärker als motivationssteuernd betont wird.

Insgesamt kann man festhalten, dass die SOS eine höhere Motivation als die MES aufweisen und dass bei letzteren möglicherweise die Tatsache, dass sie mit ihrer Teilnahme den Leistungsnachweis für eine scheinpflichtige Veranstaltung (im Kurs Sozialmedizin) bekamen, eine nicht unwichtige Rolle spielte.

Seminarbewertung

Für die Bestimmung der Qualität des Seminars wurden insgesamt 8 Items benutzt, die Einschätzungen des Seminarprogramms, der Gruppengröße, des zeitlichen Rahmens (Wochenende), der verwendeten Lehr- und Lernmaterialien, der Lern- und Literaturempfehlungen, der Arbeitsformen (Referate, Gruppenarbeit, Fallkonferenz etc.), der eigenen Beteiligung im Seminar und der Praxisrelevanz verlangten. Auch für diese Skala wurden die Items von 1='gering' bis 7='hoch' gepolt, so dass für die Ergebnisdarstellung wieder Mittelwertverteilungen im Gruppenvergleich gewählt wurden.

Abbildung 2 [Abb. 2] (für die MES) und Abbildung 3 [Abb. 3] (für die SOS) liefern wieder eindrückliche Auffälligkeiten, aber auch Gemeinsamkeiten in der Bewertung der erlebten Seminardidaktik.

Der Blick auf die Gruppe der MES (siehe Abbildung 2 [Abb. 2]) lässt deutliche Schwankungen im Bewertungsverhalten sowohl in Bezug auf die Gesamtgruppe wie auch zwischen den beiden Gruppen weiblicher und männlicher Studierender erkennen. Am weitesten auseinander klaffen die Bewertungen zu den Lernempfehlungen und zum Seminarprogramm, wobei die Lernempfehlungen auch insgesamt die schlechteste Bewertung erzielen. Relativ homogen fällt die Bewertung bei den beiden Geschlechtergruppen hinsichtlich des Kriteriums Gruppengröße, zeitlicher Rahmen, Arbeitsformen, Eigenbeiträge und Lernmaterialien aus. Dies wird in der Zusammenschau mit den Ergebnissen der SOS (siehe Abbildung 3 [Abb. 3]) noch zu diskutieren sein.

Betrachtet man zunächst das Profil der Bewertungen der SOS für sich, so variieren auch innerhalb dieser Gruppe die Bewertungen zwischen den weiblichen und männlichen Studierenden erheblich, insbesondere beim Seminarprogramm und beim zeitlichen Rahmen. Auffälliger aber noch ist die Streuung der Urteile um den Mittelwert, was ein Indiz für ein recht inhomogenes Urteilsverhalten und damit auch für das Anlegen höchst unterschiedlicher Kriterien sein kann. Vor allem die Arbeitsformen werden von den männlichen SOS höchst unterschiedlich bewertet, so dass der Mittelwert hier ein nur bedingt aussagefähiger Wert ist. Ähnliches gilt sowohl für weibliche wie männliche Studierende hinsichtlich des Seminarprogramms, des zeitlichen Rahmens und der eingeschätzten Praxisrelevanz. Allerdings muss man berücksichtigen, dass die Gruppe der männlichen SOS in unserem Sample sehr klein ist (n=5).

Stellt man trotz der Unterschiede auch innerhalb der beiden Studienkollektive diese noch einmal in Form einer Rangreihe didaktischer Aspekte gegenüber, so ergibt sich ein Bild, das auch einige Unterschiede zwischen den Kollektiven offenbar werden lässt, die erklärungsbedürftig sind (Vgl. Abbildung 4 [Abb. 4]).

Die Bewertung driftet insgesamt bei den einzelnen Aspekten im MES-Kollektiv stärker auseinander als im SOS-Kollektiv. Während bei den SOS vor allem die Seminararbeitsformen und die Praxisrelevanz an erster Stelle kommen, rangiert bei den MES das Merkmal Gruppengröße vor dem Eigenbeitrag an vorderster Stelle. Auf den unteren Rangplätzen finden sich zwar in beiden Gruppen die gleichen Aspekte (Lernmaterialien und Literaturempfehlungen). Jedoch fallen gerade bei den MES diese beiden Aspekte in der Bewertung mit Abstand am schlechtesten aus. Es muss wohl offenkundig ein unterschiedlich sozialisierter Lernstil sein, der MES die Nützlichkeit von Lernmaterialien und Literatur unter anderen Kriterien bewerten lässt als die SOS. Dies schlug sich auch in dem von den Seminarleitern beobachtbaren unterschiedlichen Vorbereitungsverhalten beider Gruppen nieder: Die MES hatten in aller Regel sehr viel seltener in dem in der Vorbesprechung zum Seminar verteilten Reader gelesen als dies die SOS getan hatten.

Da Veranstaltungsbewertungen oft einen Vergleich mit anderen Veranstaltungen nicht erlauben, weil diese nicht mit dem gleichen Instrument untersucht wurden, haben wir in unserem Instrument die Vergleichsebene in folgender Weise einbezogen. Die Seminarteilnehmer sollten bewerten, ob diese konkrete Lehrveranstaltung im Vergleich zu anderen erlebten Lehrveranstaltungen hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Ausbildung, des Engagements der Lehrenden und der Qualität der Lehre geringer, gleich oder höher einzuschätzen sei (Skala von -3 bis +3) (vgl. Abbildung 5 [Abb. 5]).

Den größten Gleichklang weist die Bewertung des Engagements der Lehrenden aus. Hier sind beide Studienkollektive der Auffassung, dass die Lehrenden sich deutlich stärker zu engagieren scheinen als sie dies aus anderen Lehrveranstaltungen gewohnt sind. Auch die Qualität der Lehre in den MESOP-Seminaren wird als überdurchschnittlich erlebt, wenngleich hier die MES schon ein merklich zurückhaltenderes Urteil abgeben. Am augenfälligsten ist dies bei der Frage der Ausbildungsbedeutung. Hier vergeben die MES kaum noch eine überdurchschnittliche Bewertung gegenüber anderen Veranstaltungen ihres Studiums, so dass man sich fragen muss, welche Kriterien für Ausbildungsbedeutung dieses Urteil beeinflusst haben könnten. Wenn Kooperation mit anderen Berufsgruppen eher als 'Soft Skill' erlebt wird, die in ihrer Bedeutung hinter anderen vermittelten Fähigkeiten, Fertigkeiten, Haltungen und Wissen zurückstehen, so mag darin ein strukturelles Dilemma der ärztlichen Ausbildung sichtbar werden: Wichtig und bedeutsam ist das, was einen Studierenden erfolgreich (im Sinne des Bestehens von Prüfungen) die ärztliche Ausbildung absolvieren lässt. So gesehen ist ein solches Ergebnis plausibel, wenngleich nicht zufrieden stellend. Gleichwohl ist denkbar, dass eine solche Einschätzung nicht unmittelbar auf die Gesamtbewertung der MESOP-Seminare durchschlagen muss, wie wir später mit Ergebnissen korrelationsstatistischer Berechnungen noch zeigen wollen.

Zunächst möchten wir vorher noch ein Ergebnis einführen, das sich auf die zentrale Zielsetzung der Seminare bezieht: Über ein verbessertes Verständnis der Grundlagen von Kooperation und deren Umsetzung in verschiedenen Arbeitszusammenhängen sollte die Kooperationsbereitschaft zwischen den Berufsgruppen gefördert werden. Die Ergebnisse auf diese Frage sollen für beide Kollektive zunächst getrennt für die Geschlechtergruppen dargestellt werden, bevor sie einer längsschnittlichen Betrachtung unterzogen werden.

Das Antwortbild in Abbildung 6 [Abb. 6], getrennt für die Studienkollektive und Geschlecht, lässt bei den MES ein relativ homogenes Bild erscheinen, während es bei den SOS doch erhebliche geschlechtsspezifische Unterschiede gibt. Die größte Förderfunktion wird dem Seminar von den weiblichen SOS vor den weiblichen und männlichen MES zugesprochen. Am kritischsten sind die männlichen SOS, die aber, was immer wieder betont werden muss, ein sehr kleines Kollektiv unter den Seminarteilnehmern darstellten.

In Abbildung 7 [Abb. 7] zeigt sich ein etwas wellenförmiger Verlauf, der noch keine klaren Trends erkennen lässt. Während in den ersten Seminaren die SOS die fördernde Wirkung eher etwas kritischer beurteilten und beim 3. Seminar eine recht homogene Bewertung sichtbar wird, kehrte sich dieses Verhältnis zwischenzeitlich um, um beim vorerst letzten Seminar wieder die (in diesem Seminar aber nur sehr kleine) MES-Gruppe mit einem positiveren Ergebnis erscheinen zu lassen.

Zwischen dem subjektiv erlebten Lerneffekt und der eher allgemeineren Beurteilung der Kooperationsförderung besteht ein starker (signifikanter) Zusammenhang (Pearson's R=0.562; p<.000).

Dieses Ergebnis unterstreicht, dass die Studierenden, die für sich selbst einen positiven Lerneffekt im Seminar erlebt haben, diesen Effekt auch eher allgemein von solchen Seminaren erwarten.

In Abbildung 8 [Abb. 8] werden wir die Gesamturteile über die Seminare, getrennt für die Studierendenkollektive (nach Geschlecht) vorgestellt.

Grundsätzlich kann man eine gute bis sehr gute Gesamtbewertung der Seminare konstatieren (rund 60%). Eine Ausnahme machen eher die weiblichen MES, die signifikant häufiger als die anderen Teilkollektive nur zu einem 'eher gut' neigen. Es fällt allerdings schwer, bei insgesamt nur 5 Seminaren (mit unterschiedlicher Teilnehmerzusammensetzung) bereits von einem geschlechtsspezifischen Effekt zu sprechen. Eine Korrelationsanalyse für beide Teilkollektive mit Geschlechterdifferenzierung (vgl. Tabelle 5 [Tab. 5]) weist z.T. unterschiedlich starke Zusammenhänge aus.

In der Tabelle 6 [Tab. 6] sind die Korrelationen (Pearson R) für den Zusammenhang zwischen der Bewertung des Lerneffekts (in drei Dimensionen) und der Gesamtbewertung des Seminars für die Teilkollektive MES (männlich und weiblich) und SOS (männlich und weiblich) ausgewiesen.

Schon dieses Bild der bivariaten Korrelation zeigt einige Auffälligkeiten. Wenn man das zu kleine Kollektiv der männlichen SOS einmal unberücksichtigt lässt, so scheint die zusammenfassende Bewertung am stärksten bei den weiblichen SOS von den erlebten Lerneffekten abzuhängen. Klare Unterschiede werden für männliche und weibliche MES erkennbar. Lediglich die Variable ‚Für persönliche Entwicklung gelernt' korreliert in beiden Gruppen signifikant mit der Gesamtbewertung. Möglicherweise drückt sich hierin auch die insgesamt schlechtere Gesamtbewertung der weiblichen MES aus. Warum z.B. die männlichen MES und die weiblichen SOS hinsichtlich des Merkmals ‚Für die spätere Kooperation' gelernt die stärksten positiven Korrelationen mit der Gesamtbewertung zeigen, die weiblichen MES indes nicht, kann mit diesem Zahlenmaterial noch nicht näher überprüft werden.

Eine andere Darstellung wird mit der Tabelle 5 [Tab. 5] gewählt. Sie zeigt die Zusammenhangsmaße (ebenfalls als Koorelationskoeffizient Pearson R) für die eher veranstaltungsbezogenen Bewertungen ‚Programmqualität', ‚Gruppengröße', ‚zeitlicher Rahmen als Wochenendseminar', ‚Arbeitsformen', ‚Lernmaterialien', ‚Praxisrelevanz' mit der ‚zusammenfassenden Bewertung.

Das dabei sichtbar werdende Bild weist eine besondere Auffälligkeit auf: Das einzige Kollektiv, in dem mehrere signifikante Zusammenhänge zwischen der Gesamtbewertung und Einzelbewertungen sichtbar werden, ist das der männlichen MES. Dies betrifft, das Seminarprogramm, die Gruppengröße und die Arbeitsformen im Seminar. Die beiden Teilkollektive der MES sind es auch, bei denen der zeitliche Rahmen als Wochenendseminar einen signifikanten Zusammenhang mit der Gesamtbewertung ausweist.

Als abschließendes Ergebnis der mittels standardisierter Befragung erhobenen Bewertungen wird vorgestellt, wie sich die Kollektive hinsichtlich ihres Antwortverhaltens auf die Frage nach einer nochmaligen Teilnahme (siehe Abbildung 9 [Abb. 9]) an einem solchen Seminar äußern.

Das Ergebnis auf diese Frage bestätigt im Prinzip, was sich auch in den Teilauswertungen offenbarte: Den größten Gewinn haben offenkundig die männlichen MES und die weiblichen SOS aus diesem Seminar gezogen. Es muss vertieften Analysen vorbehalten bleiben, warum dies so ist und ob sich darin eine unterschiedliche Studiensozialisation verbirgt, die eine größere ‚Empfänglichkeit' für solche Seminarthemen und -formen mit sich bringt. Denkbar sind aber auch Selektionseffekte, die schon bei der Wahl dieses Seminars eine Rolle gespielt haben könnten (günstige zeitliche Lage am Wochenende ohne Störung des eigenen Stundenplanes unter der Woche).

In der Auswertung der offenen Fragen, die sich einerseits mit der Wichtigkeit des Themas ‚Kooperation' für die eigene Ausbildung, zum anderen mit den für zukünftige Veranstaltungen gewünschten Themenoptionen befassten, werden hier nur die bedeutsamsten Aspekte hervorgehoben. Eine ausführlichere Darstellung findet sich in Kaba-Schönstein et al. [12]

Die von den Teilnehmern unserer Seminare hervorgehobenen Aspekte der Kooperation benennen nicht prinzipiell neue Aspekte, sondern stellen die eher individuellen Gewichtungen der Teilnehmer dar. Kenntnisse der anderen Profession, Zuständigkeits- und Kompetenzfragen, Kooperationsformen, ethische Reflexionen, aber auch der Transfer des Gelernten in die Praxis und dessen vorherige Einübung werden immer wieder benannt. Damit decken diese Äußerungen zum größten Teil auch die Intentionen ab, die die Veranstalter mit ihren Lernzielen angestrebt haben.

Auch die Betrachtung des Ergebnisses, welche Themenangebote sich die Studierenden für die Zukunft wünschen würden, ließ eine große Bandbreite individueller Optionen erkennen, die sich teils auf den Einbezug anderer Einrichtungen, anderer Professionen, mehr Praxiselemente im Sinne des Kooperationsmanagements oder auch die rechtlichen Rahmenbedingungen bezogen.


Zusammenfassung

Die hier vorgenommenen Betrachtungen und Evaluationsergebnisse für einen Seminarzyklus, der einen Beobachtungszeitraum von 5 Seminaren mit jährlichem Abstand umschließt, lassen keine vorschnellen Verallgemeinerungen zu. Bei einer insgesamt recht positiven Bewertung dieses Angebots durch die Teilnehmer liefert das Ergebnismaterial dennoch zahlreiche Hinweise auf die Notwendigkeit der differenzierten Betrachtung. Gruppenunterschiede werden zum Teil zwischen den Studienkollektiven, zum Teil auch innerhalb der Studienkollektive sichtbar. Die Tatsache, dass insgesamt die weiblichen SOS und die männlichen MES diejenigen zu sein scheinen, die mehr von diesen Seminaren profitieren, sollte in zukünftigen Seminaren ggf. auch in der diskursiven Abschlussevaluation mit den Teilnehmern zur Sprache gebracht werden. Möglicherweise hilft dies zu erhellen, ob die beobachtbaren Unterschiede Effekte sind, die vom Seminar selbst ausgehen oder aber eher vorgängige Einstellungsmuster repräsentieren, auf deren Folie sich die (Vor-) Urteile über die Kooperation zwischen den Gesundheitsberufen abbilden.


Anmerkung

* Das Projekt MESOP - Interdisziplinäre Kooperation im Gesundheitswesen (Medizin, Soziale Arbeit, Pflege), das vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg von 1997-2000 gefördert wurde, diente u.a. der Entwicklung und Erprobung neuer Lehr- und Lernformen für Gesundheits- und Sozialberufe.


Literatur

1.
Barr H. Interprofessional education: 1997-2000. A Review. United Kingdom Central Council of Nursing, Midwifery and health Visiting. 2000. Zugänglich unter: http://www.caipe.org.uk/documents.html.
2.
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