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GMS Hygiene and Infection Control

Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH)

ISSN 2196-5226

Chancen und Perspektiven der Plasmamedizin durch Anwendung von gewebekompatiblen Atmosphärendruckplasmen (Tissue Tolerable Plasmas, TTP)

Chances and perspectives of the plasma medicine by use of Tissue Tolerable Plasma (TTP)

Originalarbeit

  • corresponding author Axel Kramer - Institut für Hygiene und Umweltmedizin der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, Deutschland
  • author Nils-Olaf Hübner - Institut für Hygiene und Umweltmedizin der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, Deutschland
  • Ojan Assadian - Klinisches Institut für Hygiene und Medizinische Mikrobiologie, Medizinische Universität Wien, Österreich
  • Harald Below - Institut für Hygiene und Umweltmedizin der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, Deutschland
  • Claudia Bender - Institut für Hygiene und Umweltmedizin der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, Deutschland
  • Hicham Benkhai - Institut für Hygiene und Umweltmedizin der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, Deutschland
  • Barbara Bröker - Institut für Immunologie und Transfusionsmedizin, Abteilung Immunologie der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, Deutschland
  • Axel Ekkernkamp - Zentrum für Schwerbrandverletzte mit Plastischer Chirurgie, Unfallkrankenhaus Berlin, Deutschland; Abteilung für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, Deutschland
  • Werner Eisenbeiß - Klinik für Plastische Chirurgie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Lübeck, Deutschland
  • Aylin Hammann - Institut für Hygiene und Umweltmedizin der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, Deutschland
  • Bernd Hartmann - Zentrum für Schwerbrandverletzte mit Plastischer Chirurgie, Unfallkrankenhaus Berlin, Deutschland
  • Claus-Dieter Heidecke - Klinik und Poliklinik für Chirurgie, Abt. für Allgemeine Chirurgie, Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, Deutschland
  • Peter Hinz - Abteilung für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, Deutschland
  • Ina Koban - Poliklinik für Zahnerhaltung, Parodontologie und Endodontologie am Zentrum für Zahn-, Mund und Kieferheilkunde der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, Deutschland
  • Stefan Koch - Institut für Pathologie, HELIOS Klinikum Bad Saarow, Deutschland
  • Thomas Kocher - Poliklinik für Zahnerhaltung, Parodontologie und Endodontologie am Zentrum für Zahn-, Mund und Kieferheilkunde der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, Deutschland
  • Jürgen Lademann - Zentrum für Angewandte Hautphysiologie an der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, Charité - Universitätsmedizin Berlin Campus Charité, Deutschland
  • Olaf Lademann - Zentrum für Angewandte Hautphysiologie an der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, Charité - Universitätsmedizin Berlin Campus Charité, Deutschland
  • Markus M. Lerch - Klinik für Innere Medizin A, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, Deutschland
  • Stefan Maier - Klinik und Poliklinik für Chirurgie, Abt. für Allgemeine Chirurgie, Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, Deutschland
  • Rutger Matthes - Institut für Hygiene und Umweltmedizin der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, Deutschland
  • Gerald Müller - Institut für Hygiene und Umweltmedizin der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, Deutschland
  • Ivo Partecke - Klinik und Poliklinik für Chirurgie, Abt. für Allgemeine Chirurgie, Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, Deutschland
  • Claudia Rändler - Institut für Hygiene und Umweltmedizin der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, Deutschland
  • Klaus-Dieter Weltmann - Leibnitz Institut für Plasmaforschung und Technologie (INP Greifswald), Greifswald, Deutschland
  • Marek Zygmunt - Klinik und Poliklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, Deutschland

GMS Krankenhaushyg Interdiszip 2009;4(2):Doc10

doi: 10.3205/dgkh000135, urn:nbn:de:0183-dgkh0001351

Published: December 16, 2009
Published with erratum: January 7, 2010

© 2009 Kramer et al.
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Zusammenfassung

Auf der Grundlage des aktuellen Wissenstands zu den physikalischen Eigenschaften und den biologischen Wirkungen von Tissue Tolerable Plasma (TTP) werden die Möglichkeiten und Perspektiven der Plasmamedizin diskutiert, um im interdisziplinären Dialog Hypothesen für die weitere Grundlagen- und Anwendungsforschung zu generieren.

Folgende Möglichkeiten bieten sich zur medizinischen Anwendung von TTP an:

  • Prävention und Therapie von Erkrankungen (chronische Wunden, infektiöse Haut- und Schleimhauterkrankungen, lokalisierte Tumoren, Keloidbildung, Förderung der Angiogenese, Gewebeabtragung, Blutstillung)
  • Hemmung der Biofilmbildung durch Oberflächenbehandlung und durch direkte Einwirkung auf Biofilme
  • Förderung der Einheilung von Implantaten durch veränderte Oberflächen (Hydrophobie, plasmagesteuerte Auftragung antimikrobiell wirksamer Schichten mit der Funktion eines Drug delivery Systems)
  • Förderung der Penetration topisch applizierter Arzneimittel mit verbessertem Therapieergebnis
  • Einsatz für veterinärmedizinische Indikationen
  • Verbesserte Reinigungsleistung im Aufbereitungsprozess von Medizinprodukten durch Oberflächenveränderung.

Schlüsselwörter: Plasmamedizin, tissue tolerable plasma, Einsatzperspektiven, Wundbehandlung, Biofilmbekämpfung, Implantateinheilung, Penetrationsförderung in Gewebe, Reinigungsverstärkung

Abstract

On the basis of our current knowledge about the physical properties and biological effects of low temperature plasmas the possibilities and prospects of plasma medicine are discussed in an interdisciplinary dialogue in order to generate hypotheses for further basic and applied research.

The following possibilities are seemed feasible for the medical application of low-temperature plasmas:

  • Prevention and treatment of diseases (chronic wounds, skin and mucosal infectious diseases, localized tumors, keloid formation, promotion of angiogenesis, tissue ablation, hemostasis)
  • Inhibition of biofilm formation by surface treatment and by direct action on biofilms
  • Promotion of incorporation of implants into viable tissue by changing the surface (hydrophobicity, plasma steered application of antimicrobial active layers with drug delivery function)
  • Promotion of improved penetration of topically applied drugs with therapeutic outcome
  • Employment for veterinary indications
  • Improved cleaning performance in the treatment process of medical devices by surface modification.

Keywords: plasma medicine, tissue tolerable plasma, perspectives of application, treatment of wounds, elimination of biofilms, improve take of implants, increase of penetration into tissues, cleaning reinforcement


Einleitung

Im Rahmen der Umsetzung des 2008 bewilligten BMBF-Projekts „CampusPlasmaMed“ wurden in den Leitprojekten PlasmaBiozid (Leitung N.-O. Hübner), PlasmaWund (Leitung B. Hartmann) und PlasmaDent (Leitung T. Kocher), von denen die beiden erstgenannten Leitprojekte im November 2009 mit den Zielsetzungen engere Vernetzung, inhaltliche Erweiterung und höhere Effizienz zum neuen Leitprojekt PlasmaCure zusammengeführt wurden, in interdisziplinärer Zusammenarbeit bisher folgende Hypothesen zur medizinischen Anwendung von TTP generiert:

  • TTP kann heilen.
  • TTP kann Tumorzellen schädigen und zur Behandlung v.a. solider Tumore eingesetzt werden.
  • TTP kann Oberflächen von Geweben dekontaminieren und sich dort entwickelte Biofilme zerstören.
  • TTP kann die komplikationslose Einheilung von Implantaten durch Oberflächenveränderung fördern.
  • TTP kann die Wirkstoffpenetration topisch applizierter Wirkstoffe fördern, dadurch können verbesserte Therapieergebnisse erreicht werden.
  • TTP kann durch Oberflächenbehandlung von Medizinprodukten die Reinigungsleistung im Aufbereitungsprozess verbessern.
  • Durch TTP ist eine gezielte und kontrollierte Erzeugung von Radikalen und damit eine Unterstützung endogener, radikalvermittelter Abwehr- und Heilungsmechanismen möglich.

Nachfolgend sollen die Grundlagen für die Generierung dieser Hypothesen erläutert und erste Ergebnisse vorgestellt werden.


1 TTP kann heilen

1.1 Wundbehandlung

Obwohl die Wundbehandlung eine Herausforderung für die Menschheit seit dem Beginn der menschlichen Existenz ist, fehlt bis heute die Evidenz für ein allgemein akzeptiertes Behandlungskonzept auf naturwissenschaftlicher, molekularbiologischer Grundlage. In Anbetracht der Vielfalt der zur Auswahl stehenden Behandlungsmöglichkeiten von Wunden ohne klare Präferenz für eine Behandlungsart wird das Dilemma der Polypragmasie der Wundbehandlung offenkundig (Abbildung 1 [Abb. 1]).

Der Hauptansatzpunkt zur Entwicklung eines modernen Wundbehandlungskonzepts ist darin zu sehen, dass jeder Heilungsprozess Energie verbraucht. Das Zentrum chronischer Wunden ist oft hypoxisch und hypotherm. Eine defizitäre Energiebereitstellung im Gewebe behindert die Wundheilung. Bei einer Gewebetemperatur <28°C stagniert die Wundheilung. Andererseits fördern erhöhter Sauerstoffpartialdruck (erforderlich für aerobe Energiebereitstellung) und erhöhte Durchblutung (erforderlich für Antransport energiereicher Substrate und Abtransport von Stoffwechselschlacken) die Wundheilung.

Eine zweite Prämisse ist darin zu sehen, dass die Voraussetzung für den Start der Wundheilung die Entfernung nekrotischen avitalen Gewebes ist [1].

Als dritte Prämisse ist gesichert, dass eine Wunde nicht zu heilen vermag, solange sie infiziert ist. Dabei kommt der Endotoxinabsorption oder -bindung eine adjuvante therapeutische Bedeutung zu [2]. Bei der Anwendung von Antiseptika zur Erregerelimination ergibt sich die Einschränkung, dass die mikrobiozide Wirkung mehr oder weniger ausgeprägt mit zytotoxischen Nebenwirkungen verbunden ist. Deshalb kommt es darauf an, Wirkstoffe mit einem möglichst hohen Biokompatibilitätsindex für die Behandlung auszuwählen [3].

Während die zweite und dritte Prämisse allgemein anerkannt sind und chirurgisches Debridement und indizierte Wundantiseptik die Basis für jede Wundbehandlung darstellen, wird die Stimulierung der Wundheilung (Förderung z.B. von Zellproliferation, Granulozytenleistung und Immunantwort) in der proliferativen und reparativen Phase der Wundheilung nur partiell realisiert. Als eine Grundvoraussetzung für die ungestörte Wundheilung wurde die sog. feuchte Wundbehandlung (moist wound healing) durch geeignete Wundauflagen erkannt [4]. Diese sind trotz des feuchten Milieus nicht mit einer erhöhten Wundinfektionsrate verbunden [5].

Der Versuch, die Energiebereitstellung für die Wundheilung zu fördern, wird mit dem Behandlungsverfahren der Anwendung von Wassergefiltertem Infrarot A, eine Wärmestrahlung mit hohem Penetrationsvermögen in das Gewebe bei geringer thermischer Oberflächenbelastung [6], [7], und mit der Anwendung von pulsierendem Gleichstrom verfolgt. Die Existenz induzierter Ströme sowie die den elektrischen Signalen zugrunde liegende Ionenverteilung sind von entscheidender Bedeutung für die Steuerung der Zellmigration und Zellteilung am Wundrand [8], [9].

TTP enthält als hoch energetischer Aggregatzustand Radikale, elektrische Ladung und elektrische Felder, wobei die Temperatur steuerbar ist und bis auf Körpertemperatur reduziert werden kann. Dadurch eröffnen sich medizinische Anwendungsmöglichkeiten, die für die in der Vergangenheit verfügbaren höher temperierten Plasmen nicht in Frage kamen.

Eine Förderung der Wundheilung durch TTP ist durch folgende Teilwirkungen vorstellbar:

  • Debridierende Wirkung auf der Wundoberfläche mit Beseitigung anhaftender Bakterien
  • Verminderung der Zahl von Mikroorganismen auf der Oberfläche [10] mit präventiver und therapeutischer Zielsetzung einschließlich Wirksamkeit auf Biofilme [11]
  • Gewebeerwärmung [12]
  • Durchblutungsförderung [13]
  • Förderung der Angiogenese
  • Aktivierung der resorptiven Entzündung mit Förderung von Zellproliferation und -differenzierung in der Wundtiefe [14], [15]
  • Förderung der Penetration von Wirkstoffen in die Wunde
  • Induktion oder Modifikation der Reaktion des Gefäßbindegewebes
  • Förderung der unspezifischen Abwehr durch Stimulierung hierfür verantwortlicher Zellleistungen (z.B. Freisetzung verschiedener Zytokine)
  • Förderung der lokalen Bildung endogener Radikale, hierzu sind detaillierte Kenntnisse zur Stärke der Radikalfreisetzung durch TTP erforderlich.

Die Herausforderung für die Plasmaphysik besteht in der Entwicklung geeigneter Plasmaquellen, die das Plasma so konfigurieren, dass die Energie nach Einwirkung auf die Wundoberfläche zur Realisierung der Aufgabenstellungen Antiseptik und Debridement so abgebremst wird, dass im darunter liegenden proliferierenden Gewebe nur noch eine stimulierende Energiemenge mit entsprechendem Wärmeinhalt ankommt, um eine Heilungsförderung zu erreichen [16], [17].

Zugleich müssen Plasmaquellen entwickelt werden, die bei punktförmigem Plasmastrahl die Wundfläche gleichmäßig abfahren, um die Wundoberfläche zu erfassen (z.B. beim sog. PlasmaPen; Abbildung 2 [Abb. 2]) oder die mittels entsprechend konfigurierter Strahler eine größere Fläche erfassen.

Erste Anhaltspunkte zur Bestätigung der Hypothese der Möglichkeit der Wundbehandlung mit TTP lassen sich ableiten aus der

  • antimikrobiellen Wirkung in vitro im gewebeverträglichen Energiebereich [18]
  • Gewebeverträglichkeit und Stimulierung der Angiogenese im Hühnereitest an der Chorionallantoismembran (HET-CAM) [13]
  • fehlenden Gefährdung durch UV-Strahlung und zu hohe Wärmeentwicklung im Gewebe [12]
  • fehlenden Beeinträchtigung des antioxidativen Potentials [J. Lademann, pers. Mitteilung 2009].

1.2 TTP kann die Angiogenese fördern – Heilung chronischer Wunden

Der HET-CAM ist ein geeignetes In-vivo-Modell zur Untersuchung des Einflusses von Wirkstoffen auf die Angiogenese. Er wird in PlasmaCure eingesetzt, um die Effekte von Argon-TTP auf die Angiogenese zu prüfen.

Die CAM ist eine extraembryonale vaskularisierte Membran, die die Fruchthüllen (Chorion und Allantois) des Hühnerembryos umgibt und den Gasaustausch des Embryos ermöglicht. Bis zum 8. Bebrütungstag proliferieren und differenzieren die zunächst primitiven Gefäße zu einem arteriovenösen System mit weiter andauerndem schnellem Wachstum bis zum 11. Tag. Der Test wird an der CAM am 6. Bebrütungstag durchgeführt. Zum Testzeitpunkt findet keine Schmerzwahrnehmung des Embryos durch Manipulation der CAM statt [13]. Zugleich lassen sich aufgrund der hohen Proliferationsrate Einflüsse auf die Angiogenese bereits nach 24 h auswerten. Im Gegensatz zur Hemmung der Angiogenese durch die standardisierte Kontrolle konnte gezeigt werden, dass sich durch die punktuelle Behandlung mit Argonplasma (kINPen09) die Vaskularisierung verstärken lässt. Dabei bestehen Abhängigkeiten vom Behandlungsmodus und von der Behandlungszeit (Dosis-Wirkungsbeziehung) (Abbildung 3 [Abb. 3]). Diese Ergebnisse sind insbesondere für den Einsatz von Plasma auf chronischen Wunden vielversprechend, da durch die Förderung der Vaskularisierung eine Verbesserung der Wundheilung von ischämischen Wunden zu erwarten ist. Zudem ergeben sich für die Wundheilung synergistische Effekte durch die antimikrobielle Wirksamkeit des Plasmas in den geprüften Behandlungsmodi.

1.3 Behandlung infektiöser Haut- und Schleimhauterkrankungen

Bei punktförmiger Einwirkung eines Plasma-Jets auf Bakterien- und Pilzkulturen auf Nährmedium werden diese komplett zerstört (Abbildung 4 [Abb. 4]). Aus Abbildung 5 [Abb. 5] geht hervor, dass sich die Sensibilität der unterschiedlichen Bakterienspezies gegenüber Plasma deutlich unterscheidet.

Auch auf Silicon erzeugte Biofilme werden durch Einwirkung von TTP weitgehend zerstört (Abbildung 6 [Abb. 6]).

Auch in Hautschuppen werden Dermatophyten durch Plasmaeinwirkung abgetötet [18].

1.4 Chancen für die Veterinärmedizin

In der Veterinärmedizin – insbesondere in der Kleintiermedizin – existieren viele Krankheiten, für die die Anwendung von TTP eine erfolgversprechende Option darstellt, z.B. die Otitis externa von Hund und Katze, der Herpesvirus-assoziierte Gingivitis-Stomatitis-Komplex der Katze oder die fokale Demodikose des Hundes. Bei Ohrentzündungen handelt es sich oftmals um eine multifaktorielle Erkrankung mit Beteiligung verschiedener Bakterien (v.a. S. intermedius, β-hämolysierende Streptokokken, P. aeruginosa), Hefen (Malassezia pachydermatitis) und Milben (Otodectes cynotis). Nach den bisherigen Erkenntnissen zeigt TTP gegen diese Schadorganismen Wirksamkeit und könnte eine vielversprechende Alternative oder Ergänzung zur konservativen Therapie und zur Vermeidung der chirurgischen Ablation des Gehörgangs darstellen. Die Wirksamkeit von TTP auf Viren könnte zur Abheilung der Entzündungsprozesse im Rahmen des Gingivitis-Stomatitis-Komplexes der Katze beitragen und bietet damit eine vielversprechende Aussicht auf die Vermeidung der Extraktion aller Zähne als die bisher oftmals einzig wirksame therapeutische Maßnahme. Aufgrund der multimodalen Wirkmechanismen des TTP ist eine hemmende oder abtötende Wirkung auf Milben zu erwarten. Dies ließe sich bei der Bekämpfung der Demodikose, insbesondere in der lokalisierten Form, nutzen, da gerade die Demodikose oftmals schlecht auf konservative Therapien anschlägt.

1.5 Verhinderung hypertropher Narben- und Keloidbildung

Die molekularbiologischen Mechanismen dieser Form der gestörten Wundheilung, die auf genetischer Basis entsteht, sind nur zum Teil geklärt, so dass biotechnische Produkte zur Modifikation der Narbenbildung derzeit nicht verfügbar sind. Eine zentrale Rolle bei der Vernarbung spielen Fibroblasten. Zahlreiche Zytokine bzw. Wachstumsfaktoren (z.B. TGF-b) aus Entzündungszellen, den Fibroblasten selbst, aber auch aus epidermalen Keratinozyten beeinflussen die Aktivität dieser Zellen in hohem Ausmaß.

Die Verknüpfungen von invasiven Verfahren wie Kryochirurgie, operative Techniken, intraläsionale Glukokortikoidinjektionen, Laser- und Strahlentherapie mit verschiedenen konservativen Methoden können zur Optimierung der Behandlungsergebnisse beitragen. Neuere klinische Studien mit intraläsional applizierten Substanzen wie Interferone, die den Kollagenmetabolismus direkt beeinflussen, zeigen viel versprechende Resultate und könnten die Therapieoptionen erweitern [19]. Es erscheint vorstellbar, dass durch TTP mit geeigneter Energiedichte eine gezielte Hemmung der überschießenden Proliferation möglich ist und dadurch die hypertrophe Narbenbildung zumindest bei bekannter genetischer Risikokonstellation bereits präventiv, d.h. durch Plasmaeinwirkung vor Abschluss der Wundheilung, gehemmt werden kann.

1.6 Hemmung des Tumorwachstums bzw. Elimination von Metaplasien

Mit Hilfen von TTP können Tumorzellen direkt beeinflusst werden. Fridman et al. [20] haben in In-vitro-Untersuchungen zum Einfluss von Non-Thermal Floating Electrode Dielectric Barrier Discharge (FE-DBD) Plasma zeigen können, dass Melanomzellen, die in subletalen Dosen mit Plasma behandelt wurden, zwar die initiale Therapie überleben, aber in der Folge nach Stunden apoptotisch werden. Nach 24 h konnten 26% der Zellen als apoptotisch detektiert werden (TUNEL-Assay), nach 72 h waren es 73% (im Vergleich 3,2% in der Kontrolle). Erstaunlicherweise nahm im weiteren Beobachtungsverlauf auch die weitere Zellproliferation signifikant ab (Trypan Blau Test).

Es konnte weiterhin gezeigt werden, dass FE-DBD Plasma in höheren Behandlungsdosen (≥15 s mit 1.4 W·cm-2) Hautkrebszellen durch Induktion von Nekrose abtöten kann. Die verwendete Energie liegt dabei aber noch deutlich unter der Dosis, bei der gesundes Gewebe geschädigt wird. Bei niedrigeren Dosen (5 s mit 0.8 W·cm-2) wird bei den Tumorzellen wie oben beschrieben Apoptose induziert, ohne dass sich Nekrosen des gesunden Gewebes entwickeln. Mit Hilfe von FE-DBD Plasma könnte demnach bei geeigneter Applikation eine lokale Tumordestruktion unter Schonung des umgebenden gesunden Gewebes erzielt werden.

Im Rahmen der in PlasmaCure vorgesehenen Untersuchungen zur Hemmung des Tumorwachstums bzw. zur Elimination von Metaplasien mit Hilfe von FE-DBD Plasma und KinPen/Argon-Plasma werden zunächst im Primärscreening weitere humane Tumorzelllinien in der Anwendung von TTP auf die Induktion von Apoptose und Inhibierung der Zellproliferation getestet. Die Gewebeverträglichkeit und die geeignete Form der Plasmaapplikation wird nachfolgend im In-vivo-Tumormodell im TUM-CAM-Assay untersucht. Ziel ist es, eine möglichst effektive Tumorzellelimination unter größtmöglicher Gewebeschonung zu erreichen. Später soll die Anwendung von TTP in etablierten orthotopen Tumormodellen (Pankreas- und Kolonkarzinom) in der immunkompetenten Maus untersucht werden.

Neben der genetischen Beeinflussung von Tumorzellen kann TTP auch zur schonenden Ablation von Tumorzellen eingesetzt werden. Trotz großer Fortschritte in der multimodalen Tumortherapie, insbesondere auch bei gastrointestinalen Karzinomen, und einer sich stetig weiter entwickelnden Tumorchirurgie kann häufig keine komplette mikroskopische Tumorresektion (R0-Resektion) erreicht werden. Insbesondere beim Pankreaskarzinom werden viele Operationen als R1-Resektionen beendet. Hier könnte in Zukunft der intraoperative Einsatz von TTP mit geeigneten Applikatoren zur Therapie von residualem Tumorgewebe im Retroperitonealraum und z.B. um zentrale versorgende Blutgefäße die Radikalität der Tumorentfernung erheblich verbessern und somit wesentlich zur Prognoseverbesserung beitragen. Ein weiteres Beispiel für das Problem der unzureichenden Radikalität aufgrund lokaler Verhältnisse ist die enge räumliche Lage von Bronchialkarzinomen zum Bronchialsystem oder stammnahen Gefäßen bei eingeschränkter funktioneller Operationsfähigkeit. Eine ähnliche Situation findet sich bei lokal fortgeschrittenen Rektumkarzinomen, die knapp an das Periost des Os sacrum oder an den Schließmuskel heranreichen. Hier könnten Niedertemperaturplasmen einen entscheidenden Fortschritt bedeuten, wenn es gelänge, durch oberflächliche Anwendung verbliebene Resttumorzellen abzutöten, ohne die Intaktheit der anatomischen Strukturen (Bronchien, Blutgefäße, Nerven) in Mitleidenschaft zu ziehen. Die Etablierung und Evaluierung einer solchen Anwendung kann einerseits in Tiermodellen, andererseits anhand von Frischpräparaten resezierter Tumoren (z.B. Lobektomiepräparat nach Resektion eines Bronchial Ca) erfolgen.

In einer prospektiven Multicenter Studie [21] an 60 Patienten mit nicht-neoplastischem Barrett Ösophagus konnte gezeigt werden, dass mittels Argon-Plasma Koagulation (90 W Leistung) in Kombination mit 80 mg Esomeprazol täglich eine komplette Remission erreicht werden kann. Das Therapieziel einer kompletten Remission wurde bei 37/48 Patienten (77%) nach durchschnittlich 2,6 APC Behandlungen erreicht. Bei 9,8% der Patienten traten Komplikationen ein, wobei eine beherrschbare Blutung die häufigste Komplikation war, seltener Dysphagie oder Ösophagus-Stenose. Durch Modifikation des Plasmas können unter Umständen die beobachteten Komplikationen möglicherweise in Zukunft noch deutlich reduziert werden.

Neben der Abtragung von Gewebe konnten durch den Einsatz von Argon-Plasma auch Patienten mit Zenker Divertikulose behandelt werden. Eine retrospektive Studie [22] an 41 Patienten zeigte, dass ein sofortiger klinischer Erfolg einer endoskopischen Argon-Plasma-Behandlung bei 95% der Patienten eintrat.

1.7 Abtragung oberflächlicher Zellschichten in der refraktiven Chirurgie

Analog wie mit Laser ist mit TTP die tiefengesteuerte Abtragung oberflächlicher Zellschichten möglich. Dieser Effekt könnte perspektivisch in der refraktiven Chirurgie zur Korrektur der Brechkraft bei z.B. Myopie oder Astigmatismus genutzt werden.

In Deutschland haben sich 0,2% der Bevölkerung ihren Sehfehler mittels refraktiver Chirurgie behandeln lassen (Stand 2004). Pro Jahr werden etwa 25.000 bis 100.000 Operationen durchgeführt mit steigender Tendenz. Stand in den vergangenen Jahrzehnten noch die radikale Keratotomie im Vordergrund, so ist ab den 90er Jahren durch Einführung der photorefraktiven Keratotomie mittels Laser die radikale Keratotomie verdrängt worden. Die Hauptanwendungsform der photorefraktiven Keratektomie ist heute die Laser Epithelial Keratomileusis (LASEK) und besonders zunehmend die Laser-in-situ-Keratomileusis (LASIK), bei der ein Excimerlaser zur Abtragung von Cornea-Material eingesetzt wird. Wesentliche Komplikationen der Methode sind aber Flap-Missschnitte, die bei der Femto-LASIK Methode infolge Einsatz eines Lasers zur Schnittführung anstelle eines mechanischen Mikrokeratoms reduziert werden können, daneben allerdings auch Ektasien und trockene Augen. Besonders störend sind möglichen Einschränkungen des Dämmerungs- und Nachtsehens durch reduzierte Kontrastsensitivität. Durch Verwendung speziell zu entwickelnder TT-Plasmen kann u.U. in Zukunft die Palette der refraktiven Chirurgie mit noch schonenderen und präziseren Methoden erweitert werden.


2 Einfluss auf Biofilme

Durch die Zerstörung von Biofilmen oder durch Hemmung ihrer Entstehung kann ein Infektionsrisiko reduziert oder sogar eine direkte Heilungsförderung erreicht werden.

Erste Untersuchungsergebnisse zeigen, dass durch Behandlung mit TTP Biofilme eradiziert oder zumindest in vergleichbarem Ausmaß wie durch Antiseptika reduziert werden können bzw. die Biofilmbildung gehemmt wird.

Auf Titan-Plättchen (Ø 5 mm, Straumann, Basel) wurde nach 72 h Exposition mit Normalflora enthaltenem Mischspeichel ein Speichel-Biofilm erzeugt. In Vorversuchen konnte gezeigt werden, dass nach 10 min Einwirkung von Argon-Plasma durch eine Volumen-DBD (INP Greifswald) der Biofilm komplett eradiziert wurde (Abbildung 7 [Abb. 7]). Der Nachweis wurde durch Biofilmentfernung mittels Ultraschall für 40 min von den Titan-Plättchen und anschließender Rekultivierung auf Columbia Blut-Agar geführt.

In einem weiteren Modellversuch wurden in 96-well-Mikrotiterplatten erzeugte Biofilme von C. albicans (72 h) für 1 min mit Argon-Plasma bzw. Argonplasma +1% O2 mit dem Plasmajet kINPen09 behandelt (Abbildung 8 [Abb. 8]). Der Nachweis des Biofilms wurde durch Färbung mit Gentianaviolett geführt.

Argonplasma mit 1% O2 zeigte sich wirksamer als reines Argon-Plasma. Die Absorption bei 620 nm durch die mit Gentiana-Violett gefärbte Biofilmmatrix nahm unter der Verwendung von O2 um 38,57% und 24,29% bei Einsatz von reinem Argonplasma im Vergleich zur unbehandelten Kontrolle ab (Abbildung 9 [Abb. 9]).

Ebenfalls im Mikrotiterplattenmodell mit Einsatz des KINPen 09 wurde die Wirksamkeit von TTP versus Antiseptika an Biofilmen geprüft. Dabei unterschieden sich Polihexanid und Chlorhexidin nicht in ihrer Wirksamkeit gegen Biofilme des Stamms Pseudomonas aeruginosa SG 81. Das betraf sowohl die Reduktion des Biofilms an sich (nachgewiesen im Gentiana-Violett-Assay) als auch die Herabsetzung des bakteriellen Metabolismus im Biofilm (nachgewiesen im XTT-Assay) und die Reduktion der koloniebildenden Einheiten. Durch TTP (Plasmajet kINPen09) wurde eine vergleichbare Wirkung erzielt [11]. Damit ist die physikalische Antiseptik mit TTP eine aussichtsreiche Alternative zur chemischen Antiseptik, wobei insbesondere auch die Überprüfung der Kombinationswirkung beider Verfahren von großem Interesse ist.

Die Möglichkeit der Bekämpfung von Biofilmen durch TTP auf lebendem Gewebe eröffnet vielfältige aussichtsreiche Anwendungen, z.B. zur Unterstützung der Plaqueelimination in der Mundhöhle, v.a. an schwer zugänglichen Stellen wie Zahntaschen und Wurzelkanäle, zur Eliminierung des Biofilms bei Revisionseingriffen bei infizierten Implantaten, ggf. in Kombination mit gleichzeitiger Applikation von Antiinfektiva, zur Behandlung chronischer Wunden und zur Aufbereitung weicher Kontaktlinsen im Trageprozess bzw. weiterer Medizinprodukte, die am Körper eingesetzt werden (Prothesen, Diabetikerbesteck).


3 Einfluss auf die Einheilung von Implantaten bzw. Hemmung der Biofilmbildung

Es bestehen begründete Chancen, dass TTP die Implantateinheilung durch Oberflächenveränderung fördern kann, weil durch die Einwirkung von TTP auf Oberflächen deren Hydrophilität verändert wird. Der Grad der Hydrophilität beeinflusst die Zellanlagerung. Wird z.B. der Kontaktwinkel von 139° auf superhydrophil (<5°) gesenkt, steigt die Zellanlagerung erheblich. Umgekehrt lagern sich auf besonders hydrophoben Oberflächen (Kontaktwinkel >160°) keine Zellen an, sie fallen quasi herunter. Wie sich in diesem Zusammenhang Bakterienzellen verhalten, wird in der Literatur kontrovers diskutiert.

Durch die TTP Behandlung von Titan-Oberflächen konnten in ersten Vorversuchen die Ausgangskontaktwinkel innerhalb weniger Sekunden auf <6° herabgesetzt werden.

Die neue Generation handelsüblicher weicher Kontaktlinsen ist bereits mit Plasma behandelt, um die Biofilmbildung im Trageprozess zu hemmen. Mit gleicher Zielsetzung erscheint die Vorbehandlung von Implantatmaterialien aus Kunststoffen und Metallen aussichtsreich.


4 Förderung der Wirkstoffpenetration topisch applizierter Wirkstoffe

Die TTP-Gewebe-Wechselwirkung führt zu einer kurzzeitigen Veränderung der Lipidstrukturen im Stratum corneum, wodurch die Barriereeigenschaften der Haut [23], [24], [25] verändert werden. Dieser Effekt kann genutzt werden, um die Penetration von topisch applizierten Substanzen zu verstärken.

Experimentell lässt sich das am 3-D-Modell der kultivierten humanen Epidermis (Abbildung 10 [Abb. 10]) anhand des reversiblen Absinkens des TERs (Transepithelial Electrical Resistance) demonstrieren. Der TER korreliert mit der Barriereeigenschaft der Epidermis: ein dichtes Stratum corneum bewirkt eine hohe TER, wohingegen eine erhöhte Durchlässigkeit der Epidermis eine niedrige TER zur Folge hat.

3-D-Epidermismodelle wurden mit gepulstem und ungepulstem Argon-TTP behandelt. Die Messung des TERs erfolgte mit einem EVOMX Epithelial Volt-Ohmmeter und einer STX2 Electrode (World Precision Instruments). Die Behandlung mit TTP führte ebenso wie die Gaskontrolle (gleicher Behandlungsmodus mit Argon-Gas) zu einem Absinken des TERs. Die Inkubation der Epidermismodelle für weitere 42 h resultierte in einem Anstieg der TER (Abbildung 11 [Abb. 11]), was die Reversibilität der Plasmaeffekte auf die Barrierefunktion belegt. Die Anwendung von gepulstem Argon-TTP zeigte gegenüber der unbehandelten Kontrolle sogar einen Anstieg auf 98,6%, was den Wert des Widerstands der Kontrolle (94%) übertraf.


5 Verbesserung der Ablösung von Kontaminationen von Oberflächen

Wird die Hydrophobizität von Oberflächen erhöht, ist davon auszugehen, dass die Ablösung von Schmutz und Mikroorganismen gefördert wird.

Zur Überprüfung dieses Zusammenhangs wurden Edelstahlschrauben mit Schafblut kontaminiert, 2 h bei 45°C angetrocknet, danach im Reinigungs-Desinfektions-Gerät (RDG) aufbereitet und abschließend der Restproteingehalt auf den Schrauben mit der Biuret/BCA-Methode bestimmt (Kontrolle). Zur Prüfung des Einflusses einer Behandlung mit TTP auf die Effektivität der Reinigung im RDG wurden saubere Schrauben vor der Blutkontamination mit TTP für 2 min flächig behandelt (Kupfer-Pen, Argon-Gas 3slm, kont. Modus, 26,0 Vpp, 70%, LP 4W). Während der Einwirkung des TTP wurden die Schrauben alle 30 s um 90° gedreht. Der weitere Ablauf entsprach dem Vorgehen bei der Kontrolle. Durch die Behandlung der Schrauben vor der Anschmutzung mit atmosphärischem TTP wurde die Reinigungsleistung signifikant verbessert (Abbildung 12 [Abb. 12]).


6 Entwicklung sensitiver Testmethoden zur Erfassung biologischer Wirkungen von TTP

Ein Schwerpunkt im Leitprojekt PlasmaCure ist der Aufbau eines aufeinander abgestimmten Methodenrepertoires zur Erfassung der biologischen Wirkungen von TTP in Hinblick auf die Abklärung der medizinischen Anwendungsmöglichkeiten. Dabei liegt der Schwerpunkt aus ethischen Gründen zunächst auf In-vitro- und Ex-vivo-Modellen.

Sobald experimentell im Primärscreening (z.B. durch Testung in der dreidimensionalen Zellkultur, im HET-CAM-Assay, am frisch enukleierten Auge vom Schlachtschwein und an humanen Ex-vivo-Modellen, z.B. Amputathaut) geeignete Plasmaquellen identifiziert sind und die Risikoabklärung die Anwendung an tierexperimentellen Wunden (nach Genehmigung durch die Ethikkommission) erlaubt (insbesondere Ausschluss mutagener und carcinogener Risiken, keine Induktion von Metalloproteinasen und apoptotischer Prozesse, Ermittlung der Halbwertzeit und Dosis entstehender Radikale im Gewebe durch Bestimmung der antioxidativen Kapazität zunächst in Modellösungen unterschiedlicher Lipophilie, später in Geweben), müssen im nächsten Schritt die molekularbiologischen Grundlagen der Wechselwirkungen TTP/Wundheilung/Immunantwort/Milieu Exterieur der Zelle untersucht werden [26].

6.1 Standardisierung und Objektivierung der Auswertung des HET-CAM

Die Auswertung des HET-CAM ist bisher zeitaufwändig, nur bedingt reproduzierbar und subjektiv erfahrungsabhängig. Deshalb ist ein Arbeitsschwerpunkt die Entwicklung eines neuen Verfahrens zur objektiven quantitativen und qualitativen Bewertung der induzierten Änderungen im HET-CAM unter Einsatz einer endoskopischen Verlaufsbildaufnahmetechnik mit automatischer Auswertung der aufgenommenen Bilder.

Zur Bildaufnahme soll eine kontinuierliche flexible Anbindung der Probe an eine endoskopische Kamera mit genügend hoher Auflösung und normiertem Sicht- und Auswertefeld genutzt werden, die gleichzeitig die erforderliche Behandlung der Proben zulässt. Die Bildaufnahme kann programmierbar kontinuierlich, in regelmäßigen Abständen oder zu vorgegebenen Zeiten durchgeführt werden.

Zur Auswertung und Beurteilung der Bilder wird eine neuartige Verarbeitungssoftware genutzt, die eine objektive automatische Bewertung ermöglicht.

Der Auswerteprozess bietet die Möglichkeit, geringfügige Änderungen des Sichtfelds zwischen den Bildaufnahmen durch fusionstechnische Verfahren auszugleichen, so dass die Anbindung der Kamera an die Probe sehr flexibel gestaltet werden kann.

Zur objektiven Bewertung sollen die relevanten Merkmale der vaskulären und sonstigen Strukturen im Sichtauswertebereich wie Angiogenese, Gefäßwachstum, strukturelle und funktionelle Abnormitäten, vaskuläre Heteroginität etc. festgelegt und die entsprechenden Detektionsverfahren unter Berücksichtigung der möglichen Variabilität der Ausprägungen in verschiedenen Proben entwickelt bzw. angepasst werden. Die Detektion und Quantifizierung dieser Strukturen bzw. deren Änderungen stellt eine erhebliche verfahrenstechnische Anforderung dar und benutzt fortgeschrittene intelligente Bildverarbeitungsmethoden, die sowohl strukturelle wie farbliche Merkmale (absolut oder relativ) nutzen können und eine objektive Auswertung mit hoher Sicherheit ermöglichen.

Abschließend sollen die für eine zusammenfassende Quantifizierung und Qualifizierung der Änderungen geeigneten Parameter festgelegt werden.

Das Bildauswerteverfahren basiert auf einer bereits vorhandenen grundlegenden Methode und Softwarebausteinen.

Mittels dieses Verfahrens soll für die Sicherheit der HET-CAM Auswertung eine deutliche Steigerung der Effizienz und Reproduzierbarkeit durch Verlaufsbeurteilung und Objektivität erreicht werden.

6.2 3-D-Zellkultur

Mit dem Aufbau der 3-D-Zellkultur steht ein Labormodell zur Untersuchung der Wirkung von Plasma auf die humane Epidermis in vitro zur Verfügung. Es ermöglicht die Testung der Zytotoxizität von Plasma, der Beeinflussung der Barrierefunktion (s.o.) und des Einflusses einer Plasmabehandlung auf die mikrobiell kontaminierte bzw. infizierte Zellkultur, ohne dass Tierversuche erforderlich sind.

In Abbildung 13 [Abb. 13] wurden NHEK-Zellen mit Pseudomonas aeruginosa SG81 kontaminiert, so dass die Wirkung auf Plasma in der Ko-Kultur untersucht werden kann.

Zur quantitativen Bestimmung der Zytotoxizität in der 3-D-Zellkultur wurde der MTT-Test eingesetzt. Die Bestimmung der Vitalität der Zellen beruht darauf, dass lebende Zellen mit Hilfe der mitochondrialen Succinat-Dehydrogenase das gelb gefärbte Tetrazoliumsalz MTT [3-(4,5-Dimethylthiazol-2-yl)-2,5-diphenyl-tetrazoliumbromid] in ein blaues, unlösliches Formazanderivat umwandeln und intrazellulär ablagern. Anschließend wird das gespeicherte Formazanderivat mit angesäuertem 2-Propanol eluiert. Die Färbung des Überstands wird spektralphotometrisch im EIA-Reader Benchmark (BioRad) ausgewertet (Messwellenlänge 540 nm, Referenzwellenlänge 655 nm). Die Absorption ist ein direktes Maß der Vitalität der Zellen. Definitionsgemäß wird die mittlere Absorption des Medium-Kontrollansatzes 100% Vitalität gleichgesetzt und die Vitalität der Zellen in den Testansätzen relativ zu dieser bestimmt. Im Ergebnis führte Plasma zu keinem relevanten Absinken der Vitalität (Abbildung 14 [Abb. 14]).

6.3 Biofilmmodelle

Auch zur Bearbeitung dieses Teilthemas mussten die methodischen Voraussetzungen erst geschaffen werden. Im Ergebnis wurde der Biofilmreaktor der Centers for Disease Control (CDC) zum Europäischen Biofilmreaktor (EUREBI) (zusammen mit NeoPlas GmbH) weiterentwickelt (Abbildung 15 [Abb. 15]). Dieser ist komplett sterilisierbar und wurde erfolgreich evaluiert.

Parallel wurden diverse Biofilmmodelle aufgebaut wie das Mikrotiterplattenmodell mit Mono- und Multispeziesbiofilmen, die Biofilmerzeugung auf Polycarbonat, Polystyrol, Silikon, Titan, Edelstahl, Glas, Tygon, PVC, PE und Kontaktlinsen. Ferner wurden erste Versuche auf vitalen Oberflächen (2-D- und 3-D-Zellkultur) vorgenommen.

Besonders die erfolgreiche Entwicklung eines innovativen und standardisierten In-vitro-Biofilmmodells für Kontaktlinsen, dass sich an die Gegebenheiten des Auges eines Kontaktlinsenträgers annähert, kann derzeit zur Überprüfung der desinfizierenden und reinigenden Wirksamkeit von Kontaktlinsenpflegemitteln benutzt werden, da die geltenden Testmethoden zur Prüfung der Aufbereitung von Kontaktlinsen in der Kritik stehen und nur unzureichend Aussagen über die Wirksamkeit in der Realität gestatten [27]. Die Innovation des Modells besteht darin, dass in einem 3-phasigen Biofilm-Modell für P. aeruginosa, der wichtigste Erreger der Kontaktlinsen assoziierten Keratitis, praxisnahe Bedingungen zur Biofilmbildung auf Kontaktlinsen geschaffen wurden, indem auf eine Kontaktfläche (konvexe Polycarbonatcoupons) die Linsen wie auf das Auge aufgelegt werden und Luft in Anwesenheit künstlicher Tränenflüssigkeit (verdünntes Serum des menschlichen Bluts) zugeführt wird (Abbildung 16 [Abb. 16]).

Die Struktur und die Beschaffenheit der In-vitro-Biofilme abhängig von dem Kontaktlinsenmaterial wird mit der Scanning Elektronenmikroskopie (SEM) und nach Anfärbung mittels confocaler Laser-Scannnig Mikroskopie- (CLSM) (Abbildung 17 [Abb. 17]) analysiert.

Erste Ergebnisse haben außerdem gezeigt, dass mit diesem Biofilmmodell auch der Einfluss von Niedertemperaturplasma auf die Vitalität der Mikroorganismen in Biofilmen auf Kontaktlinsen untersucht werden kann.


7 Künftige Aufgaben

Die Aufgabe der interdisziplinären Forschung auf dem jungen Gebiet der Plasmamedizin besteht darin, die Möglichkeiten und Risiken der Anwendung von TTP in relevanten Modellen so weit wie möglich in vitro abzuklären, um aus ethischen Gründen den Umfang von Tierversuchen auf das notwendige Minimum zu begrenzen und schließlich mit der klinischen Erprobung am Menschen beginnen zu können. Das schließt die Erforschung molekularbiologischer Grundlagen der Wechselwirkungen TTP/Zelle und TTP/umgebendes Zellmilieu, der Wirkung auf das Proteom zur Aufklärung des Wirkungsmechanismus und der Wirkung auf Immunzellen ein. Bei der Untersuchung der Effekte von TTP auf das Immunsystem sollen die Schwerpunkte zunächst auf Aktivierung bzw. Inhibition der Funktionen von Monozyten/Makrophagen, Granulozyten sowie von T- und B-Zellen gelegt werden, die sich durch Bestimmung der Freisetzung verschiedener Zytokine, der Expression von Aktivierungsmarkern, der Proliferation und der Analyse verschiedener Formen des Zelltods messen lassen. Ein weiterer Fokus ist die Untersuchung der Stabilität bzw. des Zerfalls gebildeter Radikale in Geweben mit Ausschluss mutagener und carcinogener Risiken einschließlich des Nachweises der fehlenden Induktion von Metalloproteinasen und apoptotischen Prozesse bzw. nur der gezielten Induktion der Apoptose.

Die Herausforderung für die Plasmaphysik besteht in der Konfiguration von TT-Plasmen mit gewebeabhängig dosierbarer biologischer Wirksamkeit, Verträglichkeit und Eindringtiefe. Zur Selektion geeigneter Plasmajets müssen von Seiten der biologischen und medizinischen Forschung Screeningmodelle entwickelt werden.


Danksagung

Die Arbeit wurde innerhalb des 2008 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) bewilligten interdisziplinären Projekts „CampusPlasmaMed“ innerhalb des Leitprojekts „PlasmaCure“ erstellt. Die Autoren danken dem BMBF für die Förderung (BMBF, Förderkennzeichen 13N9779).


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Erratum

Der Autorenname Markus M. Lerch wurde ursprünglich falsch mit Markus Lerch angegeben. In Kapitel 1.4. wurde Otis durch Otitis korrigiert, in Kapitel 3 wurden kullern durch fallen und konträr durch kontrovers ersetzt.