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Diagnostik in der Pädaudiologie bei frühen Verzögerungen im Spracherwerb
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Veröffentlicht: | 18. August 2011 |
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Gliederung
Zusammenfassung
Hintergrund: Untersucht wurden 2-jährige Kinder, die als „late-talker“ zur weiteren Diagnostik in der Ulmer Sektion Phoniatrie/Pädaudiologie vorgestellt wurden.
Material und Methoden: Prospektiv untersucht wurden 33 monolingual deutsche Kinder zwischen 23 und 28 Monaten mit V. a. Sprachentwicklungsverzögerung ohne definierte neurologische/körperliche Erkrankungen. Der Fragebogen zur frühkindlichen Sprachentwicklung FRAKIS wurde von den Eltern ausgefüllt. Neben einer pädaudiometrischen Untersuchung wurden zur standardisierten Sprachdiagnostik die rezeptiven Sprachtests aus dem SETK2 angewandt.
Ergebnisse: Von den 33 Kindern mussten 11 wegen eines auffälligen Hörtests zu einem späteren Zeitpunkt audiometrisch kontrolliert werden. Diese hatten im SETK2 vergleichbare Werte wie die Kinder mit initial normalem Hörvermögen. 36% der Kinder hatten im SETK2 Wörter und 42% im SETK2 Sätze einen Prozentrang ≤40 und somit ein auffälliges Sprachverständnis. Zwischen den Ergebnissen von SETK2 Wörter und SETK2 Sätze bestand eine signifikante Korrelation (T-Test; p-Wert<0,0001). 72% der Kinder hatten im FRAKIS einen Wortschatz von ≤50 Wörtern und gelten somit als sprachauffällig. Eine Korrelation zwischen der Anzahl der Wörter im FRAKIS und dem Sprachverständnis im SETK2 konnte nicht nachgewiesen werden.
Diskussion: Ein Drittel der Kinder hatte initial einen kontrollbedürftigen Hörbefund. Bei 42% bestand eine Sprachverständnisstörung und bei 72% ein Wortschatzdefizit. Es ergab sich kein statistisch signifikanter Zusammenhang zwischen beiden Parametern. Daher sollte frühzeitig neben einem Elternfragebogen zum aktiven Wortschatze eine standardisierte Überprüfung des Sprachverständnisses durchgeführt werden, um Risikokinder detektieren zu können und frühzeitig Fördermaßnahmen (z.B. Elterntraining) einzuleiten. Bei den rezeptiv auffälligen Kindern sollte eine weiterführende fachübergreifende Diagnostik der nichtsprachlichen kognitiven Leistungen erfolgen.
Text
Hintergrund
Frühe Verzögerungen der Sprachentwicklung sind durch einen reduzierten Wortschatz von unter 50 Wörtern und der fehlenden Verwendung von Zweiwortverbindungen im Alter von 24 Monaten gekennzeichnet [1]. Diese Kinder werden als „Late Talkers“ bezeichnet. Ein substanzieller Teil dieser Kinder entwickelt im weiteren Verlauf eine Störung der Sprachentwicklung [2], die mit gravierenden Folgen für die gesamte kindliche Entwicklung einhergeht. Eine frühzeitige Diagnostik und Ausnutzung therapeutischer Möglichkeiten sind also angezeigt. In der vorliegenden Studie wurde eine anfallende Stichprobe 2-jährige Kinder untersucht und charakterisiert, die von Kinderärzten als „Late Talkers“ zur weiteren Diagnostik in der Ulmer Sektion Phoniatrie und Pädaudiologie vorgestellt wurden.
Material/Methoden
Prospektiv untersucht wurden 33 monolingual deutsche Kinder im Alter zwischen 23 und 28 Monaten ohne definierte neurologische oder schwere chronische körperliche Erkrankungen mit einer Sprachentwicklungsverzögerung. Neben einer pädaudiometrischen Diagnostik mit Reaktionsaudiometrie, Impedanzmessung und otoakustischen Emissionen wurde zur Erfassung der sprachproduktiven Leistungen der Fragebogen FRAKIS (Fragebogen zur frühkindlichen Sprachentwicklung) [3], zur Erfassung der rezeptiven Sprachfähigkeiten die entsprechenden Untertests aus dem SETK-2 [4] sowie ein Elternfragebogen zur Entwicklung und früheren Erkrankungen des Kindes eingesetzt.
Ergebnisse
Von den 33 Kindern mussten 11 Kinder wegen eines auffälligen Hörtests zu einem späteren Zeitpunkt erneut audiometrisch kontrolliert werden. Diese Kinder wiesen im SETK-2 vergleichbare Werte wie die Kinder mit initial normalem Hörvermögen auf (T-Test: p-Wert = 0,34), ebenso zeigten sich keine Unterschiede hinsichtlich des produktiven Wortschatzes im FRAKIS (T-Test: p-Wert = 0,73).
24 Kinder (72% der Kinder) hatten im FRAKIS einen aktiven Wortschatz von ≤50 und waren somit als sprachverzögert einzustufen. 12 Kinder (36%) hatten im SETK-2-Untertest „Verstehen von Wörtern“, 14 Kinder (42%) im SETK-2-Untertests „Verstehen von Sätzen“ und 13 Kinder (39%) in beiden Testverfahren einen T-Wert ≤40 und somit ein auffälliges Sprachverständnis (Abbildung 1 [Abb. 1]).
Kein Zusammenhang bestand zwischen der Anzahl der aktiv verwendeten Wörter im FRAKIS und dem Sprachverständnis im SETK-2-Untertests „Verstehen von Wörtern“ (Pearsons Rangkorrelationskoeffizent = 0,001; p-Wert = 0,9).
Diskussion
Bei einem Drittel der Kinder, die wegen Sprachauffälligkeiten im frühen Lebensalter in der Phoniatrie vorgestellt wurden, musste eine Hörkontrolle erfolgen, da bei diesen eine Schallleitungsschwerhörigkeit aufgrund eines Paukenergusses bestanden hatte.
Die Befunde zum Sprachverständnis sowie zur Sprachproduktion waren unabhängig vom Hörvermögen der Kinder zum Zeitpunkt der Untersuchung. Dieser Befund steht in Einklang mit dem Ergebnis eines Übersichtsartikels über Otitis media, Hörverlust und Sprachentwicklung, bei dem sich ebenfalls keine relevante negative Assoziation von Mittelohrentzündung und verzögerter Sprachentwicklung zeigte [5]. Es muss auch berücksichtigt werden, dass es sich beim vorliegenden Kollektiv und der Audiometriediagnostik um Momentaufnahmen des Hörvermögens handelte und die Kriterien an hörauffällige Befunde sehr eng gefasst wurden, so dass von insgesamt eher geringen Höreinbußen ausgegangen werden muss.
Die überwiegende Mehrheit der Kinder zeigte Auffälligkeiten im produktiven Wortschatz und ist somit als sprachlich verzögert einzustufen. Bei fast der Hälfte der Kinder bestand zusätzlich ein Sprachverständnisproblem, wobei 13 Kinder (39%) sowohl im Sprachverstehen auf Wort- als auch auf Satzebene Schwierigkeiten hatten. Ein signifikanter Zusammenhang zwischen Sprachverständnis und Wortschatz wurde nicht gefunden. Die Überprüfung des Sprachverständnisses ist neben einem Elternfragebogen zur Entwicklung des aktiven Wortschatzes somit zusätzlich durchzuführen.
Buschmann und Mitarbeiter [6] haben in ihren Ergebnissen die Notwendigkeit der Überprüfung der nichtverbalen kognitiven Leistungen bei zweijährigen sprachlich verzögerten Kindern mit auffälligem Sprachverständnis herausgestellt, da sich in dieser Untergruppe gehäuft allgemeine kognitive Defizite sowie tiefgreifende Entwicklungsstörungen finden. Eine solche Überprüfung wäre somit für einen erheblichen Anteil der in der Pädaudiologie vorgestellten sprachverzögerten Kinder notwendig. Es muss überlegt und diskutiert werden, wie diese Kinder angemessen diagnostiziert werden können, um frühzeitig wirklich geeignete Fördermaßnahmen einleiten und die Kinder angemessen betreuen zu können.
Literatur
- 1.
- Grimm H. Störungen der Sprachentwicklung. Göttingen: Hogrefe; 2003.
- 2.
- Sachse S, von Suchodoletz W. Prognose und Möglichkeiten der Vorhersage der Sprachentwicklung bei Kindern mit verzögertem Sprechbeginn (Late Talkers). Kinderärztliche Praxis. 2009;80(5):318-28.
- 3.
- Szagun G, Stumper B, Schramm S. FRAKIS, Fragebogen zur frühkindlichen Sprachentwicklung. Frankfurt am Main: Pearson Assessment und Information GmbH; 2009.
- 4.
- Grimm H. SETK-2 Sprachentwicklungstest für zweijährige Kinder: Diagnose rezeptiver und produktiver Sprachverarbeitungsfähigkeit. Göttingen: Hogrefe; 2000.
- 5.
- Roberts J, Hunter L, Gravel J, Rosenfeld R, Berman S, Haggard M, Hall J, Lannon C, Moore D, Vernon-Feagans L, Wallace I. Otitis media, hearing loss and language learning: controversies and current research. J Dev Behav Pediatr. 2004;25(2):110-22. DOI: 10.1097/00004703-200404000-00007
- 6.
- Buschmann A, Jooss B, Rupp A, Dockter S, Blaschtikowitz H, Heggen I, Pietz J. Children with developmental language delay at 24 months of age: results of a diagnostic work-up. Dev Med Child Neurol. 2008;50:223-9. DOI: 10.1111/j.1469-8749.2008.02034.x