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25. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

12.09. - 14.09.2008, Düsseldorf

Modellierung der 3D-Stimmlippendynamik mittels eines 3D-Mehr-Massen-Modells

Poster

  • corresponding author presenting/speaker Anxiong Yang - Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Erlangen, Erlangen, Deutschland
  • author Jörg Lohscheller - Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Erlangen, Erlangen, Deutschland
  • author Daniel Voigt - Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Erlangen, Erlangen, Deutschland
  • author Ulrich Eysholdt - Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Erlangen, Erlangen, Deutschland
  • author Michael Döllinger - Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Erlangen, Erlangen, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 25. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. Düsseldorf, 12.-14.09.2008. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2008. Doc08dgppP15

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/meetings/dgpp2008/08dgpp59.shtml

Veröffentlicht: 27. August 2008

© 2008 Yang et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Zusammenfassung

In bisherigen Untersuchungen endoskopisch aufgenommener Stimmlippenbewegungen wurde die Dynamik meist durch Zwei- oder Mehr-Massen-Modelle nachgebildet, die lediglich eindimensionale Auslenkungen bzw. die zweidimensionale Glottisfläche berücksichtigten. Dies beschreibt die physiologische Stimmlippenbewegung jedoch nur unvollständig.

In der vorliegenden Arbeit haben wir die Dynamik der schwingenden Stimmlippen mithilfe eines physikalisch interpretierbaren Mehr-Massen-Modells vom zweidimensionalen auf den dreidimensionalen Fall erweitert. Dieses Modell besteht aus mehreren longitudinal und vertikal angeordneten Ebenen miteinander gekoppelter Massen. Damit werden nicht nur die vertikale Bewegung sondern auch die Ausbreitung der Randkantenverschiebung von Inferior nach Superior simuliert. Im Modell werden zeitinvariante Modellparameter wie Spannung, Masse und subglottaler Druck berücksichtigt, die mittels eines numerischen Optimierungsverfahrens an synthetisch erzeugte 3D-Trajektorien angefittet werden.

Das Ziel ist, endoskopisch aufgenommene 3D-Stimmlippenschwingungen, die mit Hilfe einer Hochgeschwindigkeitskamera und einem gekoppelten Laserprojektionssytem (Punktegitter) erzeugt werden, nachzubilden.

Die berechneten Parameterwerte werden im klinischen Einsatz zur Bestimmung des Einflusses von physikalischen Größen der Stimmlippen und laryngealen Asymmetrien verwendet, um die medizinische Diagnose zu unterstützen, z.B. bei der objektiven Klassifikation von Heiserkeit und den zugehörigen Therapiestrategien.


Text

Einleitung

Bei der Betrachtung der menschlichen 3D-Stimmlippendynamik sind nicht nur die eindimensionalen lateralen Auslenkungen, die zweidimensionale Glottisfläche sondern auch Bewegungen in vertikaler und longitudinaler Richtung zu berücksichtigen. Durch die Analyse der 3D-Dynamik der Stimmlippen kann der Einfluss von physikalischen Größen der Stimmlippen bestimmt werden. In dieser Studie wird ein interpretierbares Mehr-Massen-Modell [1] vom zweidimensionalen [2] auf den dreidimensionalen Fall erweitert. Es handelt sich um ein System von mehrfach gekoppelten longitudinalen und vertikalen Masse-Feder-Dämpfungseinheiten. Mit einem numerischen Optimierungsverfahren [3] können die synthetisch erzeugten 3D-Trajektorien durch das biomechanische 3D-Mehr-Massen-Modell nachgebildet werden. Die Bestimmung der physikalisch zeitinvarianten Modellparameter wie Muskelspannungen oder Muskelmassen basiert auf dem Zwei-Massen-Modell von Ishizaka und Flanagan [4] und den Eigenschaften der Schleimhautwelle menschlicher Stimmlippen [5], da physiologisch relevante Modellparameter wie die Muskelspannung nicht direkt während der Phonation messbar sind. Die vorliegende Arbeit stellt zunächst ein 3D-MMM vor, das anschließend an synthetisch erzeugte 3D-Stimmlippenbewegungen angepasst wird.

Methode

Modell: Das 3D-Mehr-Massen-Modell (3D-MMM) soll zukünftig in der Lage sein endoskopisch aufgenommene 3D-Stimmlippenschwingungen während der Phonation nachzubilden. Das Modell ist eine Erweiterung der 2MM [2] in longitudinaler und vertikaler Richtungen. Es besteht aus fünf vertikal angeordneten Ebenen mit jeweils fünf miteinander gekoppelten Massen (Abbildung 1 [Abb. 1]), insgesamt fünfzig Modellmassen (links + rechts). Die myoelastischen und aerodynamischen Eigenschaften der Stimmlippen werden durch aerodynamische Kräfte beschrieben, die durch den subglottalen Druck P s (Bernoulli Gesetz) erzeugt werden [4]. Im 3D-MMM werden die auftretenden Kräfte mit Ankerfedern (F a ), vertikal gekoppelten Federn (F v ) und longitudinal gekoppelten Federn (F l ) [1] beschrieben. Während der Kollision zwischen linker und rechter Stimmlippe werden Kollisionskräfte (Fc) berücksichtigt.

Optimierung: Zunächst werden symmetrische synthetisch erzeugte 3D-Schwingungen mit dem 3D-MMM errechnet (alle Q=1 gesetzt), die als theoretische 3D-Trajektorien bezeichnet werden. Mit Optimierungsalgorithmen werden nun diese synthetisch erzeugten Kurven ohne Vorwissen durch das 3D-MMM angefittet um die Funktionalität der Optimierung, hinsichtlich der späteren Anwendung bei endoskopischen Highspeedaufnahmen, zu überprüfen. Es werden Modellmassen (m), Modellspannung (k) und subglottaler Druck (P s ) variiert. Verschiedene Optimierungsverfahren wie Simulated Annealing und genetische Algorithmen werden verwendet um die Güte der Modellanpassung zu maximieren. In der Zielfunktion werden die Abstände zwischen Amplituden und Phasen der 3D-Trajektorien minimiert.

In Optimierungs- oder Inversionsvorgang werden zuerst die Einhüllenden des zeitinvarianten Amplitudenverlaufs und die zugehörige Grundfrequenz (f) der Modellmassen aus den synthetisch erzeugten Trajektorien extrahiert. Ein Faktor Q wird für jede Masse eingeführt, der die Charakteristik von Steifigkeit (k) und Masse (m) beschreibt: k=k 0 Q, m=m 0 /Q [1-3]. In diese erste Initialisierungsphase der Modellparameter wird der Initialwert für Q ausgerechnet, der durch anschließende Optimierungsverfahren weiter optimiert wird. Die Grundfrequenz und Einhüllende der theoretischen 3D-Trajektorien werden weiter vom subglottalen Druck P s beeinflusst, der in der Optimierung ebenfalls berücksichtigt wird.

Ergebnisse

Modell: Im Experiment mit exzidierten humanen Stimmlippen werden sechs Messpositionen entlang des Gewebes der Stimmlippen von Inferior nach Superior regelmäßig verteilt (5), Abbildung 2 b [Abb. 2]. Da die 3D-Schwingungen der untersten Messposition sehr klein sind, wie Abbildung 2 b [Abb. 2] zeigt, werden nur die Bewegungen der oberen fünf Messpositionen berücksichtigt. Die Ausgangsparameter des 3D-MMM wurden so gewählt, dass diese Schwingungen möglichst gut wiedergegeben werden, Abbildung 2 a [Abb. 2]. Mit den anzupassenden Modellparametern wie Modellmassen (m), Ankerfedern (k a ), vertikal gekoppelten Federn (k c ), longitudinal gekoppelte Federn (k l ) und subglottaler Druck (P s ) werden die realen 3D-Stimmlippenschwingungen hinreichend gut simuliert. Abbildung 2 [Abb. 2] zeigt den Vergleich zwischen Trajektorien des 3D-MMM und den experimentellen Trajektorien aus exzidierten Stimmlippen in vertikaler Ebene auf mittlerem Querschnitt, Abbildung 1 b [Abb. 1].

Die Nachbildung der realen 3D-Stimmlippendynamik wird durch das entwickelte 3D-MMM hinreichend gut realisiert.

Optimierung: Durch die Optimierungsprozedur mit Hilfe der Nelder-Mead-Methode und des Simulated-Annealing-Algorithmus wurden die theoretische erzeugten 3D-Trajektorien durch das 3D-MMM hinreichend gut angepasst. Die zugehörige Genauigkeit wurde mit 96,25% berechnet. Die Ähnlichkeit beiden 3D-Trajektorien ist vom Korrelationskoeffizient (0,91) bestätigt. Der normalisierte Fehler bezüglich der Energie beträgt 0,042.

Diskussion

Das entwickelte 3D-Mehr-Massen-Modell berücksichtigt mehr Informationen über die Stimmlippendynamik als bisherige Mehr-Massen-Modelle. Durch die Modellierung der Stimmlippenbewegungen in horizontaler, vertikaler und longitudinaler Richtung ist es möglich die dynamischen Eigenschaften der Stimmlippen wie Auslenkungs-, Phasendifferenzen und Geschwindigkeitsprofile bezüglich aller drei physikalischer Dimensionen nachzubilden und zu analysieren.

Es wurde zunächst an symmetrischen Daten gezeigt, dass das Anpassen des 3D-MMM mit einer Optimierungsprozedur möglich ist. In den nächsten Arbeiten wird die Optimierung auf asymmetrische synthetisch erzeugte 3D-Trajektorien erweitert und verfeinert.


Literatur

1.
Schwarz R. Model-Based Quantification of Pathological Voice Production. Dissertation. Shaker-Verlag; 2007.
2.
Schwarz R, Döllinger M, Wurzbacher T, Eysholdt U, Lohscheller J. Spatio-Temporal Quantification of Vocal Fold Vibrations Using a Biomechanical Model. J Acoust Soc Am. 2008;123(5):2717-32.
3.
Wurzbacher T, Schwarz R, Döllinger M, Hoppe U, Eyshold Ut, Lohscheller J. Model-Based Classification of Nonstationary Vocal Fold vibrations. J Acoust Soc Am. 2006;120(2):1012-27.
4.
Ishizaka K, Flanagan JL. Synthesis of voiced sounds from a two-mass model of the vocal cords. Bell Syst Techn J. 1972;51:1233-68.
5.
Bößenecker A, Berry DA, Lohscheller J, Eysholdt U, Döllinger M. Mucosal Wave Properties of a Human Vocal Fold. Acta Acustica United with Acustica. 2007;93:815-23.