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GMS Thoracic Surgical Science

Deutsche Gesellschaft für Thoraxchirurgie (DGT)

ISSN 1862-4006

Sympathektomie bei Thrombangiitis obliterans der Hände (Buerger-Syndrom)

Sympathectomy for thrombangiitis obliterans of the hands (Buerger’s disease)

Fallbericht

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  • corresponding author Thomas Kyriss - Abteilung für Thoraxchirurgie, Klinik Schillerhöhe, Zentrum für Pneumologie und Thoraxchirurgie, Gerlingen
  • Volker Steger - Klinik für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie der Universitätskliniken Tübingen, Tübingen
  • Godehard Friedel - Abteilung für Thoraxchirurgie, Klinik Schillerhöhe, Zentrum für Pneumologie und Thoraxchirurgie, Gerlingen
  • Heikki Toomes - Abteilung für Thoraxchirurgie, Klinik Schillerhöhe, Zentrum für Pneumologie und Thoraxchirurgie, Gerlingen

Thoracic Surgical Science 2004;1:Doc04

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/journals/tss/2004-1/tss000004.shtml

Veröffentlicht: 1. Oktober 2004

© 2004 Kyriss et al.
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Zusammenfassung

Die Thrombangiitis obliterans ist eine entzündliche, obliterierende Erkrankung, die bevorzugt in den kleinen und mittleren Extremitätengefäßen lokalisiert ist. Die genaue Ätiologie der in Europa seltenen Erkrankung ist unklar; als erwiesener Auslöser gilt der Konsum von Tabak in jeglicher Form. Eine sichere medikamentöse Therapie ist nicht bekannt und revaskularisierende Verfahren scheiden in der Regel aus. Die Kasuistiken zweier jüngerer Raucher mit akraler Fingernekrose werden vorgestellt; in beiden Fällen drohte nach erfolgloser medikamentöser Therapie die Amputation. Nach thorakoskopischer Sympathektomie heilten nur im einen Fall die trophischen Läsionen ab; beim anderen Patienten, der weiter rauchte, mussten Finger amputiert werden. Die Sympathektomie gilt als effektive Behandlungsoption bei Ruheschmerz und Gangrän der Finger, falls Medikamente versagen. Entscheidend für die Prognose ist aber die Behandlung der Tabakabhängigkeit; dies muss von Chirurgen als ebenso wichtig erachtet werden wie die Operation.

Schlüsselwörter: Thrombangiitis obliterans, Morbus Winiwarter-Buerger, Thorakoskopische Sympathektomie, Raucherentwöhnung

Abstract

Thrombangiitis obliterans (Buerger's disease) is an inflammatory, occlusive disease, which commonly affects the small- and medium-sized extremity vessels. The precise etiology of this, especially in Europe rare disease, is unknown; however there is a strong correlation to the use of tobacco. Up to now no standardised medical treatment exists and surgical revascularization is generally ruled out. We present two young smokers, suffering from finger tip necrosis. In both cases medical treatment failed and amputation was supposed to be done. Ischemic ulcers healed after thoracoscopic sympathectomy in one case; the fingers of the other patient, who continued smoking, had to be amputated. Sympathectomy is an effective treatment option for pain at rest and ischemic ulcers if medical treatment failed. The decisive prognostic factor is the successful therapy of tobacco dependence; surgeons should consider this as important as the operative treatment.

Keywords: thrombangiitis obliterans, Buerger's disease, thoracoscopic sympathectomy, smoking cessation


Einleitung

Die in Europa seltene Thrombangiitis obliterans (syn. Thrombendangiitis obliterans, von Winiwarter Buerger'sche Krankheit) ist eine segmentale, nicht arteriosklerotische, thrombosierende Entzündung der kleinen und mittleren Arterien, Venen und Nerven. Betroffen sind überwiegend jüngere, männliche Tabakkonsumenten. Bei einer ischämischen Gangrän der oberen Extremitäten drohen Amputationen an Fingern und Händen. Das Krankheitsbild der Thrombangiitis obliterans (TAO) und die thorakale Symphatektomie werden an zwei Fallbeispielen mit unterschiedlichem postoperativem Verlauf dargestellt.


Fallbeschreibungen

Fall 1

Ein 39jähriger Mann wurde aus der Gefäßchirurgie übernommen. Bereits ein Jahr zuvor waren Kältegefühl und trophische Störungen an den Fingerendgliedern beider Hände aufgetreten. Er rauchte seit 20 Jahren täglich eine Schachtel Zigaretten. Eine intravenöse Behandlung mit Prostazyklin-Analoga (Iloprost) schlug fehl. Blockaden des rechten Ganglion Stellatum besserten die Beschwerden zwei Mal deutlich, woraufhin der Patient zur Sympathektomie zugewiesen wurde. Bei Aufnahme waren alle Fingerendglieder livide verfärbt; die Mittelfingerkuppe rechts und die Ringfingerkuppe links waren trocken nekrotisch. Im Innervationsgebiet beider Nn. ulnares bestanden erhebliche Parästhesien. Die Angiographie zeigte, dass die rechte Hand ausschließlich aus der A. radialis versorgt wurde, die A. ulnaris war proximal verschlossen, die Metacarpalarterien waren rudimentär. Die linke Hand wurde lediglich aus der A. ulnaris und über die offenen Metacarpalarterien 4 und 5 versorgt. Die Füße waren nicht betroffen. Im Abstand von einer Woche führten wir thorakoskopische Sympathektomien bds. durch. Postoperativ besserten sich jeweils subjektive und klinische Beschwerden rasch. Wir konnten vermitteln, dass zwischen der Gefäßerkrankung und dem Rauchen ein Zusammenhang besteht. Er schränkte daraufhin das Rauchen stark ein. Bei Kontrolluntersuchungen nach ein und sechs Monaten waren beide Hände ohne trophische Störungen; das Rauchen hatte der Patient ganz aufgegeben.

Fall 2

Ein 46 jähriger Mann wurde aus einer kardiologischen Klinik wegen akut aufgetretener Nekrosen an der 2. und 3. Fingerkuppe rechts zugewiesen. Weniger als einen Monat zuvor waren erstmals Schmerzen an beiden Händen aufgetreten. Er rauchte täglich 40 Zigaretten, war bis 2 Jahre vor der Gefäßerkrankung langjährig von Heroin und Kokain abhängig und trank bis zu einer Flasche Wodka am Tag. Die Fingerkuppen von Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand waren nekrotisch mit feuchter Gangrän [Abb. 1], [Abb. 2]. Links waren zunächst nur der 2. und 3. Finger livide verfärbt. An den subjektiv beschwerdefreien Füßen waren keine Pulse tastbar. Nach thorakoskopischer Sympathektomie rechts trockneten die Nekrose der 2. und 3. Fingerkuppe ab, aber es trat rasch eine Lymphangitis mit Fingerkuppennekrose am Mittelfinger der anderen Hand auf. Zur Behandlung der Tabakabhängigkeit wurde der Patient in eine Innere Abteilung verlegt, die auf Suchttherapie ausgerichtet ist. Dort wurden täglich Iloprost 40µg, Acetylslicylsäure 100mg und Enoxaparin 40mg gegeben. 30 Tage nach dem Ersteingriff rechts erfolgte dann die Sympathektomie links. Postoperativ heilten die Ulzerationen zunächst fast vollständig ab. Die weitere Behandlung wurde in der Inneren Abteilung mit o.g. Medikation fortgesetzt. Es gelang dem Patienten jedoch nie das Rauchen aufzugeben. An beiden Händen rezidivierten die feuchten Nekrosen, und drei Monate nach der ersten Sympathektomie wurden die Endglieder des 2.-5. Fingers rechts und die des 2. und 3. Fingers links amputiert.


Diskussion

Thrombangiitis obliterans

1879 berichtete Felix von Winiwarter erstmals über einen Mann mit Thrombangiitis obliterans (TAO) der Füße; seiner Auffassung nach unterschieden die ausgeprägte Endarteriitis und Endophlebitis die Erkrankung eindeutig von der Arteriosklerose [15]. Die erste präzise und bis heute gültige Beschreibung der Pathomorphologie stammt von Leo Buerger aus dem Jahr 1908 [2]. Erst seitdem ist die TAO als eigenständige Entität akzeptiert; sie wird im englischen Sprachraum als „Buerger's disease" bezeichnet.

Die nicht arteriosklerotische, stenosierende, entzündliche Erkrankung tritt zumeist an kleineren und mittleren Arterien, Venen und Nerven der Arme und Beine auf. Extrem rar sind intestinale Manifestationen; die cerebrale Form wird nach ihren Erstbeschreibern Spatz-Lindenberg benannt [1], [8], [11], [13]. Klinisch, arteriographisch und histopathologisch ist die TAO eindeutig von anderen Vaskulitiden oder der Arteriosklerose zu unterscheiden [10]. Wenngleich die TAO in Europa und Amerika mit einer Inzidenz von 8/100.000 für Männer < 45 pro Jahr selten ist, verursacht sie in Japan und Indien bis zu 66% aller peripheren arteriellen Gefäßerkrankungen [1], [9], [10], [11]. Frauen erkranken deutlich seltener als Männer; bei ihnen beginnt die Erkrankung meist zwischen 40 und 45 Jahren [9], [10]. Die Ätiologie ist bis heute unbekannt; die Beziehung zwischen Tabakkonsum in jeder Form sowie Auftreten und Progredienz der Erkrankung ist aber unbestritten [7], [10], [11], [12]. Der zugrunde liegende Pathomechanismus ist eine Vaskulitis, bei der entzündliche Thrombi Arterien und Venen verschließen [1], [10].

Anfangs klagen Patienten über Kälte, Brennen oder Taubheitsgefühl; obere und untere Extremitäten sind oft gemeinsam befallen. Ein begleitendes Raynaud-Phänomen ist häufig, und bei ca. 40% lässt sich anamnestisch eine Phlebitis migrans, meist in den oberflächlichen Venen der Füße und Beine eruieren [10]. Ischämische Ulcera der Hände treten bei mehr als der Hälfte der Patienten mit Befall der oberen Extremitäten auf [10]. Belastungsabhängige Schmerzen der Hohlhand sowie des Fußgewölbes („instep-claudicatio") gelten als charakteristisch.

Diagnostik

Der Allen-Test fällt bei 2/3 der Patienten positiv aus. Arteriogramme zeigen segmentale Verschlüsse der distalen Arterien an Händen und Füssen, die von korkenzieherartigen Kollateralen umgeben sein können. Gleichzeitig fehlen arteriosklerotische Zeichen an größeren Arterien. Als beweisend gilt nur eine Biopsie; sind aber folgende Kriterien erfüllt, gilt die Diagnose als sicher: Alter unter 45 Jahren, Tabakkonsum, distale Extremitätenischämie und unauffällige proximale Arterien; begleitende Thrombophlebitis migrans, Raynaud-Phänomen, sowie ein isolierter Befall der oberen Extremitäten oder „instep-claudicatio" erhärten die Diagnose, sofern Hyperkoagulopathien, Diabetes mellitus oder Autoimmunerkrankungen ausgeschlossen sind [11].

Therapie

Die Wirkung von Thrombozytenaggregationshemmern, Calciumantagonisten, Immunsuppressiva und Vasoaktiva ist umstritten [10], [11]. Erfolgreich scheint aber die Behandlung mit Prostazyklin-Analoga (Iloprost). Unter täglicher Infusion von Iloprost über 28 Tage waren in einer prospektiv randomisierten Doppelblinduntersuchung (n=133) Ruheschmerz bzw. Ulcera in 85% der Fälle rückgängig gegenüber 17% in der mit Aspirin infundierten Kontrollgruppe. Vollständige Ulcusheilung konnte unter Iloprost in 35% der Fälle erreicht werden, verglichen mit 18% in der Aspirin-Gruppe. Die Ansprechrate nach 6 Monaten betrug nach Iloprostgabe 88% und 21% nach Aspirintherapie [3].

Eine gefäßchirurgische Intervention scheidet in der Regel aus. Da die distalen und mittleren Arterien betroffen sind, fehlen periphere Insertionsmöglichkeiten für die Bypasschirurgie [10]. Sind aber nur die mittleren Segmente der unteren Extremität befallen, kann die Revaskularisation durch einen Bypass erfolgreich sein [9].

Kälte, starkes Schwitzen und Zyanose der betroffenen Gliedmaßen weisen auf die erhöhte Sympathikusaktivität hin; auslösend sind wahrscheinlich starke und anhaltende Schmerzen. Bleibt die Wirkung einer medikamentösen Behandlung aus, wird in den Stadien III und IV nach Fontaine die chemische oder operative Sympathikolyse empfohlen [1], [4], [9], [10], [11]. Kontrollierte Studien dazu fehlen; gleichwohl gibt es einzelne Berichte über Behandlungserfolge [4], [6], [9]. Als effektiv hat sich die Sympathektomie aber nur dann erwiesen, wenn gleichzeitig das Rauchen aufgegeben wird [10].

Die hier angewandte Operationstechnik ist als selektive thorakale Sympathektomie beschrieben worden [5]. Dabei wird der Grenzstrang nicht durchtrennt, sondern selektiv die prae- und postganglionären Rami communicantes der Ganglien Th2 bis Th5. Das Ganglion stellatum (Th1) wird geschont, ein Horner-Syndrom ist fast ausgeschlossen. Der Eingriff erfolgt über zwei ventrale Trokarzugänge. Wir beginnen an der schwerer betroffenen Seite und erst nach eindeutiger klinischer Besserung wird die andere Seite operiert. Der Effekt der Denervation manifestiert sich erst nach mehreren Tagen, was den Erfahrungen nach lumbaler Sympathektomie entspricht [4].

Tabakabhängigkeit

Tabak gilt als auslösender Faktor der TAO; es gibt fast keinen Nichtraucher mit dieser Erkrankung [10]. Mehrfach wurde belegt, dass völlige Tabakabstinenz die einzige Möglichkeit ist, das Fortschreiten der Erkrankung aufzuhalten und so die Amputation zu vermeiden [1], [4], [7], [10], [11], [12]. Bestimmend für die Prognose ist also die Behandlung der Tabakabhängigkeit [11]. Alle medikamentösen und chirurgischen Therapien werden als palliativ erachtet, solange in irgendeiner Form Tabak konsumiert wird. Die Sympathektomie führt zwar meist zu schneller Schmerzfreiheit und Ulcusheilung; wird aber weiter geraucht ist der Langzeiterfolg schlecht und die Amputation unumgänglich [6]. Von 120 Patienten, die wegen TAO behandelt wurden, waren Amputationen bei 94% derer, die den Tabakkonsum aufgaben nicht erforderlich, während 43% der Raucher amputiert werden mussten [10], [11]. Die beiden vorgestellten Fälle erscheinen exemplarisch. Einem der beiden Patienten konnten wir vermitteln, dass Tabakabhängigkeit und Erkrankung zusammenhängen. Er nahm vorübergehend Nikotinpflaster und gab das Rauchen auf. In der Raucherentwöhnung ist der ärztliche Rat erwiesenermaßen effektiv, zumal wenn mit dem Rauchen assoziierte Erkrankungen vorliegen [14]. Ob Nikotinersatztherapeutika bei TAO angewandt werden können, wird in der Literatur unterschiedlich beurteilt [7]. Wir meinen, dass angesichts der Bedeutung des Rauchverzichts ein vorübergehender Einsatz unter ärztlicher Aufsicht gerechtfertigt ist.


Literatur

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Buerger L. Thrombo-angiitis obliterans: a study of the vascular lesions leading to the presenile spontaneous gangrene. Am J Med Sci. 1908; 136:567-80
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Fiessinger J, Schäfer M. Trial of iloprost versus aspirin for critical limb ischaemia of thrombangiitis obliterans: the TAO study. Lancet. 1980; 335:555-7.
4.
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5.
Friedel G, Linder A, Toomes H. Selective Video - Assisted thoracoscopic sympathectomy. Thorac Cardivasc Surgeon. 1993; 41:245-8.
6.
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7.
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11.
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14.
Schmidt L.Tabakabhängigkeit und ihre Behandlung. Dt Ärzteblatt. 2001; 98:1826-33.
15.
Winiwarter F. Über eine eigentümliche Form von Endarteriitis und Endophlebitis mit Gangrän des Fusses. Arch Klin Chir. 1878; 23:202-26.