gms | German Medical Science

GMS Medizin — Bibliothek — Information.

Arbeitsgemeinschaft für Medizinisches Bibliothekswesen (AGMB)

ISSN 1865-066X

Innovative Recherchetools für das Screening von Literatur zu Long COVID: Eine kooperative Zusammenarbeit zwischen RKI, ZB MED und PubPharm

Innovative search tools for long COVID literature screening: A cooperative collaboration between RKI, ZB MED and PubPharm

Fachbeitrag Forschungsnahe Dienste

Suche in Medline nach

  • author Hermann Kroll - TU Braunschweig, Institut für Informationssysteme, Braunschweig, Deutschland
  • author Katharina Heldt - Robert Koch-Institut, Long COVID-Projekt, Berlin, Deutschland; Robert Koch-Institut, Bibliothek, Berlin und Wernigerode, Deutschland
  • author Lisa Kühnel - ZB MED – Informationszentrum Lebenswissenschaften, Bonn, Deutschland

GMS Med Bibl Inf 2023;23(1):Doc08

doi: 10.3205/mbi000558, urn:nbn:de:0183-mbi0005583

Veröffentlicht: 13. September 2023

© 2023 Kroll et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Die starke Zunahme an wissenschaftlichen Veröffentlichungen über SARS-CoV-2-Infektionen und ihre Langzeitfolgen erfordert einen effizienten Zugriff auf die Literatur. In einer gemeinsamen Kooperation zwischen ZB MED, Robert Koch-Institut und dem Fachinformationsdienst Pharmazie (PubPharm) wurden dazu Suchdienste um geeignete Funktionalitäten für eine effiziente Recherche erweitert. Im Rahmen dieses Projekts wurde daher der Narrative Service (PubPharm) um die sogenannten COVID-19 Overviews und Long COVID Overviews erweitert, die einen strukturierten Überblick über die aktuelle Forschung bereitstellen. Für die semantische Suchmaschine preVIEW (ZB MED) wurde kooperativ ein Long COVID-Filter entwickelt, der eine gezielte Suche nach Long COVID-relevanten Preprints ermöglicht. Die entstandenen Services sind nun frei verfügbar und öffentlich zugänglich. In diesem Artikel werden die zentralen Herausforderungen des Monitorings der Literatur zu Long COVID dargestellt und es wird beschrieben, wie weit die hierfür neu entwickelten Funktionalitäten dieses Literaturmonitoring unterstützen.

Schlüsselwörter: Literaturscreening, Long COVID, semantische Suche

Abstract

The strong increase in scientific publications on SARS-CoV-2 infections and their long-term consequences requires efficient access to the literature. In a joint cooperation between ZB MED, Robert Koch Institute and the specialized information service for Pharmacy (PubPharm), search services were extended by suitable functionalities for an efficient search. In this project, the Narrative Service (PubPharm) was therefore extended by the so-called COVID-19 Overviews and Long COVID Overviews, which provide a structured overview of current research. For the semantic search engine preVIEW (ZB MED), a Long COVID filter was developed cooperatively, which allows a targeted search for preprints relevant to Long COVID. The resulting services are now freely available and in the public domain. In this article, the central challenges of monitoring literature on Long COVID are presented and it is described to what extent the newly developed functionalities support this monitoring.

Keywords: literature screening, long COVID, semantic search


Einleitung

Die enorme Anzahl und besonders die jährliche Zunahme an wissenschaftlichen Veröffentlichungen führen zunehmend zu der Problematik, geeignete Literatur für die eigenen Fragestellungen zu finden. Insbesondere hat die SARS-CoV-2 (COVID-19)-Pandemie die Forschungslandschaft stark geprägt: Zum einen sind seit 2020 ca. 358k COVID-19-bezogene Veröffentlichungen erschienen (PubMed-Suche „COVID 19“, 10.05.2023, https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/?term=covid+19), während vergleichsweise seit 1788 ca. 928k Diabetes-bezogene Veröffentlichungen publiziert wurden (PubMed-Suche „Diabetes“, 10.05.2023, https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/?term=diabetes). Zum anderen haben sich die Geschwindigkeit und Art und Weise, wie Resultate veröffentlicht werden, verändert. Sogenannte Preprints, d.h. noch nicht von Expert:innen begutachtete Artikel, spielen zunehmend eine relevante Rolle – sowohl in der Wissenschaft als auch in der Gesellschaft. Folglich stellen sowohl die große Anzahl an Publikationen in kurzen Zeiträumen als auch die rapide Geschwindigkeit der Publikation von Erkenntnissen in Form von Preprints eine zunehmend große Herausforderung dar.

Unsere Arbeit beschäftigt sich vor allem mit der Literaturrecherche zu Long COVID, den Langzeitfolgen einer COVID-19-Infektion. Eine besondere Herausforderung hierbei ist, dass die einheitliche Bezeichnung „Long COVID“ in der Literatur erst gefunden werden musste. Zu Beginn wurde Long COVID eher indirekt durch die Symptomatik nach einer COVID-19-Infektion umschrieben. Ebenfalls waren Formulierungen wie „14 Tage nach einer COVID-19“ die gängige Praxis. Die eigentliche Literaturrecherche, insbesondere in diesen frühen Phasen der Pandemie, wurde dabei also folglich durch das diffuse Symptombild sowie die latente Charakterisierung von Long COVID in der Literatur erschwert.

Eben diese Problematik stellte auch das Robert Koch-Institut (RKI) vor eine Herausforderung. Eine Aufgabe des RKI war und ist es, Fragestellungen zu COVID-19 und Long COVID mit geeigneter und relevanter Literatur zu beantworten. Im Jahr 2021 begann dazu eine Kooperation mit ZB MED, um die Recherche nach relevanter Literatur zu Long COVID zu optimieren. Der semantische COVID-19-bezogene Preprint-Suchdienst preVIEW (https://preview.zbmed.de/) von ZB MED wurde im Rahmen dieser Kooperation um eine automatisierte Long COVID-Klassifikationsmethode erweitert. Dazu wurden speziell geeignete KI-basierte Methoden entworfen und trainiert, um Long COVID in der Literatur zuverlässig zu erkennen – unabhängig davon ob Long COVID dabei explizit z.B. durch eines seiner Synonyme oder implizit durch einen COVID-19-Verlauf beschrieben wurde. Mit Hilfe dieser Methoden kann in preVIEW nun gezielt nach Long COVID-bezogener Literatur gesucht werden.

Jedoch stellte die große Anzahl täglicher Veröffentlichungen weiterhin eine zentrale Herausforderung dar. In einer gemeinsamen Kooperation zwischen RKI, ZB MED und PubPharm (https://pubpharm.de) wurde der Narrative Service – eine Suchmaschine, die strukturierte Anfragen in Form von Interaktionsmustern zwischen biomedizinischen Konzepten erlaubt – um Overviews, COVID-19 Overview, ME/CFS Overview und Long COVID Overview (https://narrative.pubpharm.de/long_covid/), erweitert, die eine strukturierte Exploration der Literatur ermöglichen. In diesen Overviews werden unter anderem relevante Symptome, assoziierte Targets, erste Therapieansätze sowie assoziierte Zielgruppen (Männer, Frauen, Kinder, etc.) automatisiert aus der Literatur zusammengetragen und übersichtlich visualisiert. Zu jeder Zeit können Nutzende mittels eines Klicks eine entsprechende Literatursuche nach der ausgewählten Assoziation durchführen, um so schnell die entsprechenden Quellen zu sichten.

In diesem Artikel werden zunächst die Herausforderungen des Literatur-Screenings aus Sicht des RKI ausführlich beschrieben. Anschließend werden die Services von ZB MED und PubPharm ausführlich charakterisiert sowie ihre Relevanz für das Screening von Literatur zu Long COVID dargestellt. Die entstandenen Services sind dabei frei zugänglich und ohne Kosten nutzbar. Der Artikel schließt mit einem Fazit zum Nutzen der vorgestellten Tools in der Fachcommunity.


Herausforderungen des Screenings von Literatur zu Long COVID

Innerhalb des Robert Koch-Instituts (RKI) hat sich Anfang 2021 eine Arbeitsgruppe zu den Langzeitfolgen einer Sars-Cov-2-Infektion gebildet. Kurz darauf ist in der Bibliothek des RKI eine Anfrage eingegangen, die Arbeitsgruppe bei Fragestellungen zur Literaturrecherche zu unterstützen. Nach einigen anfänglichen Testrecherchen wurde deutlich, dass ein Literatur-Monitoring nur mit Hilfe der Datenbanken PubMed, Embase und WHO COVID-19 Research Database sehr kompliziert wird. Da die erforderliche Recherchearbeit sehr viel Zeit in Anspruch nahm, wurde eine projektbezogene Arbeitszeitaufstockung einer Bibliotheksmitarbeiterin innerhalb des RKIs erforderlich.

Die größten damals identifizierten Herausforderungen in der Literaturrecherche waren:

  • Keine einheitliche semantische Bezeichnung für Long COVID
    Die Bezeichnung Long COVID wurde erstmalig online im Jahr 2020 von Betroffenen verwendet. Innerhalb der Literatur waren in den Jahren 2020/2021 unterschiedliche Bezeichnungen für Long COVID ersichtlich. Am häufigsten waren Long COVID, Post COVID, post-acute sequelae of SARS-CoV-2, postacute COVID-19, aber auch longhaul COVID, chronic COVID oder andere Synonyme und weitere Beschreibungen für das persistierende Krankheitsbild und die unterschiedlichen Symptome wurden verwendet.
  • Anfänglich diffuses Symptombild der unterschiedlichen Spätfolgen
    Eine klinische Falldefiniton der World Health Organization (WHO) für Long COVID bzw. später „post covid-19 condition“ wurde erst im Oktober 2021 veröffentlicht. Anfängliche Recherchen konzentrierten sich innerhalb des RKI auf die Recherche zur Identifikation von Symptomen, die erst später unter Long COVID zusammengefasst wurden, da das RKI auch in die Defintionserarbeitung der WHO mit eingebunden war. Das Hauptproblem dabei war die Recherche nach Symptomen, die noch nicht identifiziert waren. Dabei war ein kontinuierliches Screening der bereits identifizierten Literatur nach neuen Symptomen notwendig und eine enge Zusammenarbeit mit dem wissenschaftlichen Personal der Long COVID-Arbeitsgruppe sowie tagesaktuelle Recherchen und Anpassungen der Suchstrings erforderlich.
  • Keine vorhandenen MeSH Terms oder Supplementary Concepts zu Long COVID
    In PubMed wird die Suche durch die sogenannten Medical Subject Headings (MeSH) unterstützt. Ein solches Heading beschreibt ein Konzept mittels einer kurzen Beschreibung und einer Liste von Synonymen. In PubMed werden dann Artikel mit diesen Konzepten annotiert, sodass Nutzende durch eine Suche mit einem MeSH Term auch nach möglichen Synonymen suchen. Mitte des Jahres 2020 wurde „post-acute COVID-19 syndrome“ als Supplementary Concept eingeführt (Kandidat für einen MeSH Term, der vorläufig im sogenannten Supplement aufgenommen wurde): Leider waren damals insgesamt sehr wenig Artikel mit dem Supplementary Concept indexiert, die ausschließlich Langzeitfolgen beschrieben. Die zu dem Zeitpunkt insgesamt noch geringe Menge an Literatur zu Long COVID war überwiegend unter den MeSH Terms SARS-CoV-2 oder COVID-19 indexiert. Erst nach Einführung des MeSH Terms „Post-Acute COVID-19 Syndrome“ im Jahr 2022 und der konstanten Indexierung aller Artikel war eine thematische Suche möglich.
  • Schwierige Abgrenzung zur großen Menge an COVID-19- / SARS-CoV-2- / Pandemie-Literatur
    Die Recherche nach Long COVID-Literatur war anfänglich durch mehrere Faktoren erschwert. Inhaltich berichteten viele SARS-CoV-2-Publikationen Symptome, die zu dem Krankheitsbild von Long COVID zählen, aber auch während der aktiven Infektionsphase vorkommen, z.B. Atemwegsprobleme. Die große Menge an Literatur mit COVID-19-, SARS-CoV-2- oder Pandemie-Bezug erschwerte gezielte Recherchen zusätzlich. Einzelne Recherchen mit Suchstringkomponenten wie z.B. "(persistent OR chronic OR ongoing) AND symptoms" generierten oft tausende Treffer. Das Title/Abstract Screening hätte enormen Zeitaufwand bedeutet. Zudem wurden in der Literatur noch Überschneidungen zu anderen Krankheitsbildern deutlich, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar per Definition von Long COVID getrennt waren. Das Post-intensive-care-syndrome (PICS) z.B. generierte schon durch die Terminologie zusätzliche Treffer, die nur teilweise in den Bereich von Long COVID fallen.
  • Dringlichkeit der Implementation eines Literaturrecherche-Workflows
    Wie schon bei der RKI-internen Literatursammlung zu COVID-19 in Form einer EndNote-Datenbank [1], war die schnelle Entwicklung und Implementation eines Bearbeitungsworkflows notwendig. Der Zeitverzug zwischen aktueller Forschung in Form von geplanten oder laufenden Studien, geplanten oder laufenden Reviews und den daraus resultierenden Publikationen deutete auch zu Long COVID auf einen rasanten Anstieg der Publikationskurve an. Zur aktiven Erfassung von neuen Projekten wurde vom RKI wöchentlich auf Prospero und clinicaltrials.gov recherchiert. Auch hier war ein Anstieg der registrierten Vorhaben ersichtlich. Daher war eine schnelle Implementierung eines Literaturrecherche-Workflows notwendig. Auch dafür sollten die unterstützenden Services möglichst noch vor dem Anstieg der Publikationskurve (Abbildung 1 [Abb. 1]) bereitstehen und nutzbar sein.

Das RKI hatte bereits für Literaturrecherchen zu COVID-19 preVIEW genutzt. Daher setzte sich die Mitarbeiterin der Bibliothek noch vor dem eigentlichen Start des vom BMG finanzierten Long COVID-Projekts des RKI (BMG Fördernummer: ZMI1-2521NIK705) erneut mit ZB MED in Verbindung, um Möglichkeiten für die Long COVID-Recherche zu diskutieren. Da ZB MED zu dem Zeitpunkt im aktiven Austausch mit PubPharm stand, startete eine kooperative Zusammenarbeit zwischen RKI, ZB MED und PubPharm zu innovativen Recherchetools für Long COVID.


preVIEW

Die frei verfügbare semantische Suchmaschine preVIEW: COVID-19 (https://preview.zbmed.de/) wurde zu Beginn der Pandemie von ZB MED entwickelt, um die Auffindbarkeit von wissenschaftlichen Artikeln in Form von Preprints zu erhöhen. Daher vereint die Suchmaschine COVID-19-relevante Preprints von mittlerweile zehn verschiedenen Preprint-Servern. Durch die Notwendigkeit der schnellen Bereitstellung von neuen Informationen zum SARS-CoV-2-Virus wurden Preprint-Server vermehrt genutzt, da die Veröffentlichung nicht durch den oft sehr lange andauernden Review-Prozess verzögert wird. Aufgrund der fehlenden Qualitätsprüfung sind diese Artikel aber noch nicht in bekannten Datenbanken wie PubMed zu finden; daher fehlt auch die Schlagwortindizierung, um die Artikel besser auffindbar zu machen.

Um Forschende bei der Suche nach relevanten Artikeln zu unterstützen, werden die Artikel mit automatisierten Text-Mining-Verfahren angereichert. Dafür werden zum Beispiel bekannte Annotationstools eingesetzt, um Krankheiten zu erkennen und mit MeSH-Termen zu normalisieren. Zudem wurden eigene regelbasierte Verfahren entwickelt, um SARS-CoV-2-spezifische Terme, wie zum Beispiel Proteine oder Varianten des Virus, zu erkennen. Abbildung 2 [Abb. 2] zeigt einen Screenshot der Weboberfläche, welche unter https://preview.zbmed.de frei verfügbar ist. Aktuell beinhaltet der Service mehr als 70.000 Artikel mit vielen verschiedenen Such- bzw. Filterfunktionalitäten. Beispielsweise kann man links nach semantischen Klassen (Krankheiten, Genen, SARS-CoV-2-Proteinen und -Varianten) filtern. Ebenso werden die fünf häufigsten Entitäten für alle Klassen angezeigt, die man per Mausklick direkt zur Suche hinzufügen kann. Des Weiteren kann man nach Datum oder Preprint-Server filtern, die Dokumente nach spezifischen Kriterien sortieren oder Subkorpora in verschiedenen Formaten exportieren. Eine detaillierte Beschreibung des Services findet man unter [2], [3].

Der zunächst prototypisch entwickelte Service wird stetig um Funktionalitäten erweitert und an Bedarfe der Nutzenden angepasst. So konnte auch die Suchmaschine um einen Long COVID-Filter erweitert werden. Aus von Informationswissenschaftler:innen des RKI manuell selektierten und klassifizierten Artikeln wurde ein Trainingskorpus erstellt. Mithilfe dessen wurden moderne Verfahren des Deep Learning genutzt, um einen Long COVID-Filter zur Verfügung zu stellen. Dieser erzielt auf den vorhandenen Testdaten sehr gute Ergebnisse [4] und erleichtert die Auffindbarkeit von relevanten Artikeln. Gerade das anfängliche Fehlen eines einheitlichen Begriffs für Long COVID hat das Auffinden von relevanten Informationen sehr erschwert.

Aktuell umfasst die Suchmaschine mehr als 3.000 als Long COVID klassifizierte Dokumente, welche mit einem Long COVID-Label gekennzeichnet werden (siehe Abbildung 3 [Abb. 3]).

Eine weitere wichtige Funktionalität ist der Feedbackmodus, der es Nutzenden erlaubt die Klassifikationen zu bewerten. Dies kann einfach über die Buttons „Daumen hoch“ bzw. „Daumen runter“ gemacht werden. Dadurch ist es möglich neue Datensätze zu generieren und das trainierte Modell weiter zu verbessern. Es wurden bereits über 4.000 Feedbacks übermittelt, mit denen somit das Modell verbessert werden konnte.


FID Pharmazie – Narrative Service & Long COVID Overviews

PubPharm (https://www.pubpharm.de/) [5] ist eine gemeinsame Kooperation zwischen der Universitätsbibliothek und dem Institut für Informationssysteme der TU Braunschweig. Das Ziel von PubPharm ist die Entwicklung von Services, um die forschende pharmazeutische Fachcommunity in ihrer täglichen Arbeit zu unterstützen. Der sogenannte Narrative Service (https://narrative.pubpharm.de/) [6], [7] sowie die Drug Overviews (https://narrative.pubpharm.de/drug_overview/) sind dabei die neusten Entwicklungen. Im Gegensatz zu klassischen Schlüsselwort-basierten Suchsystemen ermöglicht der Narrative Service eine gezielte Suche nach Interaktionen zwischen biomedizinischen Konzepten, z.B. Wirkstoffen, Krankheiten, Targets und Arzneiformen (Abbildung 4 [Abb. 4]). So kann beispielsweise nach Literatur gesucht werden, in der ein bestimmter Wirkstoff zur Behandlung von COVID-19-Symptomen als Tablette eingesetzt wird. Die Drug Overviews ergänzen den Narrative Service, indem Sie Nutzende dabei unterstützen, Wirkstoff-zentrierte Übersichten über die Forschungsliteratur zu erzeugen. Als Beispiel können so in der Literatur beschriebene Indikationen, Target-Interaktionen, angewandte Labormethoden und mögliche Darreichungsformen in einer einzigen Übersicht visualisiert werden.

Die Datengrundlage bilden aktuell 36 Millionen Publikationen aus der MEDLINE-Kollektion (National Library of Medicine). Diese Kollektion bietet ebenfalls die Grundlage für die Suchmaschine PubMed. Zusätzlich zu den MEDLINE-Dokumenten, ermöglicht der Narrative Service auch die Recherche nach COVID-19-relevanten Preprints aus dem Service preVIEW von ZB MED. Die Services werden dabei regelmäßig aktualisiert, um die Recherche nach aktuellen Themen zu unterstützen. Weiterhin bietet der Narrative Service entsprechende Filteroptionen, um beispielsweise gezielt nach Preprints zu suchen oder Publikationen bezüglich ihres Veröffentlichungsdatums oder Titels einzuschränken.

Gemeinsam mit dem RKI und ZB MED wurden sowohl der Narrative Service als auch die Drug Overviews um Long COVID-relevante Fragestellungen erweitert, z.B. um geeignete Vokabulare wie Vakzine. So kann beispielsweise auch die Literatur nach Zusammenhängen von COVID-19-Impfstoffen strukturiert werden. Für Fragestellungen bezüglich Long COVID wurde ein Long COVID Overview (https://narrative.pubpharm.de/long_covid/) entwickelt. In diesem Overview werden neuste Erkenntnisse aus der Forschungsliteratur automatisiert strukturiert und visualisiert (Abbildung 5 [Abb. 5]). So können Nutzende beispielsweise eine Liste von beschriebenen Long COVID-Symptomen durchsuchen oder untersuchte Therapieoptionen sichten. Mit nur einem Klick beispielsweise auf ein Symptom oder einen Wirkstoff werden Nutzende dann zu einer entsprechenden Literatursuche im Narrativen Service weitergeleitet. Dort kann folgend die unterstützende Forschungsliteratur gesichtet werden. Zusätzlich zu diesem Long COVID Overview stehen Overviews zu ME/CFS (myalgic encephalomyelitis/chronic fatigue syndrome) und COVID-19 zur Verfügung.

Um Nutzenden die Inhalte des Narrative Services transparent zur Verfügung zu stellen und die Literatursuche zu vereinfachen, bietet der Service zudem eine grafisch aufbereitete Visualisierung des eigentlichen Inhalts an (Abbildung 6 [Abb. 6]). So werden gefundene biomedizinische Konzepte, wie Wirkstoffe und Krankheiten, in Titeln und Abstracts farblich hervorgehoben und ihre jeweiligen Interaktionen in einer Graph-basierten Darstellung visualisiert. Filteroptionen ermöglichen zudem eine optimierte Visualisierung von relevanten Inhalten, z.B. eine Visualisierung von Wirkstoffen und Krankheiten aber keinen Targets. In dieser Weise können Nutzende den relevanten Inhalt schnell erfassen.


Gemeinsame Aktivitäten – Informationsveranstaltungen

Zu Beginn der kooperativen Zusammenarbeit hat PubPharm den Narrative Service und ZB MED preVIEW innerhalb der Long COVID-Gruppe des RKI vorgestellt. Zudem wurde eine RKI-interne Präsentation des Narrative Services organisiert, zu der alle Mitarbeitenden eingeladen waren.

Im November 2022 hat das RKI zu einer Informationsveranstaltung eingeladen, bei der sowohl die Aktivitäten des RKI als auch die entwickelten Services zu erweiterten Literaturrecherchemöglichkeiten von ZB MED und PubPharm zu Long COVID vorgestellt wurden. Die Veranstaltung richtete sich an Forschende zu Long COVID und Informationsspezialist:innen, die Long COVID-Recherchen unterstützen. Beworben wurde die Veranstaltung über die Social Media-Kanäle von RKI, ZB MED und PubPharm sowie über bibliothekarische E-Mail-Verteiler. Die Resonanz war sehr gut, insgesamt nahmen über 80 Personen aus über 40 Einrichtungen aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und Italien teil. Nach der Veranstaltung gingen im RKI sowohl einige Anfragen und als auch sehr positives Feedback zu den vorgestellten Produkten ein. Eine Kurzevaluation der Veranstaltung innerhalb des RKIs fiel ebenfalls positiv aus.

Die Inhalte und Ergebnisse der kooperativen Zusammenarbeit wurden auf der Internetseite des RKIs zu Long COVID (https://www.rki.de/long-covid) veröffentlicht und die entwickelten Services dauerhaft verlinkt, um sie für die Öffentlichkeit zur Nachnutzung ebenfalls über die RKI-Seite bereitzustellen. Sowohl preVIEW als auch die PubPharm-Dienste stehen dabei frei und öffentlich zur Verfügung. Eine Auswertung der Zugriffszahlen der Long COVID-Webseite des RKI hat ergeben, dass die Anzahl der Zugriffe seit der gemeinsamen Veranstaltung kontinuierlich wächst.


Fazit

Das RKI nutzt für das interne Literaturmonitoring wöchentlich die Long COVID-Klassifikation in preVIEW für die Recherchen nach Preprints. Die integrierte Verlinkung (Record Linkage) zu den später erschienenen Peer-Review-Publikationen ist dabei sehr hilfreich. Der Narrative Service wurde innerhalb des RKIs schon mehrfach für Recherchen nach einzelnen Therapeutika genutzt, die im Zusammenhang mit Long COVID stehen. Da gerade die Behandlung von Long COVID immer mehr in den Fokus rückt, wird dieser Service in Zukunft eine noch größere Rolle innerhalb der Recherchearbeit des RKIs spielen. Die entsprechenden Long COVID Overviews tragen dazu die wichtigsten Informationen innerhalb einer einzelnen Übersicht zusammen und verlinken zu den entsprechenden Publikationen.

Oft erreichen die Long COVID-Gruppe des RKI Erlasse des Bundeministeriums für Gesundheit sowie Anfragen aus Presse oder Politik zu unterschiedlichen Fragestellungen zu Long COVID. In der Regel ist die vorgegebene Bearbeitungszeit kurz. Gerade für diese Anfragen sind tagesaktuelle Recherchen oft notwendig. Die entwickelten Services werden somit innerhalb des RKI kontinuierlich genutzt und auch für die regelmäßige Überarbeitung der FAQs zu Long COVID auf der Webseite eingesetzt.

Der freie Zugang der entwickelten Services ermöglicht es Forschenden zu Long COVID diese ebenfalls in Ihre aktive Recherchearbeit zu integrieren. Die Ergebnisse aus der kooperativen Zusammenarbeit von RKI, ZB MED und PubPharm stellen somit einen wichtigen Beitrag zur Long COVID-Forschung dar.


Anmerkung

Interessenkonflikte

Die Autor:innen erklären, dass sie keine Interessenkonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel haben.

Danksagungen

Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG): PubPharm – der Fachinformationsdienst für Pharmazie (Gepris 267140244).

Diese Arbeit wurde im Rahmen der NFDI4Health Task Force COVID-19 durchgeführt. Wir bedanken uns für die finanzielle Unterstützung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) – Projektnummer 45126528.


Literatur

1.
Erling J, Heldt K, Sturm J. Lessons learned from the pandemic – ein Praxisbericht aus der Bibliothek des Robert Koch-Instituts. GMS Med Bibl Inf. 2021 Sep 16;21(1-2):Doc05. DOI: 10.3205/mbi000494 Externer Link
2.
Langnickel L, Baum R, Darms J, Madan S, Fluck J. COVID-19 preVIEW: Semantic Search to Explore COVID-19 Research Preprints. Stud Health Technol Inform. 2021 May 27;281:78-82. DOI: 10.3233/SHTI210124 Externer Link
3.
Langnickel L, Darms J, Baum R, Fluck J. preVIEW: from a fast prototype towards a sustainable semantic search system for central access to COVID-19 preprints. JEAHIL. 2021 Sep 21;17(3):8-14.
4.
Langnickel L, Darms J, Heldt K, Ducks D, Fluck J. Continuous development of the semantic search engine preVIEW: from COVID-19 to long COVID. Database (Oxford). 2022 Jul 1;2022:baac048. DOI: 10.1093/database/baac048 Externer Link
5.
Keßler K, Kroll H, Wawrzinek J, Draheim C, Wulle S, Stump K, Balke WT. PubPharm – Gemeinsam von der informationswissenschaftlichen Grundlagenforschung zum nachhaltigen Service. ABI Technik. 2019;39(4): 282-294. DOI: 10.1515/abitech-2019-4005 Externer Link
6.
Kroll H, Pirklbauer J, Kalo JC, Kunz M, Ruthmann J, Balke WT. A discovery system for narrative query graphs: entity-interaction-aware document retrieval. Int J Digit Libr. 2023 Apr 24. DOI: 10.1007/s00799-023-00356-3 Externer Link
7.
Kroll K, Draheim C. Narrative Information Access for a Precise and Structured Literature Search. O-Bib. Das Offene Bibliotheksjournal. 2021;8(4):1-13. DOI: 10.5282/o-bib/5730 Externer Link