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Arbeitsgemeinschaft für Medizinisches Bibliothekswesen (AGMB)

ISSN 1865-066X

Evidenzsynthesen: „Focused Mapping Review and Synthesis“ als weiteres Mitglied einer Reviewfamilie?

Evidence syntheses: “Focused Mapping Review and Synthesis” as another member of a review family?

Fachbeitrag Forschungsnahe Dienste

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  • Jasmin Eppel-Meichlinger - Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften, Department Allgemeine Gesundheitsstudien, Fachbereich Pflegewissenschaft mit Schwerpunkt Person-Centred Care Research, Krems, Österreich
  • corresponding author Julian Hirt - OST, Departement Gesundheit, Institut für Pflegewissenschaft, St.Gallen, Schweiz; Pragmatic Evidence Lab, Research Center for Clinical Neuroimmunology and Neuroscience Basel (RC2NB), Universitätspital Basel und Universität Basel, Basel, Schweiz

GMS Med Bibl Inf 2023;23(1):Doc05

doi: 10.3205/mbi000555, urn:nbn:de:0183-mbi0005555

Veröffentlicht: 13. September 2023

© 2023 Eppel-Meichlinger et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

In den letzten 50 Jahren haben sich unterschiedliche Reviewtypen entwickelt, die unterschiedliche Zielstellungen verfolgen. In einer Übersichtsarbeit wurden 48 Reviewtypen identifiziert, welche hinsichtlich ihrer zugrundeliegenden Zielstellung und ihren Literaturrecherchemethoden in sieben „Reviewfamilien“ gruppiert wurden. Darunter wurde der Ansatz des „Focused Mapping Review and Synthesis“ (FMRS) nicht berücksichtigt. Das Ziel unseres Kurzbeitrags ist es, FMRS als potenzielles weiteres Mitglied einer Reviewfamilie vorzustellen und seine methodischen Charakteristika, Potenziale und Herausforderungen aufzuzeigen. Das FMRS kann zur fokussierten Beschreibung und Erkundung vielfältiger Themenbereiche eingesetzt werden, insbesondere jedoch bei Aspekten der Wissensproduktion, d.h. methodologischen und theoretischen Fragestellungen. Eine spezifische Suche in PubMed und medRxiv ergab neun Publikationen zu FMRS zwischen 2016 und 2022. Dabei zeigte sich, dass ein Großteil davon die Forschungspraxis als Untersuchungsgegenstand adressierte und weniger Themen der klinischen Forschung. Die Aufnahme des FMRS in eine Reviewfamilie wäre aufgrund der Eigenheiten bei der Systematisierung der Literaturrecherche im Rahmen einer FMRS zu begrüßen.

Schlüsselwörter: Focused Mapping Review, Evidenzsynthese, Übersichtsarbeit, Methode

Abstract

Over the past 50 years, different types of reviews evolved with different objectives. In a summary, 48 review types were identified, which were grouped into seven “review families” with regard to their underlying objectives and their literature search methods. Among these, the “Focused Mapping Review and Synthesis” (FMRS) approach was not considered. The aim of our short paper is to introduce FMRS as a potential further member of a review family and to highlight its methodological characteristics, potentials, and challenges. FMRS can be used for exploration and focused description of a wide range of topics, but especially for as-pects of knowledge production, i.e., methodological and theoretical issues. A specific search in PubMed and medRxiv revealed nine publi-cations on FMRS between 2016 and 2022, the majority of which addressed research practice as the object of investigation, rather than topics of clinical research. The inclusion of the FMRS in a review family would be welcome due to the peculiarities of the systematisation of literature search within the approach of FMRS.

Keywords: Focused Mapping Review, evidence synthesis, literature review, methods


Einleitung

Evidenzsynthesen werden seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts zunehmend angefertigt. Diese werden insbesondere mit dem Ziel durchgeführt, Ergebnisse von Einzelstudien zusammenzufassen, die vergleichbare Fragestellungen beantworten [1]. Evidenzsynthesen weisen in der klinischen Versorgung eine unbestritten hohe Relevanz auf, da sie eine Grundlage für die klinische Entscheidungsfindung darstellen [2]. In den letzten 50 Jahren haben sich unterschiedliche Reviewtypen entwickelt, die unterschiedliche Zielstellungen verfolgen [3]. Ausgehend von der Grundidee eines Reviews geht es dabei folglich nicht immer um die zusammenfassende statistische Betrachtung der Wirksamkeit von gesundheitsbezogenen Interventionen aus möglichst allen relevanten Studien, wie dies ein Systematic Review mit Meta-Analyse für sich beansprucht [1].


„Reviewfamilien“

Grant und Booth haben 2009 auf Basis einfacher Recherchen und ihrer beruflichen Erfahrung mit Evidenzsynthesen 14 Reviewtypen zusammengetragen und diese nach bestimmten Kriterien differenziert, bspw. die zugrundeliegende Such-, Bewertungs- und Analysemethodik der enthaltenen Primärstudien aufgezeigt [4]. Zehn Jahre später suchten Sutton et al. systematisch nach Reviews und identifizierten 48 Typen [5]. Sie teilten die Reviewtypen anhand der ihnen zugrundeliegenden Zielstellung und Literaturrecherchemethoden in sieben „Reviewfamilien“ ein [5] (Tabelle 1 [Tab. 1]): traditional review, systematic review, review of review, rapid review, qualitative systematic review, mixed methods review, und purpose specific review. „Traditional reviews“, bspw. narrative Reviews, verwenden ein zielgerichtetes Sampling. Der Einfluss systematischer Reviews macht jedoch zunehmend erforderlich, dass sie eine größere Reichweite anstreben. Reviewtypen der „systematic review“-Familie weisen eine umfassende Suche als definierendes Merkmal auf. Sie konzentrieren sich häufig auf bestimmte Studientypen, z.B. Beobachtungsstudien oder Interventionsstudien. „Reviews of reviews“ fassen die Ergebnisse von Evidenzsynthesen und keine Primärstudien zusammen. Das entscheidende Merkmal der „rapid reviews“ ist die Aushandlung zwischen dem Umfang und den Methoden in der limitierten zur Verfügung stehenden Zeit. „Qualitative systematic reviews“ haben einen weitaus weniger weitreichenden und umfassenderen Rechercheanspruch. Unterschieden werden kann zwischen aggregierten und interpretativen Ansätzen. „Mixed methods reviews“ charakterisieren sich durch die Berücksichtigung von Mixed-Methods-Primärstudien oder, häufiger noch, durch die Integration von quantitativen und qualitativen Daten. Typen der „purpose specific reviews“-Familie weisen eine hohe Heterogenität hinsichtlich der angewendeten Methoden auf. Vertreterinnen sind bspw. die Konzeptanalyse und Kontextanalyse, bei denen das Ziel und der Zweck im Vordergrund stehen, aber der Informationsbeschaffung vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird [5]. Kürzlich wurde die „Big Picture“-Reviewfamilie [6] als Ergänzung zum Katalog von Sutton et al. [5] vorgeschlagen. Die Familie umfasst Scoping Reviews, Mapping Reviews und Evidence Maps, die darauf abzielen, ein „Big Picture“ zu beschreiben, anstatt eine spezifische Frage zur Wirksamkeit von Interventionen zu beantworten [6] (Tabelle 1 [Tab. 1]).


Focused Mapping Review and Synthesis

Unter diesen genannten „Reviewfamilien“ war der Ansatz des Focused Mapping Review and Synthesis (FMRS), welcher 2019 von Bradbury-Jones et al. in einem Methodenpapier vorgestellt wurde [7], nicht gelistet. Das Fehlen des FMRS in der Übersicht von Sutton et al. ist vermutlich darin begründet, dass das Einschlusskriterium von mindestens zehn in MEDLINE indexierten Publikationen zur Durchführung des FMRS nicht erfüllt war [5]. Warum das FMRS im ergänzenden Beitrag zur „Big Picture“-Familie [6] nicht berücksichtigt wurde, kann aus der Berichterstattung nicht nachvollzogen werden. Obwohl das FMRS einige Gemeinsamkeiten mit Scoping Reviews, Mapping Reviews und Evidence Maps der „Big Picture“-Reviews aufweist, weist es Spezifika auf, die für Forschende von Bedeutung sein können.

FMRS ist aus der Prämisse heraus entstanden, dass Bradbury-Jones et al. an ihre Grenzen zur Beantwortung von Forschungsfragen im Bereich der Gesundheits- und Sozialforschung mit Hilfe „klassischer“ Reviewtypen gestoßen sind [7]. Diese Fragestellungen umfassten methodologische und theoretische Aspekte und weniger die Wirksamkeit von Interventionen. FMRS bietet sich an, wenn sich Fragestellungen auf erkenntnistheoretische Belange und Aspekte der Wissensproduktion beziehen. FMRS weist vier Hauptmerkmale auf: 1) fokussiert ein eingegrenztes Wissensgebiet und nicht die Gesamtheit von Evidenz, 2) untersucht dies in einem erkenntnistheoretischen Kontext, 3) resultiert in einer deskriptiven „Landkarte“ der Charakteristika von Forschung(sergebnissen) und 4) kommentiert die Wissensproduktion und nicht den Stand der Ergebnisse [7].

Dabei geht es, ähnlich wie bei Mitgliedern der „Big Picture“-Familie, nicht darum, verallgemeinerbare Schlüsse zu ziehen oder eine vollumfängliche Sichtung der vorhandenen Literatur vorzunehmen. FMRS zeichnet sich jedoch durch die selektive Vorgehensweise bei der Literatursuche aus, um einen Überblick zu einem spezifisch fokussierten Ausschnitt der Forschungslandschaft zu erhalten. Der Fokus kann zeitlich in Monaten bis Jahren gesetzt werden. Um den Fokus weiter zu schärfen, liegt das Hauptaugenmerk beim FMRS typischerweise auf gezielt ausgewählten Zeitschriften.

Durch die fokussierte Eingrenzung hinsichtlich des Zeitrahmens und der Informationsquellen resultiert das FMRS in einem „snap-shot“ oder einem „profile picture“ [7]. Es geht also nicht darum, einen umfassenden Überblick zu den bestehenden Wissensbeständen zur Beantwortung einer Fragestellung aufzuspüren, sondern darum, mittels systematischer Suche einen (fokussierten) Ausschnitt eines Wissensbestands zu erfassen. Eine potenzielle Herausforderung beim FMRS stellt die Festlegung des Fokus und seiner Grenzen dar. Unabhängig davon, ob die Eingrenzung z.B. nach Zeitschrift, Methodik, Thema oder Datum erfolgt, sollte ihr eine schlüssige Begründung entsprechend des Zwecks der erkenntnistheoretischen Bestandsaufnahme zugrunde liegen. Je nach Zielstellung können so die unterschiedlichsten Forschungsarbeiten zusammenkommen. Dies erfordert eine klare Konzeptualisierung des Untersuchungsgegenstandes, ein gemeinsames Verständnis sowie eine reflexive Haltung zur kontinuierlichen Kalibrierung der Einschlusskriterien innerhalb des Reviewteams.

Um einen Auszug über publizierte Forschungsarbeiten zu erhalten, die sich auf den Ansatz des FMRS stützten, wurde eine spezifische Recherche in PubMed und medRxiv durchgeführt. Diese Datenbanken wurden aufgrund ihres breiten Spektrums im Gesundheitsbereich ausgewählt, da Bradbury-Jones et al. FMRS im Kontext von Gesundheits- und Sozialforschung entwickelten [7]. Eine Suche mit “Focused Mapping Review and Synthesis” im Titelfeld von PubMed (“Focused Mapping Review and Synthesis”[title]) und medRxiv (Title all words “Focused Mapping Review and Synthesis”) am 3. März 2023 ergab neun Treffer: PubMed: 8 Treffer, medRxiv: 1 Treffer (Tabelle 2 [Tab. 2]). Anhand der Titel wird deutlich, dass FMRS eingesetzt wird, um unterschiedlichen Fragestellungen nachzugehen, beispielsweise um zeitliche Eingrenzungen und ihre Begründungen bei der Planung und Durchführung von Übersichtsarbeiten aufzuzeigen [8]. Hierzu untersuchten die Autorinnen und Autoren alle im Jahr 2020 im Journal of Clinical Nursing publizierten Übersichtsarbeiten und analysierten diese. Irvine et al. hingegen untersuchten mit ihrem FMRS den Einsatz von Mixed-Methods in der Pflegeforschung. Dabei untersuchten sie die Forschungsarbeiten aus fünf ausgewählten Zeitschriften, um den Umfang und die Qualität der eingesetzten Mixed-Methods zu betrachten [9]. Der FMRS von Herber et al. hatte wiederum das Ziel, die Inhalte von Peer-Reviews zu qualitativen Forschungsarbeiten zu analysieren. Die Autorinnen und Autoren setzten den Fokus dabei auf ausgewählte Ausgaben und Jahrgänge von Open-Access-Journals (BioMed Central, Springer Nature), die ein offenes Peer-Review-Verfahren praktizierten [10].


Fazit

Bei Betrachtung der publizierten FMRS fällt auf, dass sich ein Großteil mit der Forschungspraxis beschäftigt hat. Es handelt sich demnach um Forschung über Forschung („Research on Research“ oder „Meta-Research“), weniger um Themen der klinischen Forschung. Dies könnte damit zusammenhängen, dass eine typische Fragestellung im Rahmen eines FMRS methodologische und/oder theoretische Aspekte umfasst [7]. Des Weiteren zeigt sich, dass die Mehrheit der publizierten FMRS von Bradbury-Jones selbst stammen. Dies könnte darauf hindeuten, dass das Potenzial von FMRS als Reviewtyp von der Forschungsgemeinschaft noch nicht erkannt wurde.

FMRS kann zur Erkundung und Beschreibung eingegrenzter Wissensgebiete innerhalb ausgewählter Ausschnitte der Forschungslandschaft eingesetzt werden, insbesondere jedoch bei Aspekten der Wissensproduktion, d.h. bei methodologischen und theoretischen Fragestellungen. Die Aufnahme des FMRS in eine Reviewfamilie, bspw. in die „purpose specific“-Reviewfamilie, im Zuge möglicher zukünftiger Aktualisierungen der Arbeiten von Sutton et al. [5] oder Campbell et al. [6] wäre aufgrund der Eigenheiten der FMRS bei der Eingrenzung des Untersuchungsgegenstand und/oder bei der Systematisierung der Literaturrecherche im Rahmen zu begrüßen.


Interessenkonflikte

Die Autorin und der Autor erklären, dass sie bereits eigene Arbeiten anhand der vorgestellten Reviewmethode durchgeführt haben; Interessenkonflikte werden jedoch keine erklärt.


Literatur

1.
EPPI-Centre. History of systematic reviews. 2019 [cited 2023 Mar 3]. Available from: https://eppi.ioe.ac.uk/cms/Resources/EvidenceInformedPolicyandPractice/HistoryofSystematicReviews/tabid/68/Default.aspx Externer Link
2.
Sackett DL, Rosenberg WM, Gray JA, Haynes RB, Richardson WS. Evidence based medicine: what it is and what it isn’t. BMJ. 1996 Jan;312(7023):71-2. DOI: 10.1136/bmj.312.7023.71 Externer Link
3.
Booth A, Sutton A, Clowes M, Martyn-St James M. Systematic Approaches to a Successful Literature Review. 3rd ed. London: SAGE Publications; 2022.
4.
Grant MJ, Booth A. A typology of reviews: an analysis of 14 review types and associated methodologies. Health Info Libr J. 2009 Jun;26(2):91-108. DOI: 10.1111/j.1471-1842.2009.00848.x Externer Link
5.
Sutton A, Clowes M, Preston L, Booth A. Meeting the review family: exploring review types and associated information retrieval requirements. Health Info Libr J. 2019 Sep;36(3):202-22. DOI: 10.1111/hir.12276 Externer Link
6.
Campbell F, Tricco AC, Munn Z, Pollock D, Saran A, Sutton A, White H, Khalil H. Mapping reviews, scoping reviews, and evidence and gap maps (EGMs): the same but different- the "Big Picture" review family. Syst Rev. 2023 Mar;12(1):45. DOI: 10.1186/s13643-023-02178-5 Externer Link
7.
Bradbury-Jones C, Breckenridge JP, Clark MT, Herber OR, Jones C, Taylor J. Advancing the science of literature reviewing in social research: the focused mapping review and synthesis. Int J Soc. 2019; 17(1):1-12. DOI: 10.1080/13645579.2019.1576328 Externer Link
8.
Palese A, Mansutti I, Visintini E, Caruzzo D, Moreale R, Longhini J, Danielis M. Framing the time while designing and conducting reviews: A Focused Mapping Review and Synthesis. J Clin Nurs. 2022 Dec;31(23-24):3523-34. DOI: 10.1111/jocn.16180 Externer Link
9.
Irvine FE, Clark MT, Efstathiou N, Herber OR, Howroyd F, Gratrix L, Sammut D, Trumm A, Hanssen TA, Taylor J, Bradbury-Jones C. The state of mixed methods research in nursing: A focused mapping review and synthesis. J Adv Nurs. 2020 Nov;76(11):2798-2809. DOI: 10.1111/jan.14479 Externer Link
10.
Herber OR, Bradbury-Jones C, Böling S, Combes S, Hirt J, Koop Y, Nyhagen R, Veldhuizen JD, Taylor J. What feedback do reviewers give when reviewing qualitative manuscripts? A focused mapping review and synthesis. BMC Med Res Methodol. 2020 May;20(1):122. DOI: 10.1186/s12874-020-01005-y Externer Link