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Arbeitsgemeinschaft für Medizinisches Bibliothekswesen (AGMB)

ISSN 1865-066X

Der österreichische Weg zur wissenschaftlichen Integrität

The Austrian way to research integrity

Fachbeitrag Plagiate und Plagiatsvermeidung

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  • corresponding author Nicole Föger - Österreichische Agentur für wissenschaftliche Integrität, Wien, Österreich

GMS Med Bibl Inf 2015;15(1-2):Doc06

doi: 10.3205/mbi000333, urn:nbn:de:0183-mbi0003334

Veröffentlicht: 12. August 2015

© 2015 Föger.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Die Österreichische Agentur für wissenschaftliche Integrität wurde als Verein gegründet und zählt mittlerweile 37 Wissenschaftsorganisationen als Mitglieder. Sie hat zwei große Aufgabenbereiche: Der eine umfasst die Untersuchung von Fällen wissenschaftlichen Fehlverhaltens, der andere die Bewusstseinsbildung, was gute wissenschaftliche Praxis ist und was sie für den Forschungsalltag bedeutet. Plagiate sind nur eine Kategorie des wissenschaftlichen Fehlverhaltens, sie werden in der internationalen Wissenschaftsgesellschaft oft milder bewertet als andere Kategorien wie etwa Datenfälschungen oder Datenerfindungen. Die Argumentation ist, dass letztere größere Schäden anrichten können. Plagiaten auf die Schliche zu kommen, ist durch kommerzielle Software, die Textübereinstimmungen erkennt, zum Teil einfacher geworden. Andererseits sind sie durch entsprechende Lehrveranstaltungen über richtiges Zitieren auch relativ einfach zu vermeiden: Richtiges Zitieren kann wie ein Handwerk erlernt werden. Darüber hinaus muss auch das Bewusstsein vermittelt werden, wozu man kennzeichnen soll, woher bestimmte Informationen kommen. Hier ist es sicher sinnvoll, schon in Schulen mit Prävention zu beginnen.

Schlüsselwörter: Österreichische Agentur für wissenschaftliche Integrität (OeAWI), akademisches Fehlverhalten, Plagiat, Plagiatsvermeidung, gute wissenschaftliche Praxis

Abstract

The Austrian Agency for Research Integrity counts 37 research institutions as member organizations. It was established as an association in accordance with the Austrian Associations Act. The agency has two major tasks. One is the investigation of cases of alleged scientific misconduct. The other is to raise awareness for good scientific practice and its significance for the daily work of a researcher. Plagiarism is just one category of academic misconduct. The scientific community often evaluates plagiarism as being a lesser form of scientific misconduct compared with others, e.g. data fabrication or data falsification, because fabricated data could have a more misleading influence on research, e.g. on the development of medical drugs or therapies. Nowadays detection of plagiarism is much easier with the help of appropriate software products. Furthermore plagiarism can easily be avoided by taking part in courses for correct referencing and citation. Certainly it would be very helpful to start with the prevention of academic misconduct already at secondary school level.

Keywords: Austrian Agency for Research Integrity, academic misconduct, plagiarism, prevention, good scientific practice


Ein Verein für wissenschaftliche Integrität

Die Österreichische Agentur für wissenschaftliche Integrität (OeAWI) wurde Ende 2008 als Verein nach österreichischem Recht gegründet. Die damaligen Gründungsmitglieder waren 12 öffentliche Universitäten, die Akademie der Wissenschaften (ÖAW), der Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds (WWTF), das Institute of Science and Technology Austria (IST Austria) und der Wissenschaftsfonds FWF. Mit Stand von April 2015 sind 37 österreichische Wissenschaftseinrichtungen Mitglieder im Verein. Die Agentur finanziert sich ausschließlich über deren Mitgliedsbeiträge und ist eine unabhängige Institution.

Aufgabe der Agentur ist es, in Österreich ein unabhängiges Untersuchungsverfahren in Fällen von wissenschaftlichem Fehlverhalten zu gewährleisten. Zu diesem Zweck wurde eine Kommission von sechs renommierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus den verschiedenen Disziplinen (Medizin, Lebenswissenschaften, Natur und Technikwissenschaften, Geisteswissenschaften, Sozialwissenschaften und Rechtswissenschaften) eingerichtet. Um eine möglichst große Unabhängigkeit vom österreichischen Wissenschaftssystem sicherzustellen, hat man entschieden, die Kommission ausschließlich mit nicht-österreichischen Mitgliedern zu besetzen.

Die Kommission für wissenschaftliche Integrität beendet ihre Verfahren mit einer Stellungnahme an die Betroffenen und an die entsprechende Institution, die im Fall von bestätigtem wissenschaftlichem Fehlverhalten für etwaige Sanktionierungen zuständig ist. Die Fälle, die von der Kommission abgeschlossen wurden, werden anonymisiert im jeweiligen Jahresbericht auf der Website der Agentur (http://www.oeawi.at/) kurz dargestellt. Dies soll ebenfalls zu stärkerem Bewusstsein führen: Jeder im Wissenschaftssystem kann nachlesen, welche Probleme auftreten können, wie man sie hätte vermeiden können und wie man mit derartigen Konflikten umgeht.


Gute wissenschaftliche Praxis

Internationale Studien [1], [2] geben Hinweis darauf, dass nur ein sehr geringer Anteil (ein bis zwei Prozent) von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern tatsächlich Daten fälscht oder erfindet, dass aber ein viel größerer Anteil, zumindest von Zeit zu Zeit, sogenannte „sloppy science“ im Forschungsalltag betreibt.

Eine weitere Aufgabe der Agentur ist daher die Prävention und Bewusstseinsbildung für die Umsetzung guter wissenschaftlicher Praxis. In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass dieser Aufgabenbereich nicht nur wichtig, sondern vor allem auch sehr gefragt ist. Die Nachfrage der Mitgliedsorganisationen der OeAWI bei der Geschäftsstelle nach Vorträgen, Seminaren oder Workshops zum Thema wissenschaftliche Integrität steigt von Jahr zu Jahr. Es gibt auch zunehmend Bewusstsein, dass man das gesamte System einbeziehen muss und sich nicht nur auf eine Gruppe wie etwa die Studierenden fokussiert. Veranstaltungen zur guten wissenschaftlichen Praxis, inhaltlich speziell ausgerichtet für erfahrene Wissenschaftler („senior scientists“), Lehrende, Ombudspersonen, Management, Administration, Firmenpartner und andere, sind ebenso erwünscht.

Darüber hinaus liegt die Verantwortung für ein funktionierendes Wissenschaftssystem ohnehin nicht nur beim Einzelnen, sondern auch bei anderen Beteiligten wie etwa den Wissenschaftsinstitutionen, Journalen und Editoren, Forschungsförderern und vielen anderen.


Das Plagiat – nur ein Teil der Geschichte

In den USA ist wissenschaftliches Fehlverhalten in drei Kategorien eingeteilt: Fabrication, Falsification and Plagiarism (kurz: FFP). In Europa ist der Begriff etwas breiter gefasst, allerdings von Land zu Land und teilweise sogar von Institution zu Institution unterschiedlich. Ein Beispiel wäre hier die sogenannte Ehrenautorschaft auf Publikationen, für die eigentlich kein wissenschaftlicher Beitrag geleistet wurde und die daher auch keine Mitautorschaft rechtfertigt.

In der internationalen Diskussion wird häufig argumentiert, dass Plagiate nur Einzelnen schaden, während andere Formen des wissenschaftlichen Fehlverhaltens wie z.B. Datenfälschungen oder Datenerfindungen nicht nur die wissenschaftliche Welt erschüttern können, sondern auch die Gesellschaft an sich tangieren. Man denke zum Beispiel an den möglichen Einfluss gefälschter Daten auf die Entwicklung von Medikamenten oder Therapien. Trotzdem liest man in europäischen Tageszeitungen häufiger über plagiierte Abschlussarbeiten (oft von prominenten Politikern), seltener von Datenfälschungen. Textplagiate sind sicher einfacher zu erkennen als Datenfälschungen, für deren Untersuchung man etwa die entsprechenden Originaldaten braucht oder auch Fachexperten zu Rate ziehen muss. Mit Ausnahme von sehr dreisten Plagiaten ist bei den meisten Vorwürfen aber nicht so einfach zu klären, ob es sich tatsächlich schon um ein Plagiat handelt. Oft wird schlampiges Zitieren mit einem Plagiat gleichgesetzt, etwa wenn die Quelle richtig genannt wird, jedoch die Fußnote – und zwar ohne Täuschungsabsicht – nicht exakt gesetzt wurde. Es gibt auch keinen allgemein gültigen unteren Schwellenwert, ab dem man von einem Plagiat sprechen kann.

2011 führten die Presseberichte rund um die plagiierte Doktorarbeit des damaligen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg zu einem starken Anstieg an Anfragen an die Agentur: Offensichtlich haben diese Medienberichte viele Menschen – auch außerhalb des Wissenschaftssystems – dazu animiert, andere des Plagiats zu bezichtigen. Beim Großteil dieser Hinweise hat sich der Verdacht allerdings als nicht richtig erwiesen. Darüber hinaus haben damals auch einige Privatpersonen die Agentur kontaktiert, um solchen Vorwürfen zuvorzukommen: Sie wollten sich von der Agentur ein Zertifikat ausstellen lassen, dass es sich bei ihrer Abschlussarbeit um kein Plagiat handelt. Solchen Anfragen kann und will die Agentur aus verschiedenen Gründen nicht nachkommen: Die Überprüfung mittels kommerziell erhältlicher Software, die nach Textübereinstimmungen mit digitalen Quellen sucht, ist zum Beispiel immer nur eine Momentaufnahme. Ein heute positives (heißt: die gefundenen Textübereinstimmungen sind korrekt zitiert) Ergebnis muss nicht bedeuten, dass man nicht eventuell in fünf Jahren mit demselben Programm ein anderes Ergebnis erhalten könnte: Möglicherweise hat man dann Zugriff auf weitere digitale Quellen und würde mehr Textgleichheiten finden, da immer mehr an älteren Literaturbeständen digitalisiert wird. Man kann also mit der Software nur überprüfen, was heute digital vorhanden ist und worauf die entsprechende Software auch Zugriff hat. Alternativ hat man einen Experten an der Hand, der die gesamte Literatur seines Fachs kennt.


Was tut sich an Österreichs Hochschulen

Die meisten österreichischen Hochschulen überprüfen bereits routinemäßig Abschlussarbeiten mittels entsprechender Software auf Textübereinstimmungen. Die Kritik, dass sich der Verdacht nur gegen Studierende richtet, ist nicht immer richtig: Denn an einigen Einrichtungen werden etwa auch Habilitationsschriften auf diese Art untersucht. Die Kommission für wissenschaftliche Integrität hat sich 2014 zum Beispiel mit einigen Plagiatsfällen in Projektanträgen beschäftigt, die von Forschungsförderinstitutionen an sie herangetragen wurden.

Einige Universitäten und auch andere Organisationen im Wissenschaftssystem haben in den letzten Jahren eigene Schreibzentren etabliert, die sowohl Studierenden als auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zur Verfügung stehen, wenn es um Schreibberatung und Fragen zum wissenschaftlichen Schreiben geht. Auch diese Zentren sind Ansprechstelle, wenn es um die Form der Arbeit geht – richtiges Zitieren inkludiert.

2011 wurde eine nationale Arbeitsgruppe (AG) zum Thema „Plagiatsbekämpfung und Prävention“ gegründet. Mehr als 20 Forschungseinrichtungen nehmen an diesem Diskussionsforum regelmäßig teil, die Treffen werden von der Geschäftsstelle der OeAWI koordiniert. Die AG ist ihrem Ziel, an den österreichischen Forschungsinstitutionen eine einheitliche Definition des Plagiatbegriffes und eine einheitliche Vorgehensweise bei Plagiatsfällen zu etablieren, ein großes Stück näher gekommen: Eines der AG-Mitglieder, der Jurist DDr. Karl-Gerhard Straßl (Universität für Musik und darstellende Kunst Wien), hat einen Vorschlag zu einer Plagiatsdefinition erarbeitet, der im Jänner 2015 unter geringfügigen Abänderungen ins Universitätsgesetz (BGBl. I Nr 21/2015) aufgenommen wurde. Zuvor wurde in einem Beitrag [3] von Prof. Anna Gamper (Universität Innsbruck) ausführlich beschrieben, dass die verschiedenen Hochschulen sehr unterschiedliche Plagiatsdefinitionen verwenden.


Bewusstseinsbildung schon in der Schule

Die Bewusstseinsbildung sollte vor allem in Anbetracht der vorwissenschaftlichen Arbeiten, die seit kurzem im Rahmen der Zentralmatura in Österreich geschrieben werden, schon VOR dem Studium beginnen. Das Bundesministerium verlangt, dass sich eine vorwissenschaftliche Arbeit an den Regeln einer guten wissenschaftliche Praxis orientieren soll. Vorrangig muss sein, den Schülerinnen und Schülern zu erklären, warum es überhaupt wichtig ist, fremdes Gedankengut als solches zu kennzeichnen und dass nicht alles, was im Internet zu finden ist, frei verwendbar ist (z.B. auch Rechte am Bild). Beim Zitieren geht es auch um die Nachvollziehbarkeit, woher die entsprechende Information stammt, und speziell in der Wissenschaft vor allem um die Anerkennung der Leistung anderer. Die Agentur wurde in den letzten Jahren immer wieder von Pädagogischen Hochschulen eingeladen, Seminare und Workshops für Lehrende der AHS und BMHS über richtiges Zitieren bzw. Plagiatsvermeidung zu geben.

Auch später im Studium reicht es nicht, ein Seminar im ersten Semester über gute wissenschaftliche Praxis und wissenschaftliches Arbeiten anzubieten. Vortragende und Lehrende müssen selbst Vorbild sein, wenn sie z.B. fremde Texte oder Abbildungen in ihren Präsentationen und Vorlesungen verwenden und sollten angeben, woher diese stammen. Gute wissenschaftliche Praxis muss Studierende und Wissenschaftler stets begleiten und soll nicht wie eine Zusatzqualifikation gehandelt werden, die als Wahlfach angeboten wird.


Anmerkung

Interessenkonflikte

Die Autorin erklärt, dass sie keine Interessenkonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel hat.


Literatur

1.
Fanelli D. How many scientists fabricate and falsify research? A systematic review and meta-analysis of survey data. PLoS One. 2009 May 29;4(5):e5738. DOI: 10.1371/journal.pone.0005738 Externer Link
2.
Steneck NH. Fostering integrity in research: Definitions, current knowledge, and future directions. Sci Eng Ethics. 2006 Jan;12(1):53-74. DOI: 10.1007/PL00022268 Externer Link
3.
Gamper A. Das Plagiatsverbot aus universitätsrechtlicher Sicht. In: Goltschnigg D, Grollegg-Edler C, Gruber P, editors. Plagiat, Fälschung, Urheberrecht im interdisziplinären Blickfeld. Berlin: Erich Schmidt Verlag; 2013. p. 41ff.