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Buchbesprechung: Why do we quote? The culture and history of quotation
Book review: Why do we quote? The culture and history of quotation
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Veröffentlicht: | 12. August 2015 |
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Gliederung
Zusammenfassung
Finnegans Buch „Why do we quote?“ ist ein sehr kurzweiliges und durch viele Zitate, realer Personen und anderer Quellen, auch sehr abwechslungsreiches Sachbuch. Der flüssige Schreibstil deutet nicht darauf hin, doch der Aufbau zeugt vom unbändigen Forschergeist Dingen unvoreingenommen auf den Grund gehen zu wollen. Da es keine wissenschaftliche Abhandlung zum Thema Zitate ist, ist es auch an keiner Stelle belehrend und gibt doch viel Stoff zum Nachdenken und Hinterfragen. Nicht nur für ausgesprochene Fans der „Gänsefüßchen“ ein spannendes Werk!
Abstract
Finnegan’s book “Why do we quote?” is an entertaining non-fiction book garnished with citations of numerous individuals as well as quoting other sources. Its fluent writing manner is not giving any hint away just yet, but underneath lurks a seemingly boisterous spirit of research approaching questions without bias, wanting to go deeper. Being no scientific essay on citations, it is never indoctrinating, thus giving us ample material to ponder. A fascinating read not solely apted for fans of the “quotation marks”!
Bibliographische Angaben
„Why do we quote? The culture and history of quotation“
Ruth Finnegan
Cambridge: Open Book Publishers
2011
350 Seiten (im PDF-Format)
ISBN: 978-1-906924-33-1 (Paperback)
ISBN: 978-1-906924-34-8 (Hardback)
ISBN: 978-1-906924-35-5 (digital/pdf)
DOI: 10.11647/OBP.0012
Als PDF online verfügbar unter: http://www.openbookpublishers.com/reader/75
Einleitung
Zitierstile – in den Augen der Studierenden häufig als unsinnige Praxis und gar quälerische Foltermethoden angesehen! Ob dieser oder jener Stil, Klammer auf, Klammer zu, Punkt davor oder doch dahinter … schlau werden sie meist nicht daraus. Doch nicht weil vielen die Methodiken fehlen oder sie nicht darauf eingehen wollen, sehe ich in meiner langjährigen Praxis als präventive Plagiatsprüferin (im Unterschied zu „PlagiatsjägerInnen“) immer wieder plagiierte bzw. schlecht paraphrasierte Textstellen. Meiner Einschätzung nach fehlt der Zugang zum Warum des Zitierens fast komplett! Im vorgestellten Buch von Ruth Finnegan, einer britischen, emeritierten Soziologieprofessorin der Open University, wird schon im Vorwort klar, dass das auch Gelehrten häufig nicht wirklich bewusst ist, Personen also, die von Berufs wegen regelmäßig – und wenn es nach ihren Hochschulen geht, so oft als möglich und mit möglichst hohem „impact“– in Fachjournalen weltweit publizieren.
Alle Seitenangaben beziehen sich ausschließlich auf die PDF-Version des Werkes.
Rezension
Anhand zahlreicher Fallstudien gibt die Autorin gekonnt einen Überblick über die Geschichte und Hintergründe des Zitierens akademischer Quellen und wie sich die Konventionen bisher entwickelt haben. Dies impliziert auch, dass es schon lange Konventionen dazu gibt und die Aussage mancher PlagiatorInnen, das hätte man eben früher nicht so gemacht, nur bedingt gelten kann.
Zu Abschnitt I – Setting the present scene
Zitieren ist heutzutage sehr divers! Tatsächlich sind Zitate nicht nur auf den wissenschaftlichen Alltag beschränkt: Zitate kommen als gepostete Sinnsprüche auf Facebook, Widmungen in Büchern, als nachgemachte Markenartikel, als Remakes von Filmen und Anlehnungen an alte Songs daher, wir erzählen uns Witze, die schon Tausende vor uns mehr oder weniger lustig nacherzählt haben, schlaubergern mit lateinischen Sprüchen auf Partys herum oder stellen Ideen in Meetings vor, die uns jemand anderer zuvor geschildert hatte, schreiben altbewährte Sprüche auf Weihnachts- und Geburtstagskarten usw. Vielleicht haben Sie sogar einen dieser „keep calm and …“-Kaffeebecher zuhause? Auch das ist eine Form von Zitat!
Anhand der Ergebnisse einer groß angelegten Studie analysiert Finnegan, ob und wann die Bevölkerung glaubt zu zitieren oder eben nicht. Viele dieser alltäglichen Zitate sind uns nämlich so geläufig, dass uns das Zitat gar nicht bewusst ist, man weiß nicht, dass man die tatsächlichen UrheberInnen hätte zitieren sollen oder dass etwas gar kein Original war.
Einige Gründe für das Zitieren
Manche der angeführten Beschreibungen, warum Menschen zitieren sind schlicht zum Todlachen ob ihrer grenzenlosen Offenheit:
Folgende Gründe wurden unter anderem in Finnegans Buch außerdem für das Zitieren angeführt, manche sehr bekannt und völlig einleuchtend, andere weniger:
- „to illustrate the intensity of the sentences“ ([1], S. 62)
- „puts a particular chunk of words on stage“ ([1], S. 62)
- „drawing attention to particular words“/ „highlighting words for attention“ ([1], S. 63f.)
- „if repeating someone’s exact (or supposedly exact) words“ ([1], S. 64)
- „Such signalling could get the hearer or reader not only to pause and weigh up the words but to share the user’s attitude to them, whether of humour, agreement, disproval or whatever.“ ([1], S. 72)
- „the whole point of using quotations is surely that the listener will understand the reference; it’s a way of using shorthand, of bonding speaker and listener closer together.“ ([1], S. 76)
- „Quotations were also used as a shorthand way to set something in perspective by calling in someone else’s words or persona.“ ([1], S. 78)
- „another use of quotations was to shape their listeners’ interpretation of a situation“ ([1], S. 79)
- „we pay much more attention to a wise passage when it is quoted then when we read it in the original author“ (Philip Hamerton in [1], S. 79)
- „clever misquotations in newspapers headlines drew the eye“ ([1], S. 81)
- „a lack of ‚original thought‘“ ([1], S. 85)
- „a slightly lazy way of making a point, using words which someone else has already expressed appropriately“ ([1], S. 86)
- „quotes could be used to get at someone or be aimed against the recipient“ ([1], S. 89)
- „quoting could give authority to personal opinions“ ([1], S. 90).
- „[quotations lay] outside and transcending the precise here and now“ ([1], S. 94)
Die zahlreich angeführten Beispiele belegen sehr schön, wie biegsam Sprache ist, wie flexibel wir sie uns an unsere Bedürfnisse des Ausdrucks anpassen und in allen Lebenslagen für uns arbeiten lassen können. Wir müssen uns gleichzeitig auch bewusst machen, dies alles ist auch der Nährboden, auf dem die Studierenden aufwachsen und sich bewegen.
Nach der Durchforstung der alltäglichen Zitate (oder eben fehlenden Zitaten im Alltag) widmet sich Finnegan ausführlich den Formen von literarischen Zitaten. Eines wird hier jedenfalls ganz klar ersichtlich – es gibt kein einziges wirklich verbreitetes Zitier-System! In Kapitel 3.2 kommt Finnigan zum Kern der Sache – wieso tun wir es? Die analysierten Kommentare zu Zitaten zeigen deutlich, dass es keinen Konsens darüber gibt, wann, warum und wie man zu zitieren hat. Auch wenn Studierende das generell als das Irritierendste empfinden, tatsächlich muss man jedes Mal, wenn man eine Quelle, welcher Art auch immer, verwenden will, aufs Neue entscheiden, ob, warum und wie man das Zitat setzt.
Zu Abschnitt II – Beyond the here and now
Nachfolgend beschreibt Finnegan in Kapitel 4 die Geschichte der diversen Formen der Anführungszeichen, was für sich alleine gestellt vielleicht etwas komisch wirkt, einer solchen Kleinigkeit so viel Bedeutung beizumessen. Und doch, sind nicht die Kleinheiten und Feinheiten beim Zitieren genau die Essenz, die KönnerInnen von Studierenden unterscheiden? Sie untersuchte unter anderem, dass Anführungszeichen für direkte Rede in der Bibel erst in neueren Übersetzungen circa ab dem 19. Jahrhundert auftreten, es aber in diversen Werken mit Anmerkungen zu religiösen Texten schon im 7. bis 9. Jahrhundert durchaus Kennzeichnungen unterschiedlicher Art gibt ([1], S. 101ff.).
Dieser Abschnitt erscheint mir sehr ausführlich und entspricht nicht seinem Titel, warum wir zitieren, sondern immer wieder nur wie es vonstattengeht.
In den folgenden Kapiteln 5 und 6 wird einmal mehr von der großen Beliebtheit von Zitaten berichtet, von der die Vielzahl an Nachschlagewerken der Oxford Dictionaries für alle möglichen Branchen zeugt, die seit dem zweiten Weltkrieg verlegt werden, und auch auf Zitate außerhalb der Schrift verwiesen. In Kapitel 7 wird auf Riten rund um das Zitieren (hauptsächlich in den Künsten) fokussiert, bevor Finnegan in Kapitel 8 auf die sozialen Konventionen des Zitierens zu sprechen kommt und erstmals in 8.1 ausführlicher zu Plagiarismus ([1], S. 242ff.).
Wie Finnegan auf S. 242 treffend schreibt, hat Plagiarismus viel weitreichendere Bedeutungen als die bloße unerlaubte Wegnahme von AutorInnen-Rechten. Darum kamen und kommen diverse Kontrollmechanismen zum Einsatz: die ausdrückliche Nennung in Urheberrechten, wonach „besondere“ Werke per privaten Eigentumsrecht auch extra schützenswert sind, ist natürlich eine der wichtigsten, jedoch stark von historischen und anderen Kontexten abhängig und auch sehr variabel. Gekonnte (und benannte!) Anspielungen auf die Werke anderer wurde schon in der Antike sehr geschätzt, unrechtmäßige Kopien hingegen immer schon als schlechtes Schreibhandwerk schwer verdammt (das Wort plagiarius stammt auch aus dem 1. Jahrhundert nach Christus ([1], S. 245)).
Ein weiteres Mittel war die maßlose Verehrung und Überhöhung alter AutorInnen gemäß dem Konzept der Genies, die selbstverständlich Kraft ihres außergewöhnlichen Geistes Werke hervorbringen konnten, Normalsterbliche nicht. Mehrfach in der Geschichte der Literatur gab es allerdings Diskussionen um die Rechte an „geistigem Eigentum“. Auch dank der ausgeprägten Nutzung des Internets kommt man nach und nach vom Eigentumsgedanken ab und handelt Open Access und Intertextualität als wertvolle Güter einer neuen Zeit und Zitationen und Urheberrechte verstärkt als Form von Zensur. Und doch, fehlende oder falsche Zitationen werden auch im Internetzeitalter angeprangert
Zu Abschnitt III – Distance and presence
Angesichts all der vorangegangenen Erläuterungen und Erklärungen zur Geschichte und dem Sinn von Zitaten in all seinen Formen mag es für manche LeserInnen wohl enttäuschend sein zum Abschluss (Kapitel 9.1) doch wieder nur lesen zu können, dass es keine klaren Definitionen zu Zitaten gibt, keine eindeutigen Empfehlungen, wann und wie man sie zu setzen hat und leider auch keine Guidelines warum. Versuche, einheitliche Richtlinien zu erschaffen, schafften meist nur mehr Diskussion und Unklarheit.
In Kapitel 9.3 kommt Finnegan auf das lange ersehnte „Warum?“ zurück, um zuzugeben, dass es kein einfaches „Deshalb!“ gibt und geben kann. Um mit ihrem eigenen Statement abzuschließen:
Mein Fazit
Wie Finnegan zu Beginn von Kapitel 1.2 zugibt, wirft sie hauptsächlich einen Blick auf Zitierpraktiken in Großbritannien. Ein Buch wie dieses kann jedoch ohnedies leider nicht umfassend sein, ein wenig mehr Input zu Ansichten außerhalb der europäischen Zone wäre allerdings sehr interessant gewesen, zumal im Zusammenhang mit internationalen Plagiatsfällen oft von „kulturellen Unterschieden“ gesprochen wird [2], [3].
Ein wenig unerwartet kommen die zum Teil sehr ausführlichen Analysen und Beschreibungen von Zitationspraktiken außerhalb der Wissenschaften. Macht man sich jedoch einmal bewusst, dass uns Zitate in all ihren unglaublich vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten tatsächlich immer umgeben, kann man auch mehr Sinn und vielleicht sogar Spaß am Zitieren in den Wissenschaften entdecken.
Ich bin jedenfalls sicher: Würde man sich in der Lehre beim wissenschaftlichem Schreiben und Arbeiten mit dem Sinn und den Hintergründen des Zitierens ein wenig mehr auseinandersetzen, wäre vielen Studierenden – und wohl auch Lehrenden – sehr geholfen Plagiate zu vermeiden.
Meiner Meinung nach ist Finnegans „Why do we quote?“ ein sehr lohnendes Buch mit tollem Blick hinter die Kulissen des Zitierens.
Anmerkung
Interessenkonflikte
Die Autorin erklärt, dass sie keine Interessenkonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel hat.
Literatur
- 1.
- Finnegan R. Why do we quote? The culture and history of quotation. Cambridge: Open Book Publishers; 2011. DOI: 10.11647/OBP.0012
- 2.
- Stemwedel JD. Cultural differences of opinion about plagiarism [Internet]. ScienceBlogsTM: Adventures in Ethics and Science; 2006 Oct 9 [cited 2015 June 18]. Available from: http://scienceblogs.com/ethicsandscience/2006/10/09/cultural-differences-of-opinio/
- 3.
- Gill J. Cultural insight can help tackle plagiarism [Internet]. United Kingdom: Times Higher Education; 2008 [cited 2015 June 18]. Available from: https://www.timeshighereducation.co.uk/news/cultural-insight-can-help-tackle-plagiarism/401564.article