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Dreiländertagung D-A-CH
24. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

28. - 30.09.2007, Innsbruck, Österreich

Forschungsstudie über FM-Hörsysteme zur Behandlung von Kindern mit Auditiven Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen (AVWS), Subtyp "auditive Selektionsstörung"

Poster

  • corresponding author presenting/speaker Veronika Röhrl - Universität zu Lübeck, Abt. für Phoniatrie und Pädaudiologie, Lübeck, Deutschland
  • author Jürgen Tchorz - Fachhochschule Lübeck, Fachbereich Medizintechnik, Lübeck, Deutschland
  • author Siegrid Meier - Akademie für Hörgeräteakustik, Deutsches Hörgeräte Institut, Lübeck, Deutschland
  • author Rainer Schönweiler - Universität zu Lübeck, Abt. für Phoniatrie und Pädaudiologie, Lübeck, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. Sektion Phoniatrie der Österreichischen Gesellschaft für HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirugie. Schweizerische Gesellschaft für Phoniatrie. Dreiländertagung D-A-CH, 24. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e.V.. Innsbruck, Österreich, 28.-30.09.2007. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2007. Doc07dgppP28

The electronic version of this article is the complete one and can be found online at: http://www.egms.de/en/meetings/dgpp2007/07dgpp82.shtml

Published: August 28, 2007

© 2007 Röhrl et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Für Kinder mit auditiven Selektionsstörungen wurde zur Verbesserung der Signalqualität eine Verstärkung mit FM-Hörsystemen vorgeschlagen. Wirksamkeit und Langzeiteffekte wurden aber bisher noch nicht untersucht. Deshalb wurde eine prospektive Einzelfallstudie unter Verwendung von EduLink-Hörsystemen begonnen.

Methode: Eingeschlossen wurden bisher 11 Kinder (6-14 Jahre alt) auditiver Selektionsstörung gemäß APD-Konsensus der ASHA (2005). Einschlusskriterium ist ein Sprachverstehen bei 65 dB Nutzschall von vorne und 60 dB Störschall von oben von <=80%. Die Kinder erhielten ausschließlich eine binaurale EduLink-Hörsystem-Versorgung. Die Ergebnisse zu T1 (Diagnosezeitpunkt) wurden mit T2 (nach 4 Monaten) verglichen. Als Referenz wird eine historische Kontrollgruppe, gematcht in Alter und Geschlecht, mit ausschließlicher Übungstherapie verglichen.

Ergebnisse: Das Sprachverstehen im Störschall betrug im Mittel 72,7% zu T1. Nach erfolgter Anpassung der EduLink-Hörsysteme konnte bereits eine Normalisierung des Sprachverstehens im Störschall (90-100%) in allen Fällen festgestellt werden. Die Kontrolle zu T2 konnte erst in einem Fall durchgeführt werden. Hierbei ist eine Normalsierung des Sprachverstehens (100%) im Störgeräusch auch ohne EduLink-Hörsysteme festgestellt worden. Bis Ende Juni liegen weitere 5 Ergebnisse vor.

Schlussfolgerungen: Kombinierte Hör- und FM-Systeme scheinen eine viel versprechende Monotherapie bei AVWS zu werden. Aufgrund der positiven Ergebnisse wird eine prospektive und randomisierte Studie angeschlossen, so dass ggf. die Aufnahme in den Heil- und Hilfsmittelkatalog angestrebt werden kann.


Text

Einleitung

Für die Verbesserung der Signalqualität bei Kindern mit auditiven Selektionsstörungen im Rahmen auditiver Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen (AVWS) wurden FM- Höranlagen vorgeschlagen [1], [3]. Die Firma Phonak stellt nun mit der EduLink-Anlage ein geeignetes, binaural zu tragendes System für den Schulalltag zur Verfügung. Diese Anlage soll den Signal-Störgeräuschabstand für die Schüler verbessern, eine verlustfreie Übertragung über mehrere Meter zwischen Lehrer und Schüler [2] ermöglichen und damit die Sprachdiskrimination verbessern. Die Wirksamkeit und vermutete Langzeiteffekte wurden aber bisher noch nicht untersucht. Daher konnte dieses Therapiekonzeptes bisher noch nicht in die deutschen Heil- und Hilfsmittelrichtlinien (HMR) aufgenommen werden.

Um die Möglichkeit einer zukünftigen Aufnahme solcher FM-Höranlagen für die Indikation "AVWS" in den Heilmittelkatalog zu prüfen, haben wir eine prospektive Einzelfallstudie begonnen. Ziel ist die Überprüfung der Effektivität einer Therapie mit FM-Höranlagen in Hinblick auf eine Verbesserung der Leistungen der auditiven Selektionsfähigkeit und nachgeordneter Wahrnehmungsfunktionen. Eine historische Kontrollgruppe hat eine Sprachübungstherapie mit Indikation SP" nach HMR erhalten.

Material und Methode

Das Einschlusskriterium der Probanden ergab sich aus den Diagnosekriterien für die AVWS nach Konsensus der DGPP [4]. Außerdem wurde die Phänotypisierung einer auditiven Selektionsstörung berücksichtigt (Zeitpunkt t1). Dabei wurde die Messung der Sprachverständlichkeit im Störgeräusch gemäß dem Entwicklungsalter mit dem Göttinger Kindersprachtest II und dem Freiburger Sprachverstehenstest im Freifeld durchgeführt. Das Störgeräusch bestand aus einem 60 dB Breitbandrauschen und wurde über einen Deckenlautsprecher in einem Meter oberhalb des Probanden dargeboten. Das Nutzsignal kam mit 65 dB aus der Richtung 0° (von vorne). In einem Zeitraum von 12 Monaten wurden 11 Kinder akquiriert und mit einer Phonak EduLink-Höranlage versorgt. Die Kinder waren 6-12 Jahre alt und besuchten das 1. bis 6. Schuljahr. Zusätzlich wurde Kindern, Eltern und Lehrern eine Erstberatung durch die Beratungslehrer aus der zuständigen Schule für Schwerhörige in Schleswig zuteil. Nach jeweils 4 Monaten Tragezeit der FM-Höranlage wurde ein Retest audiologischer Funktionen geplant (Zeitpunkt t2). Zusätzlich sollten die Tragedauer des Systems und die eigene Beurteilung sowie Fremdbeurteilung durch die Lehrer und Eltern zur Akzeptanz und Höranstrengung mittels standardisierter und nicht standardisierter Fragebögen erhoben werden. Bisher konnten die Daten von 5 der 11 Kinder ausgewertet werden.

Eine historische, nach Aller und Geschlecht gematchte Kontrollgruppe mit gleicher klinischer Auffälligkeit wurde mit einer Sprachübungstherapie über einen vergleichbaren Zeitraum behandelt und anschließend einer Befundkontrolle unterzogen.

Ergebnisse

Zum jetzigen Zeitpunkt haben 5 von 11 Kindern die Untersuchungen einschließlich der Befundkontrollen durchlaufen. Dabei war festzustellen, dass in 4 von 5 Fällen eine deutliche Verbesserung des Sprachverstehens erreicht wurde. Nur in einem Fall war das Sprachverstehen in Störlärm gleichbleibend eingeschränkt (Abbildung 1 [Abb. 1] ). Bei der Auswertung der Fragebögen zur Erfassung Auditiver Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen (AVWS) zeigte sich bislang keine eindeutige Tendenz (Abbildung 2 [Abb. 2]). Bei 3 von 5 Kindern haben die Eltern die kindlichen Verhaltensweisen hinsichtlich auditiver Selektion als schlechter bewertet als vor Beginn der Therapie mit der FM-Anlage.

Diskussion

Bis jetzt ist lediglich die Hälfte der geplanten Stichprobe ausgewertet. Eine Tendenz ist noch nicht zu erkennen. Zusätzlich spielt stets der individuelle Umgang der Lehrer mit der FM-Höranlage und die Akzeptanz einer solchen Maßnahme eine große Rolle, so dass der Aufklärung und Beratung eine größere Bedeutung kommen muss.

Die bisherigen Ergebnisse entsprechen denen von Matulat et. al. [3]. Auch in dieser Arbeit ergaben sich noch keine einheitlichen Ergebnisse bezüglich einer Verbesserung der auditiven Selektionsfähigkeit (n=3).

Schlussfolgerung

Die Langzeiteffekte der Versorgung von Kinder mit AVWS, Subtyp auditive Selektionsstörung, mit FM-Anlagen muss weiter überprüft werden. Die oftmals praktizierte probatorische Anpassung zu Lasten der Patienten bzw. Eltern oder Einzelfallentscheidungen zur Erstattung durch die Krankenkassen ist derzeit noch nicht wissenschaftlich fundiert.


Literatur

1.
ASHA-Working Group on Auditory Processing Disorders. (Central) Auditory Processing Disorders - The Role of the Audiologist (Position Statement). 2005. www.asha.org/NR/rdonlyres/8A2204DE-EE09-443C-98AA-3722C18214E3/ 0/v2PS_CAPD.pdf. External link
2.
Blake R, Field B, Foster C, Platt F, Wertz P. Effect of FM Auditory Trainers on Attending Behaviors of Learning-Disabled Children. Language, Speech, and Hearing Services in Schools. 1991;22:111-4.
3.
Matulat P, Tchorz J, Dinnesen AG. Das Phonak EduLink-System bei Schulkindern mit auditiven Selektionsstörungen. 100 Jahre Phoniatrie in Deutschland. 22. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie; 16.-18. September 2005; Berlin. Düsseldorf/Köln: German Medical Science; 2005. Doc 05dgpp058. http://www.egms.de/en/meetings/dgpp2005/05dgpp058.shtml. External link
4.
Nickisch A, Gross M, Schönweiler R, Uttenweiler V, am Zehnhoff-Dinnesen A, Berger R, Radü HJ, Ptok M. Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen. Konsensus-Statement der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. HNO. 2007;55:61-72.