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Dreiländertagung D-A-CH
24. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

28. - 30.09.2007, Innsbruck, Österreich

Multizentrische Studie zur diagnostischen Validität der kontralateralen Suppression otoakustischer Emissionen bei auditiven Selektionsstörungen als Element der Phänotypisierung für genetische Untersuchungen

Poster

  • corresponding author presenting/speaker Peter Matulat - Klinik und Poliklinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Münster, Münster, Deutschland
  • author Claus-Michael Schmidt - Klinik und Poliklinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Münster, Münster, Deutschland
  • author Rainer Schönweiler - Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck, Lübeck, Deutschland
  • author Andreas Nickisch - Kinderzentrum München, Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie, München, Deutschland
  • author Martin Ptok - Klinik und Poliklinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Medizinische Hochschule Hannover, Hannover, Deutschland
  • author Hans Gerd Nothwang - Abteilung Genetische Epidemiologie, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Bonn, Deutschland
  • author Thomas F. Wienker - Abteilung Neurogenetik, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg , Oldenburg, Deutschland
  • author Antoinette am Zehnhoff-Dinnesen - Klinik und Poliklinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Münster, Münster, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. Sektion Phoniatrie der Österreichischen Gesellschaft für HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirugie. Schweizerische Gesellschaft für Phoniatrie. Dreiländertagung D-A-CH, 24. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e.V.. Innsbruck, Österreich, 28.-30.09.2007. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2007. Doc07dgppP24

The electronic version of this article is the complete one and can be found online at: http://www.egms.de/en/meetings/dgpp2007/07dgpp75.shtml

Published: August 28, 2007

© 2007 Matulat et al.
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Zusammenfassung

Ziele sind die Bestimmung der Validität der TEOAE-Suppressionsamplitude als diagnostisches Kriterium der Funktion des medialen olivocochleären Systems (MOCS) zur Diagnostik auditiver Selektionsstörungen und die Suche nach Cutoff-Kriterien mit hinreichender Sensitivität und Spezifität. Einschlusskriterien waren: regelgerechtes Tonaudiogramm, Sprachaudiogramm und Tympanogramm, IQ ≥85 und Ausschluss von AD/-HS.

Die Phänotypisierung der bislang 91 Kinder erfolgte über die Hörtests „Sprache im Störgeräusch“ und „BILD-Test“ sowie die Messung der TEOAE-Suppressionsamplitude (Cutoff-Kriterium <0,7 dB) in vier Inanspruchnahme-Gruppen (auditive Selektionsstörung, MOCB-Störung, beides, keine) und einer Kontrollgruppe.

Kinder mit Selektionsstörung (n=16) zeigen beidseits eine signifikant niedrigere mittlere TEOAE-Suppression gegenüber der Kontrollgruppe (n=29) bei vergleichbaren TEOAE-Ausgangsamplituden. Die Daten deuten eine gute Spezifität der TEOAE-Suppression für auditive Selektionsstörungen an. Für statistisch gesicherte Analysen und die Bestimmung von Cutoff-Werten mittels ROC-Kurven erscheinen die Fallzahlen noch zu gering.

Weiterhin wird mit Hilfe von genomweiten Assoziationsanalysen und Kandidatengenanalysen untersucht, ob die auditive Selektionsstörung/MOCS-Dysfunktion genetische Entitäten darstellen.


Text

Einleitung und Ziele

Der Erfolg von Untersuchungen zur Genetik der auditiven Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen (AVWS) erscheint angesichts der großen Heterogenität des Störungsbildes wesentlich abhängig von einer hinreichend genauen Phänotypisierung der zu untersuchenden Gruppen.

Als objektive Korrelate einer Störung der auditiven Selektion sind in den letzten Jahren die binauralen Interaktionskomponenten der akustisch evozierten Potenziale [5], [2] und die Messung der Suppression der transitorisch evozierten otoakustischen Emissionen bei kontralateraler Störschallgabe (CAS) [1], [8], [4] in den Blickpunkt der Forschung geraten.

Über die Steuerung der Efferenzen des auditorischen Systems auf der Ebene der äußeren Haarzellen ist das mediale olivocochleäre System (MOCS) bei der Erkennung von Nutzsignalen im Störgeräusch beteiligt. Messbar sind diese Einflüsse als CAS, wobei bei gestörten auditiven Selektionsleistungen geringere kontralaterale Supressionsleistungen zu erwarten sind [4], [6], [9]. In einer eigenen Untersuchung konnte eine erhöhte Prävalenz von spontanen otoakustischen Emissionen als Hinweis auf eine Enthemmung der äußeren Haarzellen im Sinne einer Störung des MOCS festgestellt werden [3].

Ziel des hier vorgestellten Teilprojektes im Rahmen einer multizentrischen Studie zur Genetik der AVWS ist

  • die Bestimmung der Validität der TEOAE-Suppressionsamplitude als diagnostisches Kriterium der Funktion des medialen olivocochleären Systems (MOCS) zur Diagnostik auditiver Selektionsstörungen und
  • die Suche nach seitengetrennten Cutoff-Kriterien mit hinreichender Sensitivität und Spezifität.

Probanden

Untersucht werden Schulkinder im Alter zwischen 6 und 12 Jahren. Abhängig von den Hörtestergebnissen werden diese in die folgenden 4 Untersuchungsgruppen und eine Kontrollgruppe eingeteilt.

Ein- und Ausschlusskriterien

Als Einschlusskriterien wurden ein Alter zwischen 6 und 12 Jahren, eine periphere Normakusis bds. (Luftleitungsschwelle ≤15 dB, Schalleitungskomponente ≤10 dB), ein regelrechtes Tympanogramm bds. (bis zum Unterdruck von ≤50 mm WS), bds. nachweisbare TEOAE (Stimulusstabilität >90%, Reproduzierbarkeit >75%, SN-Ratio >3 dB in mindestens 3 Frequenzbändern) und ein normales Sprachaudiogramm bei 65 dB bds. (mindestens 95% Einsilberdiskrimination beim Freiburger Sprachverständnistest, mindestens 90% beim Göttinger Kindersprach-verständnistest) festgelegt. Ausschlusskriterien sind ein nonverbaler IQ kleiner 85, eine Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörung und die Einnahme psychotroper Medikamente.

Klinische Phänotypisierung des Sprachverstehens im Störschall

Die klinische Phänotypisierung bezüglich des Sprachverstehens im Störschall erfolgt nach vergleichenden Voruntersuchungen verscheidener Testverfahren anhand des Sprachaudiogramms im Störschall und der Binaural Intelligibility Level Difference Tests (B.I.L.D.-Test).

Klinische Phänotypisierung der kontralateralen Suppression der otoakustischen Emissionen

Die Klinische Phänotypisierung der kontralateralen Suppression der otoakustischen Emissionen erfolgt durch den Vergleich der TEOAE-Amplituden mit und ohne kontralaterale Beschallung. Die Messung wird mit einem Klick-Reiz von 80 +/- 1 dBHL und einem kontralateralen Breitbandrauschen von 74 dBHL über einen Einsteck-Kopfhörer (EAR Tone in ear-Einsteckhörer) durchgeführt. In Übereinstimmung mit der Literatur wurde als Cutoff-Kriterium eine Suppressionsleistung von ≤0,6 dB festgelegt [9].

Datensammlung und Statistik

Die Datenübermittlung aus den beteiligten Kliniken erfolgte mittels eines interaktiven PDF-Formulars als XML-Dateianhang über eMail. Die Daten wurden automatisiert in eine Datenbank geschrieben und nach Prüfung ihrer Vollständigkeit zur weiteren statistischen Analyse in SPSS 14.01 importiert.

Bisherige Ergebnisse

Insgesamt wurden bisher 91 Kinder untersucht. Davon waren 62 Inanspruchnahme-Patienten mit V.a. eine AVWS und 29 Kontrollgruppenkinder.

Von den 62 Inanspruchnahmepatienten hatten 28 (30,8%) weder eine MOCS-Störung noch eine auditive Selektionsstörung. Bei 34 (69,2%) fanden sich auffällige Befunde in den MOCS-Messungen und/oder den subjektiven Hörtests.

Tabelle 1 [Tab. 1] zeigt die Gruppenmittelwerte der Tests „Sprache im Störschall“ (Cut-Off Kriterium: ≥160), B.I.L.D (Cut-Off-Kriterium: Anstieg kleiner 10%, TEOAE-Amplitudensuppression (Cut-Off-Kriterium: ≤0,6 dB) und die Variablen Alter und Intelligenz.

Tabelle 2 [Tab. 2] zeigt einen Vergleich der Kontrollgruppe gegenüber der Inanspruchnahmegruppe und der Inanspruchnahmegruppe ohne die in den subjektiven und objektiven Hörttests Unauffälligen hinsichtlich der Variablen Sprache im Störschall, B.I.L.D.-Test und Amplitudensuppression.

In der Kontrollgruppe lag der Prozentsatz der auffälligen MOCS-Befunde bei 11,5%; während in der Inanspruchnahmegruppe 55,6% auffällig waren.

Die mittlere Suppressionsleistung lag in der Inanspruchnahmegruppe insgesamt rechts bei 1,1 dB (SD=1,3) und links bei 1,2 dB (SD=1,3), in der Inanspruch-nahmegruppe ohne die in den subjektiven und objektiven Hörtests Unauffälligen rechts bei 0,4 dB (SD=1,1) links bei 0,6 dB (SD=1,2), während sie in der Kontrollgruppe rechts 1,6 dB (SD=1,1) und links 1,9 dB (SD=1,0) betrug. Alle Gruppenunterschiede sind statistisch hoch signifikant (T-Test, p=0,000). Kinder mit Selektionsstörung (n=16) zeigen beidseits signifikant niedrigere mittlere TEOAE-Suppression gegenüber der Kontrollgruppe (n=29) bei vergleichbaren TEOAE-Ausgangsamplituden (T-Test, links: p=0.005 und rechts: p=0.003).

Diskussion und Ausblick

Die Daten deuten eine gute Spezifität der TEOAE-Suppression für auditive Selektionsstörungen an. Vergleiche innerhalb der verschiedenen Inanspruchnahmegruppen erscheinen statistisch gesichert erst bei höheren Fallzahlen sinnvoll. Bezüglich der notwendigen Stichprobenstärke ergibt sich bei einer als bester Schätzung aus den Mittelwerten der Amplitudendifferenzen und der Streuung gemäß der Arbeit von Muchnik et al. [9] errechneten Effektstärke und bei einem Alphafehlerniveau von 5% und einer gewünschten Teststärke von 85% ein notwendiger Stichprobenumfang von 24 Beobachtungen je Stichprobe. Wir erwarten, diese Zahlen innerhalb von einem Jahr erreichen zu können.

Das Finden einer Diagnose kann man als Folge von binären Einzelentscheidungen auffassen. Bei statistischen Testkriterien erfolgt die Überführung in eine binäre Aussage mit einem Trennwert, dem Cut-Off-Punkt. Die Frage nach einem geeigneten Cutoff-Kriterium für die OAE-Suppression kann als Frage des Zusammenwirkens von Sensitivität und Spezifität der OAE-Suppression begriffen und statistisch durch die Bestimmung von Receiver-Operating-Charakteristik-Kurven (ROC-Kurven) beschrieben werden. Hier sind Antworten jedoch auch erst bei höheren Stichprobenumfängen gesichert zu erwarten.


Literatur

1.
Berlin CI, Hood LJ, Cecola RP, Jackson DF Szabo P. Does type I afferent neuron dysfunction reveal itself through lack of efferent suppression? Hear Res. 1993;65:40-50.
2.
Delb W. Objektive Diagnostik der zentralen auditiven Verarbeitungs- und Wahrnehmungstörung (AVWS). HNO. 2003;51:99-103.
3.
Elgeti A, Knief A, Matulat P, Schmidt CM, Dinnesen AG. Erhöhte Prävalenz spontaner otoakustischer Emissionen bei Kindern mit selektiver Hörstörung. In: 100 Jahre Phoniatrie in Deutschland. 22. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie, 24. Kongress der Union der Europäischen Phoniater; 16.-18.09.2005; Berlin. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2005. Doc 05dgppP29. www.egms.de/en/meetings/dgpp2005/05dgpp022.shtml. External link
4.
Giraud AL, Collet L, Chery-Croze S, Magnan J, Chays A. Evidence of medial olivocochlear involvement in contralateral suppression of otoacoustic emissions. Brain Res. 1995;705:15-23.
5.
Gopal KV, Pierel K. Binaural interaction component in children at risk for central auditory processing disorder. Scand Audiol. 1999;28:77-84.
6.
Kumar UA, Vanaja CS. Functioning of olivocochlear bundle and speech perception in noise. Ear Hear. 2004;25:142-6.
7.
Matulat P, Lamprecht-Dinnesen A. Münsteraner Untersuchungskonzept bei Verdacht auf zentral-auditive Verarbeitungsstörungen. ZDL: Beihefte. 2000;H.107:109-14.
8.
Micheyl C, Morlet T, Giraud AL, Collet L, Morgon A. Contralateral suppression of evoked otoacoustic emissions and detection of a multi-tone complex in noise. Acta Otolaryngol. 1995;115:178-82.
9.
Muchnik C, Ari-Even Roth D, Othman-Jebara R, Putter-Katz H, Shabtai EL, Hildesheimer M. Reduced Medial Olivocochlear Bundle System Function in Children with Auditory Processing Disorders. Audiol Neurootol. 2004;9:107-14.