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Dreiländertagung D-A-CH
24. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

28. - 30.09.2007, Innsbruck, Österreich

Der Einfluss von Lautdiskrimination und Nachsprechleistung (HLAD) auf die Rechtschreibung in den ersten sechs Schuljahren – Untersuchung an einer klinischen Population

The influence of phoneme discrimination and auditory memory on orthography in the first six grades

Vortrag

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. Sektion Phoniatrie der Österreichischen Gesellschaft für HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirugie. Schweizerische Gesellschaft für Phoniatrie. Dreiländertagung D-A-CH, 24. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e.V.. Innsbruck, Österreich, 28.-30.09.2007. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2007. Doc07dgppV28

The electronic version of this article is the complete one and can be found online at: http://www.egms.de/en/meetings/dgpp2007/07dgpp47.shtml

Published: August 28, 2007

© 2007 Brunner et al.
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Zusammenfassung

Ziel: Zusammenhänge von Phonemdiskrimination und Nachsprechleistung im Heidelberger Lautdifferenzierungstest (HLAD) und Rechtschreibleistung wurden im Normkollektiv nur für die ersten Jahre des Schriftspracherwerbs nachgewiesen. Es steht zur Frage, ob bei Kindern mit V.a. AVWS oder LRS auch über das zweite Schuljahr hinaus ein bedeutsamer Zusammenhang besteht. Weiterhin soll untersucht werden, ob sich rechtschreibschwache von unauffälligen Kindern in der Fähigkeit zur Lautdifferenzierung unterscheiden.

Methode: 250 Kinder wurden mit dem HLAD und weiteren Verfahren zur Prüfung der AVWS sowie standardisierten Rechtschreib- und Lesetests geprüft.

Ergebnisse: Die Korrelationen zwischen Phonemdiskrimination bzw. Nachsprechleistung im HLAD und der Rechtschreibung waren für die ersten beiden Klassen hochsignifikant (1. Kl.: r= .50, bzw. r= .60; 2. Kl.: r= .42, bzw. r= .40), nahmen kontinuierlich zur vierten Klasse hin ab, und zeigten wieder einen starken Zusammenhang in der 5.Kl. (r= .47, bzw. r= .60) und 6. Klasse (r= .76, bzw. r= .74). Im gesamten Kollektiv zeigte sich ein signifikanter Gruppenunterschied in der Lautdifferenzierung und der Nachsprechleistung zwischen den unauffälligen Rechtschreibern und den rechtschreibschwachen Kindern.

Fazit: Der Einfluss der Phonemdiskrimination und der Nachsprechleistung zeigt sich bei Rechtschreibschwäche bis in das 6. Schuljahr hinein.


Text

Einleitung

In den bisherigen Studien über den Zusammenhang von Rechtschreibleistung und Lautdifferenzierung [1], [2] konnte aufgezeigt werden, dass die Lautdifferenzierung, gemessen mit dem HLAD, besonders zu Beginn des Schriftspracherwerbs einen Zusammenhang zur Lese-Rechtschreibung aufweist, während in den höheren Klassen dieser Einfluss abnimmt. In der Literatur wird darauf hingewiesen, dass bei Legasthenikern vereinzelt auch in höheren Klassen eine Lautdifferenzierungsschwäche auffällt [3].

Somit stellt sich für unsere Untersuchung die Frage, ob sich bei Kindern, die mit V.a. auditive Wahrnehmungsstörung in der Phoniatrie vorgestellt wurden, ein Zusammenhang zwischen Lautdifferenzierung im HLAD und den Lese-Rechtschreibleistungen ähnlich dem der Normpopulation zeigt oder ob hier stärkere Korrelationen vorfindbar sind. Weiterhin interessiert, ob dieser Zusammenhang bei der klinischen Population ebenfalls mit zunehmender Jahrgangsstufe abnimmt.

Material/Methode

Das Patientenkollektiv setzt sich aus allen Patienten, die im Jahr 2004 und 2005 die Ambulanzsprechstunde der Phoniatrie und Pädaudiologie der HNO-Universitätsklinik Heidelberg aufsuchten. Die Daten von insgesamt 253 Patientenakten wurden retrospektiv analysiert. Schüler, die eine Montessori- oder Walldorfschule besuchen, ebenso wie Patienten ausländischer Herkunft, die die deutsche Sprache nicht sprechen, bzw. verstehen, wurden nicht für die statistische Auswertung herangezogen. Ein weiteres Ausschlusskriterium war ein auffälliges Tonaudiogramm mit einer Hörminderung von mehr als 15dB.

Der Heidelberger Lautdifferenzierungstest ist in drei Teile untergliedert: In Teil 1 a) wird die Lautdifferenzierung als auditive Vergleichsleistung, in Teil 1 b) die kinästhetische Nachsprechleistung der Minimalpaare geprüft. In Teil 2), der Konsonantenanalyse, sollen die ersten beiden Laute benannt werden. Hier dienen als Prüfmaterial diejenigen Wörter aus Teil 1 a) welche Konsonantencluster mit Plosivlaut als Initiallaut enthalten, wie zum Beispiel das Wort „kriechen“. Der Test liegt mit Tonträgeraufsprache vor und wird computergesteuert ausgewertet.

Die Rechtschreibleistung wurde altersabhängig mit dem für die jeweilige Klassenstufe standardisierten Rechtschreibtest in Form von Diagnostische Bilderliste für die 2. Klasse oder überwiegende dem DRT3 und DRT4 für die 4.Klasse, bzw. DRT5 und DRT6 für die 5. und 6.Klasse kontrolliert. Indikator war jeweils der Prozentrang des Gesamtwertes.

Weiterhin wurden das Zahlenfolgegedächtnis aus der K-ABC Testbatterie und bei einem Teil der Kinder die sprachfreie Intelligenz überprüft.

Ergebnisse

Die Mittelwerte des HLAD-Gesamtwertes liegen für sämtliche Klassenstufen im unteren Drittel bis unteren Viertel (zwischen PR 20 und 30) und damit jeweils 8 bis 10 Punkte niedriger als die Mittelwerte der Normpopulation. Es zeigt sich jedoch, ähnlich wie in der Normpopulation, auch in der klinischen Stichprobe ein kontinuierlicher Anstieg der Lautdifferenzierungsfähigkeit im HLAD von der ersten zu den höheren Klassenstufen.

Der korrelative Zusammenhang zur Rechtschreibleistung ist in Tabelle 1 [Tab. 1] dargestellt.

Aus Tabelle 1 [Tab. 1] geht hervor, dass mittelhohe bis hohe Korrelationen für die ersten Stufen des Schriftspracherwerbs vorliegen. Besonders deutlich ist der Zusammenhang zwischen der Nachsprechleistung der Minimalpaare im HLAD und der Rechtschreibleistung in der ersten Klasse. Die Korrelationen sind bis zur dritten Klasse hin bedeutsam, bezogen auf das HLAD-Gesamtergebnis, den Untertest Nachsprechleistung der Minimalpaare und den Untertest Lautanalyse. Der Untertest: auditiver Vergleich korreliert etwas niedriger und erreicht nur in der dritten Klasse Signifikanz. In der vierten Klasse finden wir nur niedrige Zusammenhänge der Rechtschreibleistung mit dem HLAD. Die weitere Datenanalyse der vierten Klasse im Unterschied zu den ersten drei Klassenstufen macht deutlich, dass die Rechtschreibung hier bedeutend höher mit dem auditiven Gedächtnis und der Intelligenz korreliert. In der 5. und 6. Klasse hingegen wird wieder eine hohe Korrelation von HLAD und Rechtschreibung evident, die aufgrund der niedrigen Stichprobenzahl in diesen Klassenstufen jedoch keine Signifikanz erreicht.

Interpretation

Die Kinder, die mit V.a. AVWS vorgestellt wurden, zeigten im Mittel unterdurchschnittlichte Werte in der Lautdifferenzierung. Diese Fähigkeit zur Lautdifferenzierung und -Analyse zeigt sich besonders für die ersten Jahre der Schriftsprachaneignung als bedeutsamer Zusammenhangsfaktor im Hinblick auf die Rechtschreibung. Das Ergebnis stimmt mit den Untersuchungen über den Zusammenhang von HLAD und Rechtschreibung in der Normpopulation überein [1], [2]. Die Korrelationen liegen im Vergleich mit der Normpopulation in unserer klinischen Stichprobe nicht höher. Der Zusammenhang von Lautdiskrimination und Rechtschreibleistung scheint also kein spezifisches Phänomen von Kindern zu sein, die mit V.a. AVWS zur Untersuchung kommen, sondern ein allgemeines. In der vierten Klasse kristallisieren sich andere Fähigkeiten heraus, die die Schriftsprachkompetenz beeinflussen: die genauere Datenanalyse zeigte, dass der auditive Arbeitsspeicher und für diese Klassenstufe auch die Intelligenz eine Rolle spielen. Die Intelligenz zeigte in den ersten Schulklassen in unserer Population kaum einen Zusammenhang zur Rechtschreibleistung.

Dass der Zusammenhang zwischen Rechtschreibung und HLAD in der 5. und 6. Klasse wieder anstieg, erklären wir damit, dass Kinder, die in diesen hohen Klassestufen in unserer Ambulanz wegen V.a. AVWS vorgestellt wurden, möglicherweise besonders hartnäckige Störungsbilder in bezug auf die auditive Diskrimination und die Rechtschreibung aufwiesen. Die Intelligenz dieser Kinder war nicht niedriger als die der anderen, welche im Mittelwert sämtlich im Durchschnitt lagen.


Literatur

1.
Dierks A, Seibert A, Brunner M, Körkel B, Haffner J, Strehlow U, Parzer P, Resch F. Testkonstruktion, -analyse und Erprobung des Heidelberger Lautdifferenzierungstests zur auditiv-kinästhetischen Wahrnehmungstrennschärfe (HD-LT). Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie.1999;27:29-36.
2.
Möhring L, Schöler H, Brunner M, Pröschel U. Zur Diagnostik struktureller Defizite bei Lese-Rechtschreib-Störungen in der klinischen Arbeit: Beziehungen zwischen verschiedenen Leistungsindikatoren. Laryngo-Rhino-Otologie. 2003;82:83-91.
3.
Schulte-Körne G. Lese-Rechtschreibstörungen und Sprachwahrnehmung. Pädagogische Psychologie und Entwicklungspspsychologie Band 14. Münster: Waxmann; 2001.