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Dreiländertagung D-A-CH
24. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

28. - 30.09.2007, Innsbruck, Österreich

Das Sunderland Air Pressure Meter: ein neues Hilfsmittel zur Optimierung der Übungstherapie mit Shuntventil nach Laryngektomie

Poster

  • corresponding author presenting/speaker Dörte Mergardt - Universität zu Lübeck, Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie, Lübeck, Deutschland
  • author Rainer Schönweiler - Universität zu Lübeck, Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie, Lübeck, Deutschland
  • Jana Lörken - Universität zu Lübeck, Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie, Lübeck, Deutschland
  • Bettina Schönweiler - Universität zu Lübeck, Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie, Lübeck, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. Sektion Phoniatrie der Österreichischen Gesellschaft für HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirugie. Schweizerische Gesellschaft für Phoniatrie. Dreiländertagung D-A-CH, 24. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e.V.. Innsbruck, Österreich, 28.-30.09.2007. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2007. Doc07dgppP07

The electronic version of this article is the complete one and can be found online at: http://www.egms.de/en/meetings/dgpp2007/07dgpp22.shtml

Published: August 28, 2007

© 2007 Mergardt et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Patienten mit Shuntventil erzeugen den Stimmton im sog. pharyngoösophagealen Segment. Oftmals ist es in der Übungstherapie schwierig, den notwendigen Anblasedruck zu finden, der für eine angemessene Stimmintensität und Tonhaltedauer notwendig ist. Deshalb wurde ein neues System für die Messung des Anblasedrucks entwickelt (Sunderland Air Pressure Meter, AMP, das hier in einer Pilotstudie angewendet wurde). Der gemessene Anblasedruck lässt sich für diagnostische und wissenschaftliche Zwecke auf einen PC übertragen und als Druck-Zeit-Kurve darstellen. Bei Heimanwendung als Biofeedback kann darauf verzichtet werden.

Methode: 9 Patienten mit Provox-2-Ventil und gutem Allgemeinzustand wurden im Rahmen ihrer nach dem Eingriff ersten Rehabilitationsmaßnahme untersucht. Für die Klassifizierung des Anblasedrucks wurden die Normwerte des Herstellers zugrunde gelegt (unterdurchschnittlich = 0-20 cm Ws, normal = 20-40 cm Ws, überdurchschnittlich = 40-80 cm Ws). Outcomeparameter war die Tonhaltedauer.

Ergebnisse: Bei 7 Patienten war der Druck überdurchschnittlich, bei 1 normal und bei 1 unterdurchschnittlich. Bei Patienten mit überdurchschnittlichem Druck wurde durch visuelles Feedback in Verbindung mit Eutonisierungsübungen der Druck abgesenkt und dadurch die Tonhaltedauer um 2-3 Sekunden verlängert. Ein Erfolg konnte bereits in der ersten Therapieeinheit von 45 Minuten Dauer erzielt werden. Bei den Patienten mit normalem oder unterdurchschnittlichem Druck wurde keine Veränderung angestrebt.

Schlussfolgerungen: Das AMP scheint ein wertvolles Hilfsmittel für das Erlernen eines angemessenen Anblasedrucks zu sein. Es soll nun untersucht werden, ob die Qualität der Therapie verbessert und die Quantität reduziert werden kann.


Text

Einleitung

Patienten mit Shuntventil nach Laryngektomie erzeugen den Stimmton im sog. pharyngoösophagealen Segment [4]. Oftmals ist es in der Übungstherapie schwierig, den notwendigen Anblasedruck zu finden, der für eine angemessene Stimmintensität und Tonhaltedauer notwendig ist. Zur Messung des Anblasedrucks wurden verschiedene Arbeiten, auch bei vergangenen Jahrestagungen der DGPP, publiziert [3], jedoch stehen bisher nur experimentell einsetzbare Geräte zur Verfügung, die sich nicht für ein Training oder gar ein Biofeedback eignen. Nun steht ein neues System für die Messung des Anblasedrucks zur Verfügung (Sunderland Air Pressure Meter, AMP), das hier in einer Pilotstudie auf Anwendbarkeit in der Übungstherapie bei Kehlkopflosen und mit Shunt-Ventil versorgten Patienten untersucht wurde.

Methode

10 Patienten mit Provox-2-Ventil und gutem Allgemeinzustand wurden im Rahmen ihrer nach dem Eingriff ersten Stimmrehabilitationsmaßnahme etwa 10 Tage postoperativ untersucht. Die Messsonde wurde auf eine Kurzkanüle, die die Region des Shuntventils freiließ, aufgesetzt. Nach Einatmung wurde die Kanüle mit dem Finger verschlossen und die Messung zeitgleich mit Beginn des Phonationsversuchs gestartet. Es wurde eine normal "laute Phonation" (55-65 dB) angestrebt. Die Lautstärke wurde allerdings nicht durch Messungen verifiziert.

Der gemessene Anblasedruck konnte sowohl auf dem Handgerät als auch auf einem angeschlossenen PC dargestellt werden. Die Darstellung auf dem Handgerät erfolgte als Säulendiagramm und diente den Patienten als visuelles Biofeedback. Die Übertragung auf den PC-Bildschirm ermöglichte eine Darstellung als Druck-Zeit-Kurve, die hinsichtlich der Outcomeparameter Druckverlauf und Tonhaltedauer ausgewertet wurde. Die Messwerte wurden gemäß der Normwerte des Herstellers als "unterdurchschnittlich" (0-20 cm Ws), "normal" (20-40 cm Ws), und "überdurchschnittlich" (40-80 cm Ws) klassifiziert.

Die durchgeführten Übungen umfassten folgende Therapieelemente: Übungen zur Tonusregulierung der Hals- und Schultermuskulatur, Haltung, Costoabdominalatmung und Phonation aus der Atemmittellage. Die Anzahl der in der Klinik durchgeführten Therapieeinheiten betrug minimal 3 und maximal 5 pro Patient.

Ergebnisse

Die meisten Patienten zeigten zu Beginn der Phonation einen leicht erhöhten Druck, der von Schultz-Coulon als "Öffnungsdruck" beschrieben wurde [3]. Diese Druckspitze dauerte typischerweise weniger als eine viertel Sekunde. Nur bei Druckerhöhungen von mehr als einer viertel Sekunde wurde von einer auffälligen Druckerhöhung bzw. auffälligen Druckschwankung ausgegangen.

Auffällige Druckerhöhungen konnten bei 7 Patienten festgestellt werden. Bei 2 Patienten war der Druck normal und bei 1 unterdurchschnittlich. Bei allen Patienten (n=10) konnte durch das visuelle Feedback in Verbindung mit tonusregulierenden Maßnahmen und Atemübungen die Tonhaltedauer um mindestens 2 Sekunden verlängert werden. Bei Patienten mit überdurchschnittlichem Druck (n=7) brach die Phonation bei einer angestrebten Absenkung des Druckes ab, so dass davon ausgegangen wurde, dass der erhöhte Druck für die Anregung von Schwingungen im pharyngoösophagealen Segment notwendig war. Daher wurde keine Veränderung der Druckwerte angestrebt, sondern ein möglichst gleichmäßiger Druck während der gesamten Phonationsübung. Die Verlängerung der Tonhaltedauer konnte bei allen Patienten (n=10) bereits in der ersten Therapieeinheit von 45 Minuten Dauer erreicht werden.

Fallbeispiel 1 (durchschnittlicher, normaler Druck)

Es handelt sich um einen 69 Jahre alten männlichen Patienten. Bereits beim ersten Phonationsversuch waren normale Druckverhältnisse nachweisbar (Abbildung 1, oben [Abb. 1]). Die Tonhaltedauer betrug aber nur 1,8 s. Durch die Übungen konnte bereits in der ersten Therapiestunde die Tonhaltedauer auf 4,2 s verlängert werden, wobei pathologische Druckbereiche vermieden wurden (Abbildung 1, unten [Abb. 1]).

Fallbeispiel 2 (überdurchschnittlicher, zu hoher Druck)

Es handelt sich um einen 49 Jahre alten männlichen Patienten. Zu Beginn der Behandlung waren stark schwankende Druckwerte mit Spitzen von 60 cm WS festzustellen, wobei die Tonhaltedauer nur 4,2 s betrug (Abbildung 2, oben [Abb. 2]). Durch die Therapie konnten die anfänglich vorhandenen Druckspitzen vermieden werden und die Tonhaltedauer verlängert werden (Abbildung 2, unten [Abb. 2]).

Fallbeispiel 3 (unterdurchschnittlicher, zu niedriger Druck)

Es handelt sich um einen 71 Jahre alten männlichen Patienten. Ihm bereitete es große Mühe, einen für die Phonation ausreichenden Druck aufzubauen. Bei der ersten Messung konnte eine nur sehr kurze Phonation erreicht werden (ohne Abbildung). Durch Übungen zur Tonusregulierung und Haltungsverbesserung konnte immerhin eine 2 s lange Phonation mit normalen Druckwerten erreicht werden, auf deren Grundlage die Übungsbehandlung anderenorts fortgeführt wurde.

Diskussion

Die für eine Phonation im pharyngoösophagealen Segment notwendigen Anblasedruckwerte hängen stark von den individuellen postoperativen anatomischen Verhältnissen [3] sowie von den verwendeten Shuntventilen ab [1]. Daher konnten bisher keine Normwerte für Widerstände und Anblasedruckwerte erarbeitet werden. In die vorliegende Untersuchung wurden ausschließlich Patienten mit Provox-2-Ventil eingeschlossen. Dieses Ventil zeichnet sich durch die niedrigsten aerodynamischen Widerstände aus [1] und wird daher in der Lübecker Einrichtung bevorzugt, aber nicht ausschließlich, verwendet.

Die erzielten Tonhaltedauern lagen unter 10 s, was aber für eine gerade begonnene Therapie und Umfänge von nicht mehr als 5 Therapieeinheiten bei noch unerfahrenen Patienten akzeptable Werte sind, die mit Schätzungen aus der Literatur übereinstimmen [2].

Schlussfolgerungen

Das AMP hat sich als ein wertvolles und für die Patienten intuitiv verständliches Hilfsmittel zum Erlernen eines angemessenen und über die Phonationszeit gleichmäßigen Anblasedrucks erwiesen. Weitere Untersuchungen sollen auch Messungen der Lautstärken umfassen und zeigen, ob durch die Anwendung des Systems im Vergleich mit Übungen ohne dieses System die Qualität der Therapie verbessert und die Quantität der Therapieeinheiten reduziert werden kann.


Literatur

1.
Berning K, Preisler V, Cirugeda-Kühnert M. Verbesserung der Stimmrehabilitation mit neuem Shuntventil VoiceMaster – Erste Ergebnisse. In: Gross M, Hrsg. Phoniatrisch-pädaudiologische Aspekte, Band 6. Heidelberg: Median; 1999. S. 144-6.
2.
Callaway E, Truelson JM, Wolf GT, Thomas-Kincaid L, Cannon S. Predictive value of objective esophageal insufflation testing for acquisition of tracheoesophageal speech. Laryngoscope. 1992;102:704-8.
3.
Schultz-Coulon HJ, Henning A. Aerodynamische Messungen bei Kehlkopflosen mit Stimmprothese. In: Gross M, Hrsg. Phoniatrisch-pädaudiologische Aspekte, Band 6. Heidelberg: Median; 1999. S. 139-44.
4.
Tigges M, Wittenberg T, Mergell P, Eysholdt U. Phonationsersatzmechanismus der Ersatzstimme nach Stimmventilprotheseneinlage. In: Gross M, Hrsg. Phoniatrisch-pädaudiologische Aspekte, Band 5. Heidelberg: Median; 1998. S. 152-6.