gms | German Medical Science

GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Integration geschlechtsspezifischer Inhalte in die Lehre der Charité - Universitätsmedizin Berlin

Integration of gender-specific contents into the medical education at the Charité - Universitätsmedizin Berlin

Projekt Humanmedizin

  • corresponding author Jonas Busch - Charité - Universitätsmedizin Berlin (CCM), Zentrum für Geschlechterforschung in der Medizin (GiM) und Centre for Cardiovascular Research (CCR), Berlin, Deutschland
  • author Birgit Babitsch - Charité - Universitätsmedizin Berlin (CCM), Zentrum für Geschlechterforschung in der Medizin (GiM), Berlin, Deutschland
  • author Birte Dohnke - Charité - Universitätsmedizin Berlin (CCM), Zentrum für Geschlechterforschung in der Medizin (GiM), Berlin, Deutschland
  • author Jutta Begenau - Charité - Universitätsmedizin Berlin (CCM), Zentrum für Geschlechterforschung in der Medizin (GiM) und Zentrum für Human- und Gesundheitswissenschaften - Institut für Sozialmedizin, Berlin, Deutschland
  • author Vittoria Braun - Charité - Universitätsmedizin Berlin (CCM), Zentrum für Geschlechterforschung in der Medizin (GiM) und Institut für Allgemeinmedizin, Berlin, Deutschland
  • author Martin Dören - Charité - Universitätsmedizin Berlin (CCM), Zentrum für Geschlechterforschung in der Medizin (GiM) und Klinisches Forschungszentrum Frauengesundheit, Berlin, Deutschland
  • author Vera Regitz-Zagrosek - Charité - Universitätsmedizin Berlin (CCM), Zentrum für Geschlechterforschung in der Medizin (GiM), Centre for Cardiovascular Research (CCR) und Deutsches Herzzentrum Berlin (DHZB), Berlin, Deutschland
  • author Judith Fuchs - Charité - Universitätsmedizin Berlin (CCM), Zentrum für Geschlechterforschung, Berlin, Deutschland

GMS Z Med Ausbild 2007;24(3):Doc149

The electronic version of this article is the complete one and can be found online at: http://www.egms.de/en/journals/zma/2007-24/zma000443.shtml

Received: July 5, 2007
Published: August 15, 2007

© 2007 Busch et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution License (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.en). You are free: to Share – to copy, distribute and transmit the work, provided the original author and source are credited.


Zusammenfassung

Zielsetzung: Die Erkenntnisse der Geschlechterforschung finden zunehmend Eingang in die medizinische Ausbildung von ÄrztInnen. Dabei steht Deutschland verglichen mit vielen englischsprachigen und nordeuropäischen Ländern noch am Anfang einer Entwicklung. Die vorgelegte Bestandsaufnahme untersucht, welchen Stellenwert geschlechterspezifische Fragestellungen in der Lehre an der Charité Universitätsmedizin Berlin haben.

Methodik: Mit Hilfe eines standardisierten Fragebogens wurden verschiedene Themenbereiche wie geschlechtsspezifische Lernziele und die Umsetzung im eigenen Fach quantitativ und qualitativ für ProfessorInnen, DozentInnen und LehrkoordinatorInnen sowie nach Geschlecht erfasst.

Ergebnisse: 30 verschiedene Fächer haben an der Bestandsaufnahme teilgenommen und dabei eine Reihe von Themenkomplexen mit geschlechterspezifischen Unterschieden zusammengetragen. Bisher werden solche Themen nur mit relativ einfachen Mitteln in der Lehre durch etwa 70% der angeschriebenen ProfessorInnen und DozentInnen umgesetzt. Insgesamt besteht aber wenig Interesse der Lehrenden an zusätzlichem Zeitaufwand für Qualifizierung oder Curriculumsentwicklung in diesem Bereich. Die weiblichen Teilnehmenden standen dem Thema ‚Geschlechterunterschiede in der Medizin’ signifikant offener gegenüber (p=0,017 Interesse an Curriculumsentwicklung).

Schlussfolgerung: Es gibt einen Bedarf an formulierten Lernzielen für Themenkomplexe mit Geschlechteraspekt im Curriculum des Medizinstudiums an der Charité Berlin. Eine Vielzahl von Lehrenden steht diesen Themenkomplexen offen gegenüber, unterrichtet solche Inhalte bereits und sollte in der Curriculumsentwicklung sowie mit Material bei der Umsetzung im Rahmen ihrer Lehrtätigkeiten unterstützt werden.

Schlüsselwörter: Medizinische Lehre, Geschlechterforschung, Lernziele, Curriculum, Sex

Abstract

Introduction: Knowledge derived from gender specific research is more and more integrated into the medical education. In Germany this process is developing with a certain delay compared to other Anglo-Saxon or Scandinavian countries. Our survey examines for the first time to what extend gender specific aspects have been integrated into the medical education at the Charite Universitaetsmedizin Berlin.

Material and Methods: Topics like gender specific learning objectives and their implementation in the own field were evaluated by means of a standardized questionnaire, differentiated for professors, medical teachers and course coordinators as well as for sex in qualitative and quantitative categories.

Results: 30 different fields of medicine took part in this study and revealed a number of important topics with gender specific differences. These contents are integrated into the medical education with relatively simple methods by 70% of the participating professors and medical teachers. In general there is only little interest in spending time for further qualification or the development of a curriculum for the field of gender medicine. Female participants of this study were significantly more interested in gender medicine aspects (p=0,017 development of the medical curriculum).

Conclusion: This study underlines the need for official learning objectives containing gender differences during the medical education at the Charite Berlin. A great number of the teaching staff reveals a positive attitude towards these contents and integrates a lot of them. These efforts should be supported by more gender specific teaching material and personal investment into the curricular development.

Keywords: Medical education, gender research, learning objectives, curriculum, sex


Einleitung

Die Erkenntnis um die Bedeutung von Sex als biologisches Geschlecht und Gender als soziales Geschlecht hat in den letzten Jahren zu wichtigen Ergebnissen im Bereich der Grundlagenforschung, klinischer Forschung, Patientenversorgung und Karriereplanungen von ÄrztInnen geführt [1], [2], [3], [4], [5], [6], [7], [8], [9]. Die Umsetzung dieser Erkenntnisse in der Ausbildung von zukünftigen ÄrztInnen steht im deutschsprachigen Raum, verglichen mit angelsächsischen Regionen der Erde, erst am Beginn eines mehrjährigen Prozesses [10]. Dabei steht insgesamt außer Frage, dass Sex und Gender auf nationaler und internationaler Ebene eine hohe Relevanz zugestanden wird, und viele Inhalte in Veranstaltungen bereits vermittelt werden, ohne diese in einem übergeordneten Geschlechterkontext explizit zu nennen [11], [12], [13], [14]. Auf dem Gebiet der Umsetzung von Geschlechteraspekten in den Curricula medizinischer Fakultäten gibt es in englischsprachigen und nordeuropäischen Ländern eine Vielzahl von Beispielen, deren Entstehung nicht zuletzt auch durch politischen Druck angestoßen wurde [1], [15], [16], [17], [18], [19], [20], [21], [22].

Risberg et al konnten 2003 zeigen, dass der Bedeutung von Geschlecht in den verschiedenen Bereichen der Interaktion von ÄrztInnen, PatientInnen sowie StudentInnen je nach eigenem Geschlecht unterschiedlich stark Bedeutung zugesprochen wird [23], [24].

Ziel der Arbeitsgruppe Lehre am Zentrum für Geschlechterforschung in der Medizin (GiM), bestehend aus WissenschaftlerInnen unterschiedlicher Fachrichtungen, ist es, Geschlechteraspekte in die MedizinerInnen-Ausbildung an der Charité Universitätsmedizin Berlin systematisch und nachhaltig in einem interdisziplinären Herangehen zu integrieren. Bislang war nicht bekannt, ob diese in der medizinischen Lehre an der Charité berücksichtigt sind. Als Basis für gender bewusste Lernziele wurde im Juni 2005 eine Bestandsaufnahme durchgeführt, um zu erfassen, ob und in welchem Umfang geschlechtsspezifische Aspekte und Ansätze bereits in die Curricula der Fachbereiche von Kliniken und Instituten integriert sind, bzw. bei welchen in Vorbereitung sind, oder die Umsetzung noch nicht erfolgt ist.


Methoden

Fragebogendesign

Von den Mitgliedern der AG Lehre wurde 2005 ein Fragebogen entwickelt, der geschlechtsspezifische Inhalte im Fach und die Umsetzungsbestrebungen in der Lehre erfasst. Bisher gab es kein entsprechendes Instrument, welches für die bundesdeutschen Lehrverhältnisse geeignet ist. Der Fragebogen wurde an einer Subgruppe von Lehrenden getestet und geringfügig überarbeitet. Aufgrund der Struktur der Lehre an der Charité wurden drei verschiedene Versionen erarbeitet:

1.
für ProfessorInnen als Fachverantwortliche
2.
für LehrkoordinatorInnen als Curriculumsverantwortliche
3.
und für die Dozierenden, verantwortlich für Einzelveranstaltungen.

Der Fragebogen umfasste 15 Fragen (ProfessorInnen, Dozierende) bzw. 13 Fragen (LehrkoordinatorInnen) sowohl mit geschlossenen als auch offenen Antwortvorgaben. Die Teilnehmenden wurden gefragt, inwieweit geschlechtsspezifische Inhalte in der Lehre ihres Fachgebietes bzw. in ihrer Lehre sowie in Prüfungen berücksichtigt werden, und ob Interesse an entsprechenden Fort- und Weiterbildungsangeboten besteht. Des Weiteren wurden auch Alter, Qualifikation, Fachbereich und Lehrformen zur Integration von Geschlechteraspekten erfragt. Ein weiterer wichtiger Punkt waren Freitext-Nennungen von geschlechterspezifischen Themen mit Relevanz für den jeweiligen Fachbereich. Diese wurden dann hinsichtlich ihrer Nennung nach Fachbereichen und anschließend hinsichtlich ihrer Nennung nach Themengebieten ausgewertet.

Die ProfessorInnen und LehrkoordinatorInnen wurden persönlich angeschrieben. Für die Gruppe der Dozierenden wurden die 64 Lehrsekretariate der einzelnen Fachbereiche als Multiplikatoren genutzt, da je nach Größe der Fachbereiche unterschiedlich viele DozentInnen zum Einsatz kommen. Die genaue Anzahl der Dozierenden an der Charité ist nicht bekannt. Die Teilnahme an dieser Umfrage war freiwillig und wurde anonym ausgewertet. Der Zeitaufwand für das Ausfüllen eines Fragebogens betrug ca. 10 Minuten. Die Teilnehmenden wurden gebeten, die Fragebögen an die Geschäftsstelle des GiM zurückzusenden.

Auswertung der Fragebögen

Die Eingabe und Auswertung der Daten der Fragebögen erfolgte anonymisiert. Die Auswertung für die einzelnen Fragestellungen mit Hilfe der Statistik-Software SPSS 12.0 und der Office-Anwendung Excel. Dabei wurde zwischen geschlossenen/quantitativen und offenen/qualitativen Fragestellungen unterschieden - letztere im Zusammenhang mit der Freitextnennung von Themen durch die Befragten. Diese Themennennungen wurden zuerst nach Zugehörigkeit der befragten Fächer sortiert, in einem zweiten Schritt dann nach ihrer inhaltlichen Übereinstimmung. Die quantitative Auswertung erfolgt mit dem Chi-Quadrat-Test, dabei wurde ein p-Wert von p<0,05 als statistisch signifikant betrachtet. Insgesamt erfolgte die Auswertung aller Fragen nach Statusgruppe (DozentIn, LehrkoordinatorIn, ProfessorIn) sowie nach Geschlecht.


Ergebnisse

Rücklauf

Bezüglich der Teilnahme wurde auf Grund der Mehrfachbelastung der Lehrenden durch Krankenversorgung, Forschung und Lehre ein nicht sehr hoher Rücklauf erwartet (Rücklaufquoten siehe Abbildung 1 [Abb. 1]).

Bei den 232 Fragebögen betrug der weibliche Anteil 35,8% (n=83) verglichen mit 63,8% männlichem Anteil (n=148) und einem Fragebogen ohne Nennung des Geschlechts.

Teilnahme verschiedener Fächer an der Befragung

Um zu überprüfen, ob an der Befragung möglicherweise hauptsächlich Personen aus ausgewählten, geschlechternahen Fachgebieten teilgenommen hatten, wurden die Fächer, denen sich die Befragten zugeordnet hatten, nach prozentualer Häufigkeit ausgewertet (siehe Tabelle 1 [Tab. 1]).

Viele Geschlechterspezifische Fragestellung im Lehrgebiet

Geschlechteraspekte werden in die Lehre von einer insgesamt 2/3 Mehrheit der befragten DozentInnen und ProfessorInnen zumindest teilweise einbezogen, jedoch in Abhängigkeit vom Geschlecht der Befragten in unterschiedlicher Weise. (siehe Abbildung 2 [Abb. 2]).

Geschlechtsspezifischen Themenkomplexe

Zugleich wurden von vielen Befragten (65,1%) geschlechtsspezifische Themenkomplexe und Lernziele benannt, die in die medizinische Lehre einbezogen werden sollten. Insgesamt erfolgte eine Nennung von 347 einzelnen Themen aus 30 Fachgebieten, die sich im jeweiligen Fach inhaltlich zusammengeschlossen auf 83 fachspezifische Überthemen reduzieren ließen.

Eine zweite Auswertung dieser 347 Themen in fächerübergreifende inhaltliche Themenkomplexe ergab 14 Schwerpunktbereiche, in denen geschlechtsspezifische Fragestellungen von z.T. sehr unterschiedlichen Fächern genannt wurden. Diese Ordnung der fächerübergreifenden Themenkomplexe in Schwerpunktbereiche erfolgte nach inhaltlicher Zugehörigkeit (siehe Tabelle 2 [Tab. 2]).

Die Auswertung der Freitextnennungen nach Geschlecht ergab, dass Frauen insgesamt eher bereit waren, Themen zu nennen als ihre männlichen Kollegen. In der Gruppe der Personen, die ein Thema nannten, waren die weiblichen Teilnehmerinnen mit rund 42% vertreten. Gemessen an ihrem Anteil an den TeilnehmerInnen der drei Gruppen von knapp 36% waren sie demnach signifikant (p=0,012) überrepräsentiert.

Themen-Nennungen passen zu Fachgebieten

Um der Frage nachzugehen, ob die genannten Freitexte der einzelnen Personen auch zum jeweiligen Fachgebiet passten oder ob sie mit Themen aus anderen Fachbereichen korrelierten, wurden die Datensätze für die drei Gruppen dementsprechend ausgewertet.

In der Gruppe der DozentInnen waren fast alle Nennungen fachgerecht. Bei den ProfessorInnen und KoordinatorInnen passten 100% der genannten Freitexteingaben zum Fach der antwortenden Person. In den drei Gruppen machten aber 30 bis 40% der Befragten keine Angaben zu Themen mit Relevanz im eigenen Lehrgebiet. Daten aus Platzgründen nicht gezeigt.

Berücksichtigung geschlechtsspezifischer Unterschiede in Lernzielen

Auf die Frage nach der Berücksichtigung geschlechtsspezifischer Unterschiede in Lernzielen der entsprechenden Lehrgebieten zeigt sich insgesamt, dass Frauen mit 52,5% etwas häufiger als Männer (44,8%) meinten, diese würden nicht oder eher nicht berücksichtigt.

Die Aufschlüsselung nach Status der Befragten ergab: Die Antwort ‚nein, nie’ 25% gaben der LehrkoordinatorInnen, 17,9% der DozentInnen und 14,5% der ProfessorInnen.

Unterrichtsformen von Geschlechteraspekten

Der Fragebogen für DozentInnen und ProfessorInnen erfasste außerdem die Hauptunterrichtsform von Geschlechteraspekten. Zunächst wurde gefragt, ob geschlechtsspezifische Unterschiede in die eigene Lehre miteinbezogen werden, im Anschluss daran in welchen Formen diese Inhalte den Studierenden vermittelt werden.

Dabei wurde deutlich, dass bereits 70,2% der befragten ProfessorInnen und DozentInnen geschlechtsspezifische Unterschiede zumindest teilweise in die eigene Lehre mit einbeziehen. Die Betrachtung der Antworten nach Geschlecht ergab keine Unterschiede.

Die Frage, in welcher Form derzeit Geschlechteraspekte an der Charité unterrichtet werden, ergab folgendes Ergebnis: Die Nennung von Geschlechterunterschieden im Unterricht wurde von 92,3% derjenigen angegeben, die zuvor die Einbeziehung solcher Unterschiede in die eigene Lehre bejaht hatten. Eine geschlechtsspezifische Differenzierung in Form von Tabellen und Graphiken erfolgt in knapp 50% der Fälle und auf geschlechtsspezifische Literatur wird von 16,2% der Befragten verwiesen. Etwaige Geschlechterunterschiede konnten dabei nicht ermittelt werden.

Kaum Prüfungsrelevanz von Geschlechteraspekten

Auf die Frage, ob geschlechtsspezifische Unterschiede in Prüfungen berücksichtigt werden, antworteten etwas mehr als die Hälfte der befragten ProfessorInnen und DozentInnen mit „Nein, eher nicht“ oder „Nein, nie“, rund 30% waren unentschieden und nur 17,5% antworteten mit „Ja, häufig“ oder „Ja, immer“. Bei der Betrachtung der Antworten nach Geschlecht zeigte sich ebenfalls, dass rund 17% der Frauen und Männer geschlechtsspezifische Unterschiede in Prüfungen einbezieht. Mit 56% erklärten mehr männliche DozentInnen und ProfessorInnen (n=84), dass diese Unterschiede nicht in Prüfungen berücksichtigt werden (Antwort „nein, eher nicht“ und „nein, verglichen mit 41,6 % der weiblichen Befragten (n=36).

Geringes Interesse an Qualifizierung und Curriculumsentwicklung

Eine Möglichkeit, warum geschlechtsspezifische Unterschiede in der Lehre eine eher geringe Rolle spielen, könnte in fehlendem Basiswissen begründet liegen. Aus diesem Grund wurde das Interesse an Qualifizierungsveranstaltungen und Curriculumsentwicklung im Fragebogen erfasst.

Frauen hatten hinsichtlich des Interesses an Qualifizierungsveranstaltungen und Curriculumsentwicklung ein signifikant höheres Interesse als ihre männlichen Kollegen (siehe Abbildung 3 [Abb. 3]). Die Betrachtung der Antworten nach den drei Statusgruppen ergab keine zusätzlichen Unterschiede.


Diskussion

Der weibliche Anteil der TeilnehmerInnen lag insgesamt bei nur 35,9%, die weiblichen Befragten standen dem Themenkomplex Geschlechterforschung aufgeschlossener gegenüber als ihre männlichen Pendants. Das geringe Interesse an Qualifizierungsveranstaltungen und Curriculumsentwicklung lässt sich evtl. auf die hohe Belastung der Lehrenden im Klinikalltag zurückführen. Eine Aufwertung von Lehre insgesamt mit ausreichend Zeit zur Vorbereitung und Weiterbildung der Lehrenden könnte hier hilfreich sein.

Erwartungsgemäß waren große Fächer wie Chirurgie und Innere Medizin entsprechend ihrer Größe in den drei Gruppen stark repräsentiert. Überraschenderweise haben sich kleinere Fächer wie Radiologie oder Dermatologie stark beteiligt. Eine überproportional starke Beteiligung von nicht-medizinischen oder vorklinischen Fächern wie Medizinische Soziologie oder Psychologie konnte nicht festgestellt werden, der Hauptanteil der Fragebögen kam aus klinischen Fächern.

Die Frage, ob die Grundgesamtheit der Lehrenden an der Charité in dieser Umfrage proportional ihrer tatsächlichen Verteilung auf die Fächer abgebildet wird, lässt sich nur schwer beantworten, denn sie ist unbekannt. Hieraus resultieren mannigfaltige Probleme bei allen Bestrebungen, einheitliche und verbindliche Standards in die akademische Ausbildung an der Charité zu integrieren. Zwischen der Gruppe der ProfessorInnen und der LehrkoordinatorInnen gab es teilweise personelle Überschneidunge, da die Lehrkoordination an der Charité sowohl durch ProfessorInnen als auch durch MitarbeiterInnen erfolgt. Durch die Befragung von beiden Gruppierungen wurden Informationen zur Lehre im Fachgebiet insgesamt erfasst.

Eine Befragung der StudentInnen war aufgrund der beschränkten Mittel nicht erfolgt, ist aber Gegenstand weiterer Diskussionen. Darüber hinaus wurde die Bestandsaufnahme im Jahr 2006 in ähnlicher Weise an der Medizinischen Hochschule Hannover durchgeführt. Der Vergleich der Ergebnisse mit den hier vorgelegten ist geplant.

In einem Folgeprojekt aus dem Herbst 2006 zur Integration von Geschlechteraspekten in bestehende Lernzielkataloge der Charité Universitätsmedizin Berlin konnte gezeigt werden, dass zu diesem Zeitpunkt fünf Fächer eine Differenzierung von zumindest einigen Lernzielen nach Geschlechteraspekten im weitesten Sinne vornahmen (Anmerkung: Publikation in Vorbereitung). Insofern überraschen die Ergebnisse aus der vorliegenden Bestandsaufnahme, in der bis zu 50% der befragten TeilnehmerInnen angaben, dass geschlechtsspezifische Aspekte ganz oder teilweise in den Lernzielkatalogen der eigenen Fächer berücksichtigt werden.

Vermutlich meinten die meisten Befragten zum Ausdruck bringen zu wollen, dass geschlechtsspezifische Unterschiede in den Lehraktivitäten eine Rolle spielen.

Die Charité Universitätsmedizin Berlin befindet sich seit ca. zwei Jahren mit der Einführung einer neuen Approbationsordnung in einem Prozess der Umstrukturierung ihrer Lehrangebote. Bei der Entwicklung von Curricula ist international unumstritten, dass die Formulierung von konkreten Lernzielen auf verschiedenen Ebenen einen wichtigen Schritt zur Umsetzung von Inhalten in der Ausbildung zukünftiger MedizinerInnen darstellt [15], [21], [25], [26], [27], [28].

Geschlechterunterschiede können kein eigenes Fach oder Querschnittsfach darstellen, sondern sollten in jedem Fach als integraler Bestandteil der Lehre unterrichtet werden. Das Potential an Fachbereichen und Themen hierzu ist vorhanden: Die genannten Themenkomplexe bzw. Schwerpunktbereiche sind sehr verschieden und müssen von einer Reihe unterschiedlicher Fächer unterrichtet werden. Eine Integration dieser Themen in bestehende Lernzielkataloge und Prüfungen ist ebenso anzustreben wie die Einbeziehung dieser Inhalte bei der Entwicklung von neuen Curricula für den Studiengang Humanmedizin an der Charité.

Rund zwei Drittel der befragten DozentInnen und ProfessorInnen gaben an, Geschlechterunterschiede immer oder zumindest teilweise in ihre Lehre mit einzubeziehen. Die derzeit dominierende Methode an der Charité, ist die Benennung dieser Themen im Unterricht. Viel seltener werden Graphiken gezeigt. Einschlägige Literatur im Unterricht ist die Ausnahme, obwohl die Lehrenden Interesse für das Thema zeigen und durchaus Themenkomplexe nennen können, die aus ihrer Sicht eine Relevanz im eigenen Fachgebiet besitzt. Die bloße Nennung eines Unterschieds ohne Einbeziehung von Graphiken oder anderen Medien ist keine ausreichend qualifizierte Methode, um Themen mit hoher Relevanz für zukünftige Ärzte zu unterrichten. Die interessierten Lehrenden müssen unbedingt mit mehr Material zu Geschlechterunterschieden für ihre Veranstaltungen ausgestattet werden. Hier könnte das GiM entsprechende Unterlagen oder Arbeitshilfen erarbeiten.

Eine zentrale Forderung zur Umsetzung von Geschlechterunterschieden in der medizinischen Ausbildung ist, bei allen Themen mit solchen Unterschieden diese gesondert für Mann und Frau explizit aufzuführen, in allen Graphiken und Darstellungen und nicht am Ende einer Präsentation in einem Halbsatz, sondern als essentiellen Bestandteil von ärztlichem Denken in Diagnostik und Therapie [16], [18].

Auch bei Inhalten ohne Geschlechterunterschied sollte routinemäßig angeben werden, dass Geschlecht eine relevante Rolle spielt, und in diesem Fall beide Geschlechter gleichermaßen behandelt werden oder betroffen sind. Daraus ergibt sich die wichtige Forderung nach geschlechtsdifferenzierender Wortwahl. Häufig wird im Klinikalltag nur das Wort „Patient“ benutzt, dahinter können sich dann männliche wie weibliche Patienten verbergen. Patienten haben ein Geschlecht und damit verbunden verschiedene soziale Rollen. Auch Studierende haben Vorstellungen von solchen Rollenbildern und benötigen bei der Befunderhebung sowie Therapieplanung alle wichtigen Informationen zu ihren PatientInnen [16].

In der Wahl der Mittel sind den Lehrenden keine Grenzen gesetzt, denn Unterschiede lassen sich in fast allen Unterrichtsformen geeignet darstellen [16], [29]. Interessant ist außerdem die Frage, inwieweit die Bedeutung von Geschlechterunterschieden bereits Eingang in medizinische Lehrbücher gefunden hat. Denn nur mit geschlechtersensiblen Lehrbüchern, bzw. einer entsprechend kritischen Analyse, kann die Bedeutung von Sex und Gender in Medizincurricula integriert werden [18], [30].

Eine wichtige Erkenntnis für die zukünftige Umsetzung von Geschlechterunterschieden ist die Tatsache, dass nur knapp 18% der befragten ProfessorInnen und DozentInnen solche Unterschiede in ihre Prüfungen routinemäßig mit einbezieht, obwohl ein viel höherer Anteil derselben Gruppe zuvor die Existenz solcher Themen mit Relevanz für das eigene Fachgebiet angibt. Angesichts knapper Zeitressourcen werden nur Wissensinhalte tiefgehend gelernt und gelehrt, die für Prüfungen relevant sind. Ein erster Schritt hin zu mehr Prüfungsrelevanz von Geschlechteraspekten wären formulierte Lernziele mit einem Charakter von Verbindlichkeit für Lehraktivitäten und Prüfungen. Über diverse Internet-Plattformen könnten diese Lernziele dann Lehrenden wie Studierenden zugänglich gemacht werden.

Der im Fragebogen verwendete Begriff „geschlechtsspezifisch“ konnte trotz aller bestehenden Definitionen verschieden interpretiert werden. Zum einen wurden in den Freitextnennungen Themenkomplexe mit reinem Genderaspekt im Sinne eines sozialen Geschlechts genannt; andererseits viele Themen, die auf Unterschieden des biologischen Geschlechts basieren.

Die Schnittmengen dieser beiden Definitionen sind Veränderungen unterworfen. Der englische Begriff gender, der eigentlich als soziales Geschlecht definiert wurde, wird z.B. auf naturwissenschaftlichen Fachtagungen genauso für Unterschiede benutzt, von denen man heute ausgeht, dass sie auf rein biologischen Begebenheiten basieren.

Im Vorfeld der Umfrage haben sich die Autoren der vorliegenden Untersuchung bewusst für einen offenen Umgang mit den unterschiedlichen Interpretationen dieser Begriffe entschieden, um die verschiedenen Bedeutungen von Sex und Gender in der Lehre der Charité niedrigschwellig erfassen zu können. Die Antworten der Teilnehmenden zeigten, dass sowohl Sex- als auch Gender-Aspekte aufgenommen sind, teilweise aber keine klaren begrifflichen Trennungen vorgenommen werden. In der Konsequenz soll im Rahmen von Fortbildungsangeboten für Lehrende eine Begriffsklärung erfolgen.


Fazit

Diese Bestandsaufnahme beleuchtet zum ersten Mal, inwiefern das Thema “Geschlechterunterschiede in der Medizin“ in die Ausbildung an der Charité Berlin integriert wird. Sie macht deutlich, dass es einen großen Bedarf an formulierten Lernzielen für diesen Bereich gibt, sowie einen Bedarf an Unterstützung für die Lehrenden, die dem Thema offen gegenüber stehen, aber angesichts knapper Zeitressourcen das Thema bislang im Unterricht nur streifen können. Das GiM sollte bei der Curriculums- und Lehrmaterialentwicklung eine wichtige Rolle spielen.


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