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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Gute Lehre, schlechte Lehre - was ist besser für eine Elite-Universität?

Leitartikel Humanmedizin

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  • corresponding author Eckhart G. Hahn - GMS Zeitschrift für Medizinische Ausbildung, Gesellschaft für Medizinische Ausbildung, Erlangen, Deutschland External link

GMS Z Med Ausbild 2006;23(4):Doc75

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Received: November 7, 2006
Published: November 15, 2006

© 2006 Hahn.
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Leitartikel/Editorial

„Brutal war das letzte Semester für die Hochschulleitung“, stöhnte der Prorektor der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Prof. Harald Meerkamm. Die Exzellenz-Initiative des Bundes trieb alle zu Höchstleistungen. Den beteiligten Wissenschaftlern „bleibe kaum mehr Luft zu ihrer eigentlichen Aufgabe, nämlich auf hohem Niveau zu forschen“, sagte Rektor Prof. Karl-Dieter Grüske. Die Rede war von Hochschullehrern – von Lehre aber keine Rede!

Ernst-Ludwig Winnacker, 65, der derzeitige Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft und designierter erster Generalsekretär des European Research Council in Brüssel, hat am 19.10.2006 in einem Interview in DIE ZEIT zum Thema der Elite-Universitäten das Folgende dargelegt (auf die Frage hin, warum Jülich keine Universität sei und doch viele Doktoranden habe, aber keine Studenten): Winnacker: Na und? Man kann sich doch auch eine Hochschule ohne Studenten vorstellen, eine Graduiertenuniversität wie in den USA die Rockefeller University oder Caltech. Und später im Interview: Man sollte sich ohnehin überlegen, ob manche Disziplinen an einer Fachhochschule besser aufgehoben sind als an einer Universität. Betriebswirtschaft, große Teile der Ingenieurwissenschaften und Jura könnten an Fachhochschulen verlegt werden. Oder Pharmazie: Warum muss jemand, der Aspirin verkauft, an einer Universität ausgebildet werden? [1].

Gute Lehre, schlechte Lehre

Die Exzellenz-Initiative hat die Lehre ausgeklammert: Elite an Universitäten wird ohne Lehre definiert, und das für die angeblichen Spitzenuniversitäten unseres Landes! Der Plan der Technischen Universität München, um die besten Studierenden zu werben und der Vorschlag der Universität Heidelberg, Lehrprofessuren einzurichten, wurde eher als frech empfunden. Eine Verringerung des Lehrdeputats wird hingegen oft als wichtigster Anreiz für die Anwerbung von Spitzenforschern eingesetzt. Studierende stören und stehen dem Forscher im Weg! Das erinnert mich an ein Schlüsselerlebnis 1973 an meinem ersten Tag als Wissenschaftlicher Assistent in der Medizinischen Klinik Marburg nach zwei Jahren Max-Planck-Institut für Biochemie in München, als mich ein wohlmeinender ergrauter Professor empfing: „Hier kann man wirklich hervorragend arbeiten – wenn nur die vielen Patienten und Studenten nicht wären“. Gute Lehre ist offensichtlich hinderlich, gute Lehre ist schädlich für die eigentliche Aufgabe der Hochschullehrer an Universitäten. Schlechte Lehre ist vielleicht besser?

Exzellenz

Auch sprachlich bemerkt man eine erstaunliche Gedankenlosigkeit: der Begriff Exzellenz wird sonst im Deutschen nur als Titel verwendet1. Er wurde naiv als Übersetzung des englischen Wortes „excellence“ eingeführt, und in der Kombination „Exzellenz-Cluster“ könnte man die Erklärung für das Abdrehen der Geisteswissenschaften aus den Exzellenz-Programmen finden. Also wieder einmal eine kritiklose Anglo-Amerikanisierung in der Deutschen Wissenschaftslandschaft? Ersatz für Mangel an eigenen Vorstellungen über die Rolle der modernen Universität in der Gesellschaft? Das kann nicht sein, denn die Diskussion um Wissenschaftlichkeit und akademische Qualität an Universitäten wird gerade in den USA lebhaft geführt und hat seit Boyer die wesentlichen Merkmale des Akademikers definiert [2] – und dies schließt die Lehre explizit mit ein [3]. Eine Definition des neuen deutschen Wortes „Exzellenz“ wurde deshalb auch bei allen Aktivitäten der Initiative sorgfältig vermieden; selbst die Vorbilder in den USA haben Schwierigkeiten damit. Die Definition für gute Lehre ist dort im Fluss [4], auch für gute medizinischer Lehre [5].

Zukunfts-Konzept der GMA: Exzellenz-Initiative der Lehre

Was hat das alles mit der GMA zu tun? Die GMA fühlt sich einer umfassenden Ausbildung in der Medizin verpflichtet, die in eine ebenso umfassende wie spezifische Weiterbildung münden soll. Sie fühlt sich einer Approbationsordnung verpflichtet, die eine wissenschaftlich und praktisch ausgebildete Arztpersönlichkeit vorschreibt. Sie möchte zu einer Elite der Ärzte, und meinetwegen auch zu einer „Exzellenz“ der medizinischen Wissenschaft beitragen. Sie kann dies nicht erreichen, indem sie nur unmittelbaren Forschungszwecken dient, ebenso wenig wie eine Universität, die sich als Elite-Universität verstehen möchte. Die GMA ist deshalb der Meinung, dass der Exzellenz-Initiative der Forschung eine Exzellenz-Initiative der Lehre zur Seite gestellt werden muß! Es kann nicht akzeptiert werden, dass eine Verbesserung der Forschungsleistung durch Anwerbung von Spitzenforschern zu einer Verschlechterung der Lehre führt. Dies würde zu einem Ruin der akademischen Medizin führen, so wie der Zwang zur Forschungs-Elite der Universitäten ohne Lehr-Elite den Ruin und den Verlust der Wettbewerbsfähigkeit unserer Gesellschaft bedeuten würde.

Qualität der Lehre: Weiterbildung

Lehre für die Weiterbildung in der Medizin wird ebenfalls (noch) nicht ernst genommen. Strukturierte Weiterbildung an Deutschen Universitätskliniken und akademischen Lehrkrankenhäusern ist eine Rarität, und erst Recht an nicht-akademischen Krankenhäusern, die ohne Budget für die Weiterbildung geplant haben [6] und deshalb den Führungsnachwuchs aus anderen Kliniken, auch aus benachbarten osteuropäischen Ländern holen müssen. Die GMA hat auch hier Konzepte, die dem entgegenwirken sollen (http://www.gesellschaft-medizinische-ausbildung.org). GMA-Ausschüsse zur Ausbildung, für Weiterbildung und für Ausbildungforschung sind eingerichtet worden, Maßnahmen für eine Akkreditierungs- und Zertifizierungsfähigkeit der GMA für akademische Ausbildungs- und Weiterbildungsprogramme werden ergriffen und die Heranbildung professioneller akademischer Lehrer in der Medizin unterstützt [7]. Dies wird von der Überzeugung und der Begeisterung der GMA-Mitglieder getragen, die seit 2003 jedes Jahr um 100 zugenommen und inzwischen die Zahl 500 überschritten haben. Die GMA möchte Ausgangspunkt und Mittelpunkt einer Elite in medizinischer Ausbildung bleiben und damit der medizinischen Forschungselite eine Zukunft erhalten. Die GMA will keine Universität in Ruinen [8].


Anmerkung

1 Ex|zel|lenz, die; -, -en [frz. excellence, eigtl. = Erhabenheit, Herrlichkeit < lat. excellentia]: a) Anrede im diplomatischen Verkehr: Euer, Eure E.; die Einladung Eurer, Seiner E.; Ihren -en, dem Herrn amerikanischen Botschafter und Gattin; b) (früher) Titel für Generale u. höchste Beamte.

Quelle: Duden - Deutsches Universalwörterbuch, 6., überarbeitete Auflage. Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich: Dudenverlag 2007. © Bibliographisches Institut F. A. Brockhaus AG, Mannheim


Literatur

1.
Zeit.de [homepage im Internet]. Interview mit Ernst-Ludwig Winnacker. Hamburg: Die Zeit. 2006;43. Zugänglich unter: http://www.zeit.de/2006/43/B-Winnacker-Exzellenz.
2.
Boyer EL. Scholarship reconsidered: Priorities of the Professoriate. Princeton, New Jersey: Carnegie Foundation for the Advancement of Teaching; 1990.
3.
Glassick CE, Huber MR, Maeroff GI. Scholarship Assessed - Evaluation of the Professoriate. San Francisco, CA: Jossey-Bass; 1997.
4.
Kreber C. Teaching excellence, teaching expertise and the scholarship of teaching. In High Educ. 2002;27:5-23.
5.
Fincher RM, Work JA. Perspectives on the scholarship of teaching. Med Educ. 2006;40:293-295.
6.
Siebolds M, Beer AB, Kiwitt P, Meyring S. Strukturierte Facharztweiterbildung. Alter Wein in neuen Schläuchen oder Zukunftsoption? Dtsch Arztebl. 2006;103(42):A 2765-2768. Zugänglich unter: http://www.aerzteblatt.de/lit4206.
7.
Hahn EG. GMA 400 plus (Leitartikel). GMS Z Med Ausbild 2005;22(4):Doc219. Zugänglich unter: http://www.egms.de/de/journals/zma/2005-22/zma000219.shtml.
8.
Readings B. University in Ruins. Harvard: University Press; 1997.