gms | German Medical Science

GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Kerncurriculum für die Medizinische Ausbildung in Deutschland: Ein Vorschlag der Medizinstudierenden Deutschlands

Leitlinie Humanmedizin

GMS Z Med Ausbild 2006;23(4):Doc58

The electronic version of this article is the complete one and can be found online at: http://www.egms.de/en/journals/zma/2006-23/zma000277.shtml

Received: November 13, 2006
Published: November 15, 2006

© 2006 Kulike et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution License (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.en). You are free: to Share – to copy, distribute and transmit the work, provided the original author and source are credited.


Leitlinie

Wir, die Medizinstudierenden der humanmedizinischen Fachschaften Deutschlands haben seit November 2005 an einem Kerncurriculum für die medizinische Ausbildung in Deutschland gearbeitet. Unser Anliegen war es, die wichtigsten Ausbildungsziele für jeden Medizinstudierenden in Deutschland zu formulieren. In den letzten Jahren hat sich in der medizinischen Ausbildung ein Trend vollzogen; weg von reiner Wissensvermittlung hin zur Orientierung an konkreten Ergebnissen und Lernzielen. Um diese Entwicklung zu fördern, haben wir mit diesem Kerncurriculum definiert, über welche Fähigkeiten, Fertigkeiten und Verhaltensweisen ein Absolvent des Studiums der Humanmedizin verfügen muss.

Große Teile dieses Kerncurriculums wurden gemeinsam mit Studierendenvertretern der International Federation of Medical Students’ Association (IFMSA) und der European Medical Students’ Association (EMSA) im Juli 2006 in Bristol auf der 5. Bologna-Prozess Folgekonferenz als "European Core Curriculum – the Students’ Perspective“ erarbeitet.

Unser Kerncurriculum fügt sich in den Rahmen dieses europäischen Kerncurriculums ein und ergänzt ihn, wo es für Deutschland spezifisch nötig ist.

Dieses Dokument drückt die Meinung der Medizinstudierenden darüber aus, welche Kompetenzen und welches Wissen frisch approbierte Ärzte jeder medizinischen Fakultät nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa, während ihrer Ausbildung erworben und unter Beweis gestellt haben sollten.Es ist unsere feste Überzeugung, dass die Ausbildung von Ärzten in einem geeinten Europa des 21. Jahrhunderts auf der gemeinsamen Grundlage eines Kerncurriculums basieren muss.

Unser Kerncurriculum ist in neun Bereiche gegliedert, die wiederum 80 Lernziele spezifizieren. In alphabetischer Reihenfolge sind diese Bereiche:

Fähigkeiten und Fertigkeiten

Absolventen müssen klinische Fähigkeiten und Fertigkeiten erworben haben und so beherrschen, dass sie sie in ihrem beruflichen Umfeld sicher einsetzen können. Unserer Meinung nach besteht der Bedarf einer Zusammenstellung der notwendigen Fähigkeiten und Fertigkeiten, wie sie in bereits existierenden Listen früherer Veröffentlichungen zu finden sind.

Kommunikationsfähigkeit

Absolventen müssen über die Kommunikationsfähigkeiten verfügen, die eine kompetente patientenzentrierte Versorgung ermöglichen. Dies ist für eine hohe Qualität in der Patientenbetreuung von entscheidender Bedeutung.

Kritisches Denken

Kritisches Denken ist das systematische Bewerten von Informationen vor einer beruflichen Entscheidung oder Handlung. Wir unterstreichen, dass diese Fähigkeit alle Aspekte der Rolle des Arztes betrifft.

Lebenslanges Lernen

Lebenslanges Lernen ist das Erwerben, Auffrischen und Anwenden von Wissen. Die kontinuierliche Umsetzung dieses Prozesses ist für einen Arzt während seiner gesamten beruflichen Laufbahn essenziell. Ein Arzt muss seine medizinischen Kenntnisse immer auf dem neusten Stand halten und sicherstellen, dass die Patientenbetreuung evidenzbasiert und gemäß aktuellen Richtlinien erfolgt.

Lehre und Aufklärung

Wir sind überzeugt, dass Lehren und Informationsvermittlung im medizinischen Bereich wesentliche Komponenten der Interaktion auf allen Ebenen darstellen. Ohne sie ist es nicht möglich, das Gesundheitssystem auf einem hohen Niveau zu halten.

Öffentliche Gesundheit

Als künftige Ärzte in einem schnell wandelnden Umfeld sind wir verpflichtet, unsere Verhaltensweisen an die Erwartungen der Gesellschaft anzupassen. Wir halten Kenntnisse über die Grundsätze der Volksgesundheit für die Arbeit als Arzt auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene für unabdingbar. Daher unterstreichen wir, dass es wichtig ist, die Einflüsse von Umwelt, Kultur und Globalisierung auf die Gesundheit in unserem medizinischen Curriculum zu berücksichtigen.

Professionalität – Verhaltensweisen, Verantwortlichkeiten und Selbstentwicklung

Professionalität ist ein anhaltender Prozess, der während der Studienzeit beginnt und weiterentwickelt wird, wenn der Absolvent die Rolle des Arztes übernimmt. Die Ausbildung vor der Approbation bereitet auf einen Beruf vor und Studierende müssen die entsprechenden Fähigkeiten und Fertigkeiten für die Rolle und Identität eines Arztes erwerben. Da sie die Entwicklung dieser Rolle aktiv mitgestalten müssen, sollten ihnen Strukturen an die Hand gegeben werden, die dies erleichtern. Zusätzlich zum Erwerb einer professionellen Einstellung müssen Studierende ethische und moralische Werte definieren, durch die sie bei ihrer künftigen Arbeit eine verantwortungsvolle Patientenbetreuung gewährleisten können. Darüber hinaus müssen Absolventen sich der Erwartungen der Gesellschaft bewusst sein und über hinreichende Managementfähigkeiten verfügen, um im Gesundheitswesen qualifiziert agieren zu können.

Teamfähigkeit

Absolventen müssen sich um optimale Patientenbetreuung bemühen, indem sie effizient in einem Team zusammenarbeiten, wann immer dies notwendig ist. Sie müssen daher die Fähigkeiten und Verhaltensweisen besitzen, die für die jeweils zu übernehmende Rolle erforderlich sind.

Theoretische Kenntnisse

Absolventen müssen die wissenschaftlichen Grundlagen für die medizinische Praxis erworben haben und das gewonnene Wissen in medizinisches Handeln und berufliche Kompetenz umsetzen. Sie müssen sich des schnellen Wandels und der Weiterentwicklung des Wissens bewusst sein und die Bedeutung lebenslangen Lernens kennen. Ärzte müssen sich für den Wissensaustausch mit Kollegen einsetzen, die Grenzen ihres Wissens erkennen und die Fähigkeit besitzen, auf geeignete Informationsquellen zuzugreifen und diese kritisch beurteilen.

Um nicht in die Lehrautonomie der Universitäten einzugreifen, schreibt dieses Kerncurriculum nicht vor, welche Unterrichtsform oder Prüfmethode gewählt werden sollte, sondern überlässt dies den Lehrenden. Wichtig ist uns Studierenden, dass sichergestellt ist, dass die Lernziele erreicht sind und dies mit angemessenen Verfahren überprüft worden ist.

Das vorliegende Dokument ist Ausdruck der harten Arbeit und des Engagements der deutschen wie auch der europäischen Medizinstudierenden für eine Reform der medizinischen Ausbildung. Damit leisten wir einen Beitrag zur Verbesserung der Patientenversorgung und der Patientensicherheit bei unserer künftigen Tätigkeit als Mediziner. Wir hoffen, dass dieses Dokument - wie auf der Tagung "Medizinausbildung mit Zukunft!?“ im Oktober 2006 angedacht - den Dialog und die Zusammenarbeit mit anderen Interessensgruppen im Bereich der medizinischen Ausbildung für die Erstellung eines gemeinsamen deutschen Kerncurriculums beleben kann.

Das vorliegende Papier ist Ergebnis dieser Bemühungen und wurde im Oktober 2006 von der Vollversammlung der bvmd in Jena verabschiedet.

[Die Vollversion der Leitlinie der bvmd findet sich im Anhang [Anh. 1] zur elektronischen Ausgabe der GMS Z Med Ausbild].


Anmerkung

Die beiden erstgenannten Autoren Katharina Kulike und Jan Hilgers (International Federation of Medical Students´ Associations, Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland e.V.) haben in gleichem Umfang zu der Arbeit beigetragen.


Danksagung

Emily Rigby (Bristol, UK) für Ihre Unterstützung.

Der Deutschen Ärztefinanz für die freundliche Unterstützung bei den Übersetzungsarbeiten.

Der Fachschaft Aachen für Ihre Unterstützung des Drucks.

Den Medizinischen Fakultäten Aachen, Köln, LMU München, Bonn, Hamburg, Marburg und Essen für die Unterstützung unserer Arbeit in diesem Bereich.