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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

E-Learning: Aktueller Stand und Chancen in der Allgemeinmedizin Frankfurt a.M. 08.-09. Juli 2005: Vom Kongress zum Netzwerk "ELA" (E-Learning in der Allgemeinmedizin)

Kongressbericht Humanmedizin

  • author Horst Christian Vollmar - Medizinisches Wissensnetzwerk evidence.de, Kompetenzzentrum für Allgemeinmedizin und ambulante Versorgung, Universität Witten/Herdecke, Witten, Deutschland External link
  • author Uta-Maria Waldmann - Abteilung Allgemeinmedizin, Universität Ulm, Ulm, Deutschland
  • corresponding author Jochen Gensichen - Institut für Allgemeinmedizin, Klinikum der Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt/Main, Deutschland External link
  • author Andreas C. Sönnichsen - Abteilung für Allgemeinmedizin, Präventive und Rehabilitative Medizin, Philipps-Universität Marburg, Marburg, Deutschland

GMS Z Med Ausbild 2005;22(3):Doc30

The electronic version of this article is the complete one and can be found online at: http://www.egms.de/en/journals/zma/2005-22/zma000030.shtml

Received: July 25, 2005
Published: August 15, 2005

© 2005 Vollmar et al.
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Kongressbericht

Auf der Tagung der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin e.V. (DEGAM) 2004 entstand die Idee, E-Learning-Aktivitäten in der Allgemeinmedizin sichtbar zu machen und zu bündeln. Ein Kongress sollte die allgemeinmedizinischen Vertreter aus Lehre und Forschung sowie Industrievertreter zusammenbringen, um das Spektrum der Möglichkeiten und laufende Projekte kennen zu lernen. Mit motivierten Referenten, über 60 aktiven Teilnehmern und einem positiven Feedback, kann der Kongress in Frankfurt am 8. und 9. Juli 2005 als erster dieser Art in Deutschland als erfolgreich bezeichnet werden.

Nach den Begrüßungen durch Prof. Gerlach vom Institut für Allgmeinmedizin der Johann Wolfgang Goethe-Universität und den Organisatoren hielt Prof. Bischoff aus Lübeck das erste Referat. Er berichtete über Erfahrungen aus den Online-Studiengängen Medieninformatik und Wirtschaftsingenieur und konfrontierte die meisten Teilnehmer mit der Aussage, dass keine einheitliche Definition von E-Learning existiere. Dies spiegelte sich auch insgesamt an dem breiten Spektrum der Kongressbeiträge wider. Seine Thesen:

• Die Betrachtung der drei Bereiche Lernen, Technik und Organisation ist entscheidend für den Erfolg von E-Learning. Dabei soll Lernen selbstgesteuert und lernerzentriert ablaufen. Die Technik ist ein Ko-Kriterium, sie soll möglichste unauffällig bleiben. Die organisatorischen Abläufe haben transparent und nutzerfreundlich zu erfolgen.

• Die Vorteile von E-Learning liegen im zeitlich und örtlich unabhängigen Lernen (= asynchrones Lernen).

• Begleitendes Tutoring ist wichtiger für den Erfolg von E-Learning-Aktivitäten als die Qualität der Lernmaterialien.

• Die Verwendung von Medien soll durch rechtlich verbindliche Dokumente festgelegt werden.

• Ein wirtschaftlicher Einsatz ist nur durch den Verbund mehrerer Hochschulen zu realisieren.

Dr. Frey, als Leiter der Abteilung für Unterrichtsmedien der Universitätsklinik Bern, berichtete über die Erfahrungen, die mit Studierenden in der Schweiz gemacht wurden. Er stellte klar, dass lediglich 5-10% der Studierenden intrinsisch motiviert sind. Erst die extrinsische Motivation durch Prüfungen könne dem E-Learning zum Durchbruch verhelfen: Fälle mit anschließender Prüfung wurden zu über 90% erfolgreich bearbeitet, Fälle ohne Prüfung hingegen zu weniger als 10%. Ein weiterer wichtiger Aspekt war die Feststellung, dass Fortbildung hauptsächlich auf Gebieten stattfindet, in denen Fortbildende bereits Vorwissen besitzen. E-Learning könne hier die Möglichkeit eröffnen, "blinde Flecke" zu identifizieren und Wissensdefizite aufzudecken ("needs assessement"). Seine Forderung:

Ein Endpunkt bei allen Studien zum E-Learning für Mediziner sollte die Auswirkung auf die Patientenversorgung sein.

Dr. Sostmann von der Charité Berlin wies ebenfalls auf die Notwendigkeit einer tutoriellen Betreuung hin. Die Kosten von E-Learning-Angeboten seien sehr abhängig von den Zielen und Einsatzgebieten. Als möglichen Mehrwert von E-learning beschrieb er

• die Aktivierung von vorhandenem Vorwissens,

• die selbständige Hypothesengenerierung und

• die explorative Herangehensweise an Problemstellungen.

Als wichtige Qualitätsindikatoren nannte er

• die technisch problemlose Funktionalität,

• einen hohen Interaktivitätsgrad und

• ein klar definiertes pädagogisches Konzept

Ein Konzept mit zunehmender Bedeutung stelle das spielerische Lernen dar. Auch in einem späteren Referat wurde das so genannte "digital game based learning" als eine Zukunftsperspektive von E-Learning gesehen. Bereits in den 90er Jahren existierten Spiele mit medizinischen Inhalten, welche durch ihren hohen Spaßfaktor zu einer erhöhten Lernmotivation führten.

Dr. Kleinoeder aus Göttingen gab einen Überblick über bestehende E-Learning-Systeme; er wies darauf hin, dass bei vermeintlichen kostenlosen Plattformen (Open Source) oftmals mit erhöhten Folgekosten zu rechnen sei. Schwierige Installationen und fehlender oder teurer Support seien dafür verantwortlich. Die Rahmenbedingungen sollten also vor der Anschaffung eines Systems möglichst detailliert abgeklärt werden. Es erfolgte eine Differenzierung zwischen Learning Management Systemen (LMS) und Learning Content Management Systemen (LCMS). Ersteres verwaltet primär die Daten von Lernenden, letzteres stellt zusätzlich Lerninhalte (Content) bereit. Wichtige Anforderungen an eine solche LCMS-Plattform seien.

• die Webbasierung

• die Verwendung offener Standards

• die Skalierbarkeit

• der Einsatz definierter Schnittstellen und

• die flexible Einbindung unterschiedlichster Medien

Erfolgskritisch für ein E-Learning-System sei jedoch in erster Linie die Organisation und nicht die Technik.

Nach den eher grundlagenspezifischen Themen des Vormittages folgten Anwendungsbeispiele aus dem Bereich der Allgemeinmedizin.

Dr. Gensichen, Allgemeinmedizin Frankfurt, berichtete wie sich Studierende im allgemeinmedizinischen Praktikum mittels einer Internetplattform gegenseitig korrigierten. Als konkrete Aufgabenstellung sollten Patienten anhand des SOAP-Schemas vorgestellt werden. Durch entsprechende Feedbackschleifen und unter tutorieller Begleitung lernten die Studierenden selbstständig ihre Ausarbeitungen zu verbessern

Dieser Ansatz des verteilten Lernens sei besonders gut für die Allgemeinmedizin mit ihren verstreuten Ausbildungsstrukturen geeignet.

Dr. Chenot, Allgemeinmedizin Göttingen, stellte ein Projekt der E-Evaluation vor. Dabei fand die Bewertung des allgemeinmedizinischen Praktikums in den Lehrpraxen durch die Studierende online statt. Hier konnte nach der Etablierung des Systems ein verminderter Arbeitsaufwand auf Seiten der Universität konstatiert werden.

Dr. Gulich, Allgemeinmedizin Ulm, wollte "mehr Spatzen in der Hand und weniger Tauben auf dem Dach", soll heißen: weniger komplexe und hoch spezialisierte Programme, sondern einfache Konzeptionen, die eine effektive Lehre unterstützen. Kritisch wurde angemerkt, dass E-Learning die hohen Erwartungen (bisher?) nicht erfüllt hat.

Danach stellte Dr. Gündling von der Universität Frankfurt einen phytotherapeutischen Thesaurus vor, der sich auch gut für die Allgemeinmedizin eigne, da ca. 75% aller Hausärzte auch naturheilkundliche Methoden einsetzten.

Anschließend fand ein reger Informationsaustausch an Thementischen und beim Markt der Möglichkeiten statt. Dort konnten die Teilnehmer knapp 15 verschiedene E-Learning-Projekte begutachten und teilweise selber ausprobieren.

Dr. Sandars, Medical Education Unit, der Universität Leeds UK, eröffnete mit einem provokanten und präzisen Vortrag den nächsten Vormittag. Seine Thesen:

• Lernenden sollen Fähigkeiten (skills) vermittelt werden und nicht Wissen, da Wissen eine zu kurze Halbwertszeit hat ("Knowledge does not keep any better than fish").

• Lernen funktioniert in allen Systemen am besten, wenn die Lernenden selber aktiv werden.

• Für lebenslanges Lernen müssen zukünftige Ärzte lernen, sich Zugang zu den richtigen Informationen zu verschaffen.

• Wenn Lehrende länger zum Vorbereiten brauchen als zum Unterrichten, machen sie etwas was falsch: die Studierenden sollen einen großen Teil der Arbeit selbst übernehmen.

Dr. Sönnichsen, Allgemeinmedizin Marburg, stellte anschließend fest, dass E-Learning in der allgemeinmedizinischen Weiterbildung praktisch nicht vorkommt. In der Diskussion wurde angemerkt, dass vor der Etablierung eines E-Learning-Konzeptes zuerst ein strukturiertes und allgemein anerkanntes Weiterbildungs-Curriculum vorliegen müsse.

Im Gegensatz dazu zeigte Dr. Vollmar, Allgemeinmedizin Witten/Herdecke, dass im Bereich der verpflichtenden Fortbildung (CME) eine Vielzahl von Angeboten existiert, die allerdings selten spezifisch für die Allgemeinmedizin sind. Zudem war die Qualität der recherchierten Angebote sehr heterogen.

Frau Dr. Waldmann, Allgemeinmedizin Ulm, stellte nochmals die Vor- und Nachteile von Online-Prüfungen dar und verglich diese mit konventionellen Prüfungsformen. Nach diesem Ausblick in zukünftige Möglichkeiten wagte Dr. Gensichen den Versuch einer Zusammenfassung und stellte fest: "So spezialisiert diese Vorträge und das Thema auch waren: wir werden wieder zurück an die Ursprünge der Lehre gebracht: was wollen wir den Lernenden beibringen und wie soll das geschehen - "blended learning" also die optimale Mischung der verschiedenen Unterrichtsformen scheint für die Allgemeinmedizin angemessen zu sein".

Zum Abschluss des Kongresses wurde ein Delphi-Prozess initiiert, bei dem allen Kongressteilnehmern ein 15-teiliger Fragebogen zum diskutierten Themenkomplex vorgelegt wurde. Mit einer Rücklaufquote von knapp 70% war auch hier eine rege Beteiligung zu verzeichnen. Erste Ergebnisse sollen Anfang August auf der Tagung der Association of Medical Education in Europe (AMEE) in Amsterdam vorgestellt werden.

Im Anschluss an den Kongress fanden sich 13 Teilnehmer aus neun medizinischen Fakultäten zusammen, um das Netzwerk "E-Learning in der Allgemeinmedizin (ELA)" zu gründen. Die Bildung erfolgte aus der Einsicht, dass unter qualitativen und ökonomischen Gesichtspunkten verschiedenste "Insellösungen" an den Fakultäten nicht sinnvoll erscheinen. Als erster Schritt wurde vereinbart, die unterschiedlichen Projekte auf der Internetseite http://www.e-learning-allgemeinmedizin.de kurz vorzustellen, um daraus Kooperationsmöglichkeiten ableiten zu können. Zukünftig sollen neue Projekte frühzeitig den Netzwerkteilnehmern präsentiert werden, damit diese mit einem zeitnahen Feedback zur Qualitätsverbesserung beitragen können. Weiterhin wird die Suche nach nachhaltigen Finanzierungsmodellen eine wichtige Aufgabe von "ELA" darstellen.

Das Netzwerk will die Aufbruchstimmung des Kongresses nutzen, um positive Impulse in dieser Richtung setzen zu können.