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GMS Verbrennungsmedizin

Deutsche Gesellschaft für Verbrennungsmedizin (DGV)

ISSN 1869-1412

Akzidentelle Verätzung mit Ameisensäure – Kasuistik und Literaturübersicht

Accidental chemical burns from formic acid – casuistics and literature survey

Fallbericht

  • corresponding author Enno Striepling - Abteilung für Handchirurgie, Plastische und Mikrochirurgie (Chefärzte Prof. Dr. Bernd-Dietmar Partecke, Dr. Klaus-Dieter Rudolf), Zentrum für Schwerbrandverletzte (Ltd. OA Dr. Frank Bisgwa), Berufsgenossenschaftliches Unfallkrankenhaus Hamburg (Ärztlicher Direktor Prof. Dr. Christian Jürgens), Hamburg, Deutschland
  • Malte Möller - Abteilung für Handchirurgie, Plastische und Mikrochirurgie (Chefärzte Prof. Dr. Bernd-Dietmar Partecke, Dr. Klaus-Dieter Rudolf), Zentrum für Schwerbrandverletzte (Ltd. OA Dr. Frank Bisgwa), Berufsgenossenschaftliches Unfallkrankenhaus Hamburg (Ärztlicher Direktor Prof. Dr. Christian Jürgens), Hamburg, Deutschland
  • Frank Bisgwa - Abteilung für Handchirurgie, Plastische und Mikrochirurgie (Chefärzte Prof. Dr. Bernd-Dietmar Partecke, Dr. Klaus-Dieter Rudolf), Zentrum für Schwerbrandverletzte (Ltd. OA Dr. Frank Bisgwa), Berufsgenossenschaftliches Unfallkrankenhaus Hamburg (Ärztlicher Direktor Prof. Dr. Christian Jürgens), Hamburg, Deutschland
  • Klaus-Dieter Rudolf - Abteilung für Handchirurgie, Plastische und Mikrochirurgie (Chefärzte Prof. Dr. Bernd-Dietmar Partecke, Dr. Klaus-Dieter Rudolf), Zentrum für Schwerbrandverletzte (Ltd. OA Dr. Frank Bisgwa), Berufsgenossenschaftliches Unfallkrankenhaus Hamburg (Ärztlicher Direktor Prof. Dr. Christian Jürgens), Hamburg, Deutschland

GMS Verbrennungsmedizin 2008;2:Doc02

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/journals/vmed/2008-2/vmed000003.shtml

Veröffentlicht: 22. September 2008

© 2008 Striepling et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Zusammenfassung

Die Verätzung mit Ameisensäure stellt eine schwere Verletzung dar, die nicht nur die betroffenen Hautareale im Sinne einer Koagulationsnekrose schädigt, sondern auch durch eine rasche Resorption schwere systemische Schäden verursacht. Hierzu gehören insbesonders eine Hämolyse, Azidose, Schädigung von Nieren und ZNS. Auch andere Organsysteme können geschädigt werden.

Schlüsselwörter: Ameisensäure, Verätzung, Resorption, Intoxikation, Hämolyse

Abstract

Chemical burns caused by formic acid induce not only severe skin lesions with local coagulation necrosis, but also severe systemic disorders by fast resorption such as haemolysis, acidosis, renal function disorder and non specific symptoms of the function of the Central nervous system. In addition also other organ systems may be affected.

Keywords: formic acid, chemical burns, resorption, intoxication, haemolysis


Kasuistik

Geschildert wird der Fall eines 54-jährigen Mannes, der 79 Tage im Zentrum für Schwerbrandverletzte des Berufsgenossenschaftlichen Unfallkrankenhauses Hamburg wegen einer ausgedehnten und tiefen Ameisensäureverätzung behandelt wurde.

Unfallgeschehen

Der 54-jährige Hobby-Imker hatte zur Vorbereitung der Varroamilben-Bekämpfung seines Bienenvolkes Ameisensäure (Tabelle 1 [Tab. 1]) in ein offenes Gefäß umgefüllt. In seinem Geräteschuppen stieß er mit dem Kopf gegen ein Regal, auf dem der Eimer mit ca. 4 Litern 98%iger Ameisensäure stand. Die Säure ergoss sich über Rumpf und Beine des Mannes, der noch im Schuppen bewusstlos wurde. Nach Wiedererlangen des Bewusstseins konnte sich der Verunfallte noch selbst aus dem Schuppen schleppen, entledigte sich seiner säuredurchtränkten Oberkörperbekleidung und wurde ein zweites Mal bewusstlos. Der Unfallverletzte konnte sich an einen stechenden Geruch und aufsteigende Dämpfe im Schuppen nach Vergießen der Ameisensäure erinnern.

Notfallbehandlung

Der Verunglückte wurde durch den eingetroffenen Notarzt ca. 15 Minuten lang durch Spülen mit Wasser dekontaminiert. Nach Einlieferung in ein örtliches Krankenhaus erfolgte die Intubation. Der im erstbehandelnden Krankenhaus bei der primären BGA gemessene ph-Wert betrug 7,18 bei einem base exzess von –10,5. Unter Berücksichtigung der Beatmungsparameter zeigte sich damit eine deutliche überwiegend metabolisch bedingte Azidose. Neben der Infusionstherapie mit Ringerlösung erfolgte die Gabe von Natrium-Bikarbonat. Der Patient wurde mit dem Rettungshubschrauber in das Zentrum für Schwerbrandverletzte des BG-Unfallkrankenhauses eingeliefert.

Klinische Behandlung

Aufnahmebefund

Bei Aufnahme intubierter, beatmeter Patient, stabile Kreislaufparameter. Verätzung von 48% der Körperoberfläche (KOF) , davon bei Ersteinschätzung 35% drittgradig, 13% tief zweitgradig im Bereich ventraler und dorsaler Rumpf sowie beider Beine. Intraoral keine Verletzungszeichen. Bei Aufnahme im Zentrum ausgeglichener Säure/Basenhaushalt mit einem ph von 7,48 bei einem base excess von 0,8. Beatmung und Lungenfunktion unproblematisch.

Lokalbefund

Dunkelrote Verfärbung der zweitgradig brandverletzten Areale (Abbildung 1 [Abb. 1], Abbildung 2 [Abb. 2]), Grau- bis Schwarz-Verfärbung der drittgradigen Areale über dem rechten Unterschenkel und Fuß (Abbildung 3 [Abb. 3]). Hier war die Einwirkungszeit der Säure am längsten. Tiefdunkler, rotbraun verfärbter Urin.

Labor

Am Aufnahmetag freies Hämoglobin im Serum: 89,0 mg/dl (normal <22 mg/dl), Myoglobin im Urin: 2560 µg/l (normal <50 µg/l), Haptoglobin 53 mg/dl (normal <30–200 mg/dl), am Folgetag <10 mg/dl.

Allgemeinanamnese

Der 54-jährige Verunfallte ist als angelernter Lagerarbeiter berufstätig. Als Hobby wird eine Imkerei betrieben.

Vorbestehend ist nach einer Verletzung im Kindesalter ein Strabismus convergens links, zusätzlich besteht ein bislang konservativ behandelter Bandscheibenvorfall im Bereich von HWS/BWS und LWS sowie eine Neigung zu Depressionen.

Operative Maßnahmen

Bei Aufnahme des Patienten erfolgte die plastisch-chirurgische Erstversorgung mit Ganzkörperreinigungsbad und Abtragung der Blasen. Bei bestehender Hämoglobinurie und am rechten Unterschenkel zirkulärer drittgradiger Verätzung wurde die Indikation zur Explorativ-Fasziotomie gestellt (Abbildung 4 [Abb. 4]). Dabei fand sich eine vitale, gut durchblutete, nicht ödematöse Muskulatur. Der Zugang wurde chirurgisch verschlossen. Die Wundfächen wurden mit Sulfadiazin-Silber-Verbänden versorgt. Eine Tetanus-Simultanimpfung erfolgte. Bis zur sicheren Demarkierung wurde eine konservative Wundbehandlung durchgeführt.

In der Verlaufsbeurteilung wurden 11% der KOF als tief zweit- bis zum Teil drittgradig eingestuft, 37% der KOF zeigten bei einer Einschätzung der Verbrennungstiefe von oberflächlich- bis mitteltief zweitgradig eine spontane Heilungstendenz unter konservativer Behandlung, anders als die Ersteinschätzung vermuten ließ.

Am 8. Behandlungstag wurden in Intubationsnarkose mit einer angelegten Blutsperre die tief zweit- bis drittgradig verätzten Areale am rechten Bein tangential nekrektomiert. Dabei war besonders über der medialen Sprunggelenksregion die Schädigung bis tief in das Subcutangewebe reichend. Mit vom rechten Oberschenkel und der rechten Hüfte entnommener Spalthaut wurden die Defekte gedeckt. Perioperativ wurden 6 Erythrozytenkonzentrate und 4 Einheiten Fresh Frozen Plasma verabreicht.

Die Spalthauttransplantate heilten im Verlauf überwiegend ein. Im Bereich des rechten Innenknöchels, über dem proximalen Fußrücken sowie über kleineren Arealen des Unterschenkels bildeten sich im Verlauf granulierende Restdefekte. Diese wurden am 33. Behandlungstag in einer zweiten Operation debridiert. Dabei musste die teilnekrotische Sehne des m. tibialis anterior im muskulotendinösen Übergang reseziert werden. Die Defekte wurden mit vom linken Oberschenkel entnommener Spalthaut gedeckt. Die transplantierten Areale zeigten eine gute Einheilungstendenz, so dass die Mobilisierung des Patienten gesteigert werden konnte. Lediglich über dem rechten Innenknöchel kam es zu einer Heilung unter Schorf.

Klinischer Verlauf

Der Patient wurde nach plastisch-chirurgischer Erstversorgung intubiert und beatmet auf die Intensivbehandlungsstation übernommen. Bei bestehender Hämolyse mit stark dunklem Urin wurde eine forcierte Diurese und Nierenprotektion mit i.v. Gabe von Natrium-Bikarbonat und Mannitol durchgeführt. Am Abend des Aufnahmetages war der Katheterurin bereits deutlich entfärbt. Nach der am 2. Tag der Behandlung erfolgten Extubation zeigte sich ein temporäres Durchgangssyndrom. Am 2. Tag der Behandlung weiter aufklarender Urin, am 3. Tag war dieser wieder normalfarben.

Im Rahmen der Erstversorgung und der Transportkette mit intensiver Dekontamination der verätzten Hautflächen mit Wasser kühlte der Patient bis auf 34,7°C Kerntemperatur aus. 4 Stunden nach Aufnahme betrug die Körperkerntemperatur bereits 36,4°C, nach 18 Stunden intensivmedizinischer Behandlung war die Temperatur mit 37,6°C wieder ausgeglichen.

Laborchemisch fiel eine asymptomatische Erhöhung der Leber- und Cholestaseparameter auf. Die Kreatininwerte (Abbildung 5 [Abb. 5]) stiegen am 2. Behandlungstag bis auf 1,9 mg/dl an, um dann über den 3. und 4. Tag abzufallen. Am 5. Tag der Behandlung war der Normalbereich wieder erreicht.

Nach 20-tägiger intensivmedizinischer Behandlung konnte der Patient kreislaufstabil mit guter Lungenfunktion von der Brandverletzten-Intensivstation auf die periphere Brandverletzten-Bettenstation verlegt werden.

Begleitsymptomatik

Während der weiteren Behandlung zeigten sich psychovegetative Symptome mit unspezifischen Oberbauchschmerzen, Kopfschmerzen mit Konzentrations- und Gedächtnisstörungen sowie Zeichen einer posttraumatischen Belastungsreaktion.

Subjektive Beschwerden bestanden mit ständigen Kopfschmerzen, besonders nachts, zeitweisem Schwindel und Übelkeit. Verstärkte depressive Grundstimmung. In den ersten 7 Wochen bestanden Oberbauchbeschwerden, brennendes Gefühl bei tiefem Durchatmen, Vergesslichkeit und Konzentrationsschwäche. Bei Mobilisierung traten einschießende, elektrisierende Schmerzen im rechten Unterschenkel, besonders über dem Innenknöchel auf. Ein Dauerschmerz über dem rechten Innenknöchel sowie Taubheit über den spalthauttransplantierten Arealen wurde beklagt.

Diagnostik und Therapie

Bei dem vorliegenden unspezifischen Beschwerdebild erfolgte unter Berücksichtigung einer möglichen Ameisensäureintoxikation eine umfangreiche stationäre Diagnostik sowie die symptomatische Therapie der Symptome.

Bei neuropatischen Schmerzen im rechten Bein wurde zusätzlich zur Schmerzmedikation mit Oxycodon und Metamizol eine Therapie mit Pregabalin (Lyrica) durchgeführt. Phlebosonographisch keine Zeichen einer tiefen Beinvenen- oder Beckenvenenthrombose.

Wegen anfänglich beklagter unspezifischer epigastrischer Beschwerden wurde eine Abdomensonographie sowie eine Ösophagogastroduodenoskopie durchgeführt. Dabei fand sich kein pathologischer Befund. Symptomgesteuert erfolgte die Kostanpassung und der Kostaufbau.

Bei wiederholten neurologischen Konsil-Untersuchungen zeigte sich ein depressives Syndrom sowie die Teilsymptomatik einer posttraumatischen Anpassungsstörung. Medikamentös wurde Opipramol eingesetzt. HNO-ärztlich kein auffälliger Befund. Bei der Magnetresonanztomographie des Kopfes fand sich kein pathologischer Befund.

Der Patient wurde kontinuierlich psychotherapeutisch begleitet.

Im EKG fand sich ein unauffälliger Erregungsablauf bei Sinusrhythmus. Bei der Lungenfunktionsdiagnostik ergaben sich bei normaler Diffusion keine Hinweise für

eine Obstruktion oder Restriktion. Die Röntgen-Thoraxuntersuchung vor Entlassung zeigte einen unauffälligen Herz-Lungenbefund.

Die vor Entlassung bestimmten Laborparameter zeigten Normalwerte für Leukozyten, Erythrozyten und Thrombozyten, der Hämoglobinwert war mit 13,3 g/dl nahezu im Normbereich. Elektrolyte und Gerinnungsparameter im Normbereich, Kreatinin 0,8 mg/dl, CRP 0,12 mg/dl. GOT, ALP und LDH im Normbereich. GPT und GGT mit 78 bzw. 147 U/l noch erhöht.

Ausheilungsbild

Die Entlassung erfolgte nach 11 Wochen stationärer Therapie. Es besteht ein stadienentsprechendes Narbenbild nach am Rumpf und Gesäß konservativ behandelter Verätzung mit geröteten, diskret verhärteten Narbenarealen (Abbildung 6 [Abb. 6], Abbildung 7 [Abb. 7]). Eingeheilte Spalthauttransplantate über dem kaudalen Rücken, dem rechten Fuß, Unter- und Oberschenkel. Besonders über dem rechten Innenknöchelbereich hypertrophe Narbenbildung nach tiefer und zirkulärer tangentialer Nekrektomie und Spalthauttransplantation des rechten Unterschenkels. Stauungsödem des rechten Fußrückens (Abbildung 8 [Abb. 8]). Z.T. elektrisierende Schmerzen bei Beklopfen der Narben über dem rechten Innenknöchelbereich. Gut passender Kompressionsstrumpf rechtes Bein. Zum Entlassungszeitpunkt ist der Unfallverletzte mit einem Gehstock mobilisiert, Gehstrecke ca. eine halbe Stunde. Subjektive Beschwerden bei Entlassung: Die elektrisierenden Schmerzen im rechten Bein werden als gebessert beschrieben. Beklagt wird noch ein besonders nachts störender Stirnkopfschmerz, ein morgendliches Schwindelgefühl sowie eine Konzentrationsschwäche. Insgesamt haben die Beschwerden eine langsame Besserungstendenz.


Diskussion

Die klinische Symptomatik der Ameisensäureintoxikation zeichnet sich aus durch Hypotension, intravaskuläre Hämolyse, Hämaturie und Hämoglobinurie, Nierenversagen, Schädigung des zentralen Nervensystems und Auftreten weiterer Organschäden [5], [6], [9]). Bei Ingestion können gastrointestinale Verletzungen mit Blutungen und Perforationen der Hohlorgane im Vordergrund stehen. Haut- und Schleimhautkontakt verursacht Verätzungen. Bei Inhalation von Dämpfen kommt es zu Atemwegsreizungen bis hin zur Atemnot. In der vorliegenden Literatur finden sich keine Berichte über ein Lungenversagen.

Die intravaskuläre Hämolyse ist als Folge der schweren Azidose und eines direkten toxischen Effekt der Ameisensäure auf die Erythrozyten zu werten [4], [7], [10], [11]. Zentralnervöse Veränderungen sind häufig [10].

Die Behandlung der Ameisensäureintoxikation besteht, neben der Einleitung der notwendigen notfallmedizinischen Maßnahmen, aus der Entfernung des toxischen Agens und dem zügigen Ausgleich der Azidose [2], [7].

Im vorliegenden Fall konnte die primäre Azidose mit einem ph-Wert von 7,18 und einem base excess von –10,5 bereits durch die notärztliche und erste klinische Versorgung mit Infusion von Natrium-Bikarbonat so schnell ausgeglichen werden, dass bei Aufnahme des Patienten im Zentrum für Schwerbrandverletzte ein ausgeglichener Säure-Basenhaushalt bestand.

Die durchtränkte Kleidung muss umgehend entfernt werden, sowohl um eine weitere Resorption der Ameisensäure zu verhindern als auch um eine weitere Verätzung der betroffenen Hautareale zu minimieren. Bei dem vorliegenden Fall bestand die längste Kontaktzeit mit der Säure im Bereich des besonders durchtränkten rechten Strumpfes, der nicht sofort abgelegt werden konnte. Hier war die verursachte Hautverätzung mit tief drittgradig auch am ausgeprägtesten.

Die Dekontamination sollte durch sofortige Spülung mit Wasser erfolgen. Bei Hautkontakt entstehen ausgedehnte und je nach Konzentration und Einwirkungsdauer unterschiedlich tiefe Verätzungen. Diese werden – wie andere Verätzungen auch – intensiv mit Wasser dekontaminiert und plastisch-chirurgisch mit einem ausgiebigen Debridement versorgt. Säureverätzungen zeichnen sich – im Vergleich zu „normalen“ thermischen Verletzungen – durch eine etwas andere Farbe und Konsistenz aus. Wie bei den thermischen Schädigungen der Haut ist eine Verlaufsbeurteilung unerlässlich, da sowohl Nachbrenneffekte („Nachtiefen“) möglich sind als auch günstige Entwicklungen zu verzeichnen sind. Im vorliegenden Fall haben sich im Vergleich zur Ersteinschätzung 37% der KOF so erholt, dass sie unter konservativer Behandlung mit einem guten Narbenbild zur Abheilung gebracht werden konnten. Tief zweit- und drittgradige Verätzungen bedürfen einer operativen Therapie mit Nekrektomie und Defektdeckung mittels Spalthaut oder je nach Tiefe und Lokalisation anderen geeigneten plastisch-chirurgischen Verfahren [7].

Wie aus der Literatur bekannt, erlitt auch dieser Patient eine Schädigung des Zentralen Nervensystems, welche allerdings nur schwer messbar ist. Abgegrenzt werden muss in diesem Fall die vorbestehende Neigung zu Depressionen. Allerdings waren die Symptome Kopfschmerz, Übelkeit, Schwindel sowie Konzentrations- und Gedächtnisstörung so nicht vorbestehend und müssen somit auf das Unfallereignis zurückgeführt werden [2].

Für die anfangs bestehende subjektive Atembeeinträchtigung und die beklagten Oberbauchbeschwerden zeigte sich bei allen durchgeführten Untersuchungen kein morphologisches Korrelat. Auch diese Symptomatik wird bei diesbezüglich leerer Anamnese auf die Schädigung durch die Ameisensäure zurückgeführt.

Eine temporäre Nierenschädigung hat während der ersten vier Behandlungstage vorgelegen. Den Maximalwert von 1,9 mg/dl erreichte das Kreatinin am 2. Tag, um dann über den dritten und vierten Tag wieder abzufallen und am fünften Tag den Normbereich wieder zu erreichen. Als mögliche Ursachen sind anzusehen eine Nierenschädigung durch die großflächige tiefe Verätzung, die renale Belastung durch freies Hämoglobin und Myoglobin sowie die direkte Schädigung durch resorbierte Ameisensäure. Die Dunkelverfärbung des Urins kann durch eine Hämoglobinurie und oder eine Myoglobinurie verursacht werden, besonders in Kombination mit einer Propofol-Gabe [2], [8].

Die Erhöhung der Leberenzyme GOT und GPT (Abbildung 9 [Abb. 9]) ist als unspezifisch einzuschätzen und wird eher auf eine allgemeine medikamententoxische Wirkung zurückgeführt.

Die primär bei Aufnahme vorliegende Myoglobinurie muß am ehesten auf eine Rhabdomyolyse durch die Resorption von Ameisensäure gewertet werden. In der uns vorliegenden Literatur ist eine Myoglobinurie nach Ameisensäureverätzung mit systemischer Resorption bislang nicht beschrieben worden. Makroskopisch fand sich bei der Explorativ-Fasziotomie am rechten Unterschenkel kein Hinweis für eine Muskelschädigung, die Laborparameter waren aber auch deutlich niedriger als bei einem z.B. starkstrombedingten Muskelschaden.

Auch die Erhöhung der Creatinkinase kann als intoxikationsbedingt gewertet werden. Die Werte normalisierten sich innerhalb von fünf Tagen (Abbildung 10 [Abb. 10]).


Fazit

Im berichteten Fall des 54-jährigen Hobby-Imkers traten nach großflächiger äußerer Einwirkung hoch konzentrierter Ameisensäure folgende Veränderungen auf:

  • initiale Azidose
  • schwere Hautverätzungen (48% KOF, II a°–III°)
  • temporäre Hämoglobinämie, Myoglobinurie mit temporärer Nierenschädigung
  • ZNS-Symptomatik
  • unspezifische Oberbauchbeschwerden
  • Narbenschmerzsymptomatik

Aufgrund der speziellen Problematik der Ameisensäureverätzung – sowohl auf intensivmedizinischem als auch auf plastisch-chirurgischem Gebiet – sollte die Behandlung dieser Verletzungen in einem spezialisierten Brandverletztenzentrum in Zusammenarbeit mit einem Giftinformationszentrum erfolgen.


Literatur

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