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GMS Medizin — Bibliothek — Information.

Arbeitsgemeinschaft für Medizinisches Bibliothekswesen (AGMB)

ISSN 1865-066X

Artikel-Lieferungen via subito vor dem Aus? Verlagskonzerne und Justiz gegen kostengünstigen Zugang zu wissenschaftlicher Information

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  • corresponding author Oliver Obst - Zweigbibliothek Medizin, Universitäts- & Landesbibliothek, Münster, Deutschland

GMS Med Bibl Inf 2006;6(2):Doc13

Die elektronische Version dieses Artikels ist vollständig und ist verfügbar unter: http://www.egms.de/de/journals/mbi/2006-6/mbi000031.shtml

Veröffentlicht: 14. September 2006

© 2006 Obst.
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Artikel-Lieferungen via subito vor dem Aus?

In diesen Tagen bekam die Zweigbibliothek Medizin der Universitäts- und Landesbibliothek Münster gerade die 2000te Anmeldung für ihren subito-Dienst. Dieser Service erlaubt den kostenfreien Zugriff auf Zeitschriftenartikel, die nicht in Münster vorhanden sind. Literatur soll jedem Wissenschaftler, Arzt und Doktorand möglichst frei und ohne Barrieren zur Verfügung stehen, um ein Klima zu schaffen, in dem Forschung und Lehre gedeihen können. In diese Absicht und die obige Erfolgsmeldung mischen sich leider zur Zeit mal wieder viele Fragezeichen: Sollte sich das Bundesjustizministerium (BMJ) mit seiner Urheberrechtsnovellierung durchsetzen, dürften Kopien bald nur noch per Briefpost oder Fax ausgeliefert werden - ziemlich paradox angesichts der all-elektronischen Literatur- und Informationsumgebung.

Verlage und BMJ wollen nicht, dass Bibliotheken Artikelkopien per E-Mail liefern

Was wird beabsichtigt im BMJ? Lassen wir das Urheberrechtsbündnis zu Wort kommen, das von allen großen Wissenschaftsorganisationen (Fraunhofer, Helmholtz, Hochschulrektorenkonferenz, Leibniz, Max-Planck, Wissenschaftsrat), zahlreichen Fachgesellschaften, Universitätskliniken und Bibliotheken unterstützt wird: "Selbst dieser (unzureichende) elektronische Faksimile-Versand soll [...] nicht mehr erlaubt sein, wenn der Markt dort selber [...] aktiv wird, ganz unabhängig davon, wie teuer dies die Nutzer kommen wird. Das würde das Ende von modernen Bibliotheken bedeuten, die auf der anderen Seite [...] vom Wissenschaftsministerium und der Forschungsgemeinschaft mit erheblichen Mitteln gefördert werden (sollen)."

Den Verlagen werden quasi Monopolrechte auf die elektronische Dokumentenlieferung zugebilligt

"Dass den großen Verlagsorganisationen quasi Monopolrechte auf die elektronische Dokumentlieferung zugebilligt werden, kann nicht Sinn eines Gesetzes im Geltungsbereich des deutschen Grundgesetzes sein, da der Informationsmarkt für die Wissenschaft eindeutig von großen, global und im Interesse ihrer Stakeholder agierenden internationalen Unternehmen bestimmt wird."

Die Begründung des BMJ "Ein unbegrenzter elektronischer Kopienversand würde die wirtschaftliche Grundlage des Verlagsgeschäfts massiv beeinträchtigen" entbehrt jeder Grundlage. Zum einen können die eingescannten schwarz/weiß-Kopien keinerlei Konkurrenz zu der Originalzeitschrift sein: Abbildungen sind schlecht zu erkennen, der Text ist ausgefranst. Zum anderen befinden sich trotz subito die Renditen der Verlagskonzerne auf Rekordniveau.

Welche andere 'Geschäftsidee' kann mit einem Profit von 34% (Elsevier) oder 128 Mio. $ (Oxford University Press) pro Jahr aufwarten? Das Kalkül hinter dem hartnäckigen Lobbying von Elsevier und Börsenverein beim BMJ ist denn auch nicht die Wahrung des Status Quo, sondern das Streben nach noch mehr Profit: Erst wenn jede andere Zugangsmöglichkeit ausgeschaltet ist - so behelfsmäßig sie auch sein mag -, können die Zeitschriftenpreise beliebig in die Höhe getrieben werden.

Zypries: Mit dem zugelassenen Artikelversand per Post und Fax würden den Interessen der Wissenschaft „hinreichend“ Rechnung getragen

Welche Auswirkungen hätte die geplante Novellierung auf die Dienstleistungen der Zweigbibliothek Medizin der Universitäts- und Landesbibliothek Münster? Die Bibliotheken wollen moderne, schnelle Dienstleistungen für die Wissenschaft - die Verlagskonzerne wollen Profit machen. Wenn letztere sich durchsetzen und Frau Zypries per Gesetz die Bibliotheken zurück in die Steinzeit schickt, werden sich die Bibliotheksnutzer auf Lieferzeiten von 1-3 Wochen gefasst machen statt Stunden oder Tage. Die Zweibibliothek Medizin wäre gezwungen, den beliebten subito-Lieferdienst von Zeitschriftenartikeln zur Disposition zu stellen, da alle Vorteile gegenüber der normalen Fernleihe wegfallen würden: Artikellieferungen würden sich sowohl verteuern als auch langsamer werden.

Das - neue - Urheberrecht lässt damit nur noch die Möglichkeit zu, die Kopien selber zu kaufen; ob für wenige Euro per Briefpost oder für bis zu 50 Euro beim Verlag ist dann die Entscheidung des Nutzers.

Wer die massive Beeinträchtigung seiner Arbeit nicht ganz so wissenschaftsfreundlich findet, sollte dies durch seine Unterzeichnung der Göttinger Erklärung auch individuell bekunden, egal ob schon seine Fachgesellschaft unterzeichnet hat oder nicht. Unter http://www.urheberrechtsbuendnis.de findet man auch weitere Infos zum Gesetzgebungsverfahren.