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Jahrestagung der Vereinigung Westdeutscher Hals-Nasen-Ohren-Ärzte 2019

29.03. - 30.03.2019, Neuss

Klangwahrnehmung und das zerebrale Symphonieorchester

Meeting Abstract

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  • corresponding author presenting/speaker Peter Schneider - Neuroradiologische Klinik, Universität Heidelberg, Heidelberg, Deutschland

Vereinigung Westdeutscher HNO-Ärzte. Jahrestagung der Vereinigung Westdeutscher Hals-Nasen-Ohren-Ärzte. Neuss, 29.-30.03.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc75

doi: 10.3205/19wdhno75, urn:nbn:de:0183-19wdhno752

Published: February 6, 2019

© 2019 Schneider.
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Text

Einleitung: In diesem Vortrag stellen wir im Zusammenhang mit aktuell durchgeführten neurologischen und hörakustischen Verlaufsstudien mit musizierenden Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen einen neuen Ansatz zur Erforschung der neuronalen Grundlagen der Klang- und Musikwahrnehmung vor, der weitreichende Implikationen für die Begabungs- und Lernforschung, sowie für klinisch-diagnostische, therapeutische und pädagogische Anwendungen mit sich bringt und bislang zu einer Fülle neuer Erkenntnisse führte:

1.
der Beobachtung vergrösserter Hörkortices bei Musikern (Schneider et al., Nat Neurosc, 2002);
2.
individuelle Besonderheiten in der Klangwahrnehmung (Schneider, Nat Neurosci, 2005) sowie
3.
der protektiven Wirkung des Musizierens bei Hörverlust, Tinnitus und Geräuschempfindlichkeit (Schneider, Neuroimage 2009) und bei AD(H)DS und LRS (Seither-Preisler, J Neurosci, 2014).

Methoden: Im Fokus der in diesem Vortrag zusammengefassten Längsschnitterhebungen neuroanatomsicher (MRT), magnetoencephalographischer (MEG) und hörakustischer Messungen steht das Zusammenwirken von musikalischem Potential (Begabung), entwicklungsbedingter Reifung und trainingsbedingter Plastizität von relevanten Hirnstrukturen und -funktionen sowie mögliche Transfereffekte in nicht-auditive Domänen.

Ergebnisse: Die bisherigen Zwischenergebnisse zeigen, dass es vor allem rechten Hörkortex stabile neuroanatomische Marker für Musikalität gibt, welche bereits vor dem Beginn des formalen Musikunterrichts existieren. Die bei Jugendlichen mit AD(H)S oder LRS beobachteten anatomischen und elektrophysiologischen Biomarker (Serrallach, Frontiers, 2016) erklären, dass auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen (AVWS) häufig mit AD(H)S und LRS einhergehen. Ein besonderer Fokus der Studie mit erwachsenen Musikern lag auf der Entwicklung des absoluten und relativen Gehörs (Wengenroth, Cereb Cortex, 2014). Die erfassten individuellen neuro-auditorischen Hörprofile erlaubten es, Präferenzen für bestimmte Musikinstrumente und Musikstile abzuleiten. Grundtonhörer bevorzugen oft Musikinstrumente die kurze, scharfe, oder impulsive Töne produzieren (Schlagzeug, Gitarre, Klavier, Trompete, Querflöte und hohe Soloinstrumente) und neigen darüber hinaus zu virtuoser, impulsiver, zeitlich synchroner Spielweise. Obertonhörer bevorzugen hingegen in der Regel Musikinstrumente, die länger ausgehaltene Töne mit charakteristischen Klangfarben oder Formanten im Spektrum produzieren (Streich-, Blech- und Holzblasinstrumente in tieferen Lagen, Orgel oder Gesang).

Diskussion: Die in kombinierten Längs- und Querschnittsuntersuchungen beobachteten subjektiven, individuellen Eigenschaften der Hörverarbeitung wurden im Rahmen eines neurokognitiven Entwicklungsmodells zusammengeführt. Da sich der Lernerfolg und das Ausmaß an Neuroplastizität vermutlich direkt proportional zum veranlagten Potential verhalten, erscheint es zielführend, pädagogisch und therapeutisch an jenen Punkten anzusetzen, an denen die stärksten Begabungen erkennbar sind und davon auszugehen, dass eher defizitäre Bereiche von dieser Förderung mit profitieren.