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61. Jahrestagung der Südwestdeutschen Gesellschaft für Urologie e. V.

Südwestdeutsche Gesellschaft für Urologie e. V.

09.06. - 11.06.2021, digital

[Fall 4] Makrohämaturie als klinische Erstmanifestation eines metastasierten gonadalen Keimzelltumors – ein kleiner Primarius mit fulminanten Folgen

Meeting Abstract

  • M. Arndt - Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg/Saar
  • J. Heinzelbecker - Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg/Saar
  • S. Siemer - Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg/Saar
  • M. Stöckle - Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg/Saar
  • J. Linxweiler - Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg/Saar

Südwestdeutsche Gesellschaft für Urologie e.V.. 61. Jahrestagung der Südwestdeutschen Gesellschaft für Urologie e.V.. sine loco [digital], 09.-11.06.2021. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2021. Doc21swdgu88

doi: 10.3205/21swdgu88, urn:nbn:de:0183-21swdgu886

Published: June 8, 2021

© 2021 Arndt et al.
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Text

Einleitung: Ein seltener gonadaler Keimzelltumor ist das Chorionkarzinom (2–6%). Es gehört als trophoplastischer Tumor zu den Nichtseminomen. Typisch sind eine deutliche ßHCG Erhöhung sowie eine fortgeschrittene Metastasierung bei kleinem Primärtumor. Charakteristisch sind ausgeprägte Hämorrhagien, Nekrosen sowie eine ausgedehnte Angioinvasion. In 26–50% der Fälle liegen Schmerzen im betroffenen Hoden vor. In 5–19% fallen Hodentumore erst durch die Symptome der Metastasierung auf. Metastasierte Chorionkarzinome werden in der Regel mittels Polychemotherapie behandelt. Bei stark erhöhten Tumormarkern und nicht pulmonaler Metastasierung liegt die 5 Jahres Überlebensrate bei 50–64%.

Methode: Ein 58-jähriger Mann stellte sich mit rezidivierenden Makrohämaturien sowie Flankenschmerzen vor. Sonographisch konnte eine inhomogene Raumforderung der linken Niere festgestellt werden. Das CT zeigte beidseitig ins Hohlsystem einbrechende Nierentumore. Im Mediastinum sowie pulmonal konnten multiple tumorsuspekte Raumforderungen festgestellt werden. Bei Hb-relevanter Blutungssituation wurde die Indikation zur offenen Nierenfreilegung gestellt. Intraoperativ kam es zu einer massiven, lebensbedrohlich spritzenden arteriellen Blutung aus einem rupturierten Tumorareal, die man nur durch eine umgehende Abklemmung der Nierenarterie mit konsekutiver Nephrektomie beherrschen konnte. Im Verlauf kam es zur Hb-relevanten Blutung aus der rechten Niere sowie zur Anurie und Intensivpflichtigkeit. Es erfolgte eine selektive Embolisation der Tumore der kontralateralen Niere. Bei stetigem Risiko einer erneuten Blutung und daher hohem Therapiedruck wurde die pathologische Befunderhebung beschleunigt. Histologisch wurde ein Chorionkarzinom festgestellt. Zur Vervollständigung der klinischen Untersuchung und Identifizierung des Primarius wurden die Hoden des Patienten untersucht. Das rechte Hodenparenchym zeigte sich durch einen Tumor komplett aufgebraucht. Das Serum ßHCG lag bei 238.000 mIU/ml. Bei pulmonal, mediastinal und renal metastasiertem gonadalen Chorionkarzinom und niereninsuffizientem Patienten wurde interdisziplinär ein individualisiertes Therapiekonzept erarbeitet. Eine Chemotherapie mit vier Zyklen PEB in reduzierter Dosis und unter intermittierender Hämodialyse wurde initiiert.

Ergebnis: Während der Chemotherapie waren verlängerte stationäre Aufenthalte bei febriler Neutropenie und konsekutiver Knochenmarksstimulation notwendig. Das ßHCG fiel signifikant ab (Nadir von 20,8 mIU/ml). Die Metastasen bildeten sich bildgebend zurück. Zur Reduktion der Tumorlast sollten der Primarius und alle Residuen >1cm chirurgisch reseziert werden. Bei Verdacht auf Bleomycin induzierte restriktive Lungenfunktionsstörung war ein operativer Narkoseeingriff hochriskant. Zur Verbesserung der Lungenfunktion wurde eine Steroidtherapie empfohlen. Bei aktuell wieder ansteigendem ßHCG, schlechter Lungenfunktion und chronischer Niereninsuffizienz wurde interdisziplinär eine Hochdosischemotherapie mit autologer Stammzelltransplantation diskutiert.

Schlussfolgerung: In diesem komplexen Fall erwies sich eine schmerzhafte Makrohämaturie als ungewöhnliche Erstmanifestation eines metastasierten Keimzelltumors des Hodens. Die Identifikation des Hodentumors wurde leider bei der initialen körperlichen Untersuchung vor der Nierenfreilegung verpasst. Ein interdisziplinär erarbeitetes individualisiertes Therapiekonzept war zur bestmöglichen Versorgung des Patienten erforderlich.