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Süddeutscher Kongress für Kinder- und Jugendmedizin

65. Jahrestagung der Süddeutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin gemeinsam mit der Süddeutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie und dem Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte e. V. – Landesverband Hessen

20. - 21.05.2016, Bad Nauheim

Charcot-Marie-Tooth-Phänotyp bei einem 13-jährigen Migranten – Differentialdiagnose der Immunneuropathie

Meeting Abstract

  • presenting/speaker F. Lindmayer - Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsmedizin Mannheim, Mannheim, Deutschland
  • D. Opitz - Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsmedizin Mannheim, Mannheim, Deutschland
  • C. Blahak - Klinik für Neurologie, Universitätsmedizin Mannheim, Mannheim, Deutschland
  • C. Wolf - Klinik für Neurologie, Universitätsmedizin Mannheim, Mannheim, Deutschland
  • G. Kutschke - Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsmedizin Mannheim, Mannheim, Deutschland

Süddeutscher Kongress für Kinder- und Jugendmedizin. 65. Jahrestagung der Süddeutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin gemeinsam mit der Süddeutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie und dem Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte e.V. – Landesverband Hessen. Bad Nauheim, 20.-21.05.2016. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2016. Doc16sgkjP40

doi: 10.3205/16sgkj45, urn:nbn:de:0183-16sgkj450

Published: May 6, 2016

© 2016 Lindmayer et al.
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Text

Hintergrund: Subakute, innerhalb von Tagen zunehmende schlaffe Paresen mit Beginn an den distalen unteren Extremitäten lassen bei einem Kind oder Jugendlichen aus Mitteleuropa differentialdiagnostisch zunächst an eine primäre Immunneuropathie im Sinne eines Guillain-Barré-Syndroms (GBS) denken, hierbei vor allem an eine Akute Inflammatorische Demyelinisierende Neuropathie (AIDP). Diese Zuordnung steht jedoch in Frage bei anderem Herkunftsland, vor allem des asiatischen oder südamerikanischen Raums, da eine von Mitteleuropa abweichende Prävalenz der GBS-Subtypen, die sich prognostisch erheblich unterscheiden können, existiert. Kasuistisch soll neben diesem Zusammenhang auf die resultierende zentrale Bedeutung des elektrophysiologischen Befundes für eine frühzeitige zutreffende Diagnose hingewiesen werden.

Anamnese und Befund: Kurz nach Ankunft in Deutschland wurde uns ein 13-jähriger Flüchtlingsjunge aus dem Nordkaukasus vorgestellt, dessen anamnestisch zwei Monate zurückliegende, spontan manifestierte klinisch-neurologische Symptomatik prima Vista an einen fortgeschrittenen Charcot-Marie-Tooth-Phänotyp denken ließ. Die genauere Anamnese ergab jedoch - im Widerspruch zu einer HMSN - einen wenige Monate zurückliegenden spontanen Krankheitsbeginn mit initialer schlaffer, distal einsetzender Parese zunächst der unteren, bald auch der oberen Extremitäten.

In Zusammenschau mit dem elektrophysiologischen Befund, der ein akutes axonales motorisches Schädigungsmuster ohne Leitungsblockierungen zeigte, konnte die Diagnose einer Immunneuropathie vom axonalen Typ gestellt werden. Unterstützend fand sich ein positiver Befund in der Campylobacter-Serologie, Gangliosid-Antikörper waren nicht nachweisbar. Die bisherige Therapie mit zweimaliger Gabe von hochdosierten IVIgs im Abstand verbesserte die Symptomatik nur marginal, so daß nun eine Plasmapherese erwogen wird.

Schlussfolgerung: Differentialdiagnostisch ist nach Anamnese, klinischem, paraklinischen, und vor allem elektro-physiologischem Befund von einer Akuten Motorischen Axonalen Neuropathie (AMAN), einem bei mitteleuropäischen Patienten seltenen GBS-Subtyp, auszugehen.

Die autoimmun-inflammatorische Läsions-Prädilektion bei der AMAN im Bereich der Ranvierschen Schnürringe bedingt das elektrophysiologisch - im Unterschied zu der in Mitteleuropa häufigeren, durch primäre Demyelinisierung gekennzeichneten AIDP - diagnoseweisende axonale Läsionsmuster. Dieses tritt im Krankheitsverlauf in der Regel früh, rasch progredient und mit größerer Wahrscheinlichkeit einer bleibenden neuronalen Schädigung/funktionellen Einschränkung auf und scheint maßgeblich für das schlechtere Ansprechen der etablierten Therapie und die insgesamt schlechtere Prognose zu sein.