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Die unterschätzte Komplexität des Einsatzes von Antibiotika beim Tier
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Published: | September 30, 2016 |
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Über lange Zeit wurde unterbewertet, dass jeder Einsatz von Antibiotika beim Tier zu einem unvermeidbaren Selektionsdruck hin zu mehr oder weniger bakteriellen Resistenzen führt, und das nicht nur bei den Krankheitserregern, die man bekämpfen will, sondern auch bei anderen den jeweils verabreichten Antibiotika ausgesetzten Keimen, die von großer Bedeutung für die Humanmedizin sein können [1]. Deshalb wird jeder nicht unbedingt erforderliche Antibiotikaeinsatz bei Tieren – wie der bei Menschen – zunehmend kritisch betrachtet.
Die Höhe der angewendeten Mengen von Antibiotika pro Tier ist von Bestand zu Bestand sehr unterschiedlich. Bis vor kurzem galt unangefochten die Annahme, dass die Tierbestände, die die größten Tiergesundheitsdefizite haben, deutlich höhere Antibiotiakeinsätze verzeichnen, als Betriebe, deren Tiergesundheit tadellos ist [2], [3]. Aber: es gibt auch Betriebe, die trotz einer hohen Tiergesundheit verhältnismäßig häufig und viele Antibiotika einsetzen. Dies ist nach Visse [4] und Seiler [5] auf ein sehr hohes Sicherheitsbedürfnis dieser meist professionell und sich für die Tiergesundheit ihrer Tiere engagiert einsetzenden Landwirte zurückzuführen. Dies führt zu der Erkenntnis, dass auch die Analyse und Beeinflussung der Einstellung und des Verhaltens der Landwirte zu einer intelligenten Antibiotikareduzierung gehören [6], [7].
Die ausschließliche Erfassung der Menge der eingesetzten Antibiotikamengen pro Betrieb birgt die Gefahr, dass Betriebe mit einem hohen Antibiotikaeinsatz fälschlicherweise für schlecht geführte Tierbestände und Betriebe mit einem niedrigen Antibiotikaeinsatz fälschlicherweise für gut geführte Tierbestände gehalten werden. Es ist auf alle Fälle unmöglich, aus den Antibiotika-Daten des Antibiotikamonitorings gemäß 16. Novelle des AMG „Niedrigverbrauchsbetriebe“ zu identifizieren, die dringend ihr Tiergesundheitsmanagement verbessern müssten, denn sie werden zunächst durch ihren geringen Antibiotikaeinsatz nur als „gute“ Betriebe registriert.
Deshalb ist es unverzichtbar, zeitgleich zur Antibiotika-Mengenerfassung pro Tierbestand auch eine einfache, semiquantitative Bewertung der Tiergesundheit der jeweiligen Tierbestände vorzunehmen.
Literatur
- 1.
- Blaha T. Antibiotikamengenreduzierung ohne Wirkstoffberücksichtigung und ohne Tiergesundheitsmonitoring ist kontraproduktiv. In: Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie e.V., Infektiologie Freiburg, Hrsg. GERMAP 2012 – Antibiotika-Resistenz und -Verbrauch: Bericht über den Antibiotikaverbrauch und die Verbreitung von Antibiotikaresistenzen in der Human- und Veterinärmedizin in Deutschland. Rheinbach: Antiinfectives Intelligence Gesellschaft für klinisch-mikrobiologische Forschung und Kommunikation mbH; 2014.
- 2.
- Ungemach FR. Antibiotika und Resistenzproblematik. Dtsch. Tierärztebl. 1999;3:224-6.
- 3.
- Blaha T. Notwendigkeit, Möglichkeiten und Grenzen der Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes in der Nutztierhaltung. Der praktische Tierarzt. 2011;93(12):1042-6.
- 4.
- Visse MT. Untersuchungen zu Einflussfaktoren auf den Antibiotikaeinsatz in Ferkelaufzuchtbeständen Nordwestdeutschlands [Diss.]. Hannover: Tierärztliche Hochschule Hannover; 2014.
- 5.
- Seiler JC. Epidemiologische Untersuchungen zur Identifizierung von Determinanten des Antibiotikaeinsatzes pro Tier in ausgewählten Schweinebeständen [Diss.]. Hannover: Tierärztliche Hochschule Hannover; 2015.
- 6.
- Schmick K. Untersuchungen zum Antibiotikaeinsatz in der Schweinemedizin durch Erhebungen in ausgewählten Tierarztpraxen [Diss.]. Hannover: Tierärztliche Hochschule Hannover; 2016.
- 7.
- Wesselmann S. Entwicklung eines Benchmarkingsystems zur vergleichenden Bewertung der Tiergesundheit, des Antibiotikaverbrauchs und der Qualität der Tierbetreuung von Tierbeständen, die von einer spezialisierten Fachtierarztpraxis für Schweine betreut werden [Diss.]. Hannover: Tierärztliche Hochschule Hannover; 2016.