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15. Fachtagung Luftrettung

ADAC Luftrettung gGmbH

29. - 31. Oktober 2013, Mainz

Was macht keinen Sinn und ist gefährlich? ... aus flugbetrieblicher Sicht

Meeting Abstract

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  • Walter Schneibel - Zürich, Schweiz

15. Fachtagung Luftrettung. Mainz, 29.-31.10.2013. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2013. DocHS 2.2

doi: 10.3205/13luft04, urn:nbn:de:0183-13luft040

Published: November 12, 2013

© 2013 Schneibel.
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In unserem zentraleuropäischen Sicherheitsverständnis steht der Eigenschutz der HEMS-Crew an erster Stelle. Möglichst vielen Menschen zu helfen, ohne dabei das eigene Leben, das der HEMS-Crew aufs Spiel zu setzen, muss oberstes Ziel sein.

Die Erstellung und Beschreibung des Einsatzprofils, die damit verbundene Risikomatrix auf Organisationsstufe und die Risikoanalyse im Ent-scheidungsfindungsprozess der HEMS-Crew (FORDEC) sind zur Erreichung dieses Ziels unerlässlich.

Bei der folgenden Betrachtung überlassen wir gesellschaftliche, kulturelle, soziale und wirtschaftliche Überlegungen anderen Menschen. Wo also setzen wir an?

Technische und nicht-technische Fähigkeiten

Technische Fähigkeiten

Es macht keinen Sinn, wenn wir Menschen mit neuen Techniken überfordern. Überforderung durch mangelhafte Funktionalität/Bedienkomfort, Systemeinwei-sungen mit zu kurzen Zeitfenstern, ständige Systemwechsel usw. steigern das Risiko.

Wir sind auf ausgereifte Techniken seitens der Hersteller angewiesen. Zertifizierte Fehlüberlegungen der Hersteller, insbesondere bei Hubschraubern, lassen sich nachträglich nur mit grossem personellen und finanziellen Aufwand optimieren. Die Folgen unausgereifter Technik sind mangelnde Qualität im Einsatz. Der Verzicht auf sinnvolle, sicherheitsrelevante Optimierungen im Bereich der Technik ist unsinnig. Diese Entwicklung macht keinen Sinn und ist gefährlich. Hersteller und Gesetzgeber sind gefordert.

Technische Ausbildung: Wir brauchen Ausbildner, die fähig sind, die Auszubildenden dort abzuholen wo sie gerade stehen, sich auf deren individuelle Lernstile einzulassen, um so das Lernziel gemeinsam zu erreichen. Die Kompetenz des Ausbildners liegt nicht alleine im Beherrschen der Technik. Methodische, didaktische Fähigkeiten und Empathie sind ebenso gefragt. Ausgereifte Ausbildungspläne und qualifizierte Ausbildner machen Sinn und sind mittel und langfristig wichtige und sinnvolle Investitionen.

Das Lernen wird mit zunehmendem Alter schwieriger. Dies, weil erfahrenere Menschen "altes Wissen" zuerst löschen müssen, um für Neues Platz zu schaffen. Insofern werden heute die Menschen früher "älter", weil das "Neu-Lernen" früher und in kürzeren Abschnitten in ihr Leben eintritt.

Nicht-technische Fähigkeiten

Das Ziel der Aeromedical CRM (ACRM) Ausbildung ist die nachhaltige Verbesserung der nicht-technischen Fähigkeiten der HEMS-Teams zur Erhöhung der Flug- und Patientensicherheit. Nicht-technische Fähigkeiten sind auf allen Ebenen einer Organisation gefragt.

Kommunikation: Ein gemeinsames Kommunikations-verständnis und die damit verbundene gemeinsame Kommunikationskultur inner-halb der Organisation fördert das gegenseitige Verständnis und minimiert Missverständnisse. Im Einsatz als Gefahrenpotenzial erkannt pflegen wir die gemeinsame Kommunikationskultur. Im nichtfliegerischen Alltag wird ihr weniger Bedeutung beigemessen. Die Folgen sind unnötiger Effizienzverlust und Nähr-boden für Konflikte.

Menschliches Leistungsvermögen: Nicht nur Dienstpläne/-zeiten müssen menschengerecht sein. Auch Pflichtenhefte, auf allen Stufen der Organisation, müssen dem Wechsel unserer schnelllebigen Zeit angepasst und auf deren Umsetzbarkeit überprüft werden. Ein Aufwand, der sich lohnt. Ein einzelnes Burn-Out ist kostspieliger.

Entscheidungsfindung: Skill-based (unmittelbare Handlungen), rule-based (Checklisten), knowledge-based (FORDEC) sind bekannte Ent-scheidungsmuster. Insbesondere bei einer laufenden Entscheidungsfindung (FORDEC) einer HEMS-Crew sollen sich Aussenstehende nur dann einbringen, wenn sie etwas zu den Fakten resp. zu erwartenden Risiken beitragen können. Ansonsten stören sie diesen Prozess innerhalb der Crew und unnötiger Stress macht keinen Sinn.

Stress: Der Umgang mit Stress gehört zum Alltag – speziell im Einsatz. Grenzen selber und gegenseitig erkennen und dies auch zu kommunizieren ist unerlässlich für die HEMS-Crew und dient letztlich auch dem Patienten und dessen Sicherheit. HEMS-Crews lernen Stress frühzeitig zu erkennen und wissen, wie der Stresslevel gesenkt werden kann. Stress ist kein einsatzbezogenes Phänomen und betrifft alle Mitarbeitenden einer Organisation.

Auch eine Organisation als Ganzes kann sich äusseren und inneren Stressoren nicht entziehen. Sie soll diese jedoch wenn immer möglich von den Einsatzcrews fern halten. Zumindest während der Dienstzeit.

Fehler: Fehler sind unumgänglich. Für den einzelnen Menschen und auch ganze Organisation stellen Fehler eine wichtige Lernchance dar. ASR/CIRS und andere Plattformen stehen uns zur Verfügung um aus Fehlern zu lernen. Bei einer guten Fehlerkultur steht das Lernen immer im Vordergrund.

Es gibt allerdings auch Missbräuche. Wenn manifeste Fehler die einzige Möglichkeit sind, um Mitarbeitende zu qualifizieren, dann stimmt etwas mit dem Personalmanagement nicht. Ich nenne es gar "Missbrauch der Fehlerkultur". In der Folge werden gängige Plattformen (Bsp. ASR und CIRS) von den Mitarbeitenden weniger genutzt – schade. Zumal die grosse Chance verpasst wird, dass auch andere aus bereits begangenen Fehlern lernen können.

Sicherheitskultur: Nach Alarmeingang auf dem Stütz-punkt sollte eine Frage sein: "Kann ich / können wir das?", danach erst "Dürfen wir das?" Und bitte nicht nur letztere Frage aufgrund des externen und internen Paragraphendschungels. Ein ungutes Bauchgefühl nach Abschluss eines Entscheidungsfindungsprozesses (FORDEC) darf ein "Nein" zur Folge haben und soll von "Aussen" nicht in Frage gestellt werden. Häufen sich diese zu einem bestimmten Thema, um eine Person, eine Personengruppe, muss selbst-verständlich nachgefragt werden, direkt und sachlich, ausserhalb der Dienstzeit.

Konflikte: Wo Menschen interagieren, lassen sich Konflikte nicht vermeiden. Konfliktmanagement und -kultur sind wichtige Themen an ACRM-Kursen. HEMS-Crews lernen dort, Konflikte frühzeitig zu erkennen, sie im richtigen Moment anzusprechen und so zu verhindern, dass der Konflikt die Flug- und Patientensicherheit beeinträchtigt. Das Training beschränkt sich leider meist auf die HEMS-Crews. Konflikte entstehen aber nicht nur im Flugbetrieb. Eine gemeinsame Konfliktkultur innerhalb der gesamten Organisation würde Sinn machen und im Konfliktfall weniger Ressourcen binden.

Führungskultur: Erwarten sie keine Ausführungen über den richtigen Führungsstil. Es gibt ihn so nicht. Der Führungsstil soll sich, nebst der Individualität der einzelnen Führungspersonen, an einem gemeinsamen Führungsverständnis innerhalb der Organisation orientieren. Ich verhalte mich meinen Mitarbeitenden gegenüber so, wie ich es mir von meinem Vorgesetzten wünsche. Was spricht dagegen? Und wenn mit mir anders verfahren wird, muss ich es wirklich weitergeben? Ein gemeinsames Führungsverständnis innerhalb der gesamten Organisation erleichtert die Zusammenarbeit und macht Sinn.

Die HEMS-Crew wendet als Team verschiedene Führungsstile an. Entsprechend der Aufgabenstellung soll der zielführende Führungsstil zur Anwendung kommen und es wird längst nicht alles demokratisch entschieden. Wo die Verantwortung einer Funktion, oder einer Person klar zugewiesen ist, muss diese auch entgegen der Meinung der anderen Teammitglieder entscheiden können, ohne dass daraus Konflikte entstehen. Die HEMS-Crew kennt die verschiedenen Führungsstile und pflegt ein gemeinsames Führungsverständnis (Teamwork und Leadership).

Wahrnehmung: Wir alle haben unterschiedliche Blickwinkel und lernen im Debriefing, nach dem Einsatz, diese unterschiedlichen Betrachtungsweisen zu klären, den kleinsten gemeinsamen Blickwinkel zu erkennen und erst dann mit der eigentlichen Diskussion zu beginnen. Ausserhalb des Dienstbetriebes begegne ich des Öfteren Diskussionen, wo die verschiedenen Blickwinkel nicht geklärt werden und die einzelnen Diskussionsteilnehmer in ihrer eigenen, vermeintlichen Wahrheit verharren. Wen wundert es, wenn aus solchen Diskussionen keine Lösungen entstehen, sondern vielmehr Entscheide getroffen werden, die nicht von allen mitgetragen werden. Dabei wäre der Aufwand zur Klärung klein und der Gewinn für alle Seiten hoch. Eine Klärung der Wahrnehmung ist immer sinnvoll, nicht nur im Flugbetrieb sondern in der gesamten Organisation.

Schlussfolgerung

Es ist unerlässlich, sich bei der flugbetrieblichen Auseinandersetzung mit dem Thema "Sinnhaftigkeit und Gefahren der Luftrettung" des Menschen zu erinnern. Wir können nur erahnen was uns Übermorgen getestet, ausgereift und zertifiziert als Technik zur Verfügung stehen wird. Wir können den Menschen schon heute darauf vorbereiten, indem wir seine nicht-technischen Fertigkeiten permanent fördern. Und der Mensch wird hoffentlich noch lange die Grenzen bestimmen.