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6. Wissenschaftlicher Kongress "Familienmedizin in der hausärztlichen Versorgung der Zukunft"

Institut für Allgemeinmedizin (ifam), UKD, Düsseldorf

11. Mai 2022, Düsseldorf

Wiesbadener Gesundheitskiosk: Konzeptionelle Ansätze der Sozialen Arbeit für ein niedrigschwelliges Beratungs- und Netzwerkangebot

Meeting Abstract

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  • Christian Schütte-Bäumner - Hochschule RheinMain, Fachbereich Sozialwesen, Wiesbaden
  • Ingo Neupert - Hochschule RheinMain, Fachbereich Sozialwesen, Wiesbaden

Institut für Allgemeinmedizin (ifam), UKD, Düsseldorf. 6. Wissenschaftlicher Kongress „Familienmedizin in der hausärztlichen Versorgung der Zukunft“. Düsseldorf, 11.-11.05.2022. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2022. Doc22ifam07

doi: 10.3205/22ifam07, urn:nbn:de:0183-22ifam077

Published: April 22, 2022

© 2022 Schütte-Bäumner et al.
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Hintergrund: Das Gesundheitswesen befindet sich in einem digitalen und ökonomischen Transformationsprozess, in dem der:die selbstbestimmte Patient:in immer stärker in den Fokus rückt. Gleichzeitig existiert die gesellschaftliche Herausforderung unter dem demographischen Wandel bei reduzierten Ressourcen insbesondere in Medizin und Pflege Strategien zur Reduzierung von sozialer Ungleichheit im Bereich der Gesundheit zu entwickeln und soziale Teilhabe für breite Bevölkerungsgruppen in einem komplexen, sektoralen Gesundheitsversorgungssystem zu ermöglichen. Somit stellen die zielgruppenspezifische und nachhaltige Stärkung der individuellen Gesundheitskompetenzen (Health Care Literacy) auf der Verhaltensebene und die Stärkung von organisationaler Gesundheitskompetenz auf der Verhältnisebene zwei zentrale, komplexe Veränderungsanforderungen an das Gesundheits- und Sozialwesen der Zukunft dar. Die Entwicklung innovativer und vor allem niedrigschwelliger Beratungsangebote mit zielgruppenspezifischen Zugängen rückt im Kontext von Behandlung und Prävention zunehmend auch in den politischen Fokus ([1], S. 84).

Fragestellung: Welche konzeptionellen und methodischen Kompetenzen kann die Profession der Sozialen Arbeit im Netzwerk mit anderen Gesundheitsfachberufen einbringen, um die psychosoziale Situation von Patient:innen mit nachhaltigen Strukturen auf lokaler bzw. regionaler Ebene zu verbessern?

Inhalt: Mit dem Wiesbadener Gesundheitskiosk baut die Hochschule RheinMain derzeit ein Transferprojekt auf. Es handelt sich dabei um eine niedrigschwellige Anlauf- und Vernetzungsstelle für gesundheitsbezogene Fragestellungen von Bürger:innen, die eingebettet ist in bestehende lokale Angebotsstrukturen der Gesundheitswirtschaft und des Sozialwesens. Hierbei versteht sich der Gesundheitskiosk als komplementär zu bestehenden Anlauf- und Beratungsstellen und soll niedrigschwellig Bürger:innen im Sozialraum ansprechen, die psychosoziale Unterstützungsbedarfe haben und bei denen Anbindungen an bestehende Angebote im Gesundheits- und Sozialwesen bisher nicht erfolgten. Mit einem sozialarbeiterischen multiperspektivischen Fallverstehen soll auf der Einzelfallebene ein Clearing erfolgen, um Adressat:innen zielgerichtet sowie passgenau an spezifische Hilfs- und Unterstützungsangebote innerhalb des Sozial- und Gesundheitswesens zu navigieren, zu verweisen und tragfähig zu vernetzen. Ein besonderer Fokus liegt hierbei auf der Beratung von sog. hard to reach Adressat:innen („schwierige Patienten:innen“, „Drehtürpatient:innen“, „Hoch-Risiko-Klientel“, „Systemsprenger:innen“) deren Zugänge zum Hilfesystem bisher von starken Barrieren geprägt sind [2].

Flankierend wird ein Netzwerk zu umliegenden Ärzt:innen aufgebaut und es wird der Konzeptionsansatz des Social Prescribing (Soziales Rezept) aus Großbritannien in die bestehen lokalen Versorgungsstrukturen transferiert [3]. Dabei können kooperierende Allgemein- und Fachärzt:innen ihre Patient:innen mit ausgeprägten psychosozialen Notlagen an den Gesundheitskiosk überweisen. Neben dem Clearing im Einzelfall liegt hier der explizite Fokus in der Analyse und Weiterentwicklung von sozialen, institutionellen und Netzwerkstrukturen, um eine quantitative und qualitative soziale Integration der Adressat:innen zu verbessern. Dieses inkludiert die Rückkoppelung von Prozessinformation über die Beratung an die zuweisenden Ärzt:innen. Der Gesundheitskiosk wird gesundheitsökonomisch begleitet, um den qualitativen Mehrwert für das Gesundheitsversorgungssystem sowie die Bürger:innen zu evaluieren.

Mit dem Gesundheitskiosk wird ein barrierefreier Beitrag zur Stärkung des Empowerments von Bürger:innen im Gesundheits- und Sozialwesen geschaffen. Dabei steht die Selbstbefähigung unter Förderung der Health Care Literacy im Mittelpunkt der sozialarbeiterischen Interventionen.

An der Konzeption des Wiesbadener Gesundheitskiosks ist hervorzuheben, dass er eng in die studentische Lehre integriert wird und Studierende der Sozialen Arbeit sich aktiv in dem Beratungsangebot einbringen, um so mit hoher Transferqualität eigene professionelle Kompetenzen in der niedrigschwelligen Beratungs- und Netzwerkarbeit in der Praxis zu entwickeln.


Literatur

1.
Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP: Mehr Fortschritt wagen. Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. 2021 [zuletzt geprüft am 20.03.2022]. Verfügbar unter: https://www.bundesregierung.de/resource/blob/974430/1990812/04221173eef9a6720059cc353d759a2b/2021-12-10-koav2021-data.pdf?download=1 External link
2.
Große L, Gahleitner SB. Hilfeprozesse bei Hard-to-reach-Klientel beziehungsorientiert ermöglichen. In: Giertz K, Große L, Gahleitner SB, Hrsg. Hard to reach. Schwer erreichbare Klientel unterstützen. 1. Aufl. Köln: Psychiatrie Verlag; 2021. S. 95-104.
3.
Frostick C, Bertotti M. The frontline of social prescribing – How do we ensure Link Workers can work safely and effectively within primary care? Chronic Illn. 2021 Dec;17(4):404-415. DOI: 10.1177/1742395319882068 External link