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10. Symposium Health Technology Assessment

Deutsche Agentur für HTA des DIMDI – DAHTA

18.03. - 19.03.2010, Köln

Warum brauchen wir eine gute Sturzprophylaxe?

Meeting Abstract

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  • Gabriele Meyer - Institut für Pflegewissenschaft, Universität Witten/Herdecke

10. Symposium Health Technology Assessment. Köln, 18.-19.03.2010. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2010. Doc10hta10

doi: 10.3205/10hta10, urn:nbn:de:0183-10hta106

Published: March 16, 2010

© 2010 Meyer.
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Abstract

Die Fülle der Publikationen im Bereich Sturzprävention ist kaum noch zu überschauen. Der kürzlich aktualisierte Cochrane Review zum Thema musste in zwei Reviews geteilt werden. Der Umfang der Studien war in einer einzelnen Übersichtsarbeit nicht mehr zu bewältigen. Zwar gibt es in Deutschland im Unterschied zu anderen europäischen und außereuropäischen Ländern bisher kein nationales Sturzpräventionsprogramm, doch werden vielerorts durch diverse Träger und Initiatoren Programme umgesetzt. Bei allem gut gemeinten Interventionalismus ernüchtert jedoch der Blick auf die wissenschaftliche Beweislage. Die Programme haben selbst unter den kontrollierten Bedingungen hochwertiger klinischer Studien oftmals keinen überragenden Wirksamkeitsnachweis erbracht.

Die Intensivierung des Diskurses um Sturzprävention hat unmittelbare Nebenwirkungen. Kostenträger erstreiten juristisch die Behandlungskosten in Folge von Stürzen in pflegerischen Einrichtungen. Aus den USA wird sogar gemeldet, dass Medicare nunmehr nicht mehr die durch ein Sturzereignis im Krankenhaus anfallenden Kosten übernimmt. Der sturzpräventive Aktionismus beansprucht zudem Ressourcen für wissenschaftlich wenig abgesicherte, fragwürdige oder sinnlose Verfahrensweisen. Beispiele: Allerorten in pflegerischen Settings werden Instrumente zur Einschätzung des Sturzrisikos geführt, obwohl als gesichert gelten darf, dass die Skalen nicht nur unzureichend genau, sondern ohne Nutzen für den Patienten/Bewohner sind. In Pflegeheimen bieten Krankenkassen durch zugehende Trainer Kraft- und Balanceübungen an. Werbewirksam wird behauptet, man könne so sicher Hüftfrakturen verhindern. Die kürzlich publizierte Begleitevaluation mit fast 1400 Pflegeheimen hingegen belegt keine Reduktion der Hüftfrakturinzidenz. Paradoxerweise stehen natürliche Bewegungsangebote für alle Bewohner kaum im Mittelpunkt des Diskurses und bewegungshemmende freiheitsentziehende Maßnahmen werden weit verbreitet in den Heimen eingesetzt. Erhebliche Zweifel am Nutzen und der Notwendigkeit der in die Praxis implementierten und in wissenschaftlichen Studien evaluierten verengten Sturzpräventionskonzepte sind geboten. Es darf spekuliert werden, ob der Schlüssel zur Sturzprävention in der personalen Zuwendung – dem Kümmern – liegt.