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Messung sozialer Kontextfaktoren im stationären Setting bei Patient:innen mit Depression: Analysen in der „Metabolism in Psychiatry 3 (MIP3)“ Kohorte
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Published: | September 6, 2024 |
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Einleitung: Soziale Kontextfaktoren können als Risikofaktoren oder Ressourcen den Verlauf und das Management psychischer Erkrankungen beeinflussen. Um diese Faktoren bei Patient:innen systematisch zu erfassen und potentiell durch darauf aufbauende Maßnahmen beeinflussen zu können, braucht es standardisierte Fragebogeninstrumente für das stationäre Setting. Ziele dieser Studie waren 1.) die soziale Umwelt der Patient:innen mittels Fragebögen darzustellen und 2.) die Nutzung, Aussagekraft und potentielle Anwendbarkeit verschiedener Instrumente zur Messung sozialer Kontextfaktoren bei Patient:innen mit Depression zu analysieren.
Methoden: In einer Substudie der MIP3 Kohorte wurden Patient:innen im Alter von 18-70 Jahren, die zwischen 12/2021 und 07/2023 auf den Stationen der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums München aufgenommen wurden, im Querschnitt analysiert. Als Instrumente zur Evaluation der sozialen Risikofaktoren wurden der Fragebogen zu sozialen Netzwerken (Lubben Social Network Scale-6 (LSNS)), zur sozialen Kohäsion der Nachbarschaft (Social Cohesion and Trust Scale nach Sampson), Einzelfragen aus dem Anamnesebogen z.B. zu Diskriminierung, sowie der WHO Disability Assessment Schedule (WHODAS) eingesetzt und soweit möglich und vorhanden mit normativen Daten in Beziehung gesetzt. Zur Erfassung der Psychopathologie sowie der Kovariaten kamen weitere standardisierte Instrumente wie der Patient Health Questionnaire 9 (PHQ-9), der Childhood Trauma Questionnaire (CTQ) u.a. zum Einsatz.
Zusammen mit einem Expert:innen-Team (aus Forschung, Klinik und Patient:innenperspektive) wurde eine kontext-spezifische Quality Appraisals-Liste entworfen, die Aspekte der klinischen Anwendung, internationale Vergleiche und Gütekriterien der Instrumente beinhaltet.
Ergebnisse: Für die hier vorgestellte Analyse wurden 196 hospitalisierte Patient:innen mit der klinischen Diagnose einer Depression nach ICD-10 eingeschlossen. Das Durchschnittsalter betrug 38.8 (SD=13.7) Jahre. Der Anteil von Frauen war 50%. Bei 85% (n=164) der Patient:innen war ein psychisches Problem bei Familienmitgliedern bekannt und knapp ein Viertel (25.1% (n=49)) hatte einen Migrationshintergrund. Bei 74.9% (n=146) wurden Kindheitstauma(ta) durch Vernachlässigung oder Missbrauch (CTQ) festgestellt. Insgesamt wurde eine Diskriminierung (in der Schule, am Arbeitsplatz, im öffentlichen Bereich oder bzgl. des Wohnens) von 38.8% der Hospitalisierten berichtet.
Die Prävalenz von sozialer Isolation in der LSNS lag bei insgesamt 19.6% (n=38) und zeigt sich somit signifikant höher als die Prävalenz von 12.3% aus deutschen Referenzdaten (Χ2 = 9.4; p = 0.002). Explorative Analysen der LSNS, der Social Cohesion Scale und WHODAS zeigten unterschiedliche Tendenzen in unterschiedlichen Alterstrata.
Das Quality Appraisal der standardisierten Instrumente zeigt die Vor- und Nachteile in den Kategorien der klinischen Anwendbarkeit, internationalen Vergleichbarkeit und Testgütekriterien.
Schlussfolgerung: Die Beeinträchtigungen von sozialen Aspekten bei hospitalisierten Patient:innen mit Depression sind häufig. Soziale Isolation bzw. eine Verbesserung der sozialen Netzwerke und der Teilhabe haben das Potential als Ziel für Interventionen stärker nutzbar gemacht zu werden und damit auch das Medizinsystem weiter zu entlasten. Die Evaluation und der Einsatz von pragmatischen Messinstrumenten, auf Basis derer Maßnahmen weiter aufgebaut werden können, ist eine wichtige Voraussetzung.
Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Die Autoren geben an, dass ein positives Ethikvotum vorliegt.