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Gesundheit – gemeinsam. Kooperationstagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (GMDS), Deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention (DGSMP), Deutschen Gesellschaft für Epidemiologie (DGEpi), Deutschen Gesellschaft für Medizinische Soziologie (DGMS) und der Deutschen Gesellschaft für Public Health (DGPH)

08.09. - 13.09.2024, Dresden

Sozioökonomische Ungleichheit in der Krebsinzidenz und potentiell vermeidbare Neuerkrankungsfälle in Deutschland – eine ökologische Studie auf Basis der epidemiologischen Krebsregisterdaten

Meeting Abstract

  • Fabian Tetzlaff - Robert Koch-Institut, Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring, Berlin, Germany
  • Benjamin Barnes - Robert Koch-Institut, Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring, Berlin, Germany
  • Lina Jansen - Epidemiological Cancer Registry of Baden-Württemberg, Heidelberg, Germany
  • Frederik Peters - Hamburgisches Krebsregister, Hamburg, Germany
  • Annemari Schultz - Hamburgisches Krebsregister, Hamburg, Germany
  • Klaus Kraywinkel - Robert Koch-Institut, Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring, Berlin, Germany
  • Enno Nowossadeck - Robert Koch-Institut, Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring, Berlin, Germany
  • Jens Hoebel - Robert Koch-Institut, Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring, Berlin, Germany

Gesundheit – gemeinsam. Kooperationstagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (GMDS), Deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention (DGSMP), Deutschen Gesellschaft für Epidemiologie (DGEpi), Deutschen Gesellschaft für Medizinische Soziologie (DGMS) und der Deutschen Gesellschaft für Public Health (DGPH). Dresden, 08.-13.09.2024. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2024. DocAbstr. 430

doi: 10.3205/24gmds868, urn:nbn:de:0183-24gmds8680

Published: September 6, 2024

© 2024 Tetzlaff et al.
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Text

Einleitung: Erste Studien für Deutschland zeigen deutliche sozioökonomische Ungleichheiten in der Inzidenz jener Krebsentitäten, die nach OECD-Definition als vermeidbar gelten. Ausgeprägte regionale sozioökonomische Ungleichheiten wurden zum Beispiel in der Inzidenz von Lungen- und kolorektalen Karzinomen nachgewiesen [1], [2]. Hieraus ergibt sich die Frage, wie viele Neuerkrankungen an spezifischen Krebsentitäten vermieden werden könnten, wenn die Inzidenzen vermeidbarer Krebserkrankungen in sozioökonomisch deprivierten Regionen auf das Inzidenzniveau wohlhabender Regionen gesenkt werden könnten.

Methoden: Für die Analysen wurden epidemiologische Daten des Zentrums für Krebsregisterdaten am Robert Koch-Institut der Jahre 2017 bis 2019 auf Ebene der 400 Stadt- und Landkreise mit dem German Index of Socioeconomic Deprivation [3] verknüpft. Zunächst wird die sozioökonomische Ungleichheit in der altersstandardisierten Krebsinzidenz nach Deprivationsquintilen für Krebs gesamt sowie für Lungenkrebs, Krebs der Mundhöhle und Dickdarm- und Enddarmkrebs berechnet. Die Analyse der potentiell vermeidbaren Krebsneuerkrankungen folgt dem Ansatz des „Leveling Up“ [4]. Dafür wird ein Szenario angenommen, bei dem sich alle Kreise hinsichtlich ihrer Krebsinzidenz auf das Niveau der wohlhabendsten Kreise verbessern. Für die Analyse wurden Personen ab dem 61. Lebensjahr eingeschlossen.

Ergebnisse: Für die Periode 2017–2019 fanden wir bei beiden Geschlechtern deutlich höhere altersstandardisierte Inzidenzraten für Krebs gesamt sowie für Dickdarm- und Enddarmkrebs und Lungenkrebs in Kreisen mit der höchsten sozioökonomischen Deprivation als in den am geringsten deprivierten Kreisen (Quintil 5 vs. Quintil 1). So variierte die Inzidenz für Krebs gesamt zwischen dem ersten und fünften Quintil bei Frauen zwischen 853 (95%-CI 848-858) und 893 (95%-CI 887-899) und bei Männern zwischen 1.102 (95%-CI 1.096-1.108) und 1.260 pro 100.000 Einwohner:innen (95%-CI 1.253-1.268).

Die Analyse der potentiell vermeidbarer Krebsneuerkrankungen von 2017 bis 2019 ergab, dass ca. 9% (58.533) aller Fälle bei Männern und ca. 3% (17.489) bei Frauen potenziell verhindert werden könnten, wenn die Ungleichheiten im Erkrankungsrisiko zwischen den Kreisen ausgeglichen werden könnten. Mit Blick auf die Entitäten wären 19% (16.951) der Lungenkrebsfälle, 14% der Fälle beim Krebs der Mundhöhle (1.589) und 11% der Dickdarm- und Enddarmkrebsfälle (8.930) bei Männern potentiell vermeidbar. Bei Frauen wären jeweils rund 9% der Neuerkrankungsfälle zwischen 2017 und 2019 an Lungenkrebs (5.465), an Mundhöhlenkrebs (567), sowie an Dickdarm- und Enddarmkrebs (5.007) durch die Eliminierung der regionalen sozioökonomischen Ungleichheit in der Krebsinzidenz vermeidbar gewesen.

Schlussfolgerung: Das größte Potential an vermeidbaren Neuerkrankungsfällen kann bei jenen Krebsentitäten gefunden werden, bei denen das größte Ausmaß an regionaler sozioökonomischer Deprivation zu beobachten ist. Um zur gesundheitlichen Chancengleichheit in Deutschland beizutragen, sind wirksame Anstrengungen in der Primärprävention erforderlich, die darauf abzielen, Krebsneuerkrankungen in Regionen mit höherer sozioökonomischer Deprivation zu vermeiden.

Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Die Autoren geben an, dass kein Ethikvotum erforderlich ist.


Literatur

1.
Hoebel J, Kroll LE, Fiebig J, et al. Socioeconomic Inequalities in Total and Site-Specific Cancer Incidence in Germany: A Population-Based Registry Study. Front Oncol. 2018;8:402.
2.
Jansen L, Schwettmann L, Behr C, et al. Trends in cancer incidence by socioeconomic deprivation in Germany in2007 to 2018: An ecological registry-based study. Int J Cancer. 2023;153(10):1784-1796.
3.
Michalski N, Reis M, Tetzlaff F, et al. German Index of Socioeconomic Deprivation (GISD): Revision, update and applications. J Health Monit. 2022;7:2-23.
4.
Mackenbach JP, Meerding WJ, Kunst AE. Economic costs of health inequalities in the European Union. J Epidemiol Community Health. 2011;65:412-9.