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Psychische Belastungen und Gesundheitsförderungsbedarfe an Bord von Frachtschiffen einer Hamburger Reederei
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Published: | September 6, 2024 |
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Hintergrund: Die Arbeitssituation von Seeleuten im weltweiten Fahrtgebiet ist in den letzten Jahren u.a. durch Arbeitsverdichtung, die Covid-19-Pandemie, Fluchtbewegungen, Terrorakte und Kriege noch herausfordernder geworden. Diese Belastungsfaktoren lassen eine Beeinträchtigung des psychischen Wohlbefindens der Schiffsbesatzungen erwarten. Auf hoher See ist eine maßgeschneiderte, elektronische Gesundheitsförderung eine vielversprechende Möglichkeit, die Seeleute zu unterstützen. Dies insbesondere, wenn die angebotenen Maßnahmen inhaltlich an die Interessenslage und das Setting angepasst sind.
Methoden: Ab Januar 2022 erfolgte die Erhebung des Ist-Zustands von Angestellten einer Hamburger Reederei (Seeleute und Mitarbeitende in Bürotätigkeit als Kontrollgruppe) im Hinblick auf ihr Wohlbefinden, die Ausprägung von mentalen Beanspruchungen und des subjektiven Gesundheitsförderungsbedarfs. Hierzu wurden standardisierte (u.a. WHO-5, PHQ-9, FCV („Fear of the coronavirus“)) und für das maritime Setting zugeschnittene Fragebögen (z.B. zu Sport und physischer Aktivität, Coping-Strategien, Essen, Interesse an Gesundheitsthemen, persönliche Informationen) eingesetzt.
Ergebnisse: 583 von 616 Seefahrern (94,6 %) auf 33 Schiffen und 24 der im Büro arbeitenden Angestellten einer Reederei (38,7 %) nahmen an der Befragung teil. In der Gruppe der multinationalen Seefahrer hatten 39 % einen Offiziersstatus, 61% waren Mannschaftsdienstgrade. Während sich 29,2 % der Bürotätigen dem weiblichen Geschlecht zuordneten, war dies nur bei 1,2 % der Seeleute der Fall. Das mittels WHO-5 detektierte Wohlbefinden war in der Kontrollgruppe signifikant häufiger limitiert (52,2 % WHO-Score < 13) als bei den Seeleuten (24,9 %). Unterschiedlich signifikant höher war die Angst vor gesundheitlichen (p=0,001), sozialen (p=0,005) und finanziellen (p=0,001) Folgen der Covid-19-Pandemie bei der Gruppe der Seeleute gegenüber bei der Gruppe der Büroangestellten (FCV-Fragebogen). Die Auswertung der PHQ-9-Fragebögen wies bei keiner der Personen der Kontrollgruppe auf eine mittlere oder schwere Ausprägung depressiver Symptome hin, während dies bei 1,4 % bzw. 1 % der Seeleute der Fall war. Auf eine suizidale Neigung deuteten die Ergebnisse der Befragung bei 9,2 % der Seeleute (53 Personen) und 4,2 % (1 Person) der Kontrollgruppe hin. Als hilfreich gegen mentalen Stress benannten die Seeleute in abnehmender Reihenfolge: Entspannungstechniken, Unterstützung durch Telefongespräche, Unterstützung via Chat, Infos durch Webseiten, Gesundheits-Apps und religiöse Angebote. Hierbei ergaben sich signifikante Unterschiede durch Herkunftsländer, Alter und berufliche Qualifizierung. Das Interesse an gesundheitsbezogenen Themen bezog sich in den Schiffsbesatzungen in abnehmender Reihenfolge auf: Ernährung, Entspannung, Sport, Schlaf, Fatigue, COVID-19.
Schlussfolgerung: Auch wenn das „Wellbeing“ der untersuchten Seefahrergruppe signifikant weniger eingeschränkt war als das der Kontrollgruppe von Büroangestellten derselben Reederei, ergab die Studie Hinweise auf eine deutliche Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit von Individuen an Bord bis hin zu Suizidalität. Dies ist ein für das Setting nicht ungewöhnlicher Befund, welcher durch die herausfordernden Arbeits- und Lebensumstände erklärt werden kann. Einen noch höheren Prozentsatz von mit mindestens moderater Depression (25 %) oder/und Suizidneigung (20%) Belasteten, hatte die Befragung von 1572 Seeleuten für den Bericht „Seafarer Mental Health Study“ ergeben [1]. Die durchgeführten Untersuchungen belegen insgesamt ein großes Interesse der Seeleute an gesundheitsrelevanten Themen und zeigen Handlungsansätze zur Gesundheitsförderung auf.
Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Die Autoren geben an, dass ein positives Ethikvotum vorliegt.