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„Die wehleidige, hysterische Frau“ – eine qualitative Studie zu regionalen Versorgungserfahrungen von Endometriosepatientinnen
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Published: | September 6, 2024 |
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Einleitung: Die Notwendigkeit eines regionalen Gesundheitsmonitorings, um Erfahrungen mit der Gesundheitsversorgung auch kleinteilig zu untersuchen, ist international wissenschaftlich anerkannt. Bei Sichtung von Versorgungsforschung in Deutschland ist auffällig, dass im Bereich der Frauengesundheit, insbesondere zu Patientinnen mit der Erkrankung Endometriose, regionale und qualitative Studien zu Erfahrungen der Patientinnen fehlen. Es ist bisher wenig dazu bekannt, wie Endometriosepatientinnen in Deutschland auf regionaler Ebene die Versorgungssituation erleben.
Ziel der qualitativen Studie war es deshalb, die regionale Inanspruchnahme und die direkten Erfahrungen der betroffenen Patientinnen mit der Endometrioseversorgung (ambulant und stationär) zu untersuchen.
Methode: Zur Beantwortung der Forschungsfrage wurden qualitative, semistrukturierte Interviews mit Endometriosepatientinnen zu ihren Perspektiven und Erfahrungen in fünf Landkreisen in Mittel- und Osthessen geführt. Eingeschlossen wurden Frauen, die eine laparoskopisch bestätigte Diagnose haben, mindestens sechs Monate in einem der Landkreise wohnen und dort mindestens einen Kontakt mit Gesundheitsversorger:innen hatten. Die Interviews wurden zwischen Mai und August 2023 geführt, transkribiert und mit dem interpretativen phänomenologischen Ansatz nach Creswell [1] mit MAXQDA 24 ausgewertet. Dieser eignet sich vor allem bei qualitativen Studien, die die erlebten Erfahrungen von Personen mit demselben Phänomen darstellen wollen. Zur Qualitätskontrolle der Interpretation wurde eine weitere qualitative Forscherin zu Rate gezogen.
Ergebnisse: Insgesamt nahmen n = 21 Patientinnen an den Interviews teil. Die Frauen waren zwischen 23-54 Jahre alt (Median: 32 Jahre) und der Zeitpunkt der Diagnose lag zwischen einem Monat und 38 Jahren (Median: 18 Monate) vor dem Interview. Die Analyse ergab fünf Themen, bei denen sich als gemeinsame Essenz der Erfahrungen das Thema Ambivalenz herauskristallisiert hat. Die Erfahrungen der Frauen mit der Versorgung wurden von der Rolle der Versorger:innen, der Versorger:in-Patientin-Kommunikation und den strukturellen Gegebenheiten des Gesundheitssystems beeinflusst. Als wichtiger Faktor wurde von den Patientinnen auch die Enttabuisierung und Entstigmatisierung von Dysmenorrhoe und der Menstruation generell, sowie die gesellschaftliche Anerkennung der Erkrankung Endometriose genannt. Auch der Wunsch nach mehr Berücksichtigung der hohen biopsychosozialen und finanziellen Auswirkungen der Erkrankung für die Patientinnen wurde in den Interviews thematisiert.
Schlussfolgerung: Die Erkenntnisse dienen der Generierung erster Hypothesen zum Ist-Stand der Endometrioseversorgung in den untersuchten Landkreisen. Die ambivalenten Erfahrungen zeigten, dass die Präferenzen, die Kommunikation und das Fachwissen der Behandler:innen einen großen Einfluss auf die gesamte Versorgungserfahrung haben. Die Bagatellisierung der Schmerzen und dass sich die Patientinnen trotz Symptomen nicht ernst genommen gefühlt haben, führte zu Frustration und Unsicherheiten. Das bagatellisieren der Symptome von Patient:innen durch Versorger:innen (Medical Gaslighting) und das Schmerzen von Frauen eher von den Behandelnden unterschätzt werden (Gender Pain Gap) scheinen die Erfahrungen von Frauen im Gesundheitssystem immer noch stark zu beeinflussen. Die Bedeutung und Auswirkungen der Erkrankung für Betroffene, sowie Fachwissen zur Endometriose allgemein und zu ganzheitlicheren Behandlungen im Speziellen, scheinen im Gesundheitssystem noch nicht ausreichend verankert zu sein. Die Frauen nannten jedoch auch eine leichte Verbesserung im Hinblick auf die gesellschaftliche und gesundheitspolitische Anerkennung. Weitere Forschung zur Entstehung, Behandlung und den Erfahrungen von Patientinnen mit der Endometrioseversorgung ist notwendig.
Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Die Autoren geben an, dass ein positives Ethikvotum vorliegt.