Article
Migrationserfahrung und gesundheitliche Ungleichheit bei Hochaltrigen
Search Medline for
Authors
Published: | September 6, 2024 |
---|
Outline
Text
Einleitung: Soziale Determinanten von Gesundheit in der Hochaltrigkeit konnten bislang nur eingeschränkt analysiert werden, weil Hochaltrige in den meisten Umfragen unterrepräsentiert und/oder selektiv einbezogen wurden. In den Studien werden häufig Altersgrenzen bei 80 oder 85 Jahren gesetzt oder Heimbewohner:innen oder Personen mit physischen oder kognitiven Einschränkungen aus der Befragung ausgeschlossen. Und in Erhebungen, die neben Jüngeren auch ab 80-Jährige miteinschließen, sind oft die Fallzahlen zu gering für differenzierte Analysen für diese Altersgruppe [1].
Die Hochaltrigkeit stellt gewissermaßen den Kulminationspunkt der gesundheitlichen Entwicklung im Lebensverlauf dar. Insbesondere durch den Ausschluss von Heimbewohnern:innen und Personen mit starken gesundheitlichen Einschränkungen besteht die Gefahr eines Selektionsbias, der dazu führen kann, dass die Entwicklung gesundheitlicher Ungleichheiten im hohen Alter unzulänglich erfasst wird. Am Beispiel von gesundheitlichen Ungleichheiten im hohen Alter in Bezug auf die Migrationserfahrung [2] soll die Relevanz einer methodisch sorgfältigen Erfassung der gesundheitlichen Heterogenität in der Hochaltrigkeit verdeutlicht werden. Es soll geprüft werden, ob zugewanderte Hochaltrige eine bessere Gesundheit aufweisen als Einheimische, was einen Hinweis auf einen fortbestehenden healthy migrant effect darstellen könnte, oder ob sie eine schlechtere Gesundheit aufweisen, was auf eine Kumulation schlechterer Lebens- und Arbeitsbedingungen hinweisen könnte [3], [4].
Methoden: Es werden Daten der Studie „Hohes Alter in Deutschland“ (D80+) verwendet, welche explizit auch Heimbewohner:innen sowie physisch oder kognitiv beeinträchtigte Personen ab 80 Jahren einbezog (N=10.578) [5]. Die Gesundheit der Hochaltrigen wird anhand von zwei Indikatoren funktionaler Gesundheit (instrumentelle Aktivitäten des täglichen Lebens (IADL) und Pflegebedarf) sowie Überlebenswahrscheinlichkeit operationalisiert. Als Determinante gesundheitlicher Ungleichheit wird die Migrationserfahrung (differenziert nach ohne Migrationserfahrung, Migration bis 1949 und Migration ab 1950 oder nach Herkunftsregionen) berücksichtigt. Um den Zusammenhang zwischen Migrationserfahrung und funktionaler Gesundheit (alle Teilnehmer:innen) bzw. Überlebenswahrscheinlichkeit (nur für panelbereite Teilnehmer:innen) zu untersuchen, werden Regressionsanalysen unter Kontrolle weiterer soziodemographischer und gesundheitsbezogener Merkmale berechnet.
Ergebnisse: Die Ergebnisse zeigen signifikant geringere IADL und häufigeren Pflegebedarf bei den ab 1950 zugewanderten im Vergleich zu den in Deutschland geborenen Hochaltrigen. Auch bei einer Differenzierung nach Herkunftsregionen zeigen sich gesundheitliche Nachteile bei den Zugewanderten.
Die Ergebnisse zur Überlebenswahrscheinlichkeitstehen im Widerspruch zur schlechteren funktionalen Gesundheit der ab 1950 Zugewanderten. So sind sie zum untersuchten Stichtag signifikant seltener verstorben als Personen ohne Migrationserfahrung. Dies gilt auch unter Kontrolle der funktionalen Gesundheit.
Schlussfolgerung: In Bezug auf funktionale Gesundheit sprechen die Ergebnisse gegen das Fortbestehen eines etwaigen „healthy migrant effects“ im hohen Alter, da Personen mit Migrationserfahrung schlechtere IADL und häufigeren Pflegebedarf im Vergleich zu nicht Zugewanderten aufweisen. Die höhere Überlebenswahrscheinlichkeit der ab 1950 Zugewanderte gegenüber Personen ohne Migrationserfahrung, deutet hingegen eher auf einen fortbestehenden „healthy migrant effect“. Dies kann jedoch auch auf einem methodischen Fehler der Versterbedaten basieren, da die Identifikation von Verstorbenen anhand des Namens bei Migrant:innen erschwert sein kann. Dieser Beitrag verdeutlicht, dass der Einschluss von Hochaltrigen und schwer befragbaren Populationsgruppen den Erkenntnisspielraum zu sozialen Determinanten gesundheitlicher Ungleichheit erweitert. Daher sollte die hochaltrige Population in zukünftigen Studien zu gesundheitlichen Ungleichheiten und deren Entwicklung im Lebensverlauf adäquat repräsentiert sein.
Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Die Autoren geben an, dass kein Ethikvotum erforderlich ist.
Literatur
- 1.
- Kelfve S, Thorslund M, Lennartsson C. Sampling and non-response bias on health-outcomes in surveys of the oldest old. European Journal of Ageing. 2013;10(3):237–245. DOI: 10.1007/s10433-013-0275-7
- 2.
- Steinbach A. Ältere Migrantinnen und Migranten in Deutschland. In: Hank K, Schulz-Nieswandt F, Wagner M, Zank S, Hrsg. Alternsforschung. Handbuch für Wissenschaft und Praxis. Nomos-Verlag; 2019. S. 557-579. DOI: 10.5771/9783845276687-557
- 3.
- Brzoska P, Razum O. Die Gesundheit von Menschen mit Migrationshintergrund aus sozialepidemiologischer Sicht. In: Jungbauer-Gans M, Kriwy P, Hrsg. Handbuch Gesundheitssoziologie. Wiesbaden: Springer Fachmedien; 2017. S. 1–17. DOI: 10.1007/978-3-658-06477-8_17-1
- 4.
- Namer Y, Razum O. Convergence Theory and the salmon effect in migrant Health. Oxford Press; 2018. DOI: 10.1093/acrefore/9780190632366.013.17
- 5.
- Kaspar R, Simonson J, Tesch-Römer C, Wagner M, Zank S, Hrsg. Hohes Alter in Deutschland. 1. Aufl. Berlin, Heidelberg: Springer; 2023. (Schriften zu Gesundheit und Gesellschaft - Studies on Health and Society). DOI: 10.1007/978-3-662-66630-2