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Digital Public Health – Implikationen aus der Implementierung digitaler Pflegetechnologien: Ergebnisse einer ethnografischen Studie
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Published: | September 6, 2024 |
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Hintergrund: Unter Digital Public Health (DPH) wird der Einsatz von digitaler Technologien mit dem Ziel verstanden, Public Health Ziele zu erreichen und damit die Gesundheit der Bevölkerung zu verbessern [1] – dazu zählen etwa Gesundheitsschutz, Gesundheitsförderung und Prävention, Kompetenzförderung oder gesundheitsbezogenen Forschung. Auch in der pflegerischen Versorgung können Technologien angesichts des Fachkräftemangels und der Alterung der Bevölkerung vielfältige Unterstützungsmöglichkeiten bieten [2]. Allerdings erfordert der Einsatz hier ein vertieftes Verständnis der spezifischen Situation und eine Analyse der Voraussetzungen für eine erfolgreiche Implementierung. Faktoren einer gelungenen Implementierung technischer Systeme in der Pflege zu verstehen, kann helfen, den Einsatz digitaler Technologie in Versorgungsstrukturen zu fördern und DPH-Zielstellungen zu verfolgen.
Das Pflegepraxiszentrum Hannover ist ein BMBF-gefördertes Forschungsprojekt. Hier wurden von 2018 bis 2024 elf digitale Systeme auf einer unfallchirurgischen Station der Medizinischen Hochschule Hannover in einem partizipativen Prozess mit Pflegefachpersonen eingeführt und genutzt. Die Begleitforschung untersuchte, wie diese genutzt wurden und erforscht dabei:
Welche Eigenschaften von Technologien fördern einen unterstützenden Einsatz neuer Technologien in der Pflege?
Methode: Die Analyse erfolgte auf Basis einer fokussierten Ethnografie. Dazu wurden teilnehmende Beobachtungen (25 Einheiten) und zehn Interviews mit Pflegefachpersonen durchgeführt. Beobachtungen wurden offen in einem Feldforschungstagebuch sowie strukturiert nach Beobachtungskategorien dokumentiert; Interviews wurden mithilfe eines halboffenen Leitfadens durchgeführt und im Anschluss transkribiert. Daten wurden nach der Aufarbeitung mithilfe evaluativer, qualitativer Inhaltsanalyse [3] analysiert.
Ergebnisse: Die Untersuchung ergab drei Eigenschaften unterstützender digitaler Technologien in der Pflege:
Bedienmodus: Erfolgreich implementierte und von Pflegefachpersonen genutzte Technologien ermöglichen einen passiven Einsatz ohne ständige Aufsicht, sodass Pflegefachpersonen parallel andere Aufgaben erledigen können, wie bei Dekubitus- oder Sturzprophylaxe-Technologien. Technologien, die eine aktive und kontinuierliche Bedienung erfordern, werden aufgrund von zeitlich begrenzten Ressourcen kaum genutzt.
Integration von Technologie: Technologien, die sich leicht in den pflegerischen Ablauf einbinden lassen und dabei die Art, wie Pflegefachpersonen regulär arbeiten, nicht infrage stellen – beispielsweise Technologien zur Beschäftigung und Beruhigung von Patient:innen mit Demenz – werden genutzt. Andere Technologien, die neue Arbeitsmodi und die Unterbrechung von Routinen verlangen, wie z. B. eine Patient:innen-Kommunikations-App, finden seltener Anwendung.
Begegnung: Technologien, die Resonanzbeziehungen in der Pflege – im Sinne von gegenseitigen affizierenden und antwortenden Weltbeziehungen – fördern, werden häufig genutzt [4]. Sie entlasten Pflegefachpersonen, können Patient:innen beruhigen, den Krankenhausaufenthalt angenehm gestalten sowie positive Interaktion zwischen diesen Gruppen fördern. So kann ein Klangkissen Patient*innen beruhigen, den pflegerischen Aufwand für Pflegefachpersonen reduzieren und Versorgungsmaßnahmen erleichtern, was sich positiv auf deren Beziehungsgestaltung auswirkt.
Implikation: Wenn diese Bedingungen erfüllt sind, kann eine erfolgreiche Techniknutzung ermöglicht sein, was wiederum Implikationen im Sinne von DPH-Zielsetzungen hat:
Gesundheitsschutzmaßnahmen: Pflegefachpersonen formulieren das Potenzial, durch Technologie Wohlbefinden beim Personal zu verbessern und gesundheitliche Probleme oder Rückenschmerzen zu reduzieren.
Gesundheitsförderung und Prävention: Durch höhere Pflegequalität können Präventionsziele unterstützt werden, z. B. die Vermeidung von Stürzen und Dekubitus sowie die Stärkung der Autonomie von Patient:innen.
Kompetenzförderung: Die Nutzung neuer Technologien kann digitale Kompetenz des Personals fördern, was die Weitergabe von Digital- und Gesundheitskompetenz an Patient:innen ermöglicht [5].
Gesundheitsforschung: Digitale Datenverarbeitung eröffnet Möglichkeiten für die Generierung neuer Quellen für Routinedaten in der Gesundheitsversorgung.
Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Die Autoren geben an, dass ein positives Ethikvotum vorliegt.
Literatur
- 1.
- Zeeb H, Pigeot I, Schüz B. Digital Public Health – ein Überblick. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz. 2020;63:137–44. DOI: 10.1007/s00103-019-03078-7.
- 2.
- Zerth J, Jaensch P, Müller S. Technik, Pflegeinnovation und Implementierungsbedingungen. In: Jacobs K, Kuhlmey A, Greß S, Klauber J, Schwinger A, editors. Pflege-Report 2021. Berlin, Heidelberg: Springer; 2021. p. 157–172.DOI: 10.1007/978-3-662-63107-2_11.
- 3.
- Kuckartz U. Qualitative Inhaltsanalyse: Methoden, Praxis, Computerunterstützung. 4th ed. Weinheim, Basel: Beltz Juventa; 2018.
- 4.
- Rosa H. Resonanz: Eine Soziologie der Weltbeziehung. Berlin: Suhrkamp; 2016.
- 5.
- Azzopardi-Muscat N, S\u248 ?rensen K. Towards an equitable digital public health era: promoting equity through a health literacy perspective. European Journal of Public Health. 2019;29:13–7.