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COVID-19-Impfung und Migration: Welche Rolle spielen psychologische Faktoren bei der Erklärung von Unterschieden im Impfverhalten nach dem Migrationsstatus?
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Published: | September 6, 2024 |
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Hintergrund: Menschen mit Migrationsgeschichte sind seltener gegen COVID-19 geimpft als Personen ohne Migrationsgeschichte. Als Ursachen für die Impfunterschiede werden vor allem strukturelle Zugangsbarrieren der Inanspruchnahme (Diskriminierung, Sprachkenntnisse) genannt, welche bislang jedoch unzureichend erforscht sind. Die Analyse untersucht, inwiefern psychologische Faktoren zur Erklärung von Impfunterschieden nach Migrationsstatus (ohne, eigene, familiäre Migrationsgeschichte) beitragen. Die den Auswertungen zugrundeliegenden psychologischen Faktoren des Impfverhaltens basieren auf dem etablierten „5C-Modell“: Confidence (Vertrauen in die Sicherheit der Impfung), Complacency (Risikowahrnehmung), Calculation (Risiko-Nutzen-Abwägung), Collective responsibility (Verantwortungsgefühl für die Gemeinschaft) sowie Constraints (Barrieren der Inanspruchnahme). Um die Heterogenität der Bevölkerung mit Migrationsgeschichte zu berücksichtigen, wird für Menschen mit eigener Migrationserfahrung nach ausgewählten Herkunftsregionen differenziert (Middle East and North Africa - MENA, Osteuropa, restliche Welt).
Methoden: Die Auswertungen basieren auf Daten von Teilnehmenden der seroepidemiologischen Studie „Corona-Monitoring bundesweit – Welle 2“ (RKI-SOEP-2, Erhebungszeitraum: 11/2021 - 02/2022) ab 18 Jahren (n=10.288). Um Assoziationen zwischen der COVID-19-Impfung (mind. einmal) und dem Migrationsstatus sowie den psychologischen Faktoren zu untersuchen, wurden logistische Regressionsmodelle geschätzt. Neben dem Geschlecht, Alter, Teilnahmedatum, Bildung sowie Einkommen wurde in den Modellen für die Wohnregion (Stadt vs. Land) sowie dem Bundesland adjustiert. Anschließend wurde eine Dekomposition mittels der Karlson-Breen-Holm (KHB) Methode durchgeführt, um den Beitrag zu bestimmen, den die psychologischen Faktoren zur Erklärung der Impfunterschiede nach Migrationsstatus leisten.
Ergebnisse: Insgesamt weisen Menschen mit eigener (89,1%, OR: 0.48, p<0.001) oder familiärer Migrationsgeschichte (88,4%, OR: 0.62, p=0.088) eine geringere COVID-19-Impfquote auf als jene ohne (94,3%) Migrationsgeschichte. Im Hinblick auf die Herkunftsregionen zeigt sich, dass Befragte aus den MENA-Ländern (80,3%, OR:0.41, p=0.034) und Osteuropa (85,5%, OR: 0.34, p <0.001) seltener gegen COVID-19 geimpft sind als in Deutschland geborene Teilnehmende. Bei Berücksichtigung der psychologischen Faktoren in den logistischen Regressionsmodellen reduzieren sich die Impfunterschiede nach dem Migrationsstatus und Herkunftsregionen, mit Ausnahme der MENA-Länder.
Die Ergebnisse der Mediationsanalyse zeigen, dass die psychologischen Faktoren wesentlich zur Erklärung von Impfunterschieden zwischen Personen ohne und eigener (57,9%) sowie familiärer Migrationsgeschichte beitragen (65,9%). Eine nach Herkunftsregionen differenzierte Betrachtung verweist zudem auf deutliche Variationen im Erklärungsanteil der psychologischen Faktoren: Während bei der MENA-Region 23,8% des Effektes auf das 5C-Modell zurückzuführen sind, liegt der Anteil für Osteuropa bei 80,4%. Unabhängig vom Migrationsstatus und der Herkunftsregion stellen das Vertrauen in die Sicherheit der Impfung sowie das Verantwortungsgefühl für die Gemeinschaft die bedeutendsten psychologischen Faktoren dar.
Schlussfolgerung: Die Ergebnisse zeigen, dass die psychologischen Faktoren einen wesentlichen Beitrag zur Erklärung der COVID-19-Impfunterschiede zwischen Menschen mit und ohne Migrationsgeschichte leisten, insbesondere das Vertrauen in die Sicherheit der Impfung. Dieses wird Studien zufolge unter anderem durch das Wissen über die Impfung beeinflusst. Zu Beginn der Pandemie mangelte es jedoch an übersetzten, zuverlässigen Informationen, was die Verwendung alternativer Informationsquellen förderte. Studien belegen, dass insbesondere die aus sozialen Medien resultierenden Informationen die Impfskepsis erhöhen. Daneben können bisherige Erfahrungen im Gesundheitssystem (z.B. Diskriminierung) das Vertrauen nachhaltig beeinträchtigen und folglich die Impfbereitschaft reduzieren. Ferner verweisen die Ergebnisse auf die Bedeutung einer herkunftsdifferenzierten Betrachtung: Während die psychologischen Faktoren eine wesentliche Rolle beim Impfverhalten von Befragten aus Osteuropa spielen, bedarf es der Identifikation der zugrundeliegenden Mechanismen für die geringere Impfquote von Befragten der MENA-Region.
Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Die Autoren geben an, dass kein Ethikvotum erforderlich ist.