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„Man muss ihn behandeln wie ein rohes Ei.“ Krankheitserleben und Unterstützungsbedarfe von Partnerinnen depressiv erkrankter Männer. Eine qualitative Studie
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Published: | September 6, 2024 |
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Einleitung: Die Bedeutung von geschlechterbezogenen Normvorstellungen bei Männern mit depressiver Erkrankung ist in Bezug auf die Depressionssymptomatik, die Hilfeinanspruchnahme und den Behandlungseinstieg bereits Gegenstand wissenschaftlicher Forschung [1], [2]. Es gibt jedoch kaum Untersuchungen zur Rolle von Partnerinnen betroffener Männer und inwiefern gender regimes und geschlechterbezogene Normvorstellungen im gemeinsamen Umgang mit der Erkrankung eine Rolle spielen [3]. Die vorliegende Studie untersucht, wie Partnerinnen ihre Rolle im Behandlungsverlauf des depressiv erkrankten Partners beschreiben, wie sie mit Herausforderungen umgehen und welche eigenen Unterstützungsbedarfe sie in Bezug auf die Erkrankung des Partners äußern.
Methoden: Im Rahmen eines DFG-geförderten Projekts zur Transformation von Männlichkeitsorientierungen und berufsbezogenen Einstellungen im Kontext depressiver Erkrankungen bei Männern (TRANSMODE) wurden via Videotelefonie problemzentrierte Interviews mit 13 Partnerinnen depressiv erkrankter Männer durchgeführt. Grundlage war ein semistrukturierter Leitfaden zu: Behandlungsbeginn und subjektive Krankheitstheorie, Umgang mit der Erkrankung in der Partnerschaft, Krankheitsverlauf, Selbstfürsorge und Unterstützung, soziales Umfeld und Offenlegung, Geschlecht und Gesellschaft. Die Auswertung erfolgte inhaltsanalytisch nach Kuckartz unter Verwendung von MAXQDA. Das Material wurde in mehreren Arbeitsschritten deduktiv-induktiv von drei Personen unabhängig voneinander codiert und anschließend konsensuell validiert.
Ergebnisse: Partnerinnen depressiv erkrankter Männer motivieren ihre Partner häufig zum Behandlungseintritt oder veranlassen diesen stellvertretend für den Partner. Partnerinnen übernehmen im Behandlungsverlauf Verantwortung für den betroffenen Partner und leisten praktische und emotionale Unterstützung. Häufig kommt es zu einer veränderten Arbeitsaufteilung des Paares, indem Partnerinnen über den Zeitraum der Erkrankung sowohl im privaten Bereich als auch im beruflichen Kontext vermehrt Aufgaben übernehmen. Erleben Partnerinnen Gewalt in der Beziehung, beschreiben sie diese als besonders belastend. Zugleich nehmen sie den Partner in Schutz, indem das gewaltvolle Verhalten der Erkrankung zugeschrieben wird. Vor diesem Hintergrund beschreiben die Partnerinnen Aushandlungsprozesse über den Fortbestand oder Abbruch der Beziehung und Unterstützung des Partners. Vor dem Hintergrund der eigenen Belastung zeigen Partnerinnen häufig Unverständnis über den Umgang des Partners mit der Erkrankung. Insbesondere wenn der erkrankte Partner Behandlungsangebote nur eingeschränkt wahrnimmt, fällt es Partnerinnen schwer, die emotionale Unterstützung aufrecht zu erhalten. Auf struktureller Ebene beschreiben viele Befragte den häufig erschwerten Zugang zu psychiatrischer Versorgung als große Belastung, weil es die Behandlung des Partners verzögert. Hilfsangebote werden von Partnerinnen häufig nur in geringem Umfang in Anspruch genommen, am häufigsten erfolgt emotionale Unterstützung im privaten Umfeld durch gegenseitigen Austausch. Dagegen nehmen Partnerinnen professionelle Unterstützung aufgrund von Zeitmangel und fehlender Passung der Angebote selten in Anspruch. Viele Partnerinnen wünschen sich eine stärkere Einbeziehung ihrer Perspektive in den Behandlungsprozess.
Schlussfolgerung: Partnerinnen depressiv erkrankter Männer haben eine bedeutsame Rolle für den Behandlungsbeginn und- Verlauf. Sie motivieren den Partner zur Inanspruchnahme von Hilfe oder initiieren diese und übernehmen im Erkrankungsverlauf praktische und emotionale Unterstützung. Partnerinnen sind insbesondere aufgrund der eher Männern zugeschriebenen Depressionssymptomatik (aggressives Verhalten, Alkoholkonsum) sowie der häufig über längere Zeit zu leistenden Aufgabenübernahme sehr belastet und befinden sich in einem Spannungsfeld zwischen Fürsorgearbeit und Selbstfürsorge [3]. Den eigenen Hilfebedarf decken Partnerinnen vor allem mit Unterstützung aus ihrem privaten Netzwerk. Professionelle Hilfe für Partnerinnen sollte niedrigschwellig und passgenau sein. Weitere Forschung in Bezug auf die Möglichkeiten einer verstärkten Einbeziehung von Partnerinnen in den Behandlungsprozess ist notwendig.
Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Die Autoren geben an, dass ein positives Ethikvotum vorliegt.
Literatur
- 1.
- Möller-Leimkühler AM. Barriers to help-seeking by men: a review of sociocultural and clinical literature with particular reference to depression. J Affect Disord. 2002;71(1-3):1–9.
- 2.
- Johnson JL, Oliffe JL, Kelly MT, Galdas P, Ogrodniczuk JS. Men's discourses of help-seeking in the context of depression. Sociol Health Illn. 2012;34(3):345–61.
- 3.
- Bottorff JL, Oliffe JL, Kelly MT, Johnson JL, Carey J. Surviving men's depression: women partners' perspectives. Health (London). 2014;18(1):60–78.