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Todesursachenbeiträge zur regionalen sozioökonomischen Ungleichheit in der Lebenserwartung in Deutschland – eine ökologische Studie auf Basis der Todesursachenstatistik, 2003–2021
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Published: | September 6, 2024 |
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Einleitung: Bei Menschen in sozioökonomisch benachteiligten Verhältnissen wird oftmals eine höhere Krankheitslast und früheres Versterben beobachtet [1]. Für Deutschland konnten die ursächlichen Erkrankungen, die maßgeblich zur sozioökonomischen Lücke in der Lebenserwartung beitragen, aufgrund fehlender Daten auf Individualebene bislang nicht untersucht werden. Das Ziel dieses Beitrags ist es, die todesursachenspezifischen Beiträge zur Lücke in der Lebenserwartung zwischen Regionen mit hoher sozioökonomischer Deprivation und wohlhabenden Regionen zu ermitteln.
Methoden: Die Analysen basieren auf den Daten der amtlichen Todesursachenstatistik und der Bevölkerungsfortschreibung der Jahre 2003 bis 2021, die auf der Ebene der Stadt- und Landkreise (n=400, Stand 2021) mit dem German Index of Socioeconomic Deprivation [2] verknüpft wurden. Zunächst wurde die Lücke in der Lebenserwartung zwischen sozioökonomisch hoch deprivierten und wohlhabenden Regionen in Deutschland mithilfe der Sterbetafelmethode [3] berechnet. Anschließend wurde mittels der Dekompositionsmethode nach Andreev [4], [5] der alters- und todesursachenspezifische Beitrag zur Differenz zwischen den Regionen bestimmt.
Ergebnisse: Zwischen 2003 und 2019 vergrößerte sich die Lebenserwartungslücke zwischen Frauen im Quintil mit der höchsten und niedrigsten regionalen sozioökonomischen Deprivation von 1,1 auf 1,8 Jahre, bei Männern von 3,0 auf 3,1 Jahre. Die COVID-19-Pandemie beschleunigte das Auseinanderdriften zwischen den Regionen, was in einer Lebenserwartungslücke von 2,2 Jahre bei Frauen bzw. 3,5 Jahre bei Männern im Jahr 2021 resultierte. Die vorzeitige Sterblichkeit an Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs im Alter von 40-74 Jahren trug maßgeblich zur Lebenserwartungslücke bei. Der Beitrag der Herz-Kreislauf-Mortalität nahm über die Zeit ab (Frauen: in 2003 0,37 Jahre und in 2019 0,31 Jahre; Männer: in 2003 0,76 Jahre und in 2019 0,65 Jahre), während der Beitrag der Krebsmortalität zunahm (Frauen: in 2003 0,01 Jahre und in 2019 0,45 Jahre; Männer: in 2003 0,45 Jahre und in 2019 0,77 Jahre). Nach 2019 trug vor allem die COVID-19-Sterblichkeit im Alter von 45+ mit einem Beitrag von ungefähr 0,3 Jahren zum Anstieg der Lebenserwartungslücke bei.
Schlussfolgerung: Die regionale sozioökonomische Lebenserwartungslücke hat sich in den letzten Jahrzehnten vergrößert. Dies ist vor allem auf die vorzeitige Sterblichkeit an Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs zurückzuführen. Um das sozioökonomische Gefälle in der Lebenserwartung zu verringern und zur gesundheitlichen Chancengleichheit in Deutschland beizutragen, sind wirksame Anstrengungen auf verschiedenen Ebenen erforderlich. Diese sollten darauf abzielen, einen frühen Tod durch Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen in sozioökonomisch deprivierten Regionen zu vermeiden. Insbesondere die Krebsprävention stellt vor diesem Hintergrund ein zunehmend wichtiges Handlungsfeld dar.
Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Die Autoren geben an, dass kein Ethikvotum erforderlich ist.
Literatur
- 1.
- Mackenbach JP, Stirbu I, Roskam AJ, et al. Socioeconomic inequalities in health in 22 European countries. N Engl J Med. 2008;358:2468–2481.
- 2.
- Michalski N, Reis M, Tetzlaff F, et al. German Index of Socioeconomic Deprivation (GISD): Revision, update and applications. J Health Monit. 2022;7:2-23.
- 3.
- Preston S, Heuveline P, Guillot M. The Life Table and Single Decrement Processes. In: Preston S, Heuveline P, Guillot M, editors. Demography Measuring and Modeling Population Processes. Oxford: Blackwell Publishers; 2001. p. 38–70.
- 4.
- Andreev EM, Shkolnikov VM, Begun AZ. Algorithm for decomposition of differences between aggregate demographic measures and its application to life expectancies, healthy life expectancies, parity-progression ratios and total fertility rates. Demographic Research. 2002;7:499–522.
- 5.
- Riffe T. DemoDecomp: Decompose Demographic Functions. 2020. Available from: https://cran.r-project.org/web/packages/DemoDecomp/DemoDecomp.pdf