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Identifikation von Sepsis-Phänotypen durch Unsupervised Learning mit Charakterisierung auf Plasma-Proteom-Ebene zur Translation in eine personalisierte Sepsis-Therapie
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Published: | September 6, 2024 |
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Hintergrund: Jedes Jahr erkranken in Deutschland etwa 280.000 Menschen an Sepsis [1], deren generalistische Behandlung durch die hohe Heterogenität der Krankheitsverläufe und inter-individuellen Varianzen stark limitiert ist. Spezifische individualisierte Behandlungsoptionen, die direkt molekulare Sepsis-bezogene Stoffwechselveränderungen adressieren, stehen aktuell nicht zur Verfügung [2], [3]. Um eine Wissensbasis für zukünftige personalisierte Sepsis-Therapien zu schaffen, haben wir mittels Maschinellem Lernen (ML) klinische Sepsis-Phänotypen in einer multizentrischen, prospektiven Kohorte identifiziert und diese anhand Plasma-Proteomics charakterisiert.
Methoden: Die Analysen basieren auf Daten und Bioproben einer prospektiven Sepsis-Biobank, in der sämtliche klinischen Routinedaten der intensivmedizinischen Behandlung strukturiert vorliegen (SepsisDataNet.NRW und CovidDataNet.NRW). Von 384 Patienten aus drei Zentren wurden 25 routinemäßig erfasste „Standardparameter“ (mit fehlenden Werten <30%) am Tag der Sepsis-Diagnose ausgewählt, welche die Charakterisierung der Ausprägung Sepsis-assoziierter Organschädigungen ermöglichten. Diese Standardparameter umfassten u.a. Laborparameter zur Leber, Niere, Gerinnung, Blutgasanalyseergebnisse, Vitalwerte, Infektionsfokus und Patientenalter. Behandlungs-assoziierte Parameter, wie Medikationen, wurden bewusst ausgeschlossen. Mittels Median wurden multiple Werte aggregiert sowie fehlende Werte imputiert. Anschließend erfolgte eine Dimensionsreduktion mittels principal component analysis mit dem Ziel einer kumulativ erklärten Varianz von >70%. Auf den resultierenden 11 Komponenten wurde ein k-Means-Clustering durchgeführt, die Clusteranzahl wurde mittels Elbow-Methode bestimmt. Die Anwendung des Unsupervised Learning diente der objektiven Identifikation von klinischen Sepsis-Phänotypen, um anschließend die dahinterliegenden biomolekularen Vorgänge, in die klinische Routineparameter keinen tieferen Einblick ermöglichen, durch Plasma-Proteomanalysen (LC-MS/MS) und Immunassays (n=276) detailliert zu charakterisieren.
Ergebnisse: Es konnten drei klinische Phänotypen in entsprechenden Clustern identifiziert werden. Cluster A (n=25) wies die höchste Krankheitsschwere mit einem dominierenden Leberversagen bei einer Mortalität von 92% auf. Cluster C (n=144) zeigte ebenfalls relevante Organinsuffizienzen mit einer führenden Nierenschädigung und einer Mortalität von 47%. Cluster B (n=215) zeigte die geringste Krankheitsschwere mit einer Mortalität von 28%. Der führende Infektionsfokus war in Cluster A das Abdomen und in Cluster B Infektionen der Lunge (inkl. COVID-19). In Cluster C waren intra-abdominelle und pulmonale Infektionen gleichmäßig verteilt. Sowohl auf Zytokinebene (IL6, IL8, IL10 und IL18) sowie auf Ebene des Plasma-Proteoms waren statistisch signifikante Unterschiede nachweisbar. Cluster A war auffällig im Hinblick auf den Verbrauch von Koagulationsfaktoren und Proteinen des Komplementsystems, welcher mit Organversagen einhergeht [4]. Auch das Proteom in Cluster C spiegelte eine erhöhte Krankheitsschwere wider, wenngleich der Unterscheidung zu Cluster B schwächer ausfiel.
Diskussion: Die mittels ML identifizierten klinischen Phänotypen zeigten verschiedene Schweregrade der Sepsis und damit verbundene Zytokin-Konzentrationen. Eine Klassifizierung von Sepsis-Patienten in klinische Phänotypen mittels ML-Modellierung wurde bereits von Seymour et al. mit einer deutlich größeren Kohorte (n>16.000) publiziert [5]. Detailliertere Aussagen zu biomolekularen Veränderungen, welche zur Hypothesengenerierung einer zielgerichteten Sepsis-Therapie verwendet werden können, sind durch die Ergebnisse von Seymour et al. jedoch nur sehr eingeschränkt möglich. Omics-Verfahren bieten diese Möglichkeit, sind aber in der klinischen Routine nicht einsetzbar. Im Sinne eines Proof-of-Concepts bieten unsere Ergebnisse daher in der größten jemals durch Plasma-Proteomics charakterisierten Sepsiskohorte tiefgreifende Einblicke in die immunologischen und metabolischen Veränderungen klinischer Sepsis-Phänotypen.
Schlussfolgerungen: Die durch ML identifizierten klinischen Sepsis-Phänotypen zeigen relevante Unterschiede im Plasma-Proteom. Diese Ergebnisse können als erste Grundlage zur Hypothesengenerierung zukünftiger präzisionsmedizinische Therapieansätze der Sepsis auf Cluster-Ebene verwendet werden, welche gesonderter klinischer Prüfungen bedürfen.
Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Die Autoren geben an, dass ein positives Ethikvotum vorliegt.
Literatur
- 1.
- Fleischmann-Struzek C, Schwarzkopf D, Reinhart K. Inzidenz der Sepsis in Deutschland und weltweit: Aktueller Wissensstand und Limitationen der Erhebung in Abrechnungsdaten. Med Klin Intensivmed Notfmed. 2022;117(4):264–8. DOI: 10.1007/s00063-021-00777-5
- 2.
- Hotchkiss RS, Moldawer LL, Opal SM, Reinhart K, Turnbull IR, Vincent JL. Sepsis and septic shock. Nat Rev Dis Primers. 2016;2(1):16045. DOI: 10.1038/nrdp.2016.45
- 3.
- Boomer JS, Green JM, Hotchkiss RS. The changing immune system in sepsis: Is individualized immuno-modulatory therapy the answer? Virulence. 2014;5(1):45–56. DOI: 10.4161/viru.26516
- 4.
- Levi M, Van Der Poll T, Schultz M. Systemic versus localized coagulation activation contributing to organ failure in critically ill patients. Semin Immunopathol. 2012;34(1):167–79. DOI: 10.1007/s00281-011-0283-7
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- Seymour CW, Kennedy JN, Wang S, Chang CH, Elliott CF, Xu Z, Berry S, Clermont G, Cooper G, Gomez H, Huang DT, Kellum JA, Mi Q, Opal SM, Talisa V, van der Poll T, Visweswaran S, Vodovotz Y, Weiss JC, Yealy DM, Yende S, Angus DC. Derivation, Validation, and Potential Treatment Implications of Novel Clinical Phenotypes for Sepsis. JAMA. 2019;321(20):2003-2017. DOI: 10.1001/jama.2019.5791