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Einsatz von künstlicher Intelligenz zur Optimierung von Antibiotikadosierungen in der Behandlung der Sepsis (KI.SEP)
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Published: | September 6, 2024 |
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Einleitung: Die Sepsis ist eine der weltweit häufigsten Erkrankungen, mit einer hohen Sterblichkeit von 30-50% [1], [2]. Entscheidend für eine erfolgreiche Behandlung ist eine schnelle und effektive Antibiotikatherapie. Bei kritisch kranken intensivmedizinischen Patient:innen findet sich aufgrund von Organinsuffizienzen und Begleiterkrankungen eine hohe Variabilität der Antibiotikaspiegel mit häufiger Über- oder Unterdosierung. Antibiotikaspiegel außerhalb des optimalen Wirkbereichs sind jedoch mit einer schlechten Prognose und Antibiotikaresistenzentwicklung verbunden [3]. Die adäquate Antibiotikadosierung bei Sepsispatient:innen stellt daher eine bislang nicht adäquat gelöste Herausforderung dar.
Stand der Technik: Zur optimierten Antibiotikatherapie wird die Bestimmung der tatsächlichen Antibiotikakonzentration im Blut über das Therapeutische Drug Monitoring (TDM) empfohlen. Außerdem existieren erste Ansätze eines pharmakometrie-basierten TDM über eine webbasierte Software [4]. Aufgrund der besonderen Stoffwechsellage kritisch kranker Patient:innen sind solche Modelle jedoch häufig nicht auf diese Population anwendbar. Darüber hinaus ist ein routinemäßiges TDM aufgrund mangelnder Infrastruktur derzeit nicht flächendeckend möglich. Daher werden dringend Lösungen benötigt, die nicht nur der Individualität von Sepsispatient:innen gerecht werden, sondern auch unabhängig vom TDM die Vorhersage von Antibiotikaspiegeln ermöglichen.
Konzept: Im Rahmen des Forschungsprojekts KI.SEP soll daher geklärt werden, ob mittels Maschinellem Lernen auf der Basis klinischer Routinedaten Antibiotikaspiegel von Piperacillin/Tazobactam (Pip/Taz) und Meropenem effizient vorhergesagt werden können, um dadurch eine patientenspezifische Anpassung der Antibiotikadosierung zu ermöglichen. Hierzu werden prospektiv 200 septische Patient:innen eingeschlossen, bei denen zuvor definierte intensivmedizinische Routinedaten als klinische Sekundärdaten aus dem Patienten-Daten-Management-System (PDMS, Dräger ICM) mittels SQL-Abfragen (Structured Query Language) exportiert und mit Antibiotikaspiegelbestimmungen aus Blutplasmaproben mit klar dokumentiertem Entnahmezeitpunkt angereichert werden, ergänzt um die Bestimmung löslicher Biomarker, genetischer Polymorphismen sowie den Einfluss einer Schmerzmittelgabe auf die Antibiotikawirkung. Kontinuierliche Medikamentengaben (inkl. der Antibiotika) werden hierbei automatisiert über einen Fluid-Manager (B. Braun SpaceCom) im PDMS dokumentiert. Die vollständig harmonisierten Daten werden anschließend für die Entwicklung der Prädiktionsmodelle verwendet. Als retrospektive Validierungskohorte stehen Daten einer prospektiven Sepsis-Kohorte (SepsisDataNet.NRW) [5] zur Verfügung. Die finalen KI-Modelle werden unabhängig vom TDM ausschließlich auf klinischen Routineparametern basieren und als Prototyp eines Entscheidungsunterstützungssystems auf der Intensivstation implementiert.
Implementierung: Seit Projektstart wurden bereits 66 Proband:innen eingeschlossen. Eine Datenintegrationspipeline zur Zusammenführung der klinischen und bioanalytischen Daten als FHIR-Profile befindet sich im Aufbau. Außerdem wurde auf bereits vorhandenen Proben einer Vorstudie im Sinne eines Proof of Concept (PoC) ein Prädiktionsmodell für Pip/Taz entwickelt.
Gewonnene Erkenntnisse: Das PoC-Klassifikationsmodell für Pip/Taz in die drei Gruppen Überdosierung, Unterdosierung und adäquate Dosierung erreichte eine Accuracy von 68%. Eine gezieltere Klassifikation in die beiden Gruppen „Unterdosierung“ und „keine Unterdosierung“ steigerte die Accuracy auf 82%. Die 90%ige Genauigkeit des Modells hinsichtlich der Vorhersage einer Unterdosierung verdeutlicht das Potenzial im klinischen Alltag. Da die Trainingsdaten dieses Modells jedoch ursprünglich nicht für die vorliegende Fragestellung erhoben wurden, fehlen bspw. genaue Angaben zum Blutentnahmezeitpunkt. Daher zielt der prospektive Ansatz des KI.SEP-Projektes darauf ab, eine qualitativ hochwertigere Datenbasis zu schaffen, indem neben einer kontinuierlichen Antibiotikagabe an bis zu 9 definierten Zeitpunkten standardisierte Blutentnahmen inkl. Dokumentation der Entnahmezeit stattfinden. Die Bestimmung der Medikamentenspiegel erfolgt anschließend mittels Flüssigchromatographie-gekoppelter-Massenspektrometrie (LC-MS/MS). Geeignete Prädikationsmodelle zur individualisierten Antibiotikadosierung können demnach einen großen Schritt in Richtung der Präzisionsmedizin für die Sepsis-Therapie darstellen.
Förderung: Forschungsprojekt KI.SEP gefördert durch das Land Nordrhein-Westfalen.
Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Die Autoren geben an, dass ein positives Ethikvotum vorliegt.
Literatur
- 1.
- Fleischmann-Struzek C, Schwarzkopf D, Reinhart K. Inzidenz der Sepsis in Deutschland und weltweit: Aktueller Wissensstand und Limitationen der Erhebung in Abrechnungsdaten. Med Klin Intensivmed Notfmed. 2022;117(4):264-268. DOI: 10.1007/s00063-021-00777-5
- 2.
- SepNet-Critical-Care-Trials-Group G. Incidence of severe sepsis and septic shock in German intensive care units: the prospective, multicentre INSEP study. Intensive Care Med. 2016;42(12):1980-89. DOI: 10.1007/s00134-016-4504-3
- 3.
- Roberts JA, Paul SK, Akova M, Bassetti M, De Waele JJ, Dimopoulos G, Kaukonen KM, Koulenti D, Martin C, Montravers P, Rello J, Rhodes A, Starr T, Wallis SC, Lipman J; DALI Study. DALI: defining antibiotic levels in intensive care unit patients: are current beta-lactam antibiotic doses sufficient for critically ill patients? Clin Infect Dis. 2014 Apr;58(8):1072-83. doi: 10.1093/cid/ciu027
- 4.
- Wicha SG, Kees MG, Solms A, Minichmayr IK, Kratzer A, Kloft C. TDMx: a novel web-based open-access support tool for optimising antimicrobial dosing regimens in clinical routine. Int J Antimicrob Agents. 2015;45(4):442-444. DOI: 10.1016/j.ijantimicag.2014.12.010
- 5.
- Palmowski L, Nowak H, Witowski A, Koos B, Wolf A, Weber M, et al. Assessing SOFA score trajectories in sepsis using machine learning: A pragmatic approach to improve the accuracy of mortality prediction. PLoS One. 2024;19(3):e0300739. DOI: 10.1371/journal.pone.0300739