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Eignen sich Instant-Messenger für die Kommunikation im Gesundheitswesen?
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Published: | September 6, 2024 |
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Einleitung: Die sichere und zuverlässige Übermittlung sensibler und zeitkritischer Daten hat in der Medizin einen hohen Stellenwert. Für die tägliche klinische und wissenschaftliche Arbeit bildeten SMS-Nachrichten oder unidirektionale Pagersysteme die ersten digitalen Kanäle. Bei dieser Form der Datenübermittlung kann die Zustellung beim Empfänger nicht nachvollzogen oder der Status einer Nachricht ermittelt werden [1]. Moderne Instant-Messenger bieten diese Vorteile und sind zudem ubiquitär verbreitet [2]. In diese Kategorie fällt auch der kürzlich in der Telematikinfrastruktur eingeführte TI-Messenger [3]. Über die Verlässlichkeit und Gebrauchstauglichkeit im professionellen Bereich fehlen bislang kontrollierte Erhebungen. Ziel dieser Evaluations-Studie war es, Kennwerte (Zuverlässigkeit der Erreichbarkeit, Reaktionszeiten, kognitive Verarbeitung der der Inhalte) zu erheben, um die Frage nach der Eignung moderner Messenger zur Übermittlung zeitkritischer und sensibler Informationen beurteilen zu können.
Methodik: Die Studie wurde im Zeitraum von Juli 2023 bis März 2024 mit interessierten Freiwilligen durchgeführt. Über einen Zeitraum von 21 Tagen wurden jedem Probanden zu zufälligen Zeiten 65 Nachrichten per Signal gesendet (maximal 5/Tag, maximal 2/Nacht (23-06 Uhr). Ziel war die Nachbildung einer alltäglichen Anwendungssituation ohne Abstumpfen der Teilnehmenden [4].
Als Testkriterium, ob die gelesene Nachricht kognitiv verarbeitet wurde, waren die Teilnehmer aufgefordert, ein zufällig ausgewähltes Test-Wort so schnell und korrekt wie möglich zurückzusenden. Erfasst wurden die Zeitspannen zwischen Versand bis Zustellung, Zustellung bis gelesen, gelesen bis Rücksendung des Wortes sowie die Übereinstimmung mit dem ursprünglichen Wort. Übereinstimmung wurde unterteilt in direkte Übereinstimmung und korrigierte Übereinstimmung mittels Levenshtein-Distanz [5].
Zur Umsetzung wurde eine Python3-Anwendung entwickelt, die den automatisierten Versand der Nachrichten abwickelte und Statusmeldungen sowie Antworten in einer SQLite-Datenbank speicherte. Die statistische Auswertung erfolgte mit R.
Ergebnisse: Von 72 in die Datenauswertung eingeschlossen Teilnehmern waren 46 (63,9 %) weiblich. Das mittlere Alter betrug 31 (19-75) Jahre. Die Teilnehmer waren überwiegend berufstätig (n=43; 49,6 %), 20 studierten (27,7 %) und 8 (11,1 %) befanden sich im Ruhestand. Alle Probanden nutzten bereits einen Instant-Messenger, die meist installierten Produkte waren WhatsApp (n=71; 98,6 %), Signal (n=29; 40,3 %) und Threema (n=12; 16,7 %).
Der Zeitraum zwischen Versand und Zustellung der Nachrichten betrug im Median 2,5 [1,8; 4,8] Sekunden in den Tagstunden, in den Nachtstunden 2,7 [2,1; 24,5].
Auf die je 65 versendeten Nachrichten erfolgten zwischen 33 und 68 Antworten. Dies erklärt sich durch das Senden korrigierter Antworten. Die Antworten waren durchschnittlich 54,8 ± 8,7 exakte Übereinstimmungen des Test-Wortes und 56,4 ± 8,3 korrigierte Übereinstimmungen.
Der schnellste Teilnehmer antwortete im Durchschnitt nach 860 Sekunden, der langsamste nach 5.282. Die durchschnittliche Antwortzeit betrug 118 Sekunden, unter der beidseitigen Kappung von 5 % Extremwerten 98 Sekunden.
Diskussion: Wir legen erste Daten zur Zuverlässigkeit des Einsatzes von Instant-Messengern im klinisch-wissenschaftlichen Bereich vor. Die Zuverlässigkeit und Schnelligkeit der Zustellung ist in einer inhomogenen Kohorte hoch, ebenso der Grad der auch kognitiv verarbeiteten Nachrichten. Große Antwortlatenzen sind Flugreisen und Nachtabschaltungen der Geräte geschuldet.
Schlussfolgerung: Instant-Messenger eignen sich aufgrund der hohen Verbreitung und Vertrautheit der Anwender für die Kommunikation im klinisch-wissenschaftlichen Bereich. Die Kenntnisnahme der Nachrichten scheint verlässlich zu sein, doch müssen die Antwortlatenzen kritisch hinterfragt werden, da Instant-Messenger nicht als Kommunikationskanal zeitkritischer Mitteilungen gelten könnten.
Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Die Autoren geben an, dass kein Ethikvotum erforderlich ist.
Literatur
- 1.
- Demsash AW, Tegegne MD, Walle AD, Wubante SM. Understanding barriers of receiving short message service appointment reminders across African regions: a systematic review. BMJ Health Care Inform. November 2022;29(1):e100671. DOI: 10.1136/bmjhci-2022- 100671
- 2.
- Eurostat. Einzelpersonen - Internet-Aktivitäten [Internet]. 2024 [Zugriff 16.06.2024]. Verfügbar unter: https://ec.europa.eu/eurostat/databrowser/bookmark/338efa1f-f53c-4eda-b310-5e153799f78b?lang=de
- 3.
- Sayegh-Jodehl S, Mukowski-Kickhöfel R, Linke D, Müller-Birn C, Rose M. Use of Instant Messaging Software in a German Hospital - An Exploratory Investigation among Physicians. Int J Environ Res Public Health. 2022;19(19):12618. DOI: 10.3390/ijerph191912618
- 4.
- Wilken M, Hüske-Kraus D, Klausen A, Koch C, Schlauch W, Röhrig R. Alarm Fatigue: Causes and Effects. Stud Health Technol Inform. 2017;243:107–11; DOI: 10.3233/978-1-61499-808-2-107
- 5.
- Levenshtein VI. Binary codes capable of correcting deletions, insertions, and reversals. Dokl Akad Nauk SSSR. 1965;163(4):845-848.