gms | German Medical Science

65th Annual Meeting of the German Association for Medical Informatics, Biometry and Epidemiology (GMDS), Meeting of the Central European Network (CEN: German Region, Austro-Swiss Region and Polish Region) of the International Biometric Society (IBS)

06.09. - 09.09.2020, Berlin (online conference)

Kritische Analyse der Präzisionsmedizin am Beispiel der Onkologie: Status quo und ethische Aspekte

Meeting Abstract

Search Medline for

  • Wolf-Dieter Ludwig - Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, Berlin, Germany

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie. 65th Annual Meeting of the German Association for Medical Informatics, Biometry and Epidemiology (GMDS), Meeting of the Central European Network (CEN: German Region, Austro-Swiss Region and Polish Region) of the International Biometric Society (IBS). Berlin, 06.-09.09.2020. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2021. DocAbstr. 495

doi: 10.3205/20gmds068, urn:nbn:de:0183-20gmds0682

Published: February 26, 2021

© 2021 Ludwig.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution 4.0 License. See license information at http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Outline

Text

Hintergrund: Ziel der Präzisionsmedizin (synonym auch individualisierte bzw. personalisierte Medizin genannt) in der Onkologie ist es, durch gezielte Prävention, systematische Diagnostik und den Einsatz maßgeschneiderter, auf die Bedürfnisse einzelner Patienten oder Patientengruppen ausgerichteter Therapieverfahren die Wirksamkeit und Qualität der Behandlung zu verbessern, dabei die Nebenwirkungen zu reduzieren und langfristig die Kosteneffektivität zu steigern [1]. Wichtige Voraussetzungen hierfür wurden im letzten Jahrzehnt in der Onkologie geschaffen – vor allem durch die Entwicklung und Zulassung einer rasch zunehmenden Zahl sog. zielgerichteter Arzneimittel sowie die Verfügbarkeit von innovativen Technologien, wie der Verwendung des leistungsstarken „Next-Generation-Sequencing” (NGS), zur genaueren molekulargenetischen Diagnostik von Krebserkrankungen. Diese Technologien führten zu einem besseren Verständnis der Pathogenese und Klassifikation von Krebserkrankungen und der daraus abgeleiteten zielgerichteten Therapiestrategien.

Methoden: Selektive Literaturrecherche

Ergebnisse: Mit den heute verfügbaren neuen („zielgerichteten”) Wirkstoffen, dem verstärkten Einsatz molekularer Diagnostik, aber auch der Nutzung digitaler Technologien zur Auswertung großer Datenmengen („Big Data”), beispielweise der kombinierten Auswertung von genomischen und medizinischen Patientendaten in Registern und klinischen Studien, werden weitreichende Hoffnungen und Perspektiven leistungsstärkerer diagnostischer und therapeutischer Optionen in der Onkologie verknüpft. Zunehmend gewarnt wird jedoch auch vor zu großen Erwartungen an die Präzisionsmedizin angesichts der inzwischen in zahlreichen Untersuchungen nachgewiesenen genomischen Heterogenität von soliden Tumoren und hämatologischen Neoplasien sowie der klonalen Evolution in Tumorerkrankungen mit Entwicklung von Resistenzen gegenüber den angewandten Therapien – sowohl in Primärtumoren als auch in Metastasen.

Erste Ergebnisse im Rahmen klinischer Studien zur systematischen Nutzung genomischer Analysen bei Patienten mit fortgeschrittenen Krebserkrankungen haben einerseits Probleme bei der Generierung überzeugender Evidenz durch neue, auf molekularen Befunden basierende Therapiestrategien aufgezeigt und andererseits verdeutlicht, das derzeit nur ein relativ kleiner Prozentsatz der Patienten mit fortgeschrittenen, meist metastasierten Krebserkrankungen für Genom-basierte Therapien in Frage kommt.

Zusammenfassung: Aus ethischer Sicht müssen diagnostische Verfahren und Therapieansätze im Rahmen der Präzisionsmedizin ihren Nutzen und ihre Risiken auch künftig anhand aussagekräftiger Studiendesigns nachweisen [2]. Angesichts der zunehmenden Bedeutung molekulargenetischer Verfahren für die Auswahl der Therapiestrategie muss dabei insbesondere auf die zeitnahe, qualitätsgesicherte Durchführung molekularer Diagnostik geachtet werden. Auch in Zukunft werden Aufklärung der Patienten mit Krebserkrankungen, Risikoeinschätzung der Erkrankung, Therapieentscheidung und Prognose eine Domäne des Arztes sein [3]. Deshalb erfordert die Präzisionsmedizin auch die Bereitstellung kontinuierlicher ärztlicher Fortbildung in der Molekulardiagnostik, die Besprechung geeigneter Therapiestrategien in interdisziplinär besetzten molekularen Tumorboards sowie eine gründliche Analyse der Kosten bzw. Vergütungsstrukturen für die molekulare Diagnostik und verwendeten Therapiestrategien. Dabei gilt es angesichts der wechselseitigen Verknüpfung von medizinwissenschaftlichen, gesundheitspolitischen, medizinethischen und rechtlichen Aspekten das Konzept der Präzisionsmedizin in einem breiten gesellschaftlichen und interdisziplinären Diskurs kontinuierlich zu begleiten und zu bewerten [4].

Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Die Autoren geben an, dass kein Ethikvotum erforderlich ist.


Literatur

1.
Schleidgen S, Klingler C, Bertram T, Rogowski WH, Marckmann G. What is personalized medicine: sharpening a vague term based on a systematic literature review. BMC Med Ethics. 2013 Dec 21;14:55. DOI: 10.1186/1472-6939-14-55 External link
2.
Winkler E. Verhältnis von personalisierter zu evidenzbasierter Medizin. Forum. 2017;32:217.
3.
Ludwig WD. Kritische Analyse der Präzisionsmedizin am Beispiel der Onkologie. Imago Hominis. 2019;26:119.
4.
Damm R. Personalisierte Medizin und Patientenrechte – Medizinische Optionen und medizinrechtliche Bewertung. MedR. 2011;29:7.