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64. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (GMDS)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

08. - 11.09.2019, Dortmund

Big Data Anwendungen im Kontext seltener Erkrankungen

Meeting Abstract

  • Michéle Kümmel - Institut für Medizinische Informatik und Biometrie, Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus der Technischen Universität Dresden, Dresden, Germany
  • Brita Sedlmayr - Zentrum für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung, Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus der Technischen Universität Dresden, Dresden, Germany
  • Franziska Bathelt - Institut für Medizinische Informatik und Biometrie, Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus der Technischen Universität Dresden, Dresden, Germany
  • Jochen Schmitt - Zentrum für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung, Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus der Technischen Universität Dresden, Dresden, Germany
  • Martin Sedlmayr - Institut für Medizinische Informatik und Biometrie, Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus der Technischen Universität Dresden, Dresden, Germany

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie. 64. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS). Dortmund, 08.-11.09.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. DocAbstr. 143

doi: 10.3205/19gmds099, urn:nbn:de:0183-19gmds0991

Published: September 6, 2019

© 2019 Kümmel et al.
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Text

Einleitung: Seltene Erkrankungen (SE) treten mit einer Häufigkeit von <5/10.000 Menschen auf, betreffen aber ca. 3-6% der Bevölkerung und umfassen schätzungsweise 5.000-8.000 einzelne Erkrankungen [1], [2], [3], [4], [5]. Aufgrund ihrer Seltenheit und vielfältigen Ausprägungen ergeben sich vermehrt Herausforderungen für die Patientenversorgung (z.B. verzögerte Diagnosestellung, fehlende Therapiemöglichkeiten) [6], [7].

Eine Möglichkeit zur verbesserten Versorgung von Menschen mit seltenen Erkrankungen (MSE) stellen Big Data Anwendungen dar [8], [9], wofür aber in Deutschland noch kein konkretes Konzept existiert. Innerhalb des BMG-geförderten Projekts „Einsatzmöglichkeiten und klinischer Nutzen von Big Data Anwendungen im Kontext seltener Erkrankungen (BIDA-SE)“ werden ein Nutzungsszenario entwickelt und Empfehlungen für den Einsatz von Big Data Anwendungen für die Versorgung von MSE formuliert.

Hierfür werden folgende Fragestellungen beantwortet:

  • Wie kann ein fachübergreifendes, praxisnahes Szenario unter Verwendung von Big Data Anwendungen für die Versorgung von MSE aussehen und welche Maßnahmen werden für die mittelfristige Umsetzung empfohlen?
  • Welchen klinischen Nutzen sehen Ärzte für die Patientenversorgung und wie würden Patienten einen durch Big Data unterstützten Versorgungsprozess akzeptieren?
  • Welche technischen, systemischen, organisatorischen und rechtsregulatorischen Barrieren sind vorhanden und wie können diese überwunden werden?
  • Welche ökonomischen Implikationen sind damit verbunden?

Methode: Das Projekt gliedert sich in drei Phasen und wendet einen gemischten methodischen Ansatz aus Experten-Workshops, Online-Befragungen, Marktanalysen, ökonomische Analysen und Reviews an:

  • Ist-Analyse: Zunächst werden ein übergreifender Versorgungspfad erstellt und diskutiert, mögliche Big Data Anwendungen und Daten/Datenquellen identifiziert.
  • Initiale Szenarioentwicklung: Darauf folgt die interdisziplinäre Entwicklung eines initialen Nutzungsszenarios.
  • Evaluation und Anpassung des Szenarios: Anschließend wird das Szenario hinsichtlich klinischem Nutzen, Akzeptanz, Barrieren und Lösungsmöglichkeiten evaluiert. Anhand der Evaluationsergebnisse erfolgen die Anpassung des Szenarios, die Erarbeitung eines Maßnahmenkatalogs für die Umsetzung und eine ökonomische Analyse.

Innerhalb der einzelnen Phasen liegt der Fokus auf der Interdisziplinarität, weshalb unterschiedliche Stakeholder wie Ärzte, IT-Experten, Patientenvertreter, Versorgungsforscher, IT-Sicherheitsbeauftragte und Datenschützer einbezogen werden.

Ergebnisse: Das Projekt startete am 01.03.2019 und befindet sich momentan in Phase A. Erste Recherchen zeigen, dass Big Data Anwendungen vornehmlich für die Krebsforschung [10], [11], [12], [13], [14] und weniger im Kontext von SE auftreten. Dennoch ist das Potential von Big Data Anwendungen für die Versorgung von MSE unumstritten [8], [15], [16].

Im Rahmen der GMDS werden das Projektvorhaben und identifizierte, potentielle Big Data Anwendungen für SE (Teilergebnis Phase A) vorgestellt und hinsichtlich ihrer Eignung für den Kontext bewertet. Die Ergebnisse zeigen, dass die Anwendungen vor allem die Bereiche

  • Datenhaltung, Analyse und Integration (Klassifikation nach [17]), z.B. Register wie Orphanet [18], [19], [20], [21], [22] und FindZebra [19], [23] sowie
  • Diagnosefindung, Krankheitsmanagement und Prävention (Klassifikation nach [24]), z.B. phänotyp-basierte Systeme wie Phenomizer [19], [25] und Phenolyzer [25] oder genotyp-basierte Systeme wie Genetics Home Reference [19] und GENATLAS [20] fokussieren.

Diskussion und Ausblick: Die Ist-Analyse berücksichtigt sowohl bereits genutzte als auch benötigte oder gewünschte Big Data Anwendungen und Daten aus Sicht unterschiedlicher Stakeholder. So kann ein möglichst praxisnahes Nutzungsszenario entwickelt werden.

Nach Müller et al. wird „die Anzahl seltener Erkrankungen [...] insbesondere als Folge der genetischen Erkenntnisse weiterhin rasant zunehmen“ [8], sodass eine verbesserte Versorgung von MSE unabdingbar wird. Indem das Projekt beweist, welche Big Data Anwendungen in der Praxis angewandt werden können, kann dieser Prozess vorangetrieben werden.

Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Die Autoren geben an, dass ein positives Ethikvotum vorliegt.


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