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64. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (GMDS)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

08. - 11.09.2019, Dortmund

Kontraindizierte Medikationen bei Niereninsuffizienz in einer nicht-institutionalisierten Population

Meeting Abstract

  • Susanne Stolpe - UK Essen, Zentrum für klinische Epidemiologie, Essen, Germany; Leibniz-Universität, Institut für technische Chemie, Hannover, Germany
  • Eva Bock - Uniklinikum Essen, Essen, Germany
  • Christian Scholz - Uniklinik Köln, Klinik II für Innere Medizin, Köln, Germany
  • Anna-Therese Lehnich - Universitätsklinikum Essen, Zentrum für klinische Epidemiologie, Essen, Germany
  • Andreas Stang - Universitätsklinikum Essen, Essen, Germany
  • Cornelia Blume - Leibniz-Universität, Institut für technische Chemie, Hannover, Germany

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie. 64. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS). Dortmund, 08.-11.09.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. DocAbstr. 232

doi: 10.3205/19gmds044, urn:nbn:de:0183-19gmds0440

Published: September 6, 2019

© 2019 Stolpe et al.
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Hintergrund: Eine eingeschränkte Nierenfunktion - definiert über eine geschätzte glomeruläre Filtrationsrate, eGFR <60ml/min/1,73m² – hat in Deutschland bei Menschen im Alter von ≥40 Jahren eine Prävalenz von etwa 10% [1]. Mit steigendem Alter nimmt die Prävalenz deutlich zu. Da viele Medikamente über die Niere ausgeschieden werden, muss bei eingeschränkter Nierenfunktion überprüft werden, ob eine Dosisanpassung oder das Absetzen einer Medikation notwendig ist. Eine Einnahme potentiell inadäquater Medikation (PIM) kann zu verlängerten Krankenhausaufenthalten und erhöhter Mortalität [2] führen. In Untersuchungen bei niereninsuffizienten Bewohnern von Alten- und Pflegeheimen wurde im Rahmen der IMREN-Studie bei 20% der Bewohner die Verordnung mindestens einer PIM festgestellt. Neben Metformin, Ramipril oder Kaliumchlorid [3] gehörten auch NSAIDs zu den Medikamenten, die die Nieren bei einer Insuffizienz zusätzlich schädigen [4].

Bisher gibt es für Deutschland keine Untersuchungen über die Prävalenz von kontrainduzierten Medikationen bei nicht-institutionalisierten bzw. hospitalisierten Personen mit eingeschränkter Nierenfunktion.

Methode: Wir haben Daten der Kerndatenbank der Stiftung Präventivmedizin des Kuratoriums für Dialyse und Nierentransplantation e. V. (KfH) - erhoben von 2009 bis 2011 - verwendet, um die Prävalenz der Einnahme kontraindizierter Medikation zu bestimmen. Die Kerndatenbank enthält standardisierte Angaben aus Fragebögen sowie Laboruntersuchungen zu Teilnehmern von deutschen Kohorten- (GCKD, Diacore, BIS) und Register-Studien (CAD-REF). Die potentiell inadäquaten Medikationen bei Niereninsuffizienz wurden aus der Literatur zusammengestellt [4], [5], [6] und über den jeweiligen ATC-Kode identifiziert .Da in der Kerndatenbank keine Dosierungsangaben vorhanden sind, wurden nur kontraindizierte Medikationen als PIM ausgewertet. Die eGFR wurde anhand der CKD-Epi-Formel berechnet.

Ergebnisse: In der Baseline-Erhebung in der Kerndatenbank waren Medikationsdaten von 8.088 nicht-dialysepflichtigen erwachsenen Personen mit einer Niereninsuffizienz verfügbar. Eine CKD der Stadien 3-5 mit einer eGFR<60ml/min/1,73m² lag bei 6.204 Personen vor. Von diesen gaben 97% an, mindestens ein Medikament einzunehmen, die Hälfte nahm sieben und mehr Medikamente ein. Ein Medikament, dessen Dosierung bzw. Verabreichung überprüft werden müsste, wurde von 59% aller CKD-Patienten eingenommen. Insgesamt wurden 682 kontraindizierte Medikationen (51 ATC-Kodes) identifiziert, 588 (9,5%) Patienten mit einer eGFR<60ml/min/1,73m² waren betroffen. Das ab einer eGFR < 45 ml/min kontraindizierte Medikament Metformin wurde bei 148 (22%) Patienten verordnet. NSAIDs wurden nur selten eingenommen (N=25, 4%). Die Wahrscheinlichkeit, ein kontraindiziertes Medikament einzunehmen, war abhängig von Geschlecht, Alter und Anzahl eingenommener Medikamente. Die Odds Ratio (OR) für Personen mit Diabetes, eine kontraindizierte Medikation zu erhalten, betrug im Vergleich zu Nicht-Diabetikern 2,7 (2,2-3,2); bei Personen mit behandeltem Bluthochdruck lag die OR für die Einnahme einer kontraindizierter Medikation bei 1,5 (1,1– 2,2) im Vergleich zu Personen ohne antihypertensive Medikation. Von 54 Personen mit ihnen unbekannter CKD 4 (eGFR < 30ml/min/1,73m²) erhielten 38 (70%) mindestens eine kontraindizierte PIM, bei bekannter CKD 4 (N=604) waren es 232 (38%) der Betroffenen (OR: 3,8 (2,1-7,0).

Diskussion: Die Prävalenz der Einnahme kontraindizierter Medikamente bei CKD 3-5 betrug in der Kerndatenbank 9,5%. Die Verwendung älterer Methoden zur Berechnung der Nierenfunktion (Cockcroft-Gault, MDRD-Formel) könnten davon abweichende Prävalenzschätzungen ergeben. Besonders häufig waren Diabetiker und Hypertoniker betroffen. Ein weiterer Risikofaktor war Unkenntnis über die Niereninsuffizienz. Eine größere Sorgfalt bei der Überprüfung der Medikation nierenkranker Patienten ist notwendig, um weitere Schädigungen der Gesundheit der Patienten zu vermeiden.

Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Die Autoren geben an, dass kein Ethikvotum erforderlich ist.


Literatur

1.
Girndt M, Trocchi P, Scheidt-Nave C, Markau S, Stang A. The prevalence of renal failure: results from the German health interview and examination survey for adults, 2008–2011 (DEGS1). Deutsches Ärzteblatt International. 2016 Feb;113(6):85.
2.
Tesfaye WH, Castelino RL, Wimmer BC, Zaidi ST. Inappropriate prescribing in chronic kidney disease: A systematic review of prevalence, associated clinical outcomes and impact of interventions. International journal of clinical practice. 2017 Jul;71(7):e12960. DOI: 10.1111/ijcp.12960 External link
3.
Hoffmann F, Boeschen D, Dörks M, Herget-Rosenthal S, Petersen J, Schmiemann G. Renal Insufficiency and Medication in Nursing Home Residents: A Cross-Sectional Study (IMREN). Deutsches Ärzteblatt International. 2016 Feb;113(6):92.
4.
Modig S, Elmståhl S. Kidney function and use of nonsteroidal anti-inflammatory drugs among elderly people: a cross-sectional study on potential hazards for an at risk population. International journal of clinical pharmacy. 2018 Aug 1;40(4):870-7.
5.
Holt S, Schmiedl S, Thürmann PA. Potentially inappropriate medications in the elderly: the PRISCUS list. Deutsches Ärzteblatt International. 2010 Aug;107(31-32):543.
6.
Eknoyan G, Lameire N, Eckardt K, Kasiske B, Wheeler D, Levin A, Stevens PE, Bilous RW, Lamb EJ, Coresh J, Levey AS. KDIGO 2012 clinical practice guideline for the evaluation and management of chronic kidney disease. Kidney Int. 2013;3(1):5-14.