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63. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (GMDS)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

02. - 06.09.2018, Osnabrück

Theoriegetriebene mathematische Modelle als Grundlage statistischer Regressionen

Meeting Abstract

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  • Hans H. Diebner - Technische Universität Dresden, Dresden, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie. 63. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS). Osnabrück, 02.-06.09.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. DocAbstr. 113

doi: 10.3205/18gmds110, urn:nbn:de:0183-18gmds1103

Published: August 27, 2018

© 2018 Diebner.
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Einleitung: Beobachtete pharmakokinetische Zeitreihen und Dosis-Wirkungs-Verläufe sind Beispiele von Datenaufkommen, zu deren Analyse üblicherweise theoriegetriebene kinetische bzw. dynamische Modelle der statistischen Regression vorausgehen. Eine solche Herangehensweise ist aber keineswegs in anderen Bereichen der bio-medizinischen Forschung üblich, obwohl die Auswertungen zahlreicher Experimente erheblich von mathematischer Modellierung profitieren könnten. Ob sich zeitliche Verläufe signifikant unterscheiden, lässt sich auch durch lineare oder nichtlineare Regression mit geeigneten Polynomen oder sonstigen nichtlinearen Transformationen ermitteln, aber die damit geschätzten Parameter haben keinen unmittelbar interpretierbaren kinetischen oder dynamischen Hintergrund. Interpretierbare Informationen wie etwa das Vorliegen von Unterschieden in den asymptotischen Grenzwerten von Sättigungskurven oder in ihren biotischen Wachstumsraten werden quasi verschenkt.

Methoden: Vier Fallbeispiele aus der aktuellen bio-medizinischen Forschung werden diskutiert, bei denen jeweils ein vorausgehendes dynamisches Modell zu einem qualitativen Informationsgewinn beiträgt, nämlich auf welche konkrete kinetische Weise die statistisch signifikanten Unterschiede zu interpretieren sind. Die Diskussionen der 4 Fallbeispiele werden direkt anhand von praktischen Implementierungen in der R-Programmierumgebung geführt. Erwähnenswert ist hierbei das Paket „drc“ (dose response curves). Die Übertragung auf dynamische Probleme ist meist einfach und erspart dem nicht-mathematischen Anwender vertiefte Kenntnisse zur mathematischen Modellbildung, gelegentlich ist jedoch die Expertise von Modellierern notwendig, z.B. um geeignete Differentialgleichungen zu formulieren.

Ergebnisse: Beim ersten Beispiel handelt es sich um Messungen von IL2-Sekretionen von T-Zellen nach Stimulation im zeitlichen Verlauf, und zwar unter verschiedenen Stimulationsbedingungen und Expressionsgraden des Onkogens TCL1A. Die Expression von TCL1A trägt zur beschleunigten Sekretion bei, nicht aber zur Erhöhung des Sättigungswertes, was durch geeignete Wahl einer Sättigungsdynamik gezeigt werden kann.

Das zweite Beispiel behandelt die Migrationsfähigkeit von Endothelzellen nach dem Auftauen. Die Migrationsfähigkeit ist von Protektionsmethoden der Kaltlagerung abhängig und wird über den zeitlichen Verlauf der Überdeckung einer freien Fläche durch die Zellen quantifiziert. Die geschätzten Halbwertszeiten aus einer Sättigungskinetik liefern geeignete und interpretierbare Maße für die Migrationsfähigkeit und lassen einen Gruppenvergleich zu.

Entzündungen können durch LPS-Behandlungen simuliert werden und führen zu unterschiedlichen, von der Expression von Caspase abhängigen, Temperaturregulierungsprozessen, wie im dritten Fallbeispiel diskutiert wird. Die dynamische Modellierung mittels einer nicht geschlossen lösbaren Differentialgleichung zeigt, dass bei der Regulierung nur die anfängliche Auslenkung vom Genotyp abhängt, die Abklingparameter und körperintrinsischen Regulierungsmechanismen aber konstant bleiben.

Im vierten Beispiel werden prä-leukämische Wachstumskurven bezüglich ihrer Abhängigkeit von TCL1A-Onkogenexpressionen verglichen. Im Unterschied zum ersten Fallbeispiel erhält man hier einen signifikanten Unterschied im Sättigungswert, der durch zwei verschiedene Expressionstypen hervorgerufen wird. Die initiale Wachstumsrate aber ist nahezu unabhängig von den Kovariablen.

Diskussion: Bei allen Fallbeispielen konnte durch geeignete mathematische Modellierung gezeigt werden, bezüglich welcher kinetischer Eigenschaften die Gruppenunterschiede gegeben sind. Vor dem Hintergrund der Dominanz datengetriebener Analysen aus dem Spektrum der Bioinformatik und dem Mangel an Akzeptanz mathematischer Modellierungen ist mit diesem Beitrag beabsichtigt, die Vorteile theoriegetriebener mathematischer Modellierungen hervorzuheben und für ihre Gleichberechtigung neben rein statistischen Regressionsanalysen zu werben. Im Unterschied zur rein statistischen Regression, setzt ein theoretisches Modell die Existenz von Daten zunächst gar nicht voraus. Ein dynamischer Modellierungsansatz bedeutet allerdings, dass gelegentlich die spezielle Expertise von Modellierern hinzu gezogen werden muss. Auch die Gefahr einer theoriegeleiteten Fehlinterpretation muss beachtet werden.

Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Die Autoren geben an, dass kein Ethikvotum erforderlich ist.