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62. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (GMDS)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

17.09. - 21.09.2017, Oldenburg

Auswirkungen von Informationstechnologien auf Spannungsverhältnisse in interorganisationalen Gesundheitsnetzwerken

Meeting Abstract

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  • Özlem Teckert - Hochschule Osnabrück - University of Applied Sciences, Lingen (Ems), Deutschland
  • Thorsten Litfin - Hochschule Osnabrück - University of Applied Sciences, Lingen (Ems), Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie. 62. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS). Oldenburg, 17.-21.09.2017. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2017. DocAbstr. 296

doi: 10.3205/17gmds118, urn:nbn:de:0183-17gmds1184

Published: August 29, 2017

© 2017 Teckert et al.
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Hintergrund: Immens steigende Kosten und die Zunahme chronisch Kranker erfordern eine effektivere und effizientere Patientenversorgung, die das fragmentierte und spezialisierte deutsche Gesundheitssystem mit seinen verschiedenen Sektoren und Professionen nicht leisten kann. Eine entlang der Wertschöpfungskette intersektorale und interprofessionelle Patientenversorgung, z.B. mittels eines Gesundheitsnetzwerks, kann eine Möglichkeit sein, um Informationsverluste an den Schnittstellen abzubauen, Kosten zu verringern und letztendlich die ganzheitliche medizinische Versorgung der Patienten zu optimieren.

Interorganisationale Gesundheitsnetzwerke können nach Luhmann als komplexe soziale Systeme eingeordnet werden, in denen verschiedene Individuen bzw. Organisationen mit divergierenden Interessen, Kulturen, Werten und Historien aufeinandertreffen. Durch die Vernetzung der einzelnen Teilleistungen über sektorale Grenzen, Professionen und Disziplinen hinweg, entsteht ein neuer aggregierter Prozess, der gleichzeitig zu einer stärkeren Abhängigkeit der eigentlich selbstständigen und autonomen Akteure führt. Neben der Beziehung von Autonomie zu Abhängigkeit identifiziert Sydow (2010) weitere Spannungsverhältnisse, wie bspw. Kooperation zu Wettbewerb und Vertrauen zu Kontrolle, die ausbalanciert werden müssen. Gelingt dies nicht, scheitern Netzwerke oftmals, auch wenn sie anfangs mit großen Erwartungen gegründet worden sind. Der Einsatz von Informationstechnologien (IT), z.B. in Form einer interorganisationalen elektronischen Patientenakte (EPR), kann die netzwerkseitigen Kommunikations- und Abstimmungsprozesse maßgeblich unterstützen. Gleichzeitig kann der IT-Einsatz auf der Netzwerkebene die Spannungsverhältnisse verstärken, da sich speziell Ärzte noch stärker in ihrer Autonomie eingeschränkt und in ihrem Handeln kontrolliert fühlen können, insbesondere wenn die Nutzung netzwerkseitig erwartet wird.

Forschungsfragen: Das Ziel der Studie ist es, mögliche Spannungsverhältnisse in Gesundheitsnetzwerken und subjektiv wahrgenommene (negative) Auswirkungen der Zusammenarbeit auf der Leistungserbringerebene zu eruieren, denn erst durch die Bewusstwerdung dieser, kann gezielt regulativ eingegriffen werden.

Damit ergeben sich folgende Fragenstellungen:

Welche Spannungsverhältnisse lassen sich in interorganisationalen Gesundheitsnetzwerken identifizieren und wie verändern sich diese durch die Implementierung von IT?

Welche Veränderungen ergeben sich für die Leistungserbringer durch eine interorganisationale Patientenversorgung und den Einsatz von IT?

Methoden: Die Basis zur Beantwortung der Fragen bildet eine Literaturrecherche. Für eine erste Kategorisierung werden die von Sydow (2010) angeführten Spannungsverhältnisse Abhängigkeit-Autonomie, Vertrauen-Kontrolle, Kooperation-Wettbewerb, Flexibilität-Spezifität, Vielfalt-Einheit, Stabilität- Fragilität, Formalität-Informalität und ökonomisches Handeln-Herrschaftssicherung auf Gesundheitsnetzwerke adaptiert und deren Verschiebung durch den Einsatz von IT literaturgestützt aufgezeigt.

Die so herausgearbeiteten Spannungsverhältnisse, Konflikte und Auswirkungen für die Leistungserbringer sollen in einem weiteren Schritt durch (teilnehmende) Beobachtungen und Diskussionsanalysen bei Netzwerktreffen und Hospitationen inhaltsanalytisch überprüft und ggf. ergänzt werden.

Diskussion: Erste Auswertungen zeigen, dass sich die Spannungsverhältnisse auch in interorganisationalen Gesundheitsnetzwerken identifizieren lassen. Einige Studien weisen bspw. auf das Problem hin, dass bei dem Versuch über alle Professionen hinweg eine einheitliche IT-Anwendung einzuführen, der Vielfalt und den Präferenzen der Professionen nicht ausreichend Rechnung getragen wird. Auf individueller Ebene zwingt dies die Akteure somit zu Zugeständnissen, z.B. aufgrund damit verbundener Veränderungen der eigenen Routinen und Arbeitsprozesse.

Eine eindeutige Zuordnung ist indes nicht immer möglich ist. Auch Auswirkungen auf individueller Ebene lassen sich nicht immer zweifelsfrei auf die Spannungsverhältnisse zurückführen bzw. diesen zuordnen.

Spannungsverhältnisse und deren Verstärkung durch IT auf der Netzwerkebene einerseits und die subjektiv empfundenen negativen Veränderungen für die eigene Person und den Arbeitsalltag andererseits, können die Bereitschaft zur intersektoralen und interprofessionelle Patientenversorgung maßgeblich beeinflussen und gar Akzeptanzbarrieren darstellen.



Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Die Autoren geben an, dass kein Ethikvotum erforderlich ist.


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