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GMDS 2015: 60. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (GMDS)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

06.09. - 09.09.2015, Krefeld

Mobiles österreichweites Online-Service zur Meldung von Arzneimittelnebenwirkungen durch Patienten im Rahmen der Pharmakovigilanz – Proof of Concept

Meeting Abstract

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  • Hannes Stornig - Zentrum für Medizinische Statistik, Informatik und Intelligente Systeme - Medizinische Universität Wien, Wien, Österreich
  • Walter Gall - Zentrum für Medizinische Statistik, Informatik und Intelligente Systeme - Medizinische Universität Wien, Wien, Österreich

GMDS 2015. 60. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS). Krefeld, 06.-09.09.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. DocAbstr. 050

doi: 10.3205/15gmds201, urn:nbn:de:0183-15gmds2011

Published: August 27, 2015

© 2015 Stornig et al.
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Einleitung: Zur Analyse und Abwehr von Arzneimittelrisiken beschäftigt sich die Pharmakovigilanz (PV) mit der Überwachung von Arzneimitteln mit einem speziellen Fokus auf Arzneimittel im Zeitraum nach ihrer Zulassung. Um eine solche PV systematisch und fortlaufend zu ermöglichen, ist es in der EU zu einer Novellierung der Vorschriften und Richtlinien im Rahmen des „Pharmakovigilanz-Pakets“ gekommen [1], [2]. Dadurch wurde es den Patienten möglich selbstständig Verdachtsfälle von Arzneimittelnebenwirkungen an die lokale Regulierungsbehörde (in Österreich: Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen) zu melden. Dies war bislang nur den Angehörigen der Gesundheitsberufe vorbehalten. Durch diese neu geschaffene Möglichkeit sollen die Patienten besser in den Prozess der PV integriert werden, (Patient Empowerment) [3] um so dem vorherrschenden Problem des „Underreporting“ und somit der geringen Rate der Meldung durch die Angehörigen der Gesundheitsberufe entgegenzuwirken [4], [5]. Zudem soll durch diese Maßnahme ein vollständigeres Bild des Arzneimittelmarkts geschaffen werden [3].

Dieser Beitrag beschäftigt sich mit der Erstellung eines Konzepts für ein mobiles österreichweites Spontanmeldesystem, welches dem Patienten in Österreich die Abgabe einer direkten Meldung von Verdachtsfällen leicht und intuitiv ermöglichen soll, und diesen besser in den Prozess der PV zu integrieren. Dafür wird ein objektorientiertes Analysemodell erstellt, von welchem im Anschluss ein Prototyp des User Interfaces als „Proof of Concept“ abgeleitet wird. Fokus wird dabei auf eine hohe Usability für den Patienten als Benutzer gelegt. Eine besondere Berücksichtigung findet dabei die Analyse von geeigneten Hilfestellungen, die den Patienten bei der Erstellung der Meldung unterstützen sollen.

Material und Methoden: Um eine hohe Benutzerakzeptanz und eine hohe Usability zu ermöglichen wurden im Analyseprozess im Hinblick auf die Gestaltung des Userinterfaces (UI) AdHoc-Personas erstellt, welche in Kontextszenarien exemplarisch Anwendungsfälle durchspielen. Zudem wurde auf die Einhaltung der ISO 9241 - Teil 110 „Ergonomie der Mensch-System-Interaktion - Grundsätze der Dialoggestaltung“ Rücksicht genommen. Im Rahmen des Software Engineerings wurde der objektorientierte Analyseprozess (OOA) nach Balzert verwendet und dabei ein Pflichtenheft, ein OOA-Modell und ein Prototyp des UI erstellt. Für den UI-Prototypen wurde das Mockup-Tools Balsamiq Mockups verwendet. Da der Fokus auf der Usability des Systems liegt wurden implementierungsrelevante Details außer Acht gelassen und von einem technisch perfekten System ausgegangen.

Ergebnisse: Da das analysierte System auf mobilen Geräten (Smartphones) laufen soll, war es bei der Erstellung des UI wichtig, auf die besonderen Gegebenheiten dieser Geräte zu achten. So bieten diese Vor- und Nachteile gegenüber herkömmlichen Desktop Geräten. Ein großer Nachteil dieser Geräte ist die sehr begrenzte Anzeigefläche. Es war somit wichtig eine Lösung zu finden, wie die enorme Menge an Informationen, die im Laufe einer Verdachtsmeldung angegeben werden müssen, auf der begrenzten Anzeigefläche dargestellt werden konnte. Dafür wurde ein Menü verwendet, dass per „Wisch Geste“ ein- und ausgeblendet werden kann und somit während der Eingabe keine Anzeigefläche verbraucht, der Melder aber jederzeit den Dialog steuern kann und sozusagen weiß, wo dieser sich im Dialog befindet. Zudem wurde der Prozess der Meldung in fünf Erfassungsfenster gruppiert. Meldung, Patient, Arzneimittel, Nebenwirkung und Melder. Bei der Erstellung der Erfassungsfenster wurde auf eine Einheitlichkeit des Aussehens und der Bedienung geachtet, um dem Benutzer das Erlernen des Systems zu erleichtern. Zu den Vorteilen gehört die zusätzliche zur Verfügung stehende Hardware (Kamera, RFID-Scanner), welche für Hilfestellungen wie einen Arzneimittel-Assistenten genutzt werden kann um ein Arzneimittel einfach aber eindeutig zu identifizieren (Barcode Scannen, Foto des Arzneimittels, RFID-Scannen, QR-Code Scannen). Für die Identifikation mittels Barcode könnte der bereits auf der Verpackung befindliche PZN-EAN-Code verwendet werden. Die Identifikation per QR-Code oder RFID-Tag bringt den Nachteil mit sich, dass dafür die Verpackung geändert werden müsste. Zudem könnte die Kamera auch für die Dokumentation der Nebenwirkung (z.B. Foto eines Hautausschlags) verwendet werden.

Diskussion: Die Einbeziehung der Patienten in die Pharmakovigilanz wurde als wertvoll erkannt [3]. Dabei haben mobile Systeme entscheidende Vorteile für die Vereinfachung der Meldung gezeigt, da die zur Verfügung stehende Hardware von Smartphones für Hilfestellungen, welche den Patienten bei der Abgabe der Meldung unterstützen, verwendet werden könnte. Ob solche Hilfestellungen jedoch wirklich für den Patienten von Nutzen sind, sollte in weiteren Forschungsarbeiten anhand von Benutzertests geklärt werden. Des Weiteren sind für die Umsetzung von solchen Assistenten implementierungsrelevante Punkte, wie die Anbindung des Systems an ein Arzneimittelregister, welches die Barcodes der Arzneimittel enthält, oder die Änderung der Verpackung in Hinblick auf die Anbringung von RFID-Tags, zu klären.

Es hat sich zudem gezeigt, dass der Melder eine Vielzahl an Informationen ausfüllen muss. Dies könnte für ungeübte Benutzer überfordernd sein. Somit wäre es im Rahmen eines „Easy-Modes“ sinnvoll zu klären, welche Informationen für eine Meldung unbedingt auszufüllen sind und auf welche verzichtet werden könnte. Um die Usability für den Patienten weiters zu steigern, könnten zudem Punkte wie die Anbindung eines solchen Meldesystems an einen EHR (z.B. ELGA in Österreich) diskutiert werden. Durch eine solche Anbindung wäre neben der automatischen Übertragung der aktuellen Medikation des Patienten zudem eine einfache und eindeutige Identifikation und Legitimierung des Melders denkbar und es könnten Informationen aus dem EHR übernommen werden, welche somit nicht mehr vom Melder eingegeben werden müssten.


Literatur

1.
Richtlinie 2010/84/EU des europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 2010 zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel hinsichtlich der Pharmakovigilanz. 2010.
2.
Verordnung (EU) Nr. 1235/2010 des europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 2010 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Errichtung einer Europäischen Arzneimittel-Agentur hinsichtlich der Pharmakovigilanz von Humanarzneimitteln und der Verordnung (EG) Nr. 1394/2007 über Arzneimittel für neuartige Therapien. 2012.
3.
Basch E. The Missing Voice of Patients in Drug-Safety Reporting. N Engl J Med. 2010 Mar 11;362(10):865–9.
4.
Hazell L, Shakir SAW. Under-reporting of adverse drug reactions: a systematic review. Drug Saf Int J Med Toxicol Drug Exp. 2006;29(5):385–96.
5.
Belton KJ. Attitude survey of adverse drug-reaction reporting by health care professionals across the European Union. The European Pharmacovigilance Research Group. Eur J Clin Pharmacol. 1997;52(6):423–7.